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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 03.07.2009
Aktenzeichen: 1 Verg 4/09
Rechtsgebiete: GWB, RettDG LSA, VgV


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 118 Abs. 2
RettDG LSA § 11
VgV § 13
VgV § 13 Satz 6
1. Die Anordnung der Verlängerung des prozessualen Zuschlagsverbots kommt ausnahmsweise auch bei geringen Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde in Betracht, wenn die Abwägung aller möglicherweise geschädigten Interessen, auch des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, gleichwohl zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt.

2. Dies kann der Fall sein, wenn die Vergabestelle den öffentlichen Auftrag bereits erteilt und die Auftragsausführung bereits begonnen hat und wenn der Antragsteller lediglich die Untersagung eines weiteren (bestätigenden) Vertragsschlusses verhindern möchte.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 4/09 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 29. Mai 2008 (S 103 - 138354) ausgeschriebene Vergabe des Dienstleistungsauftrages "Durchführung des Rettungsdienstes im Landkreis M. ,

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann, Wiedemann und Engelhard

am 3. Juli 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf Antrag der Antragstellerin wird die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 9. Juni 2009 bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens mit der Maßgabe angeordnet, dass dem Antragsgegner untersagt wird, über die streitgegenständlichen Leistungen einen (bestätigenden) Vertrag abzuschließen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner, eine kommunale Gebietskörperschaft und Aufgabenträger für den Rettungsdienst in seinem Hoheitsbereich, schrieb im Mai 2008 den oben genannten Dienstleistungsauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) - Ausgabe 2006 - zur Vergabe aus. Der Auftrag war in zwei Gebietslose unterteilt. Die Vertragslaufzeit soll sechs Jahre - vom 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2015 - andauern. Der Auftragswert übersteigt 206.000 € erheblich.

Nach dem Inhalt der Vergabebekanntmachung sollten die Verdingungsunterlagen bis zum 30. Juni 2008 abgefordert werden. Die Angebotsfrist lief bis zum 17. Juli 2008.

Die Antragstellerin forderte die Verdingungsunterlagen am 12. Juni 2008 vom Antragsgegner an. Mit Fax vom 10. Juli 2008 teilte sie dem Antragsgegner mit, dass sie Angebote für beide Lose abgeben wolle. Eine Angebotsabgabe sei ihr jedoch derzeit nicht möglich, weil die Ausschreibungsunterlagen grobe, vergaberechtlich zu beanstandende Fehler aufwiesen. Diese benannte sie im Einzelnen. Am 15. Juli 2008 ging der Antragstellerin die Antwort des Antragsgegners zu, der sich zum Einen formal auf die Nichteinhaltung der Rügefrist nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB berief, zum Anderen wies er die Beanstandungen auch inhaltlich zurück. Die Antragstellerin ergänzte ihre Rügen.

Am 16. Juli 2008 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein. Nach Hinweis auf die damalige Rechtsauffassung der Vergabekammer, dass ein Zugang zu einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren für diesen Auftrag nicht eröffnet sei, nahm sie ihren Nachprüfungsantrag am 23. Juli 2008 zurück. Die Akten des Nachprüfungsverfahrens unter dem Geschäftszeichen 1 VK LVwA 10/08 sind beigezogen und werden hiermit zum Gegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens gemacht.

Sodann beschritt die Antragstellerin den Verwaltungsrechtsweg. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Halle vom 10. September 2008, Geschäftszeichen 3 B 231/08 HAL (vgl. Anlage A 8, Beiakte 1 VK LVwA 13/09 - künftig: BeiA I - Bd. I Bl. 55 ff.), und des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 2. Februar 2009, Geschäftszeichen 3 M 555/08 (vgl. Anlage A 10, BeiA I Bd. I Bl. 68 ff), Bezug genommen.

Am 3. September 2008, d.h. nach Ablauf der Angebotsfrist, hatte die Antragstellerin ein Angebot für Los 1 beim Antragsgegner eingereicht. Sie hatte den Antragsgegner wiederholt, zuletzt am 4. Februar 2009, aufgefordert, eine vergaberechtskonforme Ausschreibung des Auftrags vorzunehmen. Auf entsprechendes Ersuchen des Antragsgegners sagte sie ein Stillhalten bis zum 15. Februar 2009 zu.

Mit einem Schreiben unter dem 12. Februar 2009, welches ausweislich einer handschriftlichen und mit Namenszeichen versehenen Anmerkung am 3. März 2009 abgesandt worden sein soll, erteilte der Antragsgegner den Auftrag für beide Lose an die Beigeladene. Das Auftragsschreiben ging bei der Beigeladenen am 4. März 2009 ein. Auf telefonische Anfrage beim Antragsgegner erfuhr die Antragstellerin von der bereits erfolgten Zuschlagserteilung. Sie rügte die Zuschlagserteilung sowie die Unterlassung ihrer eigenen Vorabinformation über die beabsichtigte Zuschlagserteilung mit Fax-Schreiben vom 12. März 2009.

Zugleich erhob die Antragstellerin Klage gegen den Genehmigungsbescheid nach § 11 RettDG LSA beim Verwaltungsgericht Halle, dort rechtshängig unter Geschäftszeichen 3 A 157/09 HAL.

Mangels Abhilfe durch den Antragsgegner hat die Antragstellerin am 19. März 2009 Nachprüfungsanträge bezüglich der Vergabe beider Lose der Ausschreibung bei der Vergabekammer eingereicht. Der Schriftsatz ist dem Antragsgegner am selben Tage von der Vergabekammer per Fax übersandt worden. Die Vergabekammer hat beide Nachprüfungsverfahren verbunden, eine Beiladung der Vertragspartnerin des Antragsgegners vorgenommen und sowohl der Antragstellerin als auch der Beigeladenen Einsicht in die Akten des Antragsgegners über das Vergabeverfahren gewährt.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 9. Juni 2009 als unzulässig verworfen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass aufgrund des bereits erteilten Zuschlages der Zugang zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz nicht mehr eröffnet sei. Der Zuschlag sei entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht nichtig.

Gegen diese ihr am 12. Juni 2009 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 24. Juni 2009 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Die Antragstellerin tritt u.a. der Auffassung der Vergabekammer über die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung entgegen und meint, dass dem Antragsgegner auch ihr gegenüber eine Vorabinformations- und Wartepflicht oblegen habe, die verletzt worden sei.

Die Antragstellerin beantragt u.a., die aufschiebende Wirkung ihres Rechtsmittels bis zur Entscheidung hierüber zu verlängern.

Der Senat hat den Beteiligten des Beschwerdeverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Antrag im Eilrechtsschutz eingeräumt.

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen die Zurückweisung des Antrages nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB.

II.

Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig und mit der erkannten Einschränkung auch begründet.

1. Die Zulässigkeit des Antrages ergibt sich aus der Erfüllung der Voraussetzungen des § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB. Die Antragstellerin hat im Sinne der vorgenannten Einschränkung auch ein Rechtsschutzbedürfnis an der begehrten Entscheidung. Da im Beschwerdeverfahren in erster Stufe über die Wirksamkeit des bereits erteilten Zuschlags und des hierdurch begründeten Vertragsverhältnisses zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen zu befinden ist, hat sie ein schutzwürdiges Interesse, für denjenigen Fall Vorsorge zu treffen, dass bei Unwirksamkeit des (ersten) Zuschlages gleichwohl ein endgültiger Rechtsverlust durch die Erteilung eines weiteren Zuschlages nach Ablauf der Wartefrist des § 13 VgV eintritt.

2. Der Senat kann ausnahmsweise die Bewertung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels der Antragstellerin offen lassen.

Nach § 118 Abs. 2 GWB ist es erforderlich, unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde alle möglicherweise geschädigten Interessen, auch das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, gegeneinander abzuwägen. Für die Bewertung der einander gegenüberstehenden Interessen und deren Gewichtung ist die vorläufige Beurteilung der Erfolgsaussichten regelmäßig unabdingbar. Eine Ausnahme hiervon ist zulässig, wenn selbst dann, wenn der Vergabesenat geringe Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde unterstellte, die Abwägung der beiderseitigen Interessen zu Gunsten der Antragstellerin ausfiele. So liegt der Fall hier.

