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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: 4 U 120/01
Rechtsgebiete: StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 224
BGB § 847
BGB § 827
BGB § 830 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 840 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 97
ZPO § 96
ZPO § 511
ZPO § 516
ZPO § 518
ZPO § 519
ZPO § 521
ZPO § 344
ZPO § 713
ZPO § 522 a
ZPO § 511 a
ZPO § 100 Abs. 4
ZPO § 708 Nr. 10
Zur Höhe des Schmerzensgeldes:

Für die Bemessungsgrundlage (vgl. hierzu BGH 18, 149) ist zunächst von Bedeutung, daß der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat und sich an einer - nicht nur abstrakt, sondern konkret - besonders gefährlichen Straftat beteiligt hat. Von Bedeutung ist weiter, dass von dem Kläger keinerlei Anlass oder gar Provokation ausgegangen ist und die Straftat bei allen drei Beklagten als Ausdruck einer stark ausgeprägten Aggressionsbereitschaft zu werten ist.

Von großer Bedeutung sind ferner die Verletzungen, die dem Kläger zugefügt worden sind. Der erlittene Schädelbasisbruch stellt eine lebensgefährliche Verletzung dar, der Tinnitus und die weiteren Dauerfolgen (Atmungserschwerung, Beeinträchtigung der Schalleitung, Schwindelgefühl) eine beachtliche Beeinträchtigung. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft erklärt, dass er nach dem Durchlaufen einer zusätzlichen Ausbildung als Bausachverständiger tätig sei und dass es ihm aufgrund des auch jetzt noch gelegentlich auftretenden Schwindelgefühls nicht möglich ist, Baugerüste zu betreten. Lediglich die bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen der Beklagte zu 3) lebt, stellen bei der Schmerzensgeldbemessung ein Argument zu seinen Gunsten dar. Unter Abwägung dieser Bemessungsgesichtspunkte erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000.- DM, wie es auch den beiden anderen (in ebenso bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden) Tätern gesamtschuldnerisch auferlegt worden ist, als angemessen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 120/01 OLG Naumburg

verkündet am: 13. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeldes wegen Körperverletzung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Klußmann, des Richters am Oberlandesgericht Feldmann und der Richterin am Oberlandesgericht Mertens

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 13. Juni 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlußberufung des Klägers wird das am 13. Juni 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg geändert und wie folgt neu gefaßt:

Das Versäumnisurteil des Landgerichts Magdeburg vom 29. November 2000 wird gegen den Beklagten zu 3) aufrechterhalten.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Beklagten vorweg die Kosten ihrer Säumnis als Gesamtschuldner; im übrigen werden den Beklagten die Kosten als Gesamtschuldner zu 8/9 und dem Beklagten zu 3) allein zu 1/9 auferlegt.

Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte zu 3).

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für den Beklagten zu 3) 30.000.- DM.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld aufgrund einer vorsätzlichen Körperverletzung.

Der Kläger, der seinerzeit in C. als Pflasterarbeiter tätig war, suchte am Abend des 4. März 1997 die Gaststätte "S. " in C. auf. Er trank, wie die anderen Gäste auch, Alkohol. Am Nachbartisch saßen u. a. die drei Beklagten. Der Kläger war so plaziert, daß er ihnen den Rücken zuwendete; irgendein Gespräch zwischen ihm und den Beklagten fand im Laufe des Abends nicht statt.

Gegen 0.15 Uhr (5. März 1997) erhoben sich die drei Beklagten. Dem Kläger wurde der Stuhl weggezogen, er fiel zu Boden und erhielt Tritte und Schläge gegen den Kopf. Er erlitt eine Schädelbasisfraktur, Trommelfellperforation, dislozierte Nasenbeinfraktur und ein Schädelhirntrauma 2. Grades. Als Dauerfolgen ergaben sich mittelgradige Schalleitungsschwerhörigkeit und Tinnitus des linken Ohres, atrophische Narbe des linken Trommelfells, Beeinträchtigung der Nasenatmung und gelegentlicher Schwindel, welcher den Kläger bei der Berufsausübung als Bausachverständiger beeinträchtigt.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 1) wurde im Hinblick auf andere Strafverfahren (wegen Raubes u. a.) eingestellt. Die Beklagten zu 2) und 3) wurden vom Amtsgericht Schönebeck am 13. April 1999 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt; sie nahmen das Urteil an (6 Ds 312/98; 225 Js 11780/97 StA Magdeburg).

