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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: 10 Wx 12/00
Rechtsgebiete: PStG, FGG


Vorschriften:

PStG § 21 Abs. 1 Nr. 3
PStG § 47
PStG § 49 Abs. 1 Satz 1
PStG § 48 Abs. 1
PStG § 49 Abs. 2
PStG § 47 Abs. 1
PStG § 48 Abs. 1
PStG § 21 Abs. 1 Nr. 4
FGG § 27 Abs. 1
FGG § 12
1. Für die Eintragung des Geschlechts gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 und 4 PStG sind die feststellbaren körperlichen Merkmale im Zeitpunkt der Geburt maßgebend, wobei im Zweifel das Geschlecht einzutragen ist, auf das die körperlichen Merkmale des Neugeborenen in erster Linie hinweisen.

2. Bei der Bestimmung der Zugehörigkeit einer doppelgeschlechtlichen Person zum einen oder anderen Geschlecht kann auch deren seelische Neigung berücksichtigt werden.

3. In einem Verfahren auf Berichtigung des Geburtseintrages über das Geschlecht sind u. U. auch Feststellungen zur Frage angeblicher Eheschließungen und insbesondere zum Vorhandensein eines leiblichen Kindes zu treffen, um aufzuklären, ob diese Umstände die Einschätzung einer Intersexualität ausschließen, so dass nur noch die Möglichkeit einer Transsexualität wahrscheinlich bleibt.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

10 Wx 12/00 OLG Naumburg 3 T 61/99 LG Magdeburg 13 (17) UR III 52/95 AG Magdeburg

In der Personenstandssache

Beschwerdegegnerin und Führerin der weiteren Beschwerde,

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Neuwirth, des Richters am Oberlandesgericht Kühlen und des Richters am Landgericht Wiedemann

am 14. Dezember 2000

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 23. März 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Behandlung und Entscheidung, auch über die Erstattung außergerichtlicher Kosten, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wurde am 18. Februar 1932 in M. geboren. In der Geburtsurkunde Nr. 333/1932 des Standesamtes M. ist verzeichnet, dass er den Vornamen Ericht Otto erhalten hat, er somit männlichen Geschlechts ist.

Im Juli 1995 beantragte er beim Amtsgericht Pankow/Weißensee die Änderung seines Vornamens in Ernestine Ana mit der Begründung, er sei sowohl nach den körperlichen Merkmalen als auch nach seiner psychischen Ausprägung weiblichen Geschlechts. Insbesondere fühle er sich dem weiblichen Geschlecht nicht lediglich zugehörig, sei somit kein Transsexueller.

Mit Beschluss vom 07. April 1997 wies das inzwischen zuständig gewordene Amtsgericht Magdeburg die Berichtigung der Geburtsurkunde mit der Begründung ab, der Antragsteller sei seiner Pflicht zur Mitwirkung im Verfahren nicht hinreichend nachgekommen. Sein Schreiben vom 21. September 1998 auf Fortsetzung des Berichtigungsverfahrens gemäß § 47 PStG hat das Amtsgericht als Beschwerde gegen seinen Beschluss vom 07. April 1997 aufgefasst. Es hat ihr nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat zur Feststellung des Geschlechts des Antragstellers im Zeitpunkt seiner Geburt die Bestimmung seines Karyotyps durch das Universitätsklinikum C. angeordnet und ein Gutachten der Ärztin für Frauenheilkunde Dr. med. N. von der Freien Universität Berlin, Fachbereich Humanmedizin, eingeholt. Mit Beschluss vom 23. März 2000 hat es unter Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses das Standesamt angewiesen, das Geburtenbuch des Antragstellers durch Beischreibung des Randvermerks dahin zu berichtigen, das dort bezeichnete Kind sei weiblichen Geschlechts und führe anstelle der Vornamen Erich Otto die Vornamen Ernestine Ana. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2..

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2. ist zulässig, denn sie ist gemäß §§ 49 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 PStG i. V. m. §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 FGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 2. ergibt sich aus § 49 Abs. 2 PStG.

2. Die sofortige weitere Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg; denn der Beschluss des Landgerichts beruht auf einer Gesetzesverletzung i. S. d. §§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO.

a) Das Landgericht hat ausgeführt:

Maßgebend für die Eintragung des Geschlechts seien die feststellbaren körperlichen Merkmale im Zeitpunkt der Geburt, wobei im Zweifel das Geschlecht in das Geburtenbuch einzutragen sei, auf das die körperlichen Merkmale des Neugeborenen in erster Linie hindeuteten. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten sei es möglich, dass der Antragsteller weiblichen Geschlechts geboren worden sei, so dass das Geburtenbuch von Beginn an unrichtig gewesen sei. In einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem ärztlich festgestellt werde, dass bei einer Person sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale vorlägen, sei das überwiegende Geschlecht maßgebend, wobei für diese Beurteilung den seelischen Neigungen der betreffenden Person besondere Bedeutung zukomme. Der Antragsteller sei im Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen und der sachverständigen Feststellungen hinsichtlich seiner körperlichen Merkmale wie auch seiner seelischen Neigung eher dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht zuzuordnen. Da sein Geschlecht im Zeitpunkt seiner Geburt daher unzutreffend bestimmt worden sei, enthalte das Geburtenbuch eine unrichtige Eintragung, so dass es gemäß § 47 Abs. 1 PStG antragsgemäß zu berichtigen sei.

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

aa) Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass der Antragsteller nach § 47 Abs. 1 PStG die Berichtigung des Eintrags über sein Geschlecht und seinen Namen verlangen kann, wenn diese Eintragungen bereits zur Zeit seiner Geburt unrichtig gewesen sind und diese Unrichtigkeit nachgewiesen wird (BGH FamRZ 1972, 82, 83; OLG Frankfurt FamRZ 1969, 412, 413; LG Frankenthal FamRZ 1976, 214, 215). Dementsprechend sind personenstandsrechtlich für die Eintragung des Geschlechts gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 und 4 PStG die feststellbaren körperlichen Merkmale im Zeitpunkt der Geburt maßgebend, wobei im Zweifel das Geschlecht einzutragen ist, auf das die körperlichen Merkmale des Neugeborenen in erster Linie hinweisen (LG Frankenthal a.a.O.; Hepting/Gaaz, Personenstandrecht, § 21 Rdn. 71).

Zwar steht nach dem Befund des Universitätsklinikums der Humboldt-Universität B. vom 25. Januar 2000 fest, dass die Chromosomenanalyse einen unauffälligen männlichen Chromosomensatz "46, XY" ergeben hat. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. N. im Gutachten vom 02. März 2000 schließt dieser genetische Befund die Zuordnung des Antragstellers zum weiblichen Geschlecht aufgrund körperlicher, hormoneller und psychisch-seelischer Befunde aber nicht aus. Nach diesen sachverständigen Feststellungen ist es möglich, dass beim Antragsteller trotz eindeutig männlicher Genetik von Anfang an ein intersexuelles Genitale vorgelegen hat, das bei Geburt eher als männlich eingestuft und später möglicherweise zugunsten einer weiblichen Situation operativ korrigiert worden sei. Ebenso denkbar sei aber auch, dass der Antragsteller früher transsexuell gewesen sei und sich hormonell und operativ habe behandeln lassen.

Da es nach den sachverständigen Feststellungen möglich und damit nicht ausgeschlossen ist, dass bei dem Antragsteller im Zeitpunkt seiner Geburt eine doppelgeschlechtliche Anlage vorgelegen hat, sind für die Zuordnung zur Feststellung seiner Zugehörigkeit zum einen oder anderen Geschlecht die überwiegenden Geschlechtsmerkmale entscheidend (KG FamRZ 1965 a.a.O.; LG Frankenthal a.a.O.). Da der Antragsteller nach den sachverständigen Ausführungen in seiner äußeren Erscheinung als auch nach seinem Auftreten als dem weiblichen Geschlecht zugehörig einzustufen ist, spricht dies für ein überwiegend weibliches Geschlecht des Antragstellers. Soweit das Landgericht bei der Bestimmung der Zugehörigkeit einer doppelgeschlechtlichen Person zum einen oder anderen Geschlecht auch deren seelische Neigung berücksichtigt (so: KG FamRZ 1965 a.a.O.; LG Frankenthal a.a.O.), schließt sich der Senat dem an. Die seelischen Neigungen des Antragstellers sind aber nach den gutachterlichen Feststellungen und den Lebensumständen des Antragstellers ebenfalls eher dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen.

bb) Obwohl die körperlichen und seelischen Befunde beim Antragsteller somit dafür sprechen, dass er bereits seit seiner Geburt weiblichen Geschlecht ist, kann die Geburtsurkunde dennoch nicht gemäß § 47 Abs. 1 PStG in dem vom Landgericht angeordneten Umfang berichtigt werden. Denn es hat bei seiner Entscheidung möglicherweise erhebliches Vorbringen der Beteiligten zu 1. in ihrem Schreiben vom 14. März 2000 verfahrensfehlerhaft übergangen. Danach soll der Antragsteller in den Jahren 1951, 1963 und 1988 verheiratet gewesen und aus der am 17. Februar 1951 geschlossenen Ehe eine Tochter C. , geboren am 16. September 1951, hervorgegangen sein. Sollten diese Angaben zutreffen, wären sie allerdings ein gewichtiges Indiz für die von der Sachverständigen in ihrem Gutachten ebenfalls aufgezeigte Möglichkeit einer Transsexualität des Antragstellers, der sich hormonell und operativ habe behandeln lassen. Ändert sich aber das Geschlecht einer Person nach seiner Geburt, ist der ursprüngliche Geburtseintrag richtig, so dass eine Berichtigung des Geburtenbuches nicht in Betracht kommt (Hepting/Gaaz, § 21 Rdn. 71). In diesem Fall wäre der Antragsteller auf ein Berichtigungsverfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) zu verweisen, das er aber ausdrücklich nicht durchführen will.

cc) Da das Landgericht keine Feststellungen zur Frage der angeblichen Eheschließungen des Antragstellers und insbesondere zum Vorhandensein eines leiblichen Kindes aus der ersten Ehe etwa durch Beiziehung der entsprechenden Personenstandsakten getroffen und den Antragsteller dazu auch nicht angehört hat, wird das Landgericht diese Feststellungen (§ 12 FGG) nachzuholen haben. Sollten sich die Angaben der Beteiligten zu 1. zu den angeblichen Eheschließungen als richtig herausstellen, so wäre in einer ergänzenden ärztlichen Stellungnahme weiterhin zu klären, ob diese Umstände sachverständigerseits die Einschätzung einer Intersexualität beim Antragsteller ausschließen, so dass nur noch die Möglichkeit einer Transsexualität wahrscheinlich bleibt. Im Rahmen dieser Feststellungen wird das Landgericht den Antragsteller anzuhören haben.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die rechtlichen Bedenken der Beteiligten zu 2., wonach im Falle einer antragsgemäßen Berichtigung des Geburtenbuches diese "eine Welle von personenstandsrechtlichen Veränderungen auslöst, die rechtlich nicht zu vertreten sei", wegen der Vorschrift des § 47 PStG, die eine Berichtigung unrichtiger Personenstandsbücher auf Anordnung des Gerichts zwingend vorschreibt, nicht verständlich und daher unerheblich sind.

Ende der Entscheidung

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