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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 4 U 111/03
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 3
Während im Versicherungsrecht nach herrschender Meinung bei der Frage der Eintrittspflicht des Versicherers dieser lediglich die objektive Obliegenheitsverletzung und der Versicherungsnehmer gemäß § 6 Abs. 3 VVG sodann beweisen muss, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat (vgl. Prölss/Martin, VVG 26. Aufl., § 6 Rn. 124), trifft im Rückforderungsprozess die Versicherung die Beweislast für das Fehlen des Rechtsgrundes im Sinne von § 812 BGB (vgl. Prölss/Martin a.a.O., Rn. 127 m. zahlreichen Nachw. auch zur Gegenauffassung). Aus § 6 Abs. 3 VVG lässt sich nichts anderes herleiten. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG ändert nichts daran, dass das relevante Verschulden (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) Tatbestandsvoraussetzung für die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit ist; der Bereicherungsgläubiger hat daher grundsätzlich zu beweisen, dass der Bereicherungsschuldner vorsätzlich gehandelt hat, aus dem Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 VVG ergibt sich keine von diesem Grundsatz abweichende Beweislastverteilung (BGH VersR 95, 281, 282).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 111/03 OLG Naumburg

verkündet am: 16.10.2003

In dem Rechtsstreit

...

wegen Rückforderung einer Versicherungsleistung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Richters am Oberlandesgericht Feldmann, der Richterin am Oberlandesgericht Mertens und der Richterin am Landgericht Göbel auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. Mai 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Parteien übersteigt 20.000,-- EUR nicht. Der Streitwert für den Berufungsrechtsstreit wird auf 10.044,84 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 ZPO in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung erbrachter Versicherungsleistungen in Anspruch.

Der Beklagte unterhielt bei der Klägerin eine Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung, welcher die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AERB 87) zu Grunde lagen. Am 24.11.2001 wurde in die Geschäftsräume des Beklagten eingebrochen. Während der Besichtigung des Tatorts gab der Beklagte gegenüber der Polizei an, es seien nach erstem Überblick aus der Kasse DM 300,00 sowie Reinigungsmittel und Neonröhren entwendet worden; den Sachschaden bezifferte er gegenüber der Polizei auf ca. DM 15.000,00 und kündigte an, eine Schadensliste nachzureichen.

Der Beklagte zeigte den Vorfall der Klägerin am 27.11.2001 an und übersandte ihr am 28.11.2001 per Fax eine Liste mit den gestohlenen Gegenständen. Am 18.12.2001 überprüfte ein Schadensregulierer der Klägerin vor Ort den Schadensumfang und legte gemeinsam mit dem Beklagten anhand der vorgelegten Liste die Schadensbeträge genauer fest. Insgesamt wurde eine Summe von DM 19.645,70 (= 10.044,69 EUR) ermittelt. Diesen Betrag (unstreitig gar 10.044,84 EUR) zahlte die Klägerin sodann auch an den Beklagten aus. Am 11.01.2002 bat der Beklagte die Klägerin um Übersendung der Schadensaufstellung; ebenso forderte das den Beklagten betreuende Maklerbüro diese Liste unter dem 21.02.2002 bei der Klägerin mit dem Bemerken an, man benötige sie zur Vorlage bei der Polizei. Die Klägerin kam dem nach und übersandte dem Beklagten die Liste am 23.01.2002 per Fax und dem Maklerbüro am 25.02.2002.

Nach Einsicht in die Ermittlungsakten forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 07.08.2002 zur Rückzahlung der Versicherungsleistung (DM 19.645,70) auf, was dieser am 23.08.2002 ablehnte.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die ihn nach den Versicherungsbedingungen treffende Obliegenheit zur unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste gegenüber der Polizei verletzt. In der Ermittlungsakte befinde sich, was unstreitig ist, lediglich die Liste, welche sie dem Beklagten unter dem 23.01.2002 zugefaxt habe. Hieraus ergebe sich, dass der Beklagte erst nach diesem Zeitpunkt und damit nicht unverzüglich seiner Vorlagepflicht gegenüber der Polizei nachgekommen sei. Zudem habe der Beklagte wiederholt falsche Angaben gemacht. So habe er den Schaden gegenüber der Polizei als gering, ihr gegenüber jedoch als erheblich dargestellt und sie zudem wiederholt glauben machen wollen, er habe der Polizei bereits frühzeitig eine Stehlgutliste übersandt. Auf Grund dieser Obliegenheitsverletzungen sei sie leistungsfrei geworden, sodass ihre Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.044,84 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 07.08.2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, er habe bereits am 27.11.2001 eine Stehlgutliste per Telefax an die Polizei übersandt. Er habe dann später die von der Klägerin geführte Liste ebenfalls noch der Polizei vorgelegt, weil darin gegenüber der ursprünglichen Liste Änderungen vorgenommen worden seien. Dies habe für die polizeiliche Ermittlungstätigkeit jedoch keinerlei Bedeutung mehr gehabt.

Das Landgericht hat zur Übersendung der Stehlgutliste am 27.11.2001 Zeugenbeweis erhoben und zudem die amtlichen Ermittlungsakten (351 UJs 9549/02 StA Dessau) beigezogen. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Zwar könne nicht als bewiesen angesehen werden, dass der Beklagte die Stehlgutliste unverzüglich bei der Polizei eingereicht habe. Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe jedoch fest, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe. Die Zeugin habe bestätigt, dass sie vom Beklagten den Auftrag erhalten habe, die Liste an die Polizei zu faxen. Der Beklagte habe ihr einen Zettel mit Anschrift und Faxnummer überreicht, und an diesen Anschluss habe sie die Liste wenige Tage (am Dienstag) nach dem Einbruch gefaxt. Vor diesem Hintergrund stehe fest, dass ein eventuelles Fehlverhalten des Beklagten oder der Zeugin allenfalls den Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit rechtfertige. Selbst wenn man aber von grober Fahrlässigkeit ausgehen wolle, so sei die Klägerin gleichwohl nicht leistungsfrei, weil die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Versicherungsleistung gehabt habe. Aus den Ermittlungsakten sei ersichtlich, dass die Polizei selbst nach Eingang der Stehlgutliste keine Maßnahmen unternommen habe, um nach den entwendeten Gegenständen zu fahnden. Dies sei insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Seriennummern der Geräte nicht bekannt gewesen seien. Dieses Problem hätte sich jedoch auch bei frühzeitiger Vorlage der Liste ergeben.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie meint, das Landgericht habe die Beweislast für die Erfüllung der Obliegenheit, das Verschulden und die fehlende Kausalität verkannt. Die Kammer sei zudem voreingenommen gewesen, was insbesondere daraus ersichtlich sei, dass sie dem erstmals nach der mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisangebot (Zeugnis H. ) nachgegangen sei und die mündliche Verhandlung verfahrensfehlerhaft wiedereröffnet habe. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die Stehlgutliste bei ihr bereits am 23.01.2002 angefordert habe; dann könne es nicht richtig sein, dass der Beklagte erst am 25.02.2002 von der Polizei zur Vorlage der Liste aufgefordert worden sei, wie er im Schriftsatz vom 17.01.2003 behauptet habe. Zudem habe der Beklagte grob fahrlässig gehandelt, da er sich nicht vergewissert habe, dass er der Zeugin H. auch die richtige Faxnummer gegeben und sie nicht hinreichend kontrolliert habe. Auch habe er es unterlassen, bei der Polizei nachzufragen, ob die Liste angekommen sei bzw. ob Ergänzungen notwendig seien.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.044,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2002 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

1.

Die gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO; die Berufungssumme ist erreicht, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

2.

Sachlich ist das Rechtsmittel jedoch nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Rückforderungsanspruch, der sich lediglich aus § 812 Abs. 1 BGB ergeben kann, nicht zu. Denn die Klägerin hat die Entschädigungszahlung an den Beklagten nicht ohne rechtlichen Grund geleistet.

a) Insbesondere war die Klägerin nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung gemäß § 13 Nr. 2 Satz 1 AERB 87 (nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG) von ihrer Leistungspflicht befreit.

aa) Es kann schon nicht festgestellt werden, dass der Beklagte entgegen § 13 Nr. 1 lit. b AERB 87 nicht unverzüglich der Polizei eine Stehlgutliste vorgelegt hat. Bereits diese Obliegenheitsverletzung hat die Klägerin nicht bewiesen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist im Rückforderungsprozess sie und nicht der Beklagte sowohl für die Obliegenheitsverletzung als auch für das relevante Verschulden und die Kausalität beweispflichtig. Während im Versicherungsrecht nach herrschender Meinung bei der Frage der Eintrittspflicht des Versicherers dieser lediglich die objektive Obliegenheitsverletzung und der Versicherungsnehmer gemäß § 6 Abs. 3 VVG sodann beweisen muss, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat (vgl. Prölss/Martin, VVG 26. Aufl., § 6 Rn. 124), trifft im Rückforderungsprozess die Versicherung die Beweislast für das Fehlen des Rechtsgrundes im Sinne von § 812 BGB (vgl. Prölss/Martin a.a.O., Rn. 127 m. zahlreichen Nachw. auch zur Gegenauffassung). Aus § 6 Abs. 3 VVG lässt sich nichts anderes herleiten. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG ändert nichts daran, dass das relevante Verschulden (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) Tatbestandsvoraussetzung für die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit ist; der Bereicherungsgläubiger hat daher grundsätzlich zu beweisen, dass der Bereicherungsschuldner vorsätzlich gehandelt hat, aus dem Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 VVG ergibt sich keine von diesem Grundsatz abweichende Beweislastverteilung (BGH VersR 95, 281, 282).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht steht jedoch keinesfalls fest, dass die Zeugin H. die Stehlgutliste nicht an die Polizei gefaxt hat und die Liste deshalb nicht dort eingetroffen ist. Der Umstand, dass das Fax vom 27.11.2001 letztlich nicht zur Ermittlungsakte gelangt ist, rechtfertigt nicht den zwingenden Schluss darauf, dass die Liste nicht bei der Polizei eingegangen ist. Ebenso wenig schließt der Umstand, dass eine Stehlgutliste erstmals nach mehr als zwei Monaten zu den Ermittlungsakten gelangt ist, aus, dass sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei der Polizei eingegangen war. So ist es ohne weiteres denkbar, dass die Polizei zu einem späteren Zeitpunkt das Fehlen der Liste in der Ermittlungsakte bemerkt und sie bei dem Beklagten angefordert hat, woraufhin dieser die von der Klägerin abgerufene Liste übersandt hat.

bb) Darüber hinaus hat die Klägerin nicht bewiesen, dass der Beklagte die - unterstellte - Obliegenheitsverletzung zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat. Im Gegenteil spricht die Darstellung der Zeugin H. dafür, dass allenfalls normale Fahrlässigkeit dazu geführt haben mag, dass die Liste eventuell nicht schon am 27.11.2001 bei der Polizei eingegangen ist (z. B. durch Eingabe der falschen Faxnummer, Verwählen der Zeugin und dergleichen). Dass der Beklagte die Zeugin nicht genauer kontrolliert und auch eine Nachfrage bei der Polizei zum Eingang der Liste unterlassen hat, rechtfertigt den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht.

Auf die Frage, ob die Vorlage der Liste überhaupt Einfluss auf die Ermittlungstätigkeit der Polizei gehabt hat, kommt es somit nicht mehr an.

b)

Der Beklagte hat auch keine sonstige Obliegenheit etwa durch unrichtige Angaben gegenüber der Versicherung verletzt. Wenn er unmittelbar am Tatort lediglich den Verlust des Kassenbestandes sowie der Neonröhren und Putzmittel angesprochen hat, so waren diese Angaben ersichtlich nur vorläufiger Art ("nach erstem Überblick"), zumal er die Vorlage einer Liste abhanden gekommener Gegenstände sogleich angekündigt hat.

Da die Klägerin das Fehlen des Rechtsgrundes im Sinne von § 812 BGB daher nicht bewiesen hat, steht ihr ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu. Ihre Berufung ist somit unbegründet.

3.

Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch das Landgericht war auch nicht verfahrensfehlerhaft. Denn das Landgericht hat den Parteien erst mit Beschluss vom 01.04.2003, also nach der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2003, einen rechtlichen Hinweis insbesondere zur Beweislast gegeben. Zu diesem Zeitpunkt lag das Beweisangebot des Beklagten auf Vernehmung der Zeugin H. zur Übersendung der Stehlgutliste am 27.11.2001 bereits vor. Da dieser Vortrag nach Auffassung der Kammer erheblich war, musste die mündliche Verhandlung zwangsläufig wiedereröffnet werden.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Streitwert und Beschwer sind gemäß §§ 2, 3, 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt worden. Für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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