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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 17.05.2005
Aktenzeichen: 11 U 135/04
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 359
StPO § 359 Nr. 6
ZPO § 148
ZPO § 513 Abs. 1 Alt. 1
ZPO § 580
ZPO § 580 Nr. 7 Bst. b)
ZPO § 582
ZPO § 586 Abs. 2 Satz 2
Mit der Entscheidung des EGMR vom 22. Januar 2004 zum gesetzlichen Auflassungsanspruch des Landesfiskus an Bodenreformgrundstücken ist kein Wiederaufnahmegrund dargetan, sodass die hierauf gestützte Restitutionsklage als unzulässig zu verwerfen ist.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 135/04 OLG Naumburg

verkündet am: 17. Mai 2005

In dem Berufungsrechtsstreit

wegen Auflassung von Bodenreformliegenschaften,

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2005 unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht Krause und Rüge sowie des Richters am Landgericht Dr. Schröder für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Restitutionsklägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 17. Juni 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Wiederaufnahmeklage als unzulässig verworfen ist.

Die Kosten der Berufung trägt der Restitutionskläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Restitutionskläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 5.000 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt 16.794,92 €.

Gründe:

I.

Wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Das Landgericht Halle hat die Klage durch Urteil vom 17. Juni 2004 <Bd. I Bl. 161, 163-168 d.A.> abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Restitutionskläger mit seiner Berufung.

Das Landgericht sei nicht bereit gewesen, sich der Argumentation des Restitutionsklägers zuzuwenden. Auch durchschaue die bisherige Rechtsprechung des Senats die sich aus dem Menschenrechtsverstoß ergebende Rechtslage nur unzureichend. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sei in jedem Verfahren zu berücksichtigendes, die Gerichte bindendes Recht mit Vorrang. Das innerstaatliche Recht müsse konventionsfreundlich angewendet werden, womit die Gerichte jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen hätten, menschenrechtswidrige Judikate aus der Welt zu schaffen. Damit kämen sie ihrer bereits im Ausgangsverfahren versäumten Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte nach. Mittel hierzu sei die Wiederaufnahme des Verfahrens, deren Voraussetzungen zumindest in Analogie zu § 359 StPO vorlägen. Mit der Feststellung des Menschenrechtsverstoßes durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) liege die der Restitution insgesamt zugrunde liegende Erschütterung der Urteilsgrundlagen unzweifelhaft vor, zumal sich der historische Gesetzgeber mit einer Entscheidung des EGMR nicht habe befassen können.

Der Restitutionskläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Halle vom 17. Juni 2004 abzuändern und unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Halle vom 7. September 1995, Geschäftszeichen: 4 O 71a/95, die Klage abzuweisen.

Das Land Sachsen-Anhalt beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es vertritt die Auffassung, die Restitutionsklage sei unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Restitutionsklägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf keiner Rechtsverletzung i.S.v. § 513 Abs. 1 Alt. 1 ZPO. Lediglich der Tenor ist dahin zu berichtigen, dass die Restitutionsklage als unzulässig verworfen wird (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Restitutionsklage sei nicht statthaft, da keiner der in § 580 ZPO enthaltenen Wiederaufnahmegründe schlüssig behauptet sei. Insbesondere läge ein Fall der Nr. 6 und 7 des § 580 ZPO nicht vor. Die Entscheidung des EGMR hebe kein präjudizielles Urteil auf. Der Kläger habe auch kein in derselben Sache früher rechtskräftig gewordenes Urteil aufgefunden. Letztlich werde keine Urkunde vorgetragen, die eine dem Kläger günstige Entscheidung herbeigeführt haben würde. Urkunden i.S.v. § 580 Nr. 7 Bst. b) ZPO seien nur solche Unterlagen, aus denen sich zu beweisende Tatsachen ergäben. Außerdem müsse die Urkunde zu einem Zeitpunkt errichtet gewesen sein, der ihre Benutzung im ersten Verfahren möglich gemacht hätte. Eine Restitutionsklage analog § 580 ZPO komme aus Gründen der Rechtssicherheit und des Fehlens einer planwidrigen Lücke nicht in Betracht. Dies werde durch die auf § 359 Nr. 6 StPO beschränkte Reform des Wiederaufnahmerechts unterstrichen. Eine Ausdehnung der Wiederaufnahmemöglichkeiten obliege allein dem Gesetzgeber. Darauf, ob die Entscheidung des EGMR durch die Große Kammer bestätigt werde, komme es daher nicht an, sodass ein Aussetzung analog § 148 ZPO mangels Vorgreiflichkeit nicht in Betracht zu ziehen sei.

Dies hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts und hält an seiner Entscheidung vom 29. Juni 2004 fest. Die Restitutionsklage ist nicht statthaft.

2. Zur Statthaftigkeit der Restitutionsklage gehört das schlüssige Behaupten eines, der in § 580 ZPO aufgeführten Wiederaufnahmegründe (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 589 Rdn. 2). Ein solcher ist mit dem Hinweis auf die Entscheidung des EGMR (Urteil vom 22. Januar 2004 - 46720/99, 72203/01 u. 72552/01 = NJW 2004, 923) nicht vorgebracht (so auch OLG Dresden, Beschluss vom 1. April 2004, 16 U 297/04 = VIZ 2004, 459-460; OLG Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2004, 4 U 34/04 = VIZ 2004, 525-528).

Dem Restitutionskläger ist zuzugeben, dass in der Literatur die Auffassung vertreten wird, das deutsche Verfahren sei analog § 580 Nr. 7 Bst. b) ZPO wieder aufzunehmen, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK feststellt (Zöller/Geimer, Einl. Rdn. 136 m.w.N.; Stein/Jo-nas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., vor § 578 Rdn. 58 m.w.N.); der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vom 9. Juli 1998 (BGBl. I Seite 1802) in § 359 StPO die Nr. 6 eingefügt, wonach die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten zulässig ist, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Aus beidem ergibt sich keine Zulässigkeit der Wiederaufnahme im Falle der rechtskräftigen Verurteilung zur Auflassung von Bodenreformgrundstücken an den Landesfiskus. Der Literaturmeinung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Änderung der Strafverfahrensvorschriften nötigt zu keiner Analogie; sie steht der Ansicht des Restitutionsklägers sogar entgegen. Die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Zivilverfahren mag im Falle der Feststellung eines Menschenrechtsverstoßes ebenfalls wünschenswert sein (Klein, JZ 2004, 1176, 1177), möglich ist sie derzeit nicht (Meyer-Lade-wig/Petzold, NJW 2005, 15, 17).

(a) Die Entscheidungen des EGMR im Individualbeschwerdeverfahren haben lediglich feststellende und keine kassatorische Wirkung. Sie beseitigen den Menschenrechtsverstoß nicht und lassen die beanstandete staatliche Maßnahme unberührt (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1985, 2 BvR 336/85 = NJW 1986, 1425-1427; Wittinger, NJW 2001, 1238; Limbach, NJW 2001, 2913, 2915). Damit stellt sich die Frage der Wiederaufnahme.

Zwar sind auch die deutschen Gerichte dazu angehalten, einen fortdauernden Verstoß gegen die EMRK zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen, was beim Untätigbleiben einen erneuten Verstoß mit sich bringen kann. Dies gibt ihnen jedoch keinen Anlass, dem Spruch des Gerichtshofs durch eine nach Auffassung des Senats nicht mögliche Analogie zu § 580 insbesondere dessen Nr. 7 Bst. b) ZPO zum Durchbruch zu verhelfen. Ihre Verpflichtung reicht nur soweit, als sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne materiellen Gesetzesverstoß Rechnung tragen können (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04 = NJW 2004, 3407-3412). Daran fehlt es.

Die Feststellung einer Menschenrechtsverletzung findet sich in § 580 ZPO nicht als Restitutionsgrund geregelt. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch nur eine von mehreren denkbaren Möglichkeiten, durch die der einzelne Vertragsstaat der Entscheidung des Gerichtshofs i.S.v. Art. 46 Abs. 1 EMRK Folge leisten kann. Der EGMR schreibt dem Staat nicht vor, welche innerstaatlichen Maßnahmen er konkret zu ergreifen hat (Wittinger, a.a.O.). Der Vertragsstaat hat die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten (EGMR, Urteil vom 28. November 2002 - 25701/94 = NJW 2003, 1721, 1723). Die beanstandete Vorschrift kann völkerrechtskonform ausgelegt werden oder der Gesetzgeber ändert die Vorschrift (BVerfG a.a.O.). Daneben kommen die Rückgabe des von der Enteignung betroffenen Gegenstandes (Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15, 16, 18) oder die Zahlung einer billigen Entschädigung in Betracht (EGMR, a.a.O., 1724). Denn gerade auch die letzte Variante ist mit den Schlussfolgerungen des vom Restitutionskläger für sich in Anspruch genommenen Urteils des EGMR vereinbar (vgl. hierzu BVerfG a.a.O.). Ist vor diesem Hintergrund ein obligatorisches Restitutionsverfahren in Deutschland weder vorgesehen noch zur Beseitigung des Menschenrechtsverstoßes erforderlich, bleibt es bei der Zuständigkeit des Gesetzgebers, über die Art und Weise der Beseitigung des Menschenrechtsverstoßes zu entscheiden.