2. In der vorliegenden Konstellation, in der die Vergabestelle den Auftrag bereits erteilt und die Auftragsdurchführung schon begonnen hat, verursacht die Anordnung des Senats, keinen weiteren Zuschlag zu erteilen, keine zusätzliche Beeinträchtigung des Antragsgegners. Die rechtliche Unsicherheit, mit der das Vertragsverhältnis zur Beigeladenen belastet ist - ggf. Nichtigkeit des Zuschlags und damit des Vertragsschlusses nach § 13 Satz 6 VgV - ist ohnehin durch die Einreichung der sofortigen Beschwerde durch die Antragstellerin gegeben. Das Beschwerdeverfahren hat die Prüfung der Nichtigkeit bzw. Wirksamkeit des Zuschlages zum Gegenstand. Aus Sicht des Antragsgegners ist das Vergabeverfahren abgeschlossen, so dass eine weitere Entscheidung im Vergabeverfahren nicht mehr in Betracht kommt. Die Anordnung des Senats verhindert mithin allenfalls eine vorsorgliche bestätigende Zuschlagserteilung. Die Antragstellerin hat an einer solchen Anordnung, wie vorausgeführt, ein erhebliches Interesse, um die Effektivität des nachgesuchten Rechtsschutzes zu sichern.

3. Der Senat weist die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens auf folgende rechtliche Aspekte hin, die im Rahmen weiterer Stellungnahmen ggf. Berücksichtigung finden sollten:

a) Die unmittelbare Anwendung der Vorschrift des § 13 VgV könnte im Hinblick darauf in Betracht kommen, dass die Antragstellerin im September 2008, d.h. vor der Zuschlagserteilung, ein Angebot abgegeben hat, auch wenn dieses Angebot wegen der Überschreitung der Angebotsfrist im laufenden Vergabeverfahren nicht wertungsfähig gewesen sein dürfte. Die Vergabekammer hat hierzu die Auffassung vertreten, dass durch ein verspätetes Angebot eine Bieterstellung nicht erlangt werden könne (vgl. BA S. 17). Letztlich dürfte maßgeblich sein, inwieweit die Regelung zur Vorabinformations- und Wartepflicht an eine formale und / oder an eine funktionale Bieterstellung anknüpft.

b) Die Rechtsprechung hat verschiedentlich eine analoge Anwendung des § 13 VgV auf solche Interessenten am Auftrag vorgenommen, die durch die Art und Weise der Durchführung des Vergabeverfahrens an der Abgabe eines Angebotes gehindert worden waren, z. Bsp. durch eine sog. de-facto-Vergabe unter Einschaltung mehrerer Bieter. Eine solche atypische Konstellation macht die Antragstellerin hier geltend. Die Vergabekammer hat eine solche analoge Anwendung zu Recht grundsätzlich für zulässig erachtet. Hiervon sollten auch der Antragsgegner und die Beigeladene in ihren weiteren Stellungnahmen zumindest hilfsweise ausgehen. Allerdings hat die Vergabekammer im vorliegenden Einzelfall deren Voraussetzungen nicht für gegeben angesehen (vgl. BA S. 18 f.). Diese Frage ist bei vorläufiger Betrachtung zentraler Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

c) Für den Fall, dass der bislang erteilte Zuschlag nichtig wäre, käme nach vorläufiger Bewertung wohl nur eine Aufhebung der Ausschreibung in Betracht. Die mit der Vergabebekanntmachung veröffentlichten Zuschlagskriterien, an die der Antragsgegner im weiteren Vergabeverfahren gebunden ist, enthalten - wie auch die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat - eine vergaberechtlich unzulässige Vermischung von Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien, d.h. sie enthalten subjektive Kriterien, die sich gar nicht auf den Inhalt des Angebots, sondern auf die Eignung des jeweiligen Bieters beziehen. Dieser Fehler ist in einem laufenden Vergabeverfahren nicht heilbar.

Ende der Entscheidung

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