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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 07.03.2001
Aktenzeichen: 12 U 252/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 337
ZPO § 345
ZPO § 331 a
ZPO § 331 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 5
1. Ein Anwalt, der mit dem Pkw statt mit der Bahn zum Verhandlungstermin anreist, handelt in der Regel nicht schon deshalb schuldhaft.

2. Der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils kommt nicht in Betracht, wenn nach dem ersten Versäumnisurteil bereits ein Endurteil ergangen war, das das Berufungsgericht wegen eines Verfahrensfehlers samt dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben hatte.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 U 252/00 OLG Naumburg

verkündet am: 7. März 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht Trojan, den Richter am Oberlandesgericht Kühlen und den Richter am Amtsgericht Dickel für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. November 2000 verkündete zweite Versäumnisurteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.

Gerichtskosten werden für das Berufungsverfahren nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn für Erschließungs- und Maurerarbeiten in einem Baugebiet in W. in Anspruch. Nachdem gegen die Beklagte am 18. Januar 2000 ein Versäumnisurteil ergangen ist, gegen das rechtzeitig Einspruch eingelegt wurde, hat das Landgericht nach mündlicher Verhandlung am 15. Februar 2000 mit einem am 21. März 2000 verkündeten Urteil dieses Versäumnisurteil aufrecht erhalten. Auf die Berufung der Beklagten ist diese Entscheidung einschließlich des zu Grunde liegenden Verfahrens durch Urteil des Senats vom 30. August 2000 aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen worden. In dem darauf bestimmten Verhandlungstermin am 28. November 2000 ist gegen die Beklagte ein zweites Versäumnisurteil ergangen. Deren Prozessbevollmächtigter hatte ca. 15 Minuten vor der angesetzten Terminsstunde fernmündlich mitgeteilt, dass er wegen eines nicht vorhersehbaren Verkehrsstaus voraussichtlich erst gegen ca. 10.15 Uhr erscheinen könne. Das zweite Versäumnisurteil wurde vor 10.30 Uhr verkündet.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, dass kein Fall der Säumnis vorgelegen habe, da ihr Prozessbevollmächtigter bereits vor der Terminsstunde telefonisch angekündigt hatte, dass er verkehrsbedingt nicht rechtzeitig zum Verhandlungstermin erscheinen könne. Bei dessen Eintreffen um 10.29 Uhr sei bereits das angefochtene Urteil verkündet gewesen. Im Hinblick auf das Informationsverhalten ihres Prozessbevollmächtigten habe im Zeitpunkt der Verkündung des zweiten Versäumnisurteils kein Fall einer verschuldeten Säumnis vorgelegen. Darüber hinaus vertritt sie die Auffassung, dass - selbst wenn das Landgericht zu Recht den Fall einer Säumnis angenommen hätte - nur ein zweites erstes Versäumnisurteil hätte ergeben dürfen. Der Verhandlungstermin vor dem Landgericht sei weder als Einspruchstermin bezeichnet worden, noch habe es sich dabei um einen solchen gehandelt. Die durch das Oberlandesgericht unter Aufhebung des Verfahrens ausgeurteilte Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht bewirke nicht, dass weitere Verhandlungen, die nach dem Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil stattgefunden hätten, als nicht durchgeführt angesehen werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

1. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Landgericht Magdeburg zurückzuverweisen.

2. hilfsweise:

Unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts und vertritt die Auffassung, dass sowohl ein Fall der Säumnis vorgelegen habe, als auch die übrigen Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils gegeben seien. Er bezieht sich darauf, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Möglichkeit gehabt habe, statt mit dem Pkw mit der Bahn nach M. zu fahren, wodurch eine Verspätung nicht eingetreten wäre. Die Straßenverkehrsprobleme auf der Fahrstrecke von N. nach M. seien allgemein bekannt, darauf hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einrichten müssen. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass durch die Aufhebung des am 21. März 2000 verkündeten Urteils des Landgerichts einschließlich des zu Grunde liegenden Verfahrens durch die Entscheidung des Senats vom 30. August 2000 sich die Verfahrenssituation so dargestellt habe, als wenn die Verhandlung unmittelbar am Anschluss an den Einspruch der Beklagten gegen das erste Versäumnisurteil stattgefunden hätte.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht lag weder der Fall einer verschuldeten Säumnis der Beklagten vor, noch haben die übrigen Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils i. S. v. § 345 ZPO vorgelegen, so dass der Fall einer notwendigen Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 1 Nr. 5 ZPO vorliegt

1.

Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2000 enthält keine Feststellungen dazu, ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hierzu ordnungsgemäß geladen war. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils sind von Amts wegen zu prüfen und im Protokoll festzustellen (z. B. Zöller/Herget, Rn. 3 zu § 335 ZPO). Dies ist im vorliegenden Fall verfahrensfehlerhaft nicht geschehen.

2.

Unabhängig davon darf eine verkehrsbedingt eingetretene Verspätung einer Partei dann nicht zu einem Versäumnisurteil führen, wenn diese ohne die Behinderung rechtzeitig zum Termin erschienen wäre. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Denn unstreitig ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten frühzeitig aus N. losgefahren und wäre zu der anberaumten Terminsstunde - bei normalen Verkehrsbedingungen - rechtzeitig erschienen. Seine Verspätung war ausschließlich auf einen nicht vorhersehbaren Verkehrsstau zurückzuführen. Hierüber war das Landgericht bereits vor Aufruf der Sache um 10.00 Uhr informiert. Denn aus einem als Anlage zum Protokoll genommenen Handzettel ergibt sich, dass Rechtsanwalt H. die Geschäftsstelle der Kammer von der verkehrsbedingen Verspätung in Kenntnis gesetzt hatte und diese Information an die Kammer auch weitergegeben wurde. Aus einem weiteren Vermerk der Geschäftsstelle (Bl. 200, Bd. I d. A.) lässt sich feststellen, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten um 10.32 Uhr im Sitzungssaal erschienen und durch den Vorsitzenden darüber informiert wurde, dass bereits ein zweites Versäumnisurteil verkündet war.

Ein (zweites) Versäumnisurteil darf nur erlassen werden, wenn neben den sonstigen Voraussetzungen die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert war. Die Regelung aus § 337 ZPO ist auch bei Erlass eines zweiten Versäumnisurteils (§ 345 ZPO) zu beachten. Dabei ist die Frage, ob die Partei ein Verschulden trifft, nicht anders zu beurteilen als in den Fällen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO). Ein der Beklagten zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten liegt hier jedoch unzweifelhaft nicht vor. Denn bei dem im Rahmen des § 337 ZPO zu prüfenden Verschuldensmaßstab reicht die übliche, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aus (z. B. BGH NJW-RR 1988, 508). Im vorliegenden Fall hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bereits 15 Minuten vor dem anberaumten Verhandlungstermin telefonisch mitgeteilt, dass er sich auf dem Weg zum Landgericht befinde, jedoch in einem Verkehrsstau geraten sei und sich deshalb um ca. 15 Minuten verspäten werde. Unstreitig ist darüber hinaus, dass er seine Fahrt von N. nach M. mit dem Pkw vor 7.30 Uhr angetreten hatte und nach seiner Erfahrung die Fahrstrecke in 2 bis max. 2 1/2 Stunden zu bewältigen war. Diese Angabe deckt sich im Übrigen auch mit den Erfahrungen der Mitglieder des Senates, denen die Wegstrecke - auch vor Eröffnung der Bundesautobahn - hinreichend bekannt ist. Nach dem weiteren unstreitigen Vorbringen der Beklagten ist ihr Prozeßbevollmächtigter etwa 40 km vor M. an eine durch eine Baustelle bedingte Straßensperre gekommen und musste deshalb über eine Ausweichstrecke, die zudem mit starkem Lkw-Verkehr belastet war, ausweichen. Ohne diese Verkehrsbehinderung wäre er rechtzeitig zum Verhandlungstermin erschienen. Die vom Landgericht angenommene Säumnis war daher unverschuldet. Denn wenn der Prozessbevollmächtigte einer Partei das Gericht noch vor Beginn der Terminsstunde darauf hingewiesen hat, wegen nicht vorhersehbarer Verkehrsprobleme den anberaumten Verhandlungstermin nicht rechtzeitig wahrnehmen zu können, jedoch mit einer Verspätung von ca. 15 Minuten zu erscheinen, hat er die ihm zumutbaren Vorkehrungen getroffen, um der Annahme einer verschuldeten Säumnis vorzubeugen, wenn er innerhalb einer zumutbaren Frist erscheint. Unter den konkreten Umständen hätte das Landgericht wegen der gebotenen Rücksichtnahme auf die Verfahrensbeteiligten auch zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG 74, 220, 224) mit dem Erlass des zweiten Versäumnisurteils warten müssen. Eine Wartefrist von 29 Minuten ist im Hinblick auf das Informationsverhalten des Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände jedoch bei weitem nicht ausreichend, um die Zumutbarkeitgrenze zu überschreiten. Denn der Richter muss das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen, wobei insbesondere das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung eines fairen Verfahrens als eigenständiges Prozessgrundrecht zu beachten ist (BVerfGE 57, 275). Er ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfGE 38, 105, 111; 40, 95, 98; 46, 202, 210). An diesen Maßstab hat sich das Landgericht bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht gehalten. Die zumutbare Wartepflicht hätte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände - insbesondere des Informationsverhaltens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten - mindestens eine Stunde betragen. Es wäre daher notwendig und auch erforderlich gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer verschuldeten Versäumnis im Sinne von §§ 331 Abs. 1, 345 ZPO - jedenfalls um 9.29 Uhr - noch nicht vorlagen. Das Landgericht hätte deshalb entweder noch eine angemessene Zeit warten müssen, den Termin von Amts wegen gem. § 337 ZPO vertagen können oder - was sich hier besonders angeboten hätte - von der Möglichkeit des § 331 a ZPO Gebrauch machen sollen. Denn nach den Vorgaben der Senatsentscheidung vom 30. August 2000 war eine Beweisaufnahme erforderlich, sodass ein Beweisbeschluss nach Lage der Akten möglich gewesen wäre.

Soweit sich der Kläger darauf berufen hat, dass bei Nutzung der Bahn die Verspätung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht eingetreten wäre, lässt sich daraus keine schuldhafte Säumnis ableiten. Denn eine Partei bzw. ihr Bevollmächtigter unterliegt bei der Auswahl der Verkehrsmittel für die Anfahrt zum Verhandlungsort im Regelfall keinen Beschränkungen, wenn dadurch ein rechtzeitiges Erscheinen gewährleistet ist. Davon war im vorliegenden Fall auszugehen, auch wenn allgemein bekannt gewesen ist, dass vor dem Ausbau der Autobahn Verkehrsbehinderungen auf den relativ stark ausgelasteten Landstraßen in Richtung M. nicht selten waren. Denn diesen Umstand hatte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bei seiner Planung berücksichtigt. Es bleibt lediglich noch zu ergänzen, dass auch bei Nutzung der Bahn eine Verspätung keinesfalls ausgeschlossen werden kann. Der Senat hat hinreichende eigene Kenntnisse über Verspätungen dieses Verkehrsmittels, gerade bezogen auf die Fahrstrecke von N. nach M. . Denn hier ist es in der Vergangenheit oft zu erheblichen Verspätungen gekommen.

3.

Abgesehen davon lagen die weiteren formalen Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils ebenfalls nicht vor. Neben der Behauptung, dass kein Fall der Säumnis vorgelegen hat, kann die Berufung auch auf diesen Umstand gestützt werden (BGH NJW 1991, 43, 44). Eine Partei, die Einspruch gegen ein (erstes) Versäumnisurteil eingelegt hat, aber in der zur mündlichen Verhandlung bestimmten Sitzung oder in derjenigen Sitzung, auf welche die Verhandlung vertagt ist, nicht erscheint oder nicht zur Hauptsache verhandelt, kann ein Versäumnisurteil ergehen, durch das der Einspruch verworfen wird. Voraussetzung ist nach dem Gesetzeswortlaut somit immer, dass ein zweites Versäumnisurteil nur unmittelbar in dem auf den Einspruch folgenden Termin ergehen kann. Die Feststellung, dass der Senat auch das zu Grunde liegende Verfahren zu dem Urteil des Landgerichts vom 21. März 2000 aufgehoben hat, negiert nicht die Tatsache, dass nach dem (ersten) Einspruchstermin vor dem Landgericht bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte. Darüber hinaus hatte auch eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, sodass der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils in dem Verhandlungstermin am 28. November 2000 vor dem Landgericht ohnehin ausgeschlossen war. Denn die Säumnisfolgen des Gesetzes knüpfen an die tatsächlichen Verhältnisse an und sind fiktionsfeindlich.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben (§ 8 GKG). Im Übrigen ergeben sich die Nebenentscheidungen aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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