Der Kläger hat behauptet, alle drei Beklagten hätten auf ihn eingeschlagen oder eingetreten. Er hat ein Schmerzensgeld von 30.000.- DM für angemessen gehalten und gegen die drei Beklagten ein entsprechendes Versäumnisurteil vom 29. November 2000 erwirkt. Der Beklagte zu 3) hat sich gegen das Versäumnisurteil mit dem Einspruch gewandt und hat beantragt,

das Versäumnisurteil gegen ihn aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil gegen den Beklagten zu 3) aufrechtzuerhalten.

Der Einzelrichter der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat nach Beweisaufnahme (Vernehmung der Gastwirtin S. Sch. zum Tathergang) das Versäumnisurteil gegen den Beklagten zu 3) in Höhe von 20.000.- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. September 2000 aufrechterhalten und die weitergehende Klage unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hafte der Beklagte zu 3) zumindest als Gehilfe auf Schmerzensgeld.

Gegen diese Entscheidung, die ihm am 27. Juni 2001 zugestellt worden ist, hat der Beklagte zu 3) am 27. Juli 2001 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach beantragter und bis zum 10. September 2001 bewilligter Fristverlängerung am 7. September 2001 begründet.

Der Beklagte beanstandet die Beweiswürdigung des Landgerichts und beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern, das Versäumnisurteil gegen ihn aufzuheben und die Klage gegen ihn abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

mit seiner am 22. November 2001 eingereichten Anschlußberufung beantragt er,

das angefochtene Urteil zu ändern und das Versäumnisurteil vom 29. November 2000 gegen den Beklagten zu 3) aufrechtzuerhalten.

Er verfolgt seinen Schmerzensgeldanspruch, wie er durch das Versäumnisurteil der 5. Zivilkammer festgesetzt worden ist, in voller Höhe weiter. Er vertritt die Ansicht, daß - insbesondere, weil eine vorsätzliche Tat zugrundeliege - ein Schmerzensgeld von 30.000.- DM angemessen sei.

Der Beklagte zu 3) beantragt,

die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen, das angefochtene Urteil sowie auf die Ablichtungen aus der Strafakte gegen die Beklagten, insbesondere auf die in der mündlichen Verhandlung informatorisch erörterte polizeiliche Aussage des inzwischen verstorbenen Gastwirts H. K. verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten zu 3) ist zulässig; denn sie ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten Frist begründet worden (§§ 511, 511 a, 516, 518, 519 ZPO). Auch die unselbständige Anschlußberufung ist zulässig (§§ 521, 522 a ZPO).

Sachlich ist das Rechtsmittel des Beklagten zu 3) nicht gerechtfertigt, während die Anschlußberufung in vollem Umfang erfolgreich ist.

Zum Haftungsgrund:

Der Beklagte zu 3) haftet als Mittäter (§ 830 Abs. 2 BGB) der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 224 StGB) dem Kläger auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB).

Daß der Beklagte zu 3) - zumindest - als Gehilfe der von den beiden anderen Beklagten begangenen gefährlichen Körperverletzung anzusehen ist, hat das Landgericht anhand der Vernehmung der Zeugin Sch. mit zutreffenden Gründen festgestellt. Eine nochmalige Vernehmung dieser Zeugin erschien nicht erforderlich; denn ihre Bekundung stimmt - wie der Senat durch die informatorische Erörterung der polizeilichen Aussage des verstorbenen Zeugen K. festgestellt hat - in sämtlichen wesentlichen Punkten mit dessen Bekundung überein und entspricht in vollem Umfang dem Tathergang, wie er auch im Strafverfahren festgestellt worden ist. Abweichungen in unwesentlichen Details sprechen eher für die Zuverlässigkeit der Schilderungen, soweit es um die wesentlichen Fragen der Tatbeteiligung geht. An der Tatbeteiligung des Beklagten zu 3) bestehen danach keinerlei Zweifel: Die Wirtin, Frau Sch. , welche in dem kleinen (ca. 20 qm) Gastraum an der Theke in der Mitte stand, konnte das Geschehen gut überblicken und hat bei der Polizei, beim Strafrichter und beim Einzelrichter im vorliegenden Verfahren die Tatbeteiligung des Beklagten zu 3) bezeugt ("Alle standen um Sr. herum und haben irgendetwas gemacht. Keiner stand abseits. Da bin ich mir ganz sicher. Ich kann mich noch erinnern, daß ich hinterher zu Herrn B. gesagt habe, daß ich enttäuscht von ihm sei."). Die früheren Aussagen im Strafverfahren - zeitlich näher am Vorfall - sind eher noch eindeutiger.

