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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 19.04.2001
Aktenzeichen: 1 W 14/00
Rechtsgebiete: BGB, ZGB, EGBGB, GKG


Vorschriften:

BGB § 852 Abs. 1
ZGB § 334
ZGB § 475 Nr. 2 S. 2
ZGB § 474 Abs. 1 Nr. 3
ZGB § 477 Abs. 1 Nr. 6
EGBGB § 6 Abs. 1 S. 1
GKG § 1
1. Auf die Frage des Beginns der Verjährung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen fehlerhafter medizinischer Behandlung in der ehemaligen DDR sind die von der (bundesdeutschen) Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB entwickelten Anforderungen nicht anwendbar.

2. Die Person des Ersatzpflichtigen in Arzthaftungssachen konnte nach § 334 ZGB nur die medizinische Einrichtung bzw. deren Träger sein, weswegen es auch rechtlichen Gründen nicht darauf ankam, einen behandelnden Arzt namentlich als Ersatzpflichtigen zu benennen bzw. diesem ein subjektives Verschulden nachzuweisen.

3. Nach § 475 Nr. 2 S. 2 ZGB tritt die Verjährung - unabhängig von Beginn bzw. etwaiger Hemmung - spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nach Vollendung der schädigenden Handlung ein.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 W 14/00 OLG Naumburg

In dem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberlandesgericht Geib und den Richter am Landgericht Wiedemann am

19. April 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Gegenvorstellung der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 02. November 2000, 1 W 14/00, wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen der Parteien werden nicht erstattet.

Gründe:

1. Die Gegenvorstellung der Antragstellerin ist zulässig. Insbesondere ist die angegriffene Entscheidung des Senats nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, so dass sie grundsätzlich einer Überprüfung und ggfs. Abänderung durch den Senat noch zugänglich ist (vgl. Gummer in: Zöller, Komm. z. ZPO, 21. Aufl. 1999, § 567 Rn. 22 ff. mwN.).

2. Die Gegenvorstellung der Antragstellerin ist jedoch unbegründet und gibt keinen Anlass zur Änderung der angegriffenen Entscheidung. Die beabsichtigte Klage der Antragstellerin bietet auch unter Berücksichtigung des nunmehrigen, z.T. neuen Sachvorbringens im Rahmen der Gegenvorstellung keinerlei Aussicht auf Erfolg.

2.1. Die gegen den Antragsgegner zu 1) erhobenen Ansprüche sind - ungeachtet der Frage ihrer Entstehung - jedenfalls gerichtlich nicht mehr durchsetzbar, weil sie verjährt sind. Für die Feststellung des Eintritts der Verjährung ist - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - auch keine "schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage" zu entscheiden; die Verjährung ergibt sich vielmehr aus einfacher tatsächlicher Würdigung und bloßer Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften.

Es kann letztlich dahinstehen, ob die die Entscheidungen des Landgerichts Magdeburg vom 07.07.2000 und des Senats vom 02.11.2000 tragenden Gründe rechtlich zutreffend sind oder nicht, denn beide Entscheidungen erweisen sich im Ergebnis auch aus anderen Gründen als richtig.

a) Der geltend gemachte Anspruch ist - soweit er überhaupt entstanden ist - bereits vor Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 03.10.1990 verjährt gewesen, und zwar nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches der DDR (im Folgenden: ZGB), die die Antragstellerin in ihrer Gegenvorstellung vollständig und richtig aufgeführt hat.

aa) Auf den geltend gemachten Anspruch ist (zunächst) das Recht der DDR anzuwenden, da Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB die Anwendbarkeit des bundesdeutschen Zivilrechts in Verjährungsfragen nur für solche am 03.10.1990 bestehende und noch unverjährte Ansprüche eröffnet. Für den ggfs. am Tage der Operation, am 18.10.1979, entstandenen Anspruch der Antragstellerin sind die Verjährungsvorschriften des am 01.01.1976 in Kraft getretenen Zivilgesetzbuchs der DDR anzuwenden.

bb) Nach § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB beträgt die Verjährungsfrist für etwaige vertragliche und außervertragliche Ansprüche der Antragstellerin gegen einen Ersatzverpflichteten einheitlich vier Jahre. Die Frist beginnt nach § 475 Nr. 2 S. 1 ZGB ab Kenntnis der Antragstellerin von der Entstehung eines Schadens sowie von der Person des Ersatzverpflichteten.

Für die "Kenntnis von der Entstehung des Anspruchs" genügte nach der vorzitierten Rechtsvorschrift bereits die Kenntnis von der Möglichkeit der Entstehung eines Schadens sowie die objektiv bestehende Möglichkeit der Geltendmachung (vgl. Komm. z. ZGB, 2. Aufl. 1985, § 475 Anm. 2 u. 3. - S. 501 f.); insoweit kann nach dem Sachvortrag der Antragstellerin auf das Ende der Operation am 18.10.1979 abgestellt werden. Die Person des Ersatzpflichtigen konnte nach § 334 ZGB nur die medizinische Einrichtung bzw. deren Träger sein, hier also die Medizinische Akademie Magdeburg bzw. der Ministerrat der DDR, was der Antragstellerin nach eigenen Angaben auch bekannt war. Zudem ging die Antragstellerin von Anfang an davon aus, dass der vermeintliche Schadenverursacher der / die Anästhesist / in gewesen sei.

Soweit die Antragstellerin dagegen meint, hinsichtlich der vorgenannten Tatbestandsmerkmale sei auf die in der bundesdeutschen Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB entwickelten Anforderungen abzustellen, folgt der Senat dieser Auffassung schon nicht. Denn gerade wegen der Regelung des § 334 ZGB kam es aus rechtlichen Gründen nicht darauf an, einen behandelnden Arzt namentlich als Ersatzpflichtigen zu benennen bzw. diesem ein subjektives Verschulden nachzuweisen; im Übrigen war es wegen der zentralen Erbringung jeglicher Versicherungsleistungen durch die Staatliche Versicherung der DDR auch aus tatsächlichen Gründen unerheblich, welchem der an der Operation mitwirkenden Ärzte letztlich ein für die behaupteten Verletzungen kausaler Behandlungsfehler unterlaufen wäre, sofern ein solcher Behandlungsfehler nur tatsächlich vorlag. Letzteres wiederum war im Falle einer entsprechenden Geltendmachung durch die Staatliche Versicherung der DDR und - im Falle eines Zivilrechtsstreits - durch die Gerichte im Wege der Amtsermittlung aufzuklären.

Die Verjährung des etwaigen Anspruches der Antragstellerin war, worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist, nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB bis zur ablehnenden Entscheidung der Staatlichen Versicherung der DDR vom 14.08.1980 gehemmt. Selbst wenn der Senat - zugunsten der Antragstellerin - unterstellt, dass zwischen Kenntnis der Antragstellerin im o.g. Umfange und Anmeldung der Ansprüche bei der Versicherung kein einziger Tag der Verjährungsfrist abgelaufen wäre, wäre die Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche danach bereits am 14.08.1984 vollendet.

cc) Selbst wenn man - entgegen der vorgenannten Rechtsansicht des Senats - von einem späteren Beginn der Verjährung ausginge, wäre die Verjährung nach den Vorschriften des Zivilrechts der DDR vor dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 03.10.1990 vollendet gewesen. Denn nach § 475 Nr. 2 S. 2 ZGB tritt die Verjährung - unabhängig von Beginn bzw. etwaiger Hemmung - spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nach Vollendung der schädigenden Handlung ein, hier also am 18.10.1989. Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren galt auch, wenn ein Schaden erst später eintrat oder erkennbar wurde (vgl. Komm. z. ZGB a.a.O.).

b) Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin ist es auch nicht als rechtsmissbräuchlich zu bewerten, dass sich der Antragsgegner zu 1) auf die Einrede der Verjährung beruft.

Im Rahmen der unmittelbar nach dem behaupteten Schadensfall erfolgten Prüfung und Entscheidung über die von der hiesigen Antragstellerin geltend gemachten Ansprüche hat die Staatliche Versicherung der DDR mit Schreiben vom 14.08.1980 unmissverständlich und endgültig jegliche freiwillige Schadensregulierung abgelehnt. Die Antragstellerin wurde mit diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihr zur Durchsetzung ihrer Ansprüche der Rechtsweg zum Zivilgericht offen steht. Die Staatliche Versicherung der DDR hat diesen Standpunkt zu keinem Zeitpunkt aufgegeben; die Antragstellerin trägt auch selbst nicht vor, dass die Staatliche Versicherung der DDR ihr zu irgendeiner Zeit nach dem 14.08.1980 eine diesen Bescheid abändernde Entscheidung auch nur entfernt in Aussicht gestellt hätte. Im Übrigen hat - ohne dass es hierauf streitentscheidend ankäme - auch deren Rechtsnachfolgerin zu keiner Zeit eine freiwillige Schadensregulierung in Aussicht gestellt (vgl. Anlagen K 8, 10 und 12 sowie Anlage 1 zur Klageerwiderung, Bl. 20, 22, 26 und 55 GA). Die Antragstellerin hat gleichwohl aus Gründen, die nicht aktenkundig sind, von einer gerichtlichen Geltendmachung vor dem 18.10.1989 abgesehen, obwohl ihr letzteres nicht nur möglich, sondern auch zumutbar war.

Soweit die Antragstellerin stattdessen Bemühungen unternommen, mittels so genannter Eingaben eine für sie günstigere Entscheidung in der Sache herbeizuführen, kann hieraus ein durch den potentiellen Ersatzpflichtigen geschaffener Vertrauenstatbestand gerade nicht abgeleitet werden. Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben ohnehin erst ab November 1984, mithin mehr als fünf Jahre nach dem behaupteten Schadenfall, solche Anstrengungen unternommen. Sie wandte sich u.a. an den Direktor für Planung und Ökonomie der Medizinischen Akademie Magdeburg, der sich zu einer eigenständigen Prüfung jedoch nicht veranlasst sah und die Antragstellerin an die Staatliche Versicherung der DDR als Entscheidungsträger verwies (vgl. Anlagen K 2 und 3, Bl. 14 f. GA).

Im Übrigen richteten sich die Ansprüche der Antragstellerin nicht an potentielle Ersatzpflichtige, sondern wurden im Rahmen der stomatologischen Nachversorgung der behaupteten Kieferfehlstellung geltend gemacht, so gegenüber dem Direktor der Klinik und Poliklinik für Stomatologie der Medizinischen Akademie Magdeburg, gegenüber dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR und der Charité - Sektion: Stomatologie -, wie sich eindeutig aus den Anlagen K 4 bis 6, (Bl. 16 bis 18 GA) ergibt.

Erst nach Eintritt der Verjährung, im Jahre 1990, versuchte die Antragstellerin erneut über Eingaben an den Ministerrat der DDR und später an den Ministerpräsidenten der Antragsgegnerin Schadenersatzforderungen durchzusetzen. Unabhängig von der Reaktion der Adressaten der Eingaben konnte deren Verhalten keinen Einfluss mehr auf den Lauf der - längst vollendeten - Verjährung bzw. keinen entscheidungserheblichen Einfluss mehr auf das Handeln der Antragstellerin haben.

2.2. Soweit der Senat die beabsichtigte Prozessführung der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin zu 2) mangels Schlüssigkeit für aussichtslos erachtet hat, ist die Antragstellerin dieser Bewertung schon nicht entgegen getreten. Der Senat sieht auch nach erneuter Prüfung keinen Anlass für eine andere Entscheidung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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