Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 27.05.2002
Aktenzeichen: 5 U 35/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GKG


Vorschriften:

ZPO § 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 222 Abs. 1
ZPO § 519 Abs. 2 Satz 2 a.F.
ZPO § 520 Abs. 2 Satz 1 n.F.
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
GKG § 12 Abs. 1
GKG § 14 Abs. 1
GKG § 22 Abs. 1
Bei der Berufungsbegründungsfrist handelt es sich jedenfalls in den ersten Monaten nach Inkrafttreten der Regelung des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO (Art. 2 Nr. 72, 53 Nr. 3 ZPO-RG) nicht um eine in der Kanzlei eines Rechtsanwalts geläufige und daher zur selbstständigen Berechnung druch Kanzleiangestellte geeignete Frist. Hat der Rechtsanwalt die Berechnung dieser Frist gleichwohl Kanzleiangestellten überlassen und wird die Frist versäumt, beruht die auf einem vom Rechtsanwalt zu vertretenden Organisationsmangel.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

5 U 35/02 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 27. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Braun, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wegehaupt und die Richterin am Oberlandesgericht Marx-Leitenberger beschlossen:

Tenor:

Das Gesuch des Klägers um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das am 28. Februar 2002 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stendal wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 31.802,36 Euro.

Gründe:

A.

Der Kläger hat den Beklagten als Gesellschafter der Gemeinschuldnerin aus dem Gesichtspunkt der Unterbilanzhaftung auf Zahlung von 62.200,-- DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Am 28. Februar 2002 hat die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stendal seine Klage auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2002 abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 7. März 2002 zugestellt worden. Er hat am Montag, dem 8. April 2002 Berufung eingelegt, am 8. Mai 2002 - wegen Verfristung vergeblich - gebeten, die Berufungsbegründungsfrist um fünf Tage zu verlängern und schließlich am 13. Mai 2002 die Berufung durch Telefax begründet.

Am 22. Mai 2002 hat der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Er hat dazu ausgeführt, seine seit dem 1. August 2001 mit der selbständigen Fristenkontrolle und Terminsnotierung beauftragte Kanzleiangestellte B. L. habe die Berufungsbegründungsfrist versehentlich gