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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 15/06
Rechtsgebiete: VgV, ZPO, GWB, VwVfG, VwVfG-LSA, RVG


Vorschriften:

VgV § 3
VgV § 3 Abs. 3 S. 3
ZPO § 3
ZPO § 9
GWB § 116 Abs. 1 S. 1
GWB § 116 Abs. 2
GWB § 117 Abs. 1
GWB § 117 Abs. 2
GWB § 117 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4 S. 5
VwVfG § 80
VwVfG-LSA § 1 Abs. 1
RVG § 2
RVG § 13
RVG § 14 Abs. 1
RVG § 14 Abs. 1 Satz 4
RVG § 14 Abs. 2
1. Werden die Nachprüfungsanträge zweier Bieter eines Vergabeverfahrens nach deren Eingang durch die Vergabekammer zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung förmlich verbunden und bis zum Abschluss des Verfahrens nicht wieder getrennt, sind nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 28.06.2004, 1 Verg 5/04) eine getrennte Kostenentscheidung und eine doppelte Gebührenerhebung grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch für die Gebühren eines Rechtsanwalts im Rahmen der Erstattung als Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

2. Wird zunächst die Nachprüfung von Vergabeverfahren zu zwei Losen eines einheitlichen Beschaffungsvorgangs begehrt und sodann im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens der Antrag auf die Nachprüfung nur noch eines Loses beschränkt, so ist für den Gegenstandswert der Gebühren nach VV Nr. 2300 RVG des Verfahrensbevollmächtigten der Vergabestelle - ungeachtet der Rechtsprechung zum Fehlen eines Kostenerstattungsanspruchs des Antragsgegners bei Rücknahme des Nachprüfungsantrages - der Bruttoauftragswert beider Lose maßgeblich.

3. Zum - billigen - Ansatz einer 2,0-fachen Gebühr nach VV Nr. 2300 RVG für ein Nachprüfungsverfahren zweier Bieter mit mündlicher Verhandlung, das sich auf eine Ausschreibung von Versicherungsleistungen und anfangs auf zwei Lose hieraus bezog.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Verg 15/06 OLG Naumburg

In der Vergabesache

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel sowie die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm am 22. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Halle vom 18. Oktober 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die von den Antragstellerinnen an die Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten werden auf insgesamt 9.798,49 € festgesetzt.

Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin 2/3 und die Antragstellerin zu 1) 1/3.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 13.306,78 €.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin zu 1) hat am 13.01.2006 und die Antragstellerin zu 2) am 16.01.2006 einen Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens betreffend die Vergabe der Lose 1 und 2 der Ausschreibung von Leistungen zur betrieblichen Altersversorgung für die Mitarbeiter des Klinikums B. gGmbH gestellt. Hinsichtlich des Loses 2 haben beide Antragstellerinnen ihre Anträge vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen und nur noch eine Entscheidung hinsichtlich des Loses 1 angestrebt. Mit Beschluss vom 07.02.2006 hat die Vergabekammer die beiden Nachprüfungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Am 07.03.2006 wurde der Antrag der Antragstellerin zu 1) zurückgewiesen und der Antrag der Antragstellerin zu 2) verworfen. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Antragsgegnerin wurden den Antragstellerinnen auferlegt. Zugleich hat die Vergabekammer festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war.

Nach Abschluss des Vergabenachprüfungsverfahrens hat die Antragsgegnerin mit zwei separaten Kostenberechnungen vom 05.04.2006 beantragt, die ihr von den jeweiligen Antragstellerinnen zu erstattenden Kosten des Hauptsacheverfahrens vor der Vergabekammer des Landesverwaltungsamtes festzusetzen. Sie hat 6.793,73 € für den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu 1) verlangt und 7.019,93 € gegen die Antragstellerin zu 2) geltend gemacht. Dabei hat die Antragsgegnerin neben Abwesenheitsgeldern, Fahrtkosten und weiteren Auslagen jeweils eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG (in der bis 30.06.2006 gültigen Fassung - dies gilt auch für alle nachfolgend genannten Ziffern des Teils 2 des VV) von 1,3 für das Los 1 und von 0,7 für das Los 2 in Ansatz gebracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung wird auf die Festsetzungsanträge vom 05.04.2006 verwiesen.

