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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 22.04.2004
Aktenzeichen: 14 UF 52/04
Rechtsgebiete: VAÜG


Vorschriften:

VAÜG § 3 Abs. 2 Nr. 1
VAÜG § 3 Abs. 2 Nr. 2
VAÜG § 2 Abs. 1 Nr. 2
Geringe angleichungsdynamische Anrechte können von Amts wegen als dynamische Anrechte behandelt werden, um eine Aussetzung zu vermeiden. (Anmerkung: vgl. zu dieser Problematik die Entscheidungen des BGH v. 05.09.2001 Az. XII ZB 28/97 und 38/97)
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 UF 52/04

In der Familiensache

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, den Richter am Oberlandesgericht Materlik und die Richterin am Landgericht Staron am 22. April 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die befristete Beschwerde der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird der Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 9. Februar 2004, Az.: 4 F 280/02 S, hinsichtlich der Regelung zum Versorgungsausgleich - die das gesamte Scheidungsverbundverfahren betreffende Kostenentscheidung bleibt unberührt - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

a) Von dem Versicherungskonto des Ehemannes bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Vers.-Nr.: ... , werden, bezogen auf den 30. Juni 2002 als Ende der Ehezeit, angleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 39,57 Euro auf das ebenfalls dort unterhaltene Versicherungskonto der Ehefrau, Vers.-Nr.: ... , übertragen.

b) Der Monatsbetrag der übertragenen Rentenanwartschaften ist in Entgeltpunkte (Ost) umzurechnen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Durch Beschluss vom 9. Februar 2004 (Bl. 25a/26a UA-VA) hat das Amtsgericht Wittenberg den zuvor im Scheidungsverbundurteil vom 26. August 2003 (Bl. 29/30 UA-VA) abgetrennten Versorgungsausgleich zugunsten der Ehefrau (Antragstellerin) dergestalt geregelt, dass, bezogen auf den 30. Juni 2002 als Ende der Ehezeit, mittels Splittings gemäß § 1587 b Abs. 1 BGB (in Verb. mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 VAÜG) von dem Versicherungskonto des Ehemannes (Antragsgegners) bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) angleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 39,92 Euro auf das ebenfalls dort bestehende Versicherungskonto der Ehefrau (Antragstellerin) nebst Anordnungen nach Maßgabe des - in der Entscheidung nicht erwähnten - § 3 Abs. 2 Nr. 2 VAÜG übertragen wurden.

Gegen diese Entscheidung zum Versorgungsausgleich richtet sich, in formeller Hinsicht bedenkenfrei, die Beschwerde der BfA vom 5. März 2004 (Bl. 32 UA-VA), die moniert, dass die Voraussetzungen für eine Durchführung des Versorgungsausgleichs mangels Eintritts eines Leistungsfalls nicht vorlägen und deshalb eine Aussetzung des Versorgungsausgleichs nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG geboten sei.

II.

Die Beschwerde der BfA ist zulässig (1) und auch in der Sache begründet (2).

1. Die gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Verb. mit § 621 e Abs. 1 ZPO gegen eine Endentscheidung zum Versorgungsausgleich statthafte befristete Beschwerde der BfA ist gemäß den §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig.

Auf eine etwaige Mindestbeschwer kommt es, im Gegensatz zur Berufung, bei der befristeten Beschwerde nicht an, wie schon, auch nach dem novellierten Verfahrensrecht ab Anfang 2002, aus der fehlenden Bezugnahme auf § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO erhellt (vgl.: OLG Bamberg, FamRZ 1998, 305; Philippi, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl., 2004, § 621 e Rdnr. 22; a. A. in Bezug auf das Rechtsschutzbedürfnis minimaler Korrekturen erstrebender Beschwerden: OLG München, FamRZ 1982, 187, und OLG Dresden, FamRZ 1996, 742). Die Beschwerdebefugnis ist auch unabhängig von einer finanziellen Mehrbelastung des Beschwerde führenden Versorgungsträgers (BGH, NJW 1981, 1274).

