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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 05.11.2004
Aktenzeichen: 14 WF 210/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 569
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 114
BGB § 1612 a Abs. 1
BGB § 1603
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1601
BGB § 1602
BGB § 1612 a
Hinreichende Erfolgsaussicht liegt für die Rechtsverfolgung schon dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der antragstellenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 WF 210/04 OLG Naumburg

In der Familiensache

...

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Landgericht Kawa am 5. November 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 9. September 2004, Az.: 222 F 80/04, abgeändert und der Antragstellerin für die beabsichtigte Rechtsverfolgung ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus M. zu ihrer Vertretung bewilligt.

2. Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist nicht entstanden.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verb. mit § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen gemäß § 569 ZPO in Verb. mit § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr Prozesskostenhilfe für die Rechtsverfolgung versagenden Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 9. September 2004 (Bl. 43 - 44 d. A.) ist begründet.

Die Antragstellerin ist bedürftig und die begehrte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, deren es gemäß § 114 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedarf.

Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO liegt für die Rechtsverfolgung schon dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der antragstellenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält (Philippi, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl., 2004, § 114, Rdnr. 19). Es muss also aufgrund vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich und darf nicht ausgeschlossen sein, dass die antragstellende Partei mit ihrem Begehren durchdringen wird.

Hier hat die minderjährige, gemäß § 1602 bedürftige und auch sonst zweifelsfrei unterhaltsberechtigte Antragstellerin ohne weiteres hinreichend schlüssig dargelegt, dass ihr Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 100 % der dritten Altersstufe gemäß § 2 Nr. 3 der Regelbetrag-VO zu § 1612 a Abs. 1 BGB zusteht.

Der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage steht insbesondere nicht die gleichermaßen unsubstantiierte wie nicht nachgewiesene Behauptung des Antragsgegners entgegen, er sei mangels Leistungsfähigkeit bzw. mangels hinreichender Einkünfte nicht in der Lage, den geforderten Unterhalt zu leisten, § 1603 BGB.

Zwar erzielt der Antragsgegner lediglich relativ geringfügige Einnahmen durch Arbeitslosenhilfe oder Tätigkeiten bei einer Zeitarbeitsfirma. Er hat indes nicht ausreichend dargetan, weshalb es ihm nicht möglich ist und möglich gewesen sein soll, eine Tätigkeit zu finden, die ihn finanziell in die Lage versetzt, der Klägerin den gesetzlich geschuldeten Mindestunterhalt zu zahlen.

Der Antragsgegner muss sich daher zumindest so behandeln lassen, als verfügte er über dazu hinreichende Einkünfte. Seine Leistungsfähigkeit bestimmt sich nämlich nicht allein nach seinem tatsächlichen Einkommen, sondern nach den in zumutbarer Weise erzielbaren Einkünften, weil er zur Sicherstellung des Mindestunterhalts gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit unterliegt, die sich auch, sofern nötig, bei einem vollschichtig Erwerbstätigen auf die Aufnahme einer geeigneten Nebentätigkeit erstreckt (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2003, 1206; OLG Hamm, FamRZ 2000, 1178, Wiedenlübbert, Erhöhte Erwerbsobliegenheit des Barunterhaltspflichtigen, NJ 2002, 337 ff.).

Dabei ist es unbeachtlich, ob der Antragsgegner die Umstände seiner Arbeitslosigkeit selbst verschuldet hat. Denn selbst bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit muss der Unterhaltsverpflichtete alles Zumutbare unternehmen, um durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die unternommenen Anstrengungen müssen im Unterhaltsprozess konkretisiert werden, und zwar durch eine nachprüfbare Aufstellung von monatlich durchschnittlich 20 bis 30 Bewerbungen, die konkret auf die entsprechenden Stellenangebote zugeschnitten sein müssen; Blindbewerbungen reichen grundsätzlich nicht aus (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2003, 1022 ff.; Palandt/Diederichsen, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1603, Rdnr. 38; Kalthoener/Büttner/Nietmann, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl. 2002, Rdnr. 619, 620). Als Arbeitsloser muss sich der Unterhaltspflichtige intensiv und ernsthaft um eine neue Arbeitsstelle bemühen. Allein die Meldung beim zuständigen Arbeitsamt reicht nicht, um der gesteigerten Erwerbsobliegenheit Genüge zu tun. Ebenso wenig genügt es, sich auf die Vermittlungsbemühungen durch das Arbeitsamt zu beschränken; der Unterhaltsschuldner muss vielmehr selbstständig Arbeitssuche betreiben, dementsprechend sich auf Stellengesuche schriftlich bewerben und gegebenenfalls sogar selbst eigene Stellenanzeigen schalten.

Die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast für eine unter Umständen fehlende Leistungsfähigkeit trifft nach der gesetzlichen Konzeption des § 1603 BGB, der als Ausschluss- bzw. Ausnahmetatbestand zur prinzipiell gegebenen Unterhaltspflicht auf Grund der §§ 1601, 1602 BGB geregelt ist, gleichsam negativ den Antragsgegner als Unterhaltsschuldner. Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt soweit und solange, als die Unterhaltsforderung - wie hier - nicht über den Regelunterhalt nach der Regelbetrag-VO zu § 1612 a BGB hinausgeht (so nam. BGH, FamRZ 2002, 536 ff.).

Dem Antragsgegner ist es nicht gelungen, die gesetzlich begründete Vermutung seiner Leistungsfähigkeit in Bezug auf den Regelbetrag-Unterhalt zu erschüttern, geschweige denn zu widerlegen. Soweit er ohne Vorlage irgendeines Bewerbungsschreibens pauschal vorträgt, er habe sich wiederholt und dauerhaft im Rahmen seiner persönlichen Möglichkeiten um Arbeit bemüht, genügt er damit seiner Darlegungslast nicht. Soweit der Antragsgegner meint, darauf verweisen zu können, er werde sich umgehend um eine geeignete freie Arbeitsstelle bemühen, die ihm von der Antragstellerin benannt werde, verkennt er grundlegend, dass nicht die Antragstellerin als Unterhaltsgläubigerin, sondern er als Unterhaltsschuldner gehalten ist, sich nachdrücklich und in jeder Hinsicht umfassend um Arbeit zu bemühen und diese Bemühungen der Gläubigerin detailliert mittels einer chronologisch geordneten Dokumentation unter Vorlage der einschlägigen Unterlagen zu belegen hat.

Eine Überprüfung der Ernsthaftigkeit oder Erfolgsaussicht der in keiner Weise belegten noch überhaupt nachvollziehbar erläuterten Arbeitsplatzsuche des Antragsgegners ist von daher schon nicht möglich.

Der Antragsgegner kann sich folglich - solange er nicht nachweist, dass er sich in hinreichendem Maße wo immer möglich um einen Arbeitsplatz bemüht und bemüht hat - keineswegs schlicht darauf berufen, aufgrund seines Schulabschlusses und der seit langem bestehenden Arbeitslosigkeit sei es schwierig für ihn, eine Stelle zu finden, die es ihm ermögliche, den geforderten Unterhalt zu zahlen. Zwar ist grundsätzlich eine unzureichende Arbeitssuche bei fehlender realer Beschäftigungschance unschädlich (Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rdnr 622). Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhaltes, dass gering qualifizierte Arbeitnehmer in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit keine wie auch immer geartete reale Beschäftigungschance für ein unterhaltsrechtlich hinlängliches Einkommen hätten, besteht indessen nicht. Vielmehr ist das Fehlen jeglicher Chance auf dem Arbeitsmarkt im Einzelfall positiv festzustellen (so nam. Brandenburgisches OLG, MDR 2000, 1438 f.; OLG Dresden, OLGR 2000, 53 f.; OLG Karlsruhe, NJWE-FER 1998, 246). Aufgrund dessen kann nur in seltenen Ausnahmefällen ungeachtet jeglicher Bewerbungsbemühungen von vornherein vom Fehlen jeder Beschäftigungschance ausgegangen werden (Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rdnr 622). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Denn der körperlich gesunde, auch zwischenzeitlich immer wieder beschäftigte und folglich vermittelbare Antragsgegner ist durchaus in der Lage, handwerklich einfache Arbeiten zu verrichten, und muss mit allen Kräften bis zu einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden unterhaltsrechtlich bestrebt sein, notfalls auch durch ein Mehr an Arbeit in Form einer Zweit- oder Nebentätigkeit, das Handicap einer geringeren Qualifikation bei der Arbeitssuche wettzumachen.

Es besteht daher kein Anlass, schon bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht des Klagebegehrens anzunehmen, dem Antragsgegner sei es auch bei umfassenden Erwerbsbemühungen - die weder dargetan noch ersichtlich sind - verwehrt, für den Unterhaltsbedarf der Antragstellerin in der gesetzlich geschuldeten Mindesthöhe ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts aufzukommen.

II.

Gerichtsgebühren fallen bei einer erfolgreichen Beschwerde wegen nicht bewilligter Prozesskostenhilfe nicht an (§ 1 Nr. 1 GKG in Verb. mit Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Außergerichtliche Kosten sind, wie aus § 127 Abs. 4 ZPO erhellt, im Beschwerdeverfahren wegen nicht bewilligter Prozesskostenhilfe generell nicht erstattungsfähig.



Ende der Entscheidung

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