Mit Beschluss vom 18.10.2006 hat die Vergabekammer die von den Antragstellerinnen als Gesamtschuldner an die Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten des Verwaltungsverfahrens auf insgesamt 5.430,40 € festgesetzt und die weiter gehenden Anträge zurückgewiesen. Die Vergabekammer hat die Ansicht vertreten, dass eine Festsetzung der anwaltlichen Kosten im Hinblick auf den Wert des Loses 2 nicht in Betracht komme, weil insoweit die Nachprüfungsanträge zurückgenommen worden seien, bevor es zu einer Entscheidung in der Hauptsache habe kommen können. Für diesen Fall der Antragsrücknahme sehe das Gesetz (§ 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG) keine Auslagenerstattung vor, so dass die Antragsgegnerin diesen Teil ihrer Kosten selbst tragen müsse.

Bei der Gebührenberechnung hat die Vergabekammer daher nur die Angebote zu Los 1 berücksichtigt und deren Gegenstandswert mit 5 % der Auftragssumme in Ansatz gebracht. Hierbei ist sie auf Grund der Verbindung der beiden Nachprüfungsanträge von dem höheren Angebot der Antragstellerin zu 2) ausgegangen. Auf Basis des so ermittelten Streitwerts von 638.798,75 € hat die Vergabekammer - entgegen den doppelten Anträgen der Antragsgegnerin - nur einmalig eine Wertgebühr nach Nr. 2400 VV RVG für gerechtfertigt gehalten. Dabei sah die Kammer sich hinsichtlich der Gebührenhöhe von 1,3 an den Antrag des Bevollmächtigte der Antragsgegnerin gebunden, obgleich sie einen höheren Satz für angemessen gehalten hätte.

Von den geltend gemachten Reisekosten (Nr. 7003 VV) hat die Vergabekammer 72,00 € anerkannt und ein Tagegeld (Nr. 7005 Nr. 2 VV) von 35,00 € als gerechtfertigt angesehen. Nach Kürzung der weiteren Auslagen hat die Vergabekammer die erstattungsfähigen Kosten wie folgt berechnet:

 Gegenstandswert (nur Los 1): 12.775.975,12 €
Streitwert (5 %): 638.798,75 €
Geschäftsgebühr 1,3 (Nr. 2400 VV) 4.479,80 €
Fiktive Kosten der Geschäftsreise (7003 VV) 72,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld (7005 Nr. 2 VV) 35,00 €
Auslagen für Paketversand (7001 VV) 94,58 €
16 % Umsatzsteuer (7008 VV) 749,02 €
Summe: 5.430,40 €

Mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.10.2006 erhöht die Antragsgegnerin ihre Gebührenforderung auf 9.194,59 € gegen die Antragstellerin zu 1) und auf weitere 9.542,59 € gegen die Antragstellerin zu 2), insgesamt also 18.737,18 €. In der Sache vertritt sie die Ansicht, die Vergabekammer habe die Gebührenforderungen gegen beide Antragstellerinnen zu Unrecht als Einheit behandelt, denn die Verbindung der Verfahren habe keine Auswirkungen auf die Gebühren der Verfahrensbevollmächtigten. Die Nachprüfungsanträge der beiden Antragstellerinnen beruhten auf unterschiedlichen Sachverhalten und hätten entsprechend unterschiedliche Stellungnahmen erforderlich gemacht. Es komme hinzu, so trägt die Antragsgegnerin weiter vor, dass die Vergütungsansprüche ihrer Bevollmächtigten bereits vor der Verbindung der Verfahren entstanden seien, so dass sie nicht nachträglich "enteignet" werden könnten. Dies gelte auch für die Kosten, die durch die Rechtsverteidigung gegen die Nachprüfung des Loses 2 entstanden seien.

Wenn man dem nicht folgen wolle, so führt die Antragsgegnerin ergänzend aus, müssten zumindest die Streitwerte beider Angebote addiert werden.

Ferner habe die Kammer es versäumt, die Antragsgegnerin darauf hinzuweisen, dass sie die Vergütungsgrenze der Nr. 2401 VV nicht für einschlägig halte. Hätte sie diese Rechtsauffassung der Vergabekammer gekannt, hätte sie nicht lediglich eine 1,3-fache Gebühr für das Los 1 in Ansatz gebracht, sondern 2,0 Gebühren nach Nr. 2400 VV. Für den Wert des Loses 2 macht die Antragsgegnerin nach wie vor nur 0,7 Gebühren geltend. Die Kürzung des Abwesenheitsgeldes, der Fahrtkosten und der Auslagen für den Paketversand greift die Antragsgegnerin nicht an. Lediglich die Absetzung der Fotokopierkosten von insgesamt 153,40 € nimmt die Antragsgegnerin nicht hin. Da sie ihre Originalunterlagen der Vergabekammer habe vorlegen müssen, sei die Anfertigung von Fotokopien durch ihre Bevollmächtigten notwendig gewesen, um eine sachgerechte Rechtsverteidigung zu ermöglichen.

