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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 04.03.2004
Aktenzeichen: 4 U 159/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 426 Abs. 2
Ein Ausgleichsanspruch des Versicherers gegen den Versicherungsunternehmer gem. § 426 Abs 2 BGB scheitert bei einer Obliegenheitsverletzung durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort allenfalls dann, wenn diese als entschuldbar angesehen werden kann.

Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn sich der Versicherungsnehmer nach einem Unfall in der Vornacht erst am Nachmittag des nächsten Tags bei der Polizei meldet.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 159/03

verkündet am: 04. März 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Rückzahlung von Versicherungsleistungen und Feststellung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Klußmann, des Richters am Oberlandesgericht Feldmann und der Richterin am Oberlandesgericht Mertens

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 11. September 2003 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer und Streitwert für den Berufungsrechtszug: bis 6.000.- Euro.

Gründe:

I.

Der Beklagte unterhielt bei der Klägerin eine Auto-Haftpflicht- und Kaskoversicherung. Er erlitt während der Versicherungszeit folgende Unfälle:

a) am 7. April 2000,

b) am 9. Juni 2000,

c) am 1. Oktober 2000, gegen 0.40 Uhr, W. , L. : Auffahren auf einen geparkten Pkw.

Wegen der Unfälle zu b) und c) wurde der Beklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt (BA 961 Js 85773/00 StA Magdeburg, Zweigstelle Halberstadt). Nach dem dritten Unfall kündigte die Klägerin die Versicherung und teilte der neuen Versicherung des Beklagten mit, es hätten drei belastende Schadensfälle vorgelegen.

Die Klägerin hat wegen des Unfalles am 1. Oktober 2000 die gegenüber dem Unfallgegner erbrachten Haftpflichtleistungen in Höhe von 1.578,20 EUR und die dem Beklagten erbrachten Kaskoleistungen in Höhe von 3.962,51 EUR (insgesamt 5.540,71 EUR) zurückgefordert und hat auf das vorsätzliche Entfernen vom Unfallort als Obliegenheitsverletzung verwiesen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.540,71 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2003 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

widerklagend,

die Klägerin zu verurteilen, die ihr als Vorversicherer gegenüber dem Nachversicherer gem. § 5 Abs. 7 PflVersG obliegende Mitteilung dahin abzuändern, daß der Vertrag bei der Klägerin mit einem belastenden Haftpflichtschaden endete.

Er hat vorgetragen, daß wegen des Schadensfalles am 7. April 2000 eine Mitteilung nicht erfolgen dürfe, da er an dem Unfall nicht beteiligt gewesen sei, jedenfalls nichts davon bemerkt habe; ein entsprechendes Ermittlungsverfahren sei mangels Tatnachweises eingestellt worden, und die Klägerin habe den Schaden pflichtwidrig reguliert. Auch der Schadensfall vom 9. Juni 2000 dürfe nicht in der Mitteilung zugrundegelegt werden.

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat durch das am 11. September 2003 verkündete Urteil der Klage in vollem Umfang stattgegeben: Dem Beklagten stehe wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung für den Unfall am 1. Oktober 2000 Versicherungsschutz nicht zu. Die Widerklage hat das Landgericht wegen der Meldung des Vorfalles vom 9. Juni 2000 für begründet erachtet (dieser Unfall müsse nicht gemeldet werden) und sie wegen des Unfalles am 7. April 2000 abgewiesen: Dieser Unfall sei vom Beklagten verursacht worden; die Einstellung des Ermittlungsverfahrens sei lediglich deswegen erfolgt, weil nicht habe festgestellt werden können, daß der Beklagte den Unfall bemerkt habe. Dagegen stehe die Tatsache der Unfallverursachung durch den Beklagten fest (kompatible Abriebspuren). Daher seien seitens der Klägerin zwei Unfälle (7. April 2000 und 1. Oktober 2000) an den Nachversicherer zu melden.

