Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 10 W 31/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 46 Abs. 2
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 569 Abs. 1
1. Grundsätzlich kann eine Partei Bedenken an der Neutralitätspflicht eines Richters haben, wenn dieser mit der Gegenseite längere Aussprachen über die Sach- und Rechtslage durchführt, ohne dass sie selbst dabei anwesend ist und über deren Inhalt informiert wird.

2. Es ist unbedenklich, wenn Richter eindeutige Hinweise geben. Anhaltspunkte für eine Befangenheit ergeben sich nur dann, wenn Richter keine Bereitschaft zeigen, ihre Auffassung kritisch zu überdenken.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

10 W 31/06 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 28. Juni 2006 unter Mitwirkung des Präsidenten am Oberlandesgericht Schubert, der Richterin am Oberlandesgericht Mertens und der Richterin am Amtsgericht Westerhoff

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 3. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Kläger.

Beschwerdewert: 702.516,43 Euro

Gründe:

I.

In dem dem Ablehnungsverfahren zugrunde liegenden Ausgangsverfahren begehrt der Kläger von der Beklagten Ersatz der Kosten der Mängelbeseitigung wegen mangelhafter Leistungen in Höhe von insgesamt 702.516,43 Euro.

Am 17. März 2006 fand in der Besetzung mit dem Vorsitzenden Richter am Landgericht E. sowie dem Richter am Landgericht K. und der Richterin am Landgericht U. Termin zur mündlichen Verhandlung statt. Der Vorsitzende Richter E. wies ausweislich der Sitzungsniederschrift, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird, Bd. III Bl. 124 ff. d. A., darauf hin, dass der Vortrag zur Schadenshöhe überwiegend unsubstantiiert sei. Daraufhin lehnte der Klägervertreter die genannten Mitglieder der 3. Zivilkammer des Landgerichts Halle als befangen ab.

Die geschäftsplanmäßigen Vertreter der genannten Richter wiesen das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 3. Mai 2006 zurück.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde und legt dar, er beziehe sich auf seine Schriftsätze von 20. März und 3. April 2006. Diese habe das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht ausreichend gewürdigt. Es habe übersehen, dass die Pflicht des Gerichts darin bestehe, sich mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zu befassen. Wenn diverse Male im Vorfeld hierauf hingewiesen worden sei, diese aber nicht beachtet worden sei, könne dies aus Sicht einer vernünftigen Partei nur dazu führen, dass Anlass zu der Besorgnis der Befangenheit bestehe. Insbesondere sei befremdlich, dass einerseits ein Vergleichsvorschlag unterbreitet worden sei, der den Schluss auf eine berechtigte Forderung der klagenden Partei ermögliche, andererseits später der Hinweis auf die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens erfolge. Ferner sei es auch so, dass die geänderte Rechtsauffassung der Kammer in der bisherigen Besetzung, wohl keinen Schriftsatznachlass zu gewähren, insofern überraschend gewesen sei, da die gesamten bisherigen Beweisaufnahmen ansonsten keinen Sinn gemacht hätten. Ferner habe die Kammer auch nicht die Möglichkeit einer Schätzung in Betracht gezogen. Wenn im übrigen die Kammer nicht wisse, welche Gespräche der Vorsitzende mit dem Prozessbevollmächtigten führe, zeige dies ebenfalls aus Sicht einer unvoreingenommenen Partei, dass hier eine unbefangene Beurteilung nicht möglich sei.

Mit Beschluss vom 1. Juni 2006 hat der geschäftsverteilungsplanmäßig zuständige Vertreter mit der 3. Zivilkammer der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nach § 46 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs.1 ZPO zulässig. Sachlich ist die sofortige Beschwerde indes nicht gerechtfertigt.

Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch des Klägers zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es kommt nicht darauf an, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält; maßgebend ist vielmehr allein, ob genügend objektive Gründe vorliegen, die von dem Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe dem Rechtsstreit nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BVerfGE 73, 330, 335; BVerfGE 82, 30, 37; BGHZ 77, 70, 72; BGH, NJW-RR 2003, 1220, 1221; BGH, NJW 2004, 164; BayObLGZ 86, 252; BayOblGZ 87, 217; BayOblG, NJW 1999, 1875; OLG Dresden MDR 2005, 106; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Auflage, § 42 ZPO Rn.9).

Mit dem angefochtenen Beschluss geht der beschließende Senat davon aus, dass die von dem Kläger vorgetragenen Tatsachen nach der Meinung einer besonnen und vernünftig denkenden Partei nicht geeignet erscheinen, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Neutralität der abgelehnten Richter zu wecken. Zur Begründung wird auf die ausführlichen Begründungen des angefochtenen Beschlusses und auf den Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Bezug genommen.

Weder für den Vorsitzenden Richter E. noch für die beiden anderen beisitzenden Richter ist nämlich ersichtlich, dass diese dem Kläger in irgendeiner Weise Veranlassung gegeben haben könnten, dem Rechtsstreit und den an ihm beteiligten Personen nicht mehr unbefangen gegenüberzustehen.

Womöglich könnte hiervon allenfalls die Beklagtenseite ausgehen, denn grundsätzlich kann eine Partei Bedenken an der Neutralitätspflicht eines Richters haben, wenn dieser mit der Gegenseite längere Aussprachen über die Sach- und Rechtslage durchführt, ohne dass sie selbst dabei anwesend ist und über deren Inhalt informiert wird. Vorliegend kann dies jedoch aus Sicht des Klägers nicht angenommen werden, denn sein Prozessbevollmächtigter hat sich veranlasst gesehen, sich mit dem abgelehnten Vorsitzenden Richter telefonisch in Verbindung zu setzen und ein Gespräch über Inhalte des Rechtsstreits zu führen.

Soweit sich der Kläger auf ein sogenanntes Geheimgespräch des Vorsitzenden Richters mit dem Beklagtenvertreter bezieht, kann schon nicht nachvollzogen werden, wieso der Richter ein solches Gespräch hätte ablehnen sollen, obwohl er zuvor mit dem Klägervertreter kommuniziert hat. Dass der Vorsitzende Richter von dem Beklagtenvertreter die Information erhalten hat, ein Vergleich käme nicht in Betracht, war ferner für den Verlauf des Rechtsstreits dienlich, denn auf diese Weise war den abgelehnten Richtern klar, dass eine Sachentscheidung erforderlich werden würde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dieses Gespräch eine weitergehende inhaltliche Qualität hatte, als das, was der Klägervertreter mit dem Vorsitzenden Richter E. geführt hat.

Anhaltspunkte für eine Befangenheit der abgelehnten Richter können auch nicht daraus entnommen werden, dass sie in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht haben, den Anspruch auf Schadensersatz wegen der abgesenkten Klärbecken abzuweisen, da eine konkrete Schadensdarlegung nicht vorliege.

Diese geäußerte Rechtsauffassung konnte für die Beklagte nicht überraschend sein, da immerhin auch der zuvor mit der Sache befasste Vorsitzende am Landgericht L. im Rahmen seiner Ladungsverfügung für den 13. Oktober 2005 unter anderem darauf hingewiesen hatte, dass die vom Kläger dargelegten Mängelbeseitigungskosten "völlig unsubstantiiert" seien. In dem ausführlichen Hinweis des Vorsitzenden Richters am Landgericht E. vom 6. Februar 2006 (Bd. III Bl. 77 d. A.) vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. März 2006 wird diese Rechtsauffassung wiederholt. Sodann erfolgt von der Kammer unter dem 1. März 2006 ein weiterer Hinweis, wonach zur Konkretisierung der Schadenshöhe die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten und ein Vergleichsvorschlag unterbreitet wurde. Es mag sein, dass die sodann in der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2006 geäußerte Rechtsauffassung, die von der zuletzt geäußerten abweicht, den Kläger überrascht hat, ein Grund zur Annahme der Befangenheit der abgelehnten Richter kann hier aber nicht erblickt werden.

Hinweise sollen es den Parteien erleichtern, ihre eigene Prognose der Erfolgsaussichten und in der Folge ihr Prozessverhalten zu überprüfen. Dabei begegnet es keinen Bedenken, wenn das Gericht dann, wenn sein vorläufiges Meinungsbild eindeutig ist, seinen Hinweis auch in der entsprechenden Eindeutigkeit und Deutlichkeit gestaltet. Bedenken gegen die Unabhängigkeit des Gerichts begründet dies generell nicht. Hierfür bedürfte es zusätzlicher und tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass es Mitgliedern des Gerichts (pflichtwidrig) an der Bereitschaft mangelt, ihre vorläufige Einschätzung vor der Entscheidungsfindung etwa auch auf Einwände der Parteien kritisch zu überprüfen.

In aller Regel kann dies auch bei deutlich formulierten Hinweisen schon deshalb nicht angenommen werden, weil sich das Gericht durch den gegebenen Hinweis gerade der Kritik öffnet und den Parteien hierdurch die Möglichkeit gibt, gezielt ergänzend vorzutragen und hierbei gerade auch Gegenargumente zu der vorläufigen Einschätzung des Gerichts zu formulieren. Vorliegend zeigt sich die Bereitschaft der abgelehnten Richter, ihre Hinweise auch kritisch zu überprüfen, gerade darin, dass sie die zuletzt mit dem Hinweis vom 1. März 2006 geäußerte Auffassung in der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2006 revidiert haben. Ob dies sachlich gerechtfertigt war, hat der beschließende Senat nicht zu überprüfen, jedenfalls zeigt die Zivilprozessordnung für die Fälle, in denen eine Partei - aus welchen Gründen auch immer - auf Hinweise des Gerichts in der mündlichen Verhandlung meint, ergänzend vortragen zu wollen und zu müssen, Möglichkeiten auf, dieses Vorbringen einzubringen und beispielsweise mindestens einen Antrag auf Schriftsatznachlass zu stellen. Ob diesem in Ansehung der schon längere Zeit im Raum stehenden Unsubstantiiertheit des Vortrags des Klägers nachzukommen gewesen wäre, hat der beschließende Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Sollte der Kläger nach dem Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils der Auffassung gewesen sein, ihm sei nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden, müsste dies gegebenenfalls in einem Berufungsrechtsstreit überprüft werden.

Ungeachtet dessen hat der Kläger im Schriftsatz vom 3. April 2006 die Auffassung vertreten, ein ergänzender Vortrag sei nicht geboten, da der Rechtsstreit ohnehin zu Gunsten seiner Partei entschieden werden müsse. Demnach hätte sich vorliegend ein Antrag auf Schriftsatznachlass erübrigt.

Vorliegend sind jedoch die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2006 auch unter Berücksichtigung der genannten Erwägungen für die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht geeignet. Nach dem Hinweis auf die Kammerauffassung erfolgte sogleich ein Ablehnungsgesuch, ohne dass der Kläger den Versuch unternommen hat, mit dem Spruchkörper in eine Diskussion zu treten oder etwa Schriftsatznachlass zu beantragen.

Sonstige Gründe, welche der sofortigen Beschwerde des Klägers zum Erfolg verhelfen könnten, sind nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 1 GKG, 1811 KV.

Ende der Entscheidung

Zurück