Die Antragstellerin zu 1) ist der Beschwerde entgegengetreten und hat beantragt, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass die Erhöhung des Festsetzungsantrages notwendigerweise die Zurücknahme des ursprünglichen Antrages beinhalte, der allein Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei. Über die neuen Anträge, die andere Gebührenansätze enthielten, habe die Vergabekammer noch nicht entschieden, so dass der Antragsgegnerin das Rechtsschutzinteresse an einer Entscheidung des Senats fehle.

Vorsorglich weist die Antragstellerin zu 1) - wie schon in erster Instanz darauf hin, dass sie die in Ansatz gebrachten Streitwerte für zu hoch halte. § 3 VgV sei bei unbefristeten Verträgen nicht analog anwendbar, weil diese Regelung keinen kostenrechtlichen Bezug habe. Das wirtschaftliche Interesse der Antragsteller müsse daher nach §§ 3 und 9 ZPO analog geschätzt werden.

Eine Gebühr von 2,0, so meint die Antragstellerin zu 1) weiter, müsse außerdem an der Kappungsgrenze des Gebührenrahmens in Nr. 2401 VV scheitern.

Die Antragstellerin zu 2) und die Beigeladene haben keine Stellungnahme zur Sache abgegeben.

Mit Zustimmung der Beteiligten hat der Senat durch Beschluss vom 30.01.2007 das schriftliche Verfahren angeordnet und den 09.02.2007 als Schlusstermin bestimmt.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist gemäß § 116 Abs. 2 GWB statthaft und wurde frist- und formgerecht eingelegt, § 117 Abs. 1 bis 3 GWB.

a) Eine Entscheidung der Vergabekammer kann auch lediglich im Kostenpunkt gem. § 116 Abs.1 S.1 GWB angegriffen werden (vgl. OLG Düsseldorf, BauR 2000,1626; NZBau 2001, 165,166; Senatsbeschl. v. 22.09.2003, 1 Verg 10/03, u. v. 28.09.2001, 1 Verg 9/01, VergabeR 2002, 200, 201; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 26.03.2004, 1 Verg 3/04). Der Senat entscheidet hierüber mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Verfahren (§§ 120 Abs.2, 69 Abs.1 GWB).

b) Die Beschwerde ist in voller Höhe zulässig. Zwar können mit der sofortigen Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich keine neuen Kosten nachgeschoben werden (vgl. OLG Bamberg, JurBüro 1983, 129), eine Antragserweiterung aus rechtlichen Gründen bei unverändertem Sachverhalt ist im Beschwerdeverfahren jedoch möglich. Hier beruht die Erhöhung allein auf dem Umstand, dass die Antragsgegnerin auf Grund der Ausführungen der Vergabekammer anstelle einer 1,3-fachen Gebühr nun 2,0 Gebühren geltend macht. Dahinter verbirgt sich bei unverändertem Sachverhalt lediglich die Rechtsfrage, ob die Grenze der Nr. 2401 VV gilt oder der Gebührenrahmen der Nr. 2400 VV. Eine Antragsrücknahme ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin zu 1) in der Beschwerde ebenfalls nicht zu sehen.

III.

In der Sache hat die Beschwerde nur teilweise Erfolg.