Gegen diese Entscheidung, die ihm am 22. September 2003 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 20. Oktober 2003 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel - nach entsprechend beantragter und bewilligter Fristverlängerung - am 5. Dezember 2003 begründet.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,

auf die Widerklage

die Klägerin zu verurteilen, ihre Mitteilung an den Nachversicherer, C. AG , dahin abzuändern, daß der Vertrag bei der Klägerin (Vers.-Nr. ... ) mit einem belastenden Schaden endete.

Er trägt vor, den Schaden vom 1. Oktober 2000 am nächsten Tag der Klägerin mitgeteilt und sich anschließend bei der Polizei gemeldet zu haben, um den Unfall anzuzeigen. Sein Verhalten habe daher keinerlei Aufklärungsschwierigkeiten für die Klägerin verursacht, so daß nicht von einer Obliegenheitsverletzung ausgegangen werden könne.

Zum Unfall am 7. April 2000 trägt er mit der Berufungsbegründung vor, die Schäden an beiden Fahrzeugen seien in der Höhe nicht kompatibel gewesen; er unterlegt diese Behauptungen mit Maßangaben.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils, die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Beiakte 961 Js 85773/00, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 511, 517 519, 520 ZPO), sachlich jedoch nicht gerechtfertigt. Der Beklagte hat der Klägerin die Aufwendungen für den Haftpflichtschaden in Höhe von 1.578,20 Euro sowie die empfangene Kaskoleistung von 3.962,51 Euro, insgesamt 5.540,71 Euro, zurückzuerstatten. Des weiteren ist die Klägerin auch berechtigt und verpflichtet, der Nachversicherung zwei belastende Schadensfälle zu melden.

Zum Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Aufwendungen als Haftpflichtversicherin:

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Ausgleichsanspruch gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf Zahlung der Beträge, die sie zum Ausgleich der Haftung des Beklagten erbracht hat. Klägerin und Beklagter hafteten gemäß § 3 Nr. 2 PflVG als Gesamtschuldner; im Innenverhältnis haftet der Beklagte gemäß § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG allein, weil die Klägerin gemäß § 7 V AKB leistungsfrei ist. Der Beklagte hat entgegen § 7 I 2 Satz 3 AKB gegen die Verpflichtung verstoßen, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Als ein solcher Verstoß ist das unerlaubte Entfernen vom Unfallort anzusehen (BGH vom 1.12.1999, VVGE § 7 AKB Nr. 35; OLG Karlsruhe vom 17.7.1997, VVGE § 7 AKB Nr. 31). Das ergibt die ausdrückliche Formulierung in § 7 V 2 Satz 2 AKB. Im Hinblick auf die ausdrückliche Erwähnung dieses Straftatbestandes bedarf es einer weiteren Erörterung des Berufungsvorbringens nicht, es liege überhaupt keine Obliegenheitsverletzung vor. Die in den AKB vorweggenommene rechtliche Würdigung ist als bindend anzusehen. Allenfalls könnte geprüft werden, ob die objektiv vorliegende Obliegenheitsverletzung als entschuldbar angesehen werden kann. Dafür hat indessen der Beklagte keine Gesichtspunkte vorgetragen (vgl. etwa OLG Hamm ZfS 1994, 450: Der Versicherte klingelt nach dem spätabendlichen Unfall bei der ihm bekannten Geschädigten; da niemand öffnet, meldet er sich bei ihr am nächsten Morgen um 8.00 Uhr erneut, ohne daß ihm polizeiliche Ermittlungen bekannt geworden sind). Der Beklagte, der nach dem Unfall während des weiteren Verlaufs der Nacht nicht in seiner Wohnung angetroffen wurde, meldete sich - nachdem er von der Anzeige seiner Fahrerflucht bei der Polizei erfahren hatte - am nächsten Tag bei seiner Versicherung und (am Nachmittag) bei der Polizei, zu einem Zeitpunkt also, der eine vollständige Aufklärung nicht mehr zuließ, insbesondere nicht hinsichtlich einer etwaigen Alkoholbeeinflussung zur Unfallzeit. Rechtfertigende oder entschuldigende Gründe für sein Verhalten hat der Beklagte nicht dargelegt.

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist auch als vorsätzlicher (zumindest bedingt vorsätzlicher) Verstoß gegen die Aufklärungspflicht anzusehen. Soweit die Berufung die Rechtsansicht vertritt, es fehle an einer Obliegenheitsverletzung dann, wenn konkrete Aufklärungsschwierigkeiten für die Versicherung nicht entstanden seien, wird diese Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nicht vertreten; ihr steht der eindeutige Wortlaut der AKB entgegen.

Die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung führt bis zur Höhe von (5.000.- DM, entsprechend) 2.556,46 EUR zur vollständigen Leistungsfreiheit der Klägerin.

Die Beschränkung der Haftung auf den Höchstbetrag von 2.556,46 Euro gem. § 6 KfzPflVV schließt eine Existenzgefährdung des Versicherten aus (vgl. BGH 84, 84; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, Rdn. 77 zu § 7 AKB); die verbleibende Haftung des Versicherten - hier des Beklagten - ist als zulässig anzusehen. Der hier von der Klägerin geforderte Betrag von 1.578,20 EUR, dessen Höhe unstreitig ist, erreicht diese Grenze nicht.

Zum Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der Kasko-Aufwendungen:

Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 812 BGB, da sie an den Beklagten ohne Rechtsgrund gezahlt hat; denn auch hinsichtlich der Kasko-Versicherung ist sie leistungsfrei.

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort stellt in der Kasko-Versicherung ebenso wie in der Haftpflichtversicherung eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung dar (BGH vom 1.12.1999, VVGE § 7 AKB Nr. 35).

Der Verstoß des Beklagten gegen seine Obliegenheiten wirkte auch unter Beachtung der von der Rechtsprechung aufgestellten Relevanzkriterien zugunsten der Klägerin leistungsbefreiend; denn das Verhalten des Beklagten war generell geeignet, die Interessen der Klägerin ernsthaft zu gefährden. Die generelle Eignung bedeutet weder konkrete Eignung noch Kausalität für eine tatsächliche Interessenbeeinträchtigung (Stiefel/Hofmann aaO, Rdn. 33 ff. zu § 6 VVG). Es genügt, daß generell ein Versicherer größere Schwierigkeiten in der Beurteilung des Unfallherganges hat, wenn der Versicherte erst 14 Stunden nach dem Unfall bei der Polizei die weiteren Feststellungen ermöglicht. Das Verschulden des Beklagten ist als erheblich zu bewerten; es handelte sich keineswegs um ein Fehlverhalten, das auch einem grundsätzlich rechtstreuen Versicherungsnehmer in gleicher Lage leicht hätte unterlaufen können und für das ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. den der zitierten Entscheidung des OLG Hamm zugrunde liegenden Fall).

Der Kasko-Schadensbetrag, den die Klägerin erstattet hat und der an sie zurückzuzahlen ist, steht der Höhe nach als unstreitig fest (3.962,51 EUR).

Der Zinsausspruch ist nicht angegriffen und daher ohne weitere Nachprüfung zu bestätigen.

Zur Widerklage bezüglich der Mitteilung des Unfalles vom 7. April 2000: Das Landgericht hat von seinem Standpunkt aus rechtsfehlerfrei die Klägerin als verpflichtet angesehen, auch diesen Unfall in die Mitteilung gemäß § 5 Abs. 7 PflVG aufzunehmen. Soweit der Beklagte im Berufungsrechtszug neue Tatsachen geltend macht (die Beschädigungen an den beteiligten Fahrzeugen seien nicht kompatibel), müssen sie unberücksichtigt bleiben. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, aus welchem Grunde diese Tatsachen jetzt berücksichtigt werden dürfen (§§ 531 Abs. 2, 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

Sonstige Gründe, welche der Berufung zum Erfolg verhelfen können, sind nicht ersichtlich.

Da das Rechtsmittel erfolglos bleibt, fallen die Kosten dem Beklagten zur Last (§ 97 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Der Wert der Beschwer ist gemäß §§ 2, 3 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt worden; zur Zulassung der Revision besteht kein Anlaß.



Ende der Entscheidung

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