Die BfA ist vielmehr allein auf Grund des nach ihrem Vortrag gesetzeswidrig durchgeführten Versorgungsausgleichs in ihrem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Recht auf Gewährleistung einer gesetzeskonformen Verwaltung beeinträchtigt (s. dazu beispielhaft: Sedemund-Treiber, in: Johannsen/Henrich, Eherecht, 4. Aufl., 2003, § 621 e ZPO Rdnr. 9 m. w. N. nam. aus der Rechtsprechung) und damit gemäß § 20 Abs. 1 FGG, welche Regelung über § 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO Anwendung findet, zur Beschwerde berechtigt.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zu einer Abänderung der dem Grunde nach zu Recht angefochtenen Entscheidung zum Versorgungsausgleich.

a) Das Amtsgericht hat ohne tragfähige und nachvollziehbare Begründung, das Pferd gleichsam von hinten aufzäumend, den Versorgungsausgleich nach Maßgabe des - in der Entscheidung nur teils erwähnten und gar nicht subsumierten - § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VAÜG, das heißt auf der Bewertungsgrundlage des unwesentlichen nichtangleichungsdynamischen Rentenanrechts der Ehefrau von 0,27 Euro gewissermaßen durchgeführt, obwohl die dafür nach dem einleitenden Satz der Vorschrift notwendige, mit der Wendung "In den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 VAÜG" bestimmte Voraussetzung eines nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 VAÜG durchführbaren und durchzuführenden Versorgungsausgleichs gerade nicht gegeben ist. Denn aus einem im Versorgungsausgleich zu berücksichtigenden Anrecht sind aufgrund des Versorgungsausgleichs derzeit keine Leistungen für die 36 und 37 Jahre alten Parteien zu erbringen oder zu kürzen, wie für eine Durchführung des Versorgungsausgleich nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 VAÜG geboten, wenn, wie das Amtsgericht ebenfalls rechtsirrig ohne weiteres annimmt, die diesbezüglichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VAÜG nicht vorliegen.

b) Der wegen des Erwerbs angleichungsdynamischer Rentenanwartschaften seitens beider Ehegatten gemäß § 1 Abs. 1 und 2 Nr. 1 VAÜG und aufgrund der noch nicht eingetretenen Einkommensangleichung in Ost und West im Sinne des § 1 Abs. 4 VAÜG den Besonderheiten des Versorgungsausgleichs-Überleitungsgesetzes (VAÜG) unterliegende Versorgungsausgleich kann im vorliegenden Falle bereits durchgeführt werden, obschon die dafür notwendigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a oder lit. b VAÜG bei rein formeller Betrachtung der Gegebenheiten an sich nicht erfüllt zu sein scheinen.

Denn es sind einerseits nicht nur, wie für eine Durchführung des Versorgungsausgleichs nach lit. a der Vorschrift vonnöten, angleichungsdynamische Rentenanwartschaften zu berücksichtigen. Andererseits hat der Ehegatte mit den werthöheren angleichungsdynamischen Rentenanwartschaften - das ist hier der Ehemann (275,32 Euro seinerseits stehen insoweit 195,91 Euro auf Seiten der Ehefrau gegenüber; Bl. 24/8 a UA-VA) - nicht zugleich, wie für die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach lit. b der Vorschrift unerlässlich, die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anrechte in der Ehezeit erworben, die vielmehr in Höhe von 0,27 Euro monatlich (Bl. 8 a UA-VA) der Ehefrau zustehen.

Gleichwohl ist ungeachtet dessen im vorliegenden Fall von einer Durchführbarkeit des sonst nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG auszusetzenden Versorgungsausgleichs auszugehen, da die hier der Ehefrau - im Gegensatz zu den prägnant werthöheren angleichungsdynamischen Rentenanwartschaften des Ehemannes - in Höhe eines Betrages von 0,27 Euro zustehenden werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anrechte gleichsam verkappte angleichungsdynamische Rentenanwartschaften und zudem ökonomisch wie rechtlich eine Quantité négligeable darstellen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VAÜG sind damit als erfüllt anzusehen, in jedem Fall muss die dem womöglich noch entgegenstehende Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit b VAÜG mittels teleologischer Reduktion als abbedungen gelten.

Dass die während der Ehezeit im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB in Höhe von 0,27 Euro monatlich erworbene nichtangleichungsdynamische Anwartschaft der Ehefrau eigentlich angleichungsdynamischer Natur sein müsste, ergibt sich daraus, dass die ihr zugrunde liegende Beschäftigung der Ehefrau vom 1.3. bis 31.5.2000 mit entsprechender Beitragszahlung in den neuen Bundesländern erfolgte, indes, so die Auskunft der BfA (Bl. 22 a UA-VA), einzig aus speicherungstechnischen Vereinfachungsgründen, ob ihrer ökonomischen Bedeutungs- und Folgenlosigkeit in dem einen oder anderen Falle offensichtlich, wie ein Rentenanrecht in den alten Bundesländern erfasst wurde. Die Gleichstellung des Anrechtes mit einer angleichungsdynamischen Rentenanwartschaft ist daher sachlich gerechtfertigt und eröffnet die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VAÜG.