1. Dem wesentlichen Argument der Antragsgegnerin, die Verbindung der Verfahren habe keine Auswirkungen auf die Gebühren der Verfahrensbevollmächtigten, so dass sie doppelt abrechnen könne, vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Werden die Nachprüfungsanträge zweier Bieter eines Vergabeverfahrens nach deren Eingang durch die Vergabekammer zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung förmlich verbunden und bis zum Abschluss des Verfahrens nicht wieder getrennt, sind nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 28.06.2004, 1 Verg 5/04) eine getrennte Kostenentscheidung und eine doppelte Gebührenerhebung grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch für die Gebühren eines Rechtsanwalts im Rahmen der Erstattung als Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

b) Für die Kostenentscheidung kommt es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf die Zahl der Nachprüfungsanträge, sondern auf die Zahl der Verfahren an. Der Gesetzgeber spricht nicht von den Kosten des einzelnen Nachprüfungsantrages, sondern ausdrücklich von den Kosten des "Verfahrens" (§ 128 Abs. 3 GWB) und ordnet an, dass mehrere Kostenschuldner als Gesamtschuldner haften. Soweit ein einheitliches Nachprüfungsverfahren durchgeführt wird, gilt diese gesamtschuldnerische Haftung (vgl. Glahs in Reidt/Stickler/Glahs, 2. Aufl. 2003, § 128 Rdn. 17), der sich die Kostenschuldner nicht mit dem Argument entziehen können, sie hätten jeweils einen selbständigen Nachprüfungsantrag gestellt.

c) Entsprechend kommt es auch für die Gebühren des Bevollmächtigten der Vergabestelle nicht darauf an, ob mehrere Antragsteller sich mit einem gemeinsamen Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer wenden, oder ob mehrere eingehende Anträge zu einem Nachprüfungsverfahren zusammengefasst werden. Auch diese Gebühren richten sich nicht nach der Zahl der Nachprüfungsanträge, die zu einem Vergabeverfahren eingegangen sind, sondern entstehen in einem Nachprüfungsverfahren, in dem mehrere Nachprüfungsanträge zusammengefasst wurden, einheitlich für das Verfahren. § 128 Abs. 4 S. 5 GWB i.V.m. § 80 VwVfG, § 1 Abs. 1 VwVfG-LSA sehen eine Erstattung der Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten nur insoweit vor, als sie im Rahmen der Verfahrensführung nach allgemeiner Verkehrsauffassung im Einzelfall sachgemäß erscheinen (vgl. Brauer in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 1. Aufl. 2006, § 128 Rdn. 29 m.N.). Das Gesetz bezieht sich dabei ausschließlich auf das Verfahren als solches, nicht auf die Zahl der zu Grunde liegenden Nachprüfungsanträge.

d) Auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung lässt keine doppelte Gebührenerstattung zu. Zwar ist es in der Regel richtig, dass durch mehrere Nachprüfungsanträge auch der Arbeitsaufwand für den Bevollmächtigten der Vergabekammer steigen kann. Dieser Faktor rechtfertigt aber keine Verdoppelung der Gebühren in einem verbundenen Verfahren. Vielmehr kann diesem Umstand im Rahmen der Bemessung der Geschäftsgebühr ausreichend Rechnung getragen werden. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass selbst der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin die Nachprüfungsanträge schon vor der Verbindung als eine Angelegenheit geführt, und einheitlich Stellung genommen hat, wie sich aus seinen Schriftsätzen ergibt.

e) Soweit die Antragsgegnerin meint, die Gebührenansprüche ihres Bevollmächtigten seien bereits vor der Verbindung der Verfahren doppelt entstanden, unterliegt sie ebenfalls einem Irrtum, der möglicherweise darauf beruht, dass sie bei ihren Überlegungen das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer mit einem gerichtlichen Parteiverfahren gleichsetzt, das es jedoch nicht ist. Sie übersieht, dass der Gebührentatbestand der §§ 2, 13 RVG bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV nicht an die Zahl der Nachprüfungsanträge oder die Zahl der Gegner anknüpft, sondern nur an den Gegenstandswert des Geschäfts, das betrieben wird. Der Gegenstandswert eines Nachprüfungsverfahrens vervielfacht sich nicht durch das Hinzutreten weiterer Nachprüfungsanträge, wenn sie - wie hier - dieselben Lose betreffen. Zwar geht es in dem verbundenen Verfahren um konkurrierende Angebote zweier Bieter, jedoch kann jeweils nur eines der Angebote den Zuschlag erhalten.

Es kann daher auch nicht davon gesprochen werden, dass sich die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Vergabestelle verdoppelt, wenn zwei Nachprüfungsanträge vorliegen. Deshalb kommt auch eine Addition der Streitwerte beider Angebote nicht in Betracht, die die Antragsgegnerin hilfsweise beantragt.

