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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 11 U 122/01
Rechtsgebiete: EGZPO, BGB, ZPO


Vorschriften:

EGZPO § 26 Nr. 5 Satz 1
BGB § 138 Abs. 2
BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 713
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 542 Abs. 1 n.F.
ZPO § 543 Abs. 1 n.F.
Zur Sittenwidrigkeit eines Grundstückskaufvertrages nach § 138 Abs. 1 BGB, der zu einem überhöhten Preis abgeschlossen wurde.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 122/01 OLG Naumburg

verkündet am: 30. April 2002

Anlage zum Protokoll vom 30.04.2002

In dem Berufungsrechtsstreit

wegen Vollstreckungsabwehrklage,

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2002 unter Mitwirkung der Richterin am Oberlandesgericht Goerke-Berzau sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. Grubert und Krause für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 28.05.2001, Geschäftszeichen: 4 O 734/01, abgeändert:

Die Zwangsvollstreckung aus dem Grundstückskaufvertrag vom 07. Juni 1999, UR-Nr. 818/1999 des Notars H. St. aus O. , wird für unzulässig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 543 Abs. 1 a.F. ZPO, 26 Nr. 5 Satz 1 EGZPO i.V.m. §§ 542 Abs. 1 n.F., 543 Abs. 1 n.F. ZPO, 26 Nr. 7 Satz 1, Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Für das Rechtsmittel der Kläger sind weiterhin die am 31.12.2001 geltenden Vorschriften anzuwenden, da die angefochtene Entscheidung auf eine vor dem 01.01.2002 geschlossene mündliche Verhandlung zurück geht (§ 26 Nr. 5 Satz 1 EGZPO). Die danach zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat den Grundstückskaufvertrag vom 07. Juni 1999 zu Unrecht als wirksam und die Zwangsvollstreckung der Beklagten daher für zulässig erachtet. Das Gegenteil ist der Fall (§§ 138 Abs. 1 BGB, 767 Abs. 1, 795, 794 Abs. 1 Nr. 5, 797 Abs. 4 ZPO).

Der Grundstückskaufvertrag der Parteien ist sittenwidrig und aus diesem Grunde nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Ein auf Leistungsaustausch gerichteter Vertrag, der den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Punkten erfüllt, kann auch dann gegen die guten Sitten verstoßen und nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und weitere Umstände hinzutreten, z.B. der Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hat, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der begünstigte Partner die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, daß sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt. Ist ein Mißverhältnis besonders grob, so ist allein deswegen der Schluß auf bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung irgendeines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigtenden Umstandes und damit auf eine verwerfliche Gesinnung zulässig (BGH NJW 2001, 1127; 2002, 429, 430). Von so einem besonders groben Mißverhältnis ist dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung objektiv betrachtet zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses knapp doppelt so hoch ist, wie der Wert der Gegenleistung des Begünstigten (BGH NJW 2001, 1127, 1128; 2002, 429, 430 f.). Das ist hier der Fall.

Der für das Kaufgrundstück vereinbarte Kaufpreis betrug 22,00 DM/m², mithin insgesamt 22.000,00 DM (vgl. § 2 des Vertrages). Tatsächlich wies das Grundstück der Beklagten und ihrer inzwischen verstorbenen und von den Beklagten allein beerbten Mutter I. G. am 07. Juni 1999 einen Verkehrswert von 12.000,00 DM auf, wie sich aus den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) W. W. in seinem schriftlichen Verkehrswertgutachten vom 15.02.2002 ergibt, die keine der Parteien angezweifelt und gegen die auch der Senat nichts zu erinnern hat.

Eine solche außergewöhnliche Leistung wird - auch für die Beklagten bzw. den für den Beklagten zu 2. handelnden Beklagten zu 1. ersichtlich (§ 166 Abs. 1 BGB) - nicht ohne Not oder nicht ohne einen anderen, den Benachteiligten hemmenden Umstand zugestanden. Dies rechtfertigt die Vermutung, daß sich der Beklagte zu 1. bewußt oder grob fahrlässig der Einsicht verschlossen hat, daß die Kläger den Vertrag nur aus Mangel an Urteilsvermögen oder wegen erheblicher Willensschwäche eingegangen sind. Allein das objektive Wertverhältnis führt vor diesem Hintergrund zum Schluß auf die verwerfliche Gesinnung auf Seiten der Beklagten (BGH NJW 2001, 1127, 1128; 2002, 429, 432), ohne daß es darauf ankommt, ob ihnen überhaupt bewußt war, daß sie ein außergewöhnliches Zugeständnis erfuhren (BGH NJW 2001, 1127, 1128). An diese Beweiswürdigungsregel ist der Tatrichter gebunden; sie kann nur dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände, die die Beklagten darzulegen und zu beweisen haben, erschüttert ist (BGH NJW 2001, 1127, 1129; 2002, 429, 432). Dies ist den Beklagten nicht gelungen.

Zu den Umständen, die der verwerflichen Gesinnung entgegen stehen, gehört ein besonderes Interesse bei einer Vertragspartei. Es kann offen bleiben, ob allein der Wunsch der Kläger, das Grundstück zu erwerben, und ihre Initiative zum Vertragsabschluß bereits der von der Rechtsprechung gemeinten besonderen Motivationslage entsprechen (vgl. BGH NJW 2001, 1127, 1129; 2002, 429, 431). Jedenfalls wollten die Kläger bekanntermaßen keinen über dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis zahlen. Dies war bereits durch die von den Klägern vor Vertragsabschluß getätigten schriftlichen Äußerungen deutlich gemacht, indem sie durch Übersendung von Zeitungsausschnitten versuchten, auf den Markt Bezug zu nehmen. Vor allem aber anläßlich der Beurkundung wurde, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. Oktober 2001 übereinstimmend erklärt haben, von einem ortsüblichen Kaufpreis, also vom Verkehrswert ausgegangen. Den Parteien waren die Wertverhältnisse daher gerade nicht gleichgültig. Besondere Bewertungsschwierigkeiten zum damaligen Zeitpunkt sind nicht ersichtlich, zumal der Beklagte zu 1. erklärte, sich nach dem Verkehrswert des Grundstücks erkundigt zu haben. Ließen sich die Kläger dennoch auf den Vertrag ein, kann dies nur so erklärt werden, daß zwischen den Parteien ein Ungleichgewicht bestand, das der Beklagte zu 1. ausgenutzt oder dem er sich leichtfertig verschlossen hat.

Im Ergebnis müßte der Senat nicht einmal von einem groben Mißverhältnis ausgehen, um zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB zu gelangen, da sich die verwerfliche Gesinnung des Beklagten zu 1. positiv feststellen läßt. Zweifelsohne ist das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Grundstückskaufvertrag auffällig, womit ein objektiv wucherisches Geschäft vorliegt. Als weiterer sittenwidriger Umstand tritt hier hinzu (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 138 Rdn. 33 f.), daß der Beklagte zu 1. anläßlich der Beurkundung des Kaufvertrages seine Preisvorstellungen damit durchzusetzen suchte, daß er (ins Blaue hinein) auf die Ortsüblichkeit hinwies, ohne überhaupt einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Richtigkeit seiner Erklärung zu haben. Selbst wenn der Beklagte zu 1., was äußerst unwahrscheinlich ist, mit dem Grundbuchamt telefonierte und dort die Verkehrswertauskunft erhielt, mußte ihm klar sein, daß die telefonische Auskunft ohne nähere Prüfung erfolgte und damit fehlerbehaftet sein und daß das Grundbuchamt keine genauere Kenntnis über die Wertverhältnisse bei Grundstücken haben konnte. Wenn die Kläger den wenig fundierten Hinweis des Beklagten zu 1. widerspruchslos, ohne nähere Erläuterungen zu fordern, hinnahmen, wurde daraus für den Beklagten zu 1. deutlich, daß auf dieser Vertragsseite keine Informationen zur Preissituation vorlagen und man ihm glaubte bzw. glauben mußte. Dies nutzte der Beklagte zu 1. aus, um schließlich zur Vereinbarung des überhöhten Kaufpreises von 22.000,00 DM zu gelangen.

Die Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) steht der Zwangsvollstreckung der Beklagten aus der notariellen Urkunde entgegen (§ 767 Abs. 1 BGB).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision läßt der Senat nicht zu, da die Sache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§§ 542 Abs. 1; 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 n.F. ZPO).

Ende der Entscheidung

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