b) Die Wiederaufnahmegründe sind eng auszulegende (BGH, Urteil vom 29. November 1988, XI ZR 85/88 = NJW 1989, 1285-1286) Ausnahmevorschriften (BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1992, 1 BvR 654/92 = DtZ 1993, 85). Ihr Anwendungsbereich muss sich im Interesse der Rechtssicherheit auf die im Gesetz bezeichneten Fälle beschränken. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, im Wege der Analogie offensichtlich nicht gewollte Entscheidungen für den Gesetzgeber zu treffen (so auch BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1994, 6 B 29/93 - zitiert in juris; a.A. möglicherweise BVerfG a.a.O.). Es verbieten sich daher sowohl die Gesetzes- als auch eine Rechtsanalogie.

aa) Jede Analogie setzt eine Lücke im Gesetz, also das planwidrige Nichterfassen des zur Entscheidung stehenden Sachverhalts voraus. Schon an dieser Planwidrigkeit fehlt es. Mit der Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts hat der Gesetzgeber hinreichend deutlich gemacht, dass ihm das Spannungsverhältnis zwischen festgestellten Menschenrechtsverletzungen und der Rechtskraft von Entscheidungen deutscher Gerichte geläufig ist (vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts, Drucksache 13/3594 Seite 7 <I.B.d>). Für das Strafverfahrensrecht entschied er sich für die Regelung eines besonderen Wiederaufnahmegrundes. Die anderen Prozessordnungen blieben unverändert. Dies geschah bewusst und bringt den Willen zum Ausdruck, nur im strafrechtlichen Bereich die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Beseitigung der Menschenrechtsverletzung für erforderlich zu halten. Von einer planwidrigen Nichterfassung im Zivilprozess kann daher keine Rede sein.

Die Argumentation des Restitutionsklägers, wonach die Gesetzesmaterialien zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts den Willen zu einem quasi übergreifenden Restitutionstatbestand erkennen lassen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Aus den Begründungen zur Reform erschließt sich derartiges nicht. Wenn der Wille des Gesetzgebers dahin gehen würde, hätte er ihn im Gesetzblatt verkündet.

bb) Abgesehen davon müssen die Tatbestände der bestehenden Restitutionsgründe mit dem hier vorliegenden Sachverhalt ausreichend ähnlich sein, was ebenfalls zu verneinen ist.

aaa) Die Entscheidung des EGMR entspricht keinem der in § 580 ZPO geregelten Fallgruppen, auch nicht § 580 Nr. 7 Bst. b) ZPO, ja wird als Restitutionsgrund nicht einmal vom Anliegen der Norm getragen.

- Mit Hilfe von § 580 ZPO soll die fehlerhafte, sich in der Entscheidung niederschlagende Urteilsgrundlage korrigiert werden. Damit sind Tatsachen angesprochen, die unberücksichtigt geblieben sind, im Ergebnis aber eine andere Sachentscheidung gerechtfertigt hätten. Mit dem Urteil des EGMR vom 22. Januar 2004 steht kein unberücksichtigt gebliebener Sachverhalt zur Entscheidung. Der Verstoß des gesetzlichen Auflassungsanspruchs aus Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB und der darauf beruhenden Entscheidungen deutscher Gerichte gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK ist keine Tat- sondern eine Rechtsfrage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 1998, 2 DW 3/97 = NJW 1999, 1649-1651). Die EMRK ist bereits bei der Interpretation des nationalen Rechts zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04 = NJW 2004, 3407-3412). Weder die Änderung der Rechtsauffassung noch die Nichtigkeitserklärung einer gesetzlichen Vorschrift durch das BVerfG sind de lege lata anerkannte Restitutionsgründe (vgl. auch § 79 Abs. 2 BVerfGG; BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 1998, 2 DW 3/97 = NJW 1999, 1649-1651; Zöller/Greger, § 580 Rdn. 2). Dies kann für einen jetzt festgestellten Verstoß gegen einfaches Bundesrecht (vgl. zur rechtlichen Qualität der EMRK BVerfG und BVerwG a.a.O.; Limbach, NJW 2001, 2913, 2915 m.w.N.; Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, 133, 134) nicht anders sein.

- Sieht man vom ausschließlich rechtlichen Charakter des Urteils des EGMR ab, so betrifft § 580 Nr. 7 Bst. b) ZPO wiederum nur solche Urkunden, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung hergestellt waren (BGH, Urteil vom 6. Juli 1979, I ZR 135/77 = NJW 1980, 1000-1001). Auf mit dem Urteil des EGMR später eingetretene Umstände kann die Restitutionsklage nicht gestützt werden. Es fehlt von vornherein jede Entscheidungskausalität, weil die Urkunde dem Richter im früheren Verfahren noch nicht vorgelegen haben konnte, sodass seine Entscheidung auf (damals) vollständiger Tatsachenbasis beruht (BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 1999, 8 B 66/99 = NJW 2000, 1884).

- Kein anderes Ergebnis wird erzielt, wenn man nicht die Entscheidung des EGMR, sondern den Menschenrechtsverstoß an sich als Restitutionsgrund begreift. In diesem Fall steht der Statthaftigkeit der Wiederaufnahmeklage der in § 582 ZPO zum Ausdruck kommende Subsidiaritätsgrundsatz entgegen. Der Kläger war von Anfang an in der Lage, auf Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK abzustellen. Schon im Ausgangsverfahren war das Recht auf Eigentum ohne Rüge zu berücksichtigen. Wurde dem damals keine Aufmerksamkeit geschenkt, liegt eine fehlerhafte Rechtsanwendung vor, die nicht mit der Restitutionsklage korrigiert werden kann. Hierfür hätte der Restitutionskläger auf die vorgesehenen Rechtsmittel zurückgreifen können und müssen. Diese boten ihm die Möglichkeit zur wirksamen Beschwerde i.S.v. Art. 13 EMRK. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht ausgeschlossen gewesen, dass die Rechtsmittelgerichte eine enteignende Maßnahme beanstanden und für unwirksam halten, selbst dann, wenn hierzu eine gefestigt scheinende Rechtsprechung vorliegt.

bbb) Mit der Situation im Strafrecht ist die entschädigungslose Auflassungsverpflichtung ebenso wenig vergleichbar. Das Strafrecht ist besonders grundrechtssensibel (vgl. BVerfG a.a.O.). Hier können Menschenrechtsverstöße regelmäßig nur durch Wiederaufnahme rückgängig gemacht werden, um dem möglicherweise zu Unrecht Verurteilten vollständige Rehabilitierung zu Teil werden zu lassen. Die Menschenrechtsverletzung der Bodenreformeigentümer kann dagegen auch auf anderem Weg behoben werden.

c) Eine obligatorische Wiederaufnahme ist von der EMRK und dem EGMR nicht gefordert (Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15, 17). Sieht der Vertragsstaat davon ab, eine solche Möglichkeit zur Beseitigung des Menschenrechtsverstoßes vorzusehen, heißt dies für die ebenfalls angesprochenen Gerichte und staatlichen Organe nicht, in ungeregelten Aktionismus zu verfallen und gesetzlich nicht vorgesehene Einfallstore zum eigenen Tätigwerden zu schaffen. Vielmehr ist abzuwarten, welche Maßnahmen der Gesetzgeber trifft, wenn der Menschenrechtsverstoß endgültig feststeht.

d) Zumindest solange die Entscheidung des EGMR nicht endgültig ist, liegt ein Wiederaufnahmegrund nicht vor (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. August 2004, 1 BvR 1493/04 = NJW-RR 2005, 140). Der Senat sieht dennoch keinen Anlass zur Aussetzung. Nach seiner Auffassung fehlt es von vornherein am Restitutionsgrund und damit an der Vorgreiflichkeit i.S.v. § 148 ZPO.

e) Letztlich kann der Wiederaufnahmekläger sich schon deshalb nicht auf die Entscheidung des EGMR vom 22. Januar 2004 berufen, weil er keine Individualbeschwerde eingelegt hat, also nicht betroffen ist (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1994, 6 B 29/93 - zitiert in juris; Beschluss vom 4. Juni 1998, 2 DW 3/97 = NJW 1999, 1649-1651). Die Entscheidungen des EGMR im Individualbeschwerdeverfahren entfalten materielle Rechtskraft nur in den personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstandes (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04 = NJW 2004, 3407-3412).

3. Gemäß § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Wiederaufnahmeklagen nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage der Rechtskraft des Urteils an gerechnet unstatthaft. Diese Ausschlussfrist ist für den Restitutionskläger seit langem abgelaufen. Ob es Gründe gibt, die Frist nicht zum Tragen kommen zu lassen, kann offen bleiben, da schon ein Restitutionsgrund nicht vorliegt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision lässt der Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage zu (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Der Streitwert entspricht dem des geschlossenen Verfahrens (§§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3, 6 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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