3. Zu Recht rügt die Antragsgegnerin allerdings, dass die Vergabekammer bei der Bemessung des Gegenstandswertes die Angebote auf das Los 2 nicht berücksichtigt hat.

a) Mit Beschluss vom 07.03.2006 hat die Vergabekammer ohne jede Einschränkung "die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig erklärt." Wenn die Kammer in den Gründen ihres späteren Beschlusses vom 18.10.2006 ausführt, sie habe die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten am 07.03.2006 nur hinsichtlich des Loses 1 ausgesprochen, ist diese Darstellung nicht zutreffend. Weder der Tenor noch die Gründe des Beschlusses vom 07.03.2006 enthielten eine derartige Einschränkung.

b) An den bestandskräftigen Beschluss vom 07.03.2006 bleibt auch die Vergabekammer gebunden. Es war daher unzulässig, dass sie es im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens abgelehnt hat, der Antragsgegnerin Gebühren aus dem vollen anfänglichen Gegenstandswert des Verfahrens zuzusprechen, und stattdessen nur den Wert des Loses 1 zu Grunde gelegt hat. Die Vergabekammer kann sich zur Begründung ihrer schon aus formalen Gründen ausgeschlossenen Rechtsauffassung auch nicht darauf berufen, dass zuletzt nur noch über das Los 1 verhandelt worden sei, denn die Frage der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten stellt sich zu Beginn des Nachprüfungsverfahrens, nicht erst in der mündlichen Verhandlung.

c) Abgesehen davon ist die uneingeschränkte Feststellung vom 07.03.2006 auch richtig gewesen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Vergabestelle unter Berücksichtigung aller Umstände notwendig. Dabei kann grundsätzlich nicht nach Losen oder sonstigen Kriterien innerhalb eines Verfahrens differenziert werden. Die Ansicht der Vergabekammer hätte zur Folge, dass die Vergabestelle sich innerhalb eines Nachprüfungsverfahrens nur nicht hinsichtlich eines (schwierigen) Teils des streitigen Sachverhaltes durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen könnte, während sie einen anderen (leichteren) Teil selbst bearbeiten müsste. Eine derartige unsinnige Aufteilung sieht das Gesetz aber nicht vor. Entweder das eingeleitete Nachprüfungsverfahren rechtfertigt insgesamt die Beauftragung eines Rechtsanwalts, oder nicht.

Hat die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zu Beginn des Nachprüfungsverfahrens bestanden, entfällt sie auch nicht später durch eine nachträglich Beschränkung der Nachprüfungsanträge im Laufe des Verfahrens.

Der Gegenstandswert ist daher aus der Summe der Angebote für beide Lose zu errechnen.

c) Die Antragstellerin zu 1) kann hingegen mit ihren Angriffen gegen die Streitwertfestsetzung keinen Erfolg haben.

Es erscheint bereits zweifelhaft, in welchem Umfang ihr Vorbringen zum Streitwert überhaupt berücksichtigt werden kann. Denn ihre Berechnung müsste, wenn sie zuträfe, zu Lasten der Antragsgegnerin zu einer reformatio in peius führen, die im Beschwerdeverfahren ohne Anschlussbeschwerde unzulässig ist. Dies Frage kann aber offen bleiben, denn jedenfalls steht die analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 S. 3 VgV bei der Bestimmung des Gegenstandswertes außer Zweifel.

4. Der Senat teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, dass der geltend gemachte Ansatz einer 2,0-fachen Gebühr als Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG hier nicht unbillig ist. Ein Gebührensatz von 1,8 erscheint durchaus angemessen und der 2,0-fache Satz ist im Rahmen der Billigkeitsprüfung noch als tolerabel anzusehen.

a) Nach § 14 Abs. 1 RVG ist die Bemessung des Gebührenansatzes in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller spezifischen Umstände, insbesondere des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers vorzunehmen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

b) Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände übersteigt der Ansatz einer 2,0-fachen Geschäftsgebühr hier die dem Anwalt im Rahmen der Billigkeitskontrolle eingeräumte Toleranzgrenze von etwa 20 Prozent (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/v.Eicken/ Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 14 Rn. 34 ff. m.w.N.) nicht.

aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Vergabesachen regelmäßig eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit anzuerkennen sein wird, weil das nationale Vergaberecht eine komplexe, vom Gemeinschaftsrecht überlagerte Rechtsmaterie ist, die einer sehr dynamischen Entwicklung unterliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.08.2005, Az. 1 Verg 4/05). Allerdings gibt es keinen Grundsatz, wonach Vergabesachen per se überdurchschnittlich zu vergüten seien. Auch in Vergabesachen kommt es daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf den tatsächlichen Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im jeweiligen Einzelfall an. Ein überdurchschnittlicher Gebührenansatz ist schon jeder Gebührenansatz über der gesetzlich vorgesehenen Kappungsgrenze in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr, wie die Antragstellerin zu 1) zu Recht betont.