Anderenfalls bedürfte es allemal einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VAÜG, um zu dem nämlichen Ergebnis zu gelangen. Denn die bei den nichtangleichungsdynamischen Anrechten mit einem gegen Null tendierenden Bagatellbetrag von 0,27 Euro zu Gunsten der Ehefrau zu Buche schlagende Wertdifferenz - ausgleichspflichtig wäre ohnehin nur die Hälfte von 0,27 Euro - vermag bei einer verfassungskonformen, d. h. vornehmlich dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichteten Auslegung der Vorschrift keine höchst zeitaufwendige, kostenträchtige und gleichermaßen umständliche wie unverständliche Aussetzung des eigentlich abschlussreifen Verfahrens nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG zu rechtfertigen, die anderenfalls, bei einer rein buchstabengetreuen, indes selbstgenügsam formalistischen Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VAÜG, unvermeidbar wäre. Die weitere Voraussetzung für die Durchführung des Versorgungsausgleichs, dass der Ehegatte mit den werthöheren angleichungsdynamischen Rentenanwartschaften auch die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Rentenanwartschaften erworben haben muss, ist mithin als suspendiert anzusehen, d. h. gilt, methodisch betrachtet, aus Gründen der von Verfassungs wegen gebotenen Verhältnismäßigkeit des Verfahrensablaufs mittels teleologischer Reduktion jener Vorschrift (s. dazu grundlegend Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 391 ff.) nicht.

Einzig sinnvoll und ökonomisch wie rechtlich geboten ist daher in diesem Falle ein mit der Suspension des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VAÜG und damit auch des darauf fußenden § 3 Abs. 1 Nr. 4 VAÜG eingleisig durchzuführender Versorgungsausgleich nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VAÜG, indem ohne Rücksicht auf weitere bewertungsspezifische Besonderheiten des Versorgungsausgleichungs-Überleitungsgesetzes - auch eine eventuell zwecks einheitlicher Bewertung der Anwartschaften zu erwägende analog reziproke Anwendung des Angleichungsfaktors nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 VAÜG als Divisor führte ob der Geringfügigkeit des anzupassenden Betrags von 0,27 Euro zu keinem anderen Ergebnis - die ökonomisch bedeutungslosen nichtangleichungsdynamischen Rentenanwartschaften den angleichungsdynamischen Rentenanwartschaften, die sie, der finanziellen Folgenlosigkeit des Unterschiedes wegen, auch quasi ersetzen, gleichgestellt werden.

c) Anwartschaften des Ehemannes in Höhe von 275,32 Euro stehen daher Anwartschaften der Ehefrau in Höhe von 196,18 Euro (= 195,91 Euro + 0,27 Euro) gegenüber. In Höhe der Hälfe der sich auf (275,32 Euro - 196,18 Euro =) 79,14 Euro belaufenden Wertdifferenz der beiderseitigen Versorgungsanwartschaften besteht demnach gemäß § 1587 a Abs. 1 BGB eine Ausgleichspflicht des Ehemannes, sodass angleichungsdynamische Rentenanwartschaften im Werte von 39,57 Euro monatlich im Wege des Renten-Splittings gemäß § 1587 b Abs. 1 BGB von seinem Versicherungskonto auf das der Ehefrau, jeweils bei der BfA, zu übertragen waren.

Der Höchstbetrag nach § 1587 b BGB in Verb. mit § 76 Abs. 2 Satz 3 SGB VI wird insoweit nicht überschritten.

Die Anordnung, den Monatsbetrag der übertragenen Rentenanwartschaften in Entgeltpunkte (Ost) umzurechnen, findet - im Hinblick auf die Regelung der §§ 76, 264 a SGB VI - ihre Grundlage in § 3 Abs. 1 Nr. 5 VAÜG.

III.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren (Kostenverzeichnis Nr. 1520, 1526 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG) konnten infolge der unrichtigen Sachbehandlung in erster Instanz nicht erhoben werden, § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten, beruht, jeweils ausgehend von § 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO, einerseits, hinsichtlich der Parteien, auf einer entsprechenden Anwendung des § 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO und andererseits, bezüglich der Beschwerde führenden BfA, auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Die Festsetzung eines Beschwerdewertes erübrigt sich damit.

Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 621 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO fehlt es, in Anbetracht der durch die Besonderheiten des Einzelfalles gekennzeichneten Rechtslage, an den gesetzlich umrissenen Voraussetzungen.



Ende der Entscheidung

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