Soweit der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 3) aufgrund einer persönlichen Kontaktaufnahme mit der Zeugin Sch. vorträgt, die Zeugin habe jetzt eine abweichende Darstellung gegeben, ergibt sich daraus für den erkennenden Senat kein verwertbares Argument, die Zeugin erneut zu vernehmen. Vielmehr bewertet der Senat die Darstellung des Beklagten zu 3), der gesamte Vorfall habe sich hinter seinem Rücken abgespielt, er sei daran in keiner Weise beteiligt gewesen, als frei erfundene Schutzbehauptung.

Da der Beklagte zu 3) - mindestens - Gehilfe der Straftat war, steht er gemäß § 830 Abs. 2 BGB einem Mittäter gleich und haftet gesamtschuldnerisch mit den anderen Beklagten auf Schadensersatz (§ 840 Abs. 1 BGB), insbesondere auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB). Ein Ausschluß der Verantwortlichkeit (§ 827 BGB) ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit der Beklagte zu 3) unter Alkoholeinfluß stand, hat dies seine Schuldfähigkeit nicht vermindert.

Zur Höhe des Schmerzensgeldes:

Für die Bemessungsgrundlage (vgl. hierzu BGH 18, 149) ist zunächst von Bedeutung, daß der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat und sich an einer - nicht nur abstrakt, sondern konkret - besonders gefährlichen Straftat beteiligt hat. Von Bedeutung ist weiter, daß von dem Kläger keinerlei Anlaß oder gar Provokation ausgegangen ist und die Straftat bei allen drei Beklagten als Ausdruck einer stark ausgeprägten Aggressionsbereitschaft zu werten ist.

Von großer Bedeutung sind ferner die Verletzungen, die dem Kläger zugefügt worden sind. Der erlittene Schädelbasisbruch stellt eine lebensgefährliche Verletzung dar, der Tinnitus und die weiteren Dauerfolgen (Atmungserschwerung, Beeinträchtigung der Schalleitung, Schwindelgefühl) eine beachtliche Beeinträchtigung. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft erklärt, daß er nach dem Durchlaufen einer zusätzlichen Ausbildung als Bausachverständiger tätig sei und daß es ihm aufgrund des auch jetzt noch gelegentlich auftretenden Schwindelgefühls nicht möglich ist, Baugerüste zu betreten. Lediglich die bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen der Beklagte zu 3) lebt, stellen bei der Schmerzensgeldbemessung ein Argument zu seinen Gunsten dar. Unter Abwägung dieser Bemessungsgesichtspunkte erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000.- DM, wie es auch den beiden anderen (in ebenso bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden) Tätern gesamtschuldnerisch auferlegt worden ist, als angemessen.

Der Zinsanspruch ist nicht angegriffen und daher ohne Nachprüfung zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 344, 91, 97, 100 Abs. 4 ZPO, wobei dem Beklagten zu 3), der am erstinstanzlichen Verfahren nach Erlaß des Versäumnisurteils allein beteiligt war, gemäß § 96 ZPO ein größerer Teil der Kosten des ersten Rechtszuges auferlegt worden ist als den anderen beiden Beklagten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Ein Anlaß, die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich. Der Wert der Beschwer ist gemäß §§ 2, 3, 546 ZPO festgesetzt worden.

Ende der Entscheidung

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