bb) Wie schon die Vergabekammer ausgeführt hat, handelte es sich bei dem hier zu beurteilenden Hauptsacheverfahren um eine rechtlich schwierige Vergabe auf dem Gebiet des Versicherungswesens. Nach Ansicht des Senats kommt eine überdurchschnittliche Gebühr von 2,0 auch deshalb in Betracht, weil die durchgeführte mündliche Verhandlung erhöhend berücksichtigt werden kann und mehrere Nachprüfungsanträge Gegenstand des Verfahrens waren. Zwar wurden die Nachprüfungsanträge nachträglich beschränkt, das ändert aber nichts an dem hohen Arbeitsaufwand zu Beginn des Streits, als ein hoher Zeitdruck herrschte. Hinzu kommt eine hohe wirtschaftliche Bedeutung der Vergabeentscheidung und das damit verbundene hohe Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Die 2,0-fache Geschäftsgebühr erscheint daher auch unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums, der dem Rechtsanwalt durch das Gesetz eingeräumt wird, durchaus noch vertretbar.

c) Die Einholung eines Gutachten des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 2 RVG ist im Festsetzungsverfahren entbehrlich.

Im Kostenfestsetzungsverfahren kann eine Rahmengebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG festgesetzt werden, ohne dass zuvor ein Gutachten des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer eingeholt werden muss. Denn als Rechtsstreit i.S.v. § 14 Abs. 2 RVG ist lediglich ein Honorarprozess des Rechtsanwalts gegen seinen eigenen Mandanten anzusehen, nicht aber das Kostenfestsetzungsverfahren, in dem die Frage der Gebührenhöhe nur eine Vorfrage ist (vgl. Senatsbeschluss vom 02.03.2006, 1 Verg 13/05 OLG, unter Hinweis auf: Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 14 Rn. 112, 116; Fraunholz in: Riedel/ Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 14 Rn. 14 f.; ebenso zu § 12 Abs. 2 BRAGO: BVerwG JurBüro 1982, 857; BSG, Urt. v. 18.01.1990, 4 RA 40/89 m.w.N.; BayLSG RPfl 2002, 281; BFH, Beschluss v. 19.10.2004, VII B 1/04; ebenso LG Berlin MDR 1982, 499 und LG Nürnberg-Fürth, JurBüro 1985, 869).

5. Die Fotokopierauslagen waren aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen notwendig. Die Portopauschale nach Nr. 7002 VV hingegen kann nicht ohne Weiteres zusätzlich zu den tatsächlichen Paketversandkosten geltend gemacht werden.

6. Im Ergebnis waren auf Grundlage der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung, die erstattungsfähigen Kosten der Antragsgegnerin einheitlich wie folgt zu berechnen:

a) Gegenstandswert:

 Los 1 (wie Vergabekammer) 12.775.975,12 €, davon 5%: 638.798,75 €
Los 2 3.360.000,00 €, davon 5%: 168.000,00 €
Anfangsstreitwert: 806.798,75 €

b) Gebühren und Auslagen:

 Gerechtfertigt sind 2,0 Gebühren (Nr. 2400 VV) aus 806.798,75 € 8.092,00 €
Abwesenheitsgeld (7005 Nr. 2 VV, nicht angefochten) 35,00 €
Fahrtkosten (7003 VV, nicht angefochten) 72,00 €
Fotokopierkosten 153,40 €
Auslagen für Paketversand (7001 VV, nicht angefochten) 94,58 €
Netto: 8.446,98 €
Zzgl. 16 % Umsatzsteuer 1.351,51 €
Summe brutto: 9.798,49 €

IV.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO analog. Die Antragstellerin zu 2) ist dem Beschwerdeantrag nicht entgegengetreten, so dass sie auch nicht unterliegen konnte. Die Beigeladene ist nicht Kostenschuldnerin. Sie hat sich auch am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO und orientiert sich am Kosteninteresse des Antragsgegnerin, die zuletzt insgesamt 18.737.18 € geltend gemacht hat.

Ende der Entscheidung

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