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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 3 U 4/01
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, BGB, StVO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
StVG § 18 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 1 Satz 2
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 7
StVG § 9
BGB § 823
BGB § 847
BGB § 254
StVO § 10
Leitsatz:

Zu den Pflichten des aus einem Grundstück ausfahrenden Verkehrsteilnehmers.

OLG Naumburg, Urt vom 17.05.2001, 3 U 4/01; vorgehend LG Dessau, Urt vom 15.12.2000, 8 O 2641/96


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 4/01 OLG Naumburg 8 O 2641/96 LG Dessau

verkündet am: 17. Mai 2001

gez. Seidler, JOS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

...

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kleist, den Richter am Oberlandesgericht Hellriegel und den Richter am Amtsgericht Thole für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.12.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau - Geschäftszeichen: 8 O 2641/96 - geändert:

Die Klage gegen den Beklagten zu 1. wird abgewiesen.

Die Beklagten zu 2. und 3. werden verurteilt, der Klägerin 648,52 DM zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Berufungsstreitwert beträgt 64.520,82 DM; die Beschwer übersteigt für beide Parteien 60.000,00 DM nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten zu 1., 2. und 3. ist zulässig, denn sie ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 511 a, 516, 518, 519 ZPO); sie hat im Wesentlichen Erfolg.

Die Klägerin kann vom Beklagten zu 1. wegen des am 18.12.1995, gegen 18:10 Uhr im Bereich Ausfahrt E. -Markt/B 100 in G. geschehenen Unfalls keinen Schadensersatz und Ersatz immateriellen Schadens aus §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG, §§ 823, 847 BGB verlangen. Denn sie hat nicht dargelegt und bewiesen, dass sie sich als aus dem Grundstück E. -Markt Ausfahrende verkehrsmäßig völlig richtig verhalten und der am fließenden Verkehr teilnehmende Beklagte zu 1. den Unfall verschuldet hat. Zwar trifft wegen der gesetzlich in § 18 Abs. 1 StVG geregelten "Gefährdungshaftung mit der Vermutung des Verschuldens" (vgl. Müller in VersR 1995, 490) grundsätzlich den Fahrer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht wurde. Er kommt demnach grundsätzlich aus der Haftung nur frei, wenn er sich völlig entlastet. Das gilt hier indes aber nicht, denn der ein Grundstück verlassende Verkehrsteilnehmer hat den sich aus § 10 StVO ergebenden Anscheinsbeweis gegen sich. Nach § 10 StVO hat der fließende Verkehr Vorrang gegenüber demjenigen Verkehrsteilnehmer, der aus einem Grundstück in die öffentliche Straße einfährt. Den Ausfahrenden trifft eine gesteigerte Sorgfaltspflicht (vgl. KG Urteil vom 07.04.1994, 12 U 3844/92). Er muss durch besonders vorsichtige Fahrweise Rücksicht auf den fließenden Verkehr nehmen, weil er davon ausgehen muss, dass der fließende Verkehr sich im Allgemeinen darauf verlässt, dass ein aus einem Grundstück Ausfahrender besonders vorsichtig ist (vgl. BHG VersR 1987, 306).

Den für den Beklagten zu 1. sprechenden Anscheinsbeweis hat die Klägerin nicht erschüttert, denn sie hat keine Tatsachen vorgetragen und bewiesen, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als den nach der Erfahrung typischen ergeben könnten (vgl. BGH VersR 1982, 903).

Ihr Vortrag, sie habe vor dem Auffahren auf die B 100 zunächst angehalten und sei erst losgefahren, als rechts frei gewesen sei und sie den Beklagten zu 1. mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. auf dem schräg gegenüberliegenden P. mit eingeschaltetem Fahrtrichtungsanzeiger rechts gesehen habe, als richtig unterstellt, spricht bereits gegen ein Verschulden des Beklagten zu 1. und gegen die Klägerin selbst.

Denn sie ist dann zu einem Zeitpunkt losgefahren, als ein gefahrloses Benutzen des Bereichs des fließenden Verkehrs noch nicht möglich gewesen ist; das aber durfte sie nicht.

Selbst wenn der Beklagte fehlerhaft den rechten Blinkgeber gesetzt hätte und losgefahren wäre, was die Klägerin zudem nicht bewiesen hat, durfte sie wegen der gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht davon ausgehen, dass der Beklagte die B 100 nicht in ihre Richtung benutzen werde. Sie wäre vielmehr gehalten gewesen sorgfältig zu beobachten, wie sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1. bewegt und ob es nicht dennoch in ihre Richtung fährt. Das gilt hier um so mehr, als bereits die Dunkelheit eingesetzt hatte, die Sichtverhältnisse trotz Beleuchtung der Kreuzung wegen des neblig-trüben Wetters nicht gut waren und sie auch mit ihrer eigenen schlechten Erkennbarkeit rechnen musste; denn durch den nach dem behaupteten Halt vorgenommenen Anfahrtsvorgang war ihre Fahrradbeleuchtung nach vorn unzureichend.

Da demnach den Beklagten zu 1. an dem Unfall kein Verschulden trifft, haftet er der Klägerin nicht auf Schmerzensgeld und ist die auf unerlaubte Handlung gestützte Feststellungsklage nicht begründet; eine Ersatzpflicht des Beklagten zu 1. ist nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG ausgeschlossen.

Mangels Verschulden des Beklagten zu 1. ist eine Haftung der Beklagten zu 2. und 3. auf Schmerzensgeld ausgeschlossen und ist der auf unerlaubte Handlung gestützte Feststellungsantrag abzuweisen.

Allerdings trifft die Beklagten zu 2. und 3. die aus der Gefährdungshaftung des StVG folgende Pflicht auf Ersatz des der Klägerin entstandenen materiellen Schadens (§ 7 StVG, § 3 PflVG). Denn die Beklagte zu 2. hat nicht vermocht, den ihr obliegenden Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG zu führen. Denn aus ihrem Vortrag lässt sich bei der Anlegung des strengen Sorgfaltsmaßstabes des § 7 Abs. 2 StVG nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Beklagte zu 1. die Klägerin vielleicht doch zu einem früheren Zeitpunkt hätte bemerken und bei besonders sachgemäßem, geistesgegenwärtigem Handeln über den allgemeinen Maßstab hinaus (sog. Idealfahrer) noch früher abbremsen oder gar ausweichen können, sodass es nicht zu einem Anstoß der Klägerin an das bereits stehende Fahrzeug gekommen wäre. Für die Gefährdungshaftung aus § 7 StVG genügt bereits eine verbleibende Ungewissheit auf Beklagtenseite (vgl. BGH VersR 1982, 441).

Allerdings ist bei der vorzunehmenden Abwägung nach § 9 StVG und § 254 BGB neben der vom im Betriebe befindlichen Fahrzeug der Beklagten zu 2. ausgehenden Betriebsgefahr die sehr erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung der Klägerin zu berücksichtigen, die nach Auffassung des Senats zur Haftungsminderung der Beklagten zu 2. und 3. auf 20 % führen muss. Für einen größeren Haftungsanteil ist nichts zu Tage getreten.

Hinsichtlich der Höhe des Schadens folgt der Senat dem Landgericht ohne Einschränkung. Die Berufung hat hiergegen auch nichts Beachtenswertes erinnert. Der an die Klägerin zu zahlende Betrag beträgt 648,52 DM (20 % von 3.242,58 DM).

Die weiteren Entscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Eine Kostenbeteiligung der Beklagten zu 2. und 3. scheidet wegen des unbeachtlichen Obsiegensteils der Klägerin aus.



Ende der Entscheidung

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