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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 23.05.2003
Aktenzeichen: 3 WF 76/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 323
ZPO § 323 Abs. 1
ZPO § 323 Abs. 4
ZPO § 568
Wird ein Unterhaltstitel ohne Beteiligung oder Zustimmung des Gläubigers geschaffen, findet auf diese Titel § 323 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 ZPO keine Anwendung, denn die Urkunde entfaltet weder prozessuale noch materiell-rechtliche Bindungen, so dass es dem unterhaltsberechtigten Kind freisteht, höheren Unterhalt zu verlangen ohne Bindung an den schon bestehenden Titel (im Anschluss an OLG Hamm in FamRZ 1999, 794; OLG Köln in FamRZ 2001, 1716).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

3 WF 76/03 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Amtsgericht Harms - als Einzelrichter - gemäß § 568 ZPO am 23. Mai 2003 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Zerbst vom 17.04.2003 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 09.05.2003 (Az.: 7 F 78/03) wird auf seine Kosten (§ 97 Abs. 1 ZPO, § 1 GKG, Nr. 1956 Anlage GKG) zurückgewiesen.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird diesem in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Zerbst vom 17.04.2003 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 09.05.2003 (Az.: 7 F 78/03) für den ersten Rechtszug in vollem Umfang für den Antrag aus der Klageschrift vom 11.02.2003 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. Sch. aus D. bewilligt.

3. Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Klägers ergeht gerichtsgebührenfrei.

4. Außergerichtliche Auslagen der Beteiligten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Verteidigung des Beklagten gegen die Klage verspricht nämlich keine Aussicht auf Erfolg.

Die Auffassung des Beklagten, die Voraussetzungen einer Abänderungsklage seien vom Kläger nicht vorgetragen, geht fehl. Auf eine wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die bisherige Unterhaltsbemessung maßgebend waren, kommt es nämlich vorliegend nicht an, denn mit der Urkunde des Jugendamtes des Landkreises Sch. über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung vom 09.10.1996 (Urk.-Reg.-Nr. 330/1996) liegt ein Unterhaltstitel vor, durch den der Beklagte die Unterhaltspflicht durch einseitiges Schuldbekenntnis gegenüber dem Kläger ohne Beteiligung der Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin des Klägers übernommen hat. Auf derartige Unterhaltstitel findet § 323 Abs. 4 ZPO in Verbindung mit § 323 Abs. 1 ZPO keine Anwendung, denn die Urkunde entfaltet weder prozessuale noch materiell-rechtliche Bindungen, so dass es dem unterhaltsberechtigten Kind freisteht, höheren Unterhalt zu verlangen (OLG Hamm FamRZ 1999, 794; OLG Köln FamRZ 2001, 1716 f.). Begehrt in einem solchen Fall der Unterhaltsberechtigte über den titulierten Unterhalt hinaus zusätzlichen Unterhalt, so kann er eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO mit der Möglichkeit einer von dem abzuändernden Titel unabhängigen Neufestsetzung des Unterhalts erheben (OLG Köln aaO).

Auch der Einwand des Beklagten, wegen Fahrtkosten von monatlich 308,-- € und Pkw-Kreditkosten von monatlich 368,74 € nicht für den verlangten Unterhalt leistungsfähig zu sein, da er berufsbedingt auf die Benutzung eines privaten Pkw angewiesen sei, greift nicht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Amtsgerichts sind nämlich zunächst die vom Beklagten geltend gemachten Kosten monatlich für regelmäßige Wochenendheimfahrten des Beklagten von R. aus nach B. und zurück (einfache Entfernung ca. 350 km) nicht abzugsfähig. Der Beklagte ist dem minderjährigen Kläger gegenüber gesteigert unterhaltspflichtig. Zwar ist es trotz gesteigerter Unterhaltspflicht einem Unterhaltsschuldner nicht generell verwehrt, sich auf erhöhte Fahrtkosten zu berufen, weil auf Dauer nicht in die Lebensplanung des Unterhaltspflichtigen eingegriffen werden kann (OLG Hamm FamRZ 2001, 46). Etwas anderes gilt aber dann, wenn - anders als im angeführten Fall des OLG Hamm, in dem eine einfache Strecke von 27 km zu beurteilen war - außergewöhnlich hohe Fahrtkosten in Ansatz gebracht werden sollen. Sofern die Kosten der Pkw-Nutzung einen hohen, unverhältnismäßigen Aufwand verursachen, durch den angemessene Unterhaltsleistungen ausgeschlossen werden, ist zu prüfen, ob vom Unterhaltspflichtigen nicht ein Wechsel des Wohnortes erwartet werden kann (BGH FamRZ 1998, 1501 ff. = NJW-RR 1998, 721 ff.; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rn. 937; Mittendorf in: Eschenbruch, Der Unterhaltsprozess, Rn. 5509). So liegen die Dinge auch hier, denn Fahrtkosten von monatlich 308,-- € würden das Nettoeinkommen des Beklagten von monatlich 1.330,05 € (ermittelt auf der Grundlage der Einkünfte des Jahres 2001 als letztes abgelaufenes Kalenderjahr vor dem Zeitpunkt, ab dem höherer Unterhalt begehrt wird [September 2002]) zu ca. 23 % aufzehren.

Der Beklagte hat keine zwingenden Motive für den Verbleib seines Wohnsitzes in B. dargelegt. Eine Unzumutbarkeit eines Umzugs mit seiner jetzigen Ehefrau und dem Kind aus seiner jetzigen Ehe, C. W. , nach R. , hat er nicht vorgetragen. Im Interesse der Erfüllung seiner gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger ist er zu einem Wechsel seines Wohnsitzes nach R. zwecks Reduzierung berufsbedingter Fahrtkosten gehalten.

Aus den vorbezeichneten Gründen scheidet auch eine einkommensmindernde Berücksichtigung der Pkw-Kreditraten aus, zumal auch nicht dargelegt ist, in welchem Umfang der Pkw privat genutzt wird, denn eine Berücksichtigung von Pkw-Kreditraten käme allenfalls - die Unzumutbarkeit eines Umzugs nach R. vorausgesetzt - im Umfang der beruflich notwendigen Nutzung in Betracht.

Nach derzeitiger Sachlage ist der Beklagte als leistungsfähig anzusehen.

II.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers war der angefochtene Beschluss abzuändern, denn die Klage erscheint vollumfänglich erfolgversprechend.

Der Senat teilt zwar die Ansicht des Amtsgerichts, der Vortrag des Klägers, der Beklagte erhalte weitere Zahlungen seines Arbeitgebers, die in den Gehaltsabrechnungen nicht aufgeführt seien, sei unsubstantiiert.

Jedoch vermag der Senat dem Amtsgericht nicht zu folgen, soweit es im angefochtenen Beschluss für die Zeit ab 01.07.2003 zu einer Mangelfallberechnung gelangt, die es damit begründet, der Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern werde sich auf ca. 800,-- € erhöhen. Abgesehen davon, dass diese Annahme zur Zeit noch spekulativen Charakter hat, kann sie bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe keine Rolle spielen, denn maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist grundsätzlich der der Beschlussfassung (Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 119 Rn. 44; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 119 Rn. 4, jeweils mwN). Es konnte daher im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers am 17.04.2003 nicht schon für die Zeit ab 01.07.2003 auf unterhaltsrechtliche Leitlinien abgestellt werden, die bislang lediglich im Entwurf vorliegen und insbesondere noch keine endgültige Festlegung auf den notwendigen Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern enthalten. Daher ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand auch für die Zeit ab 01.07.2003 keine Mangelfallberechnung erforderlich. Nach Bekanntmachung neuer unterhaltsrechtlicher Leitlinien mag dies in der Hauptsache anders zu beurteilen sein.

III.

Die Kostenentscheidungen zu Ziff. 3 und 4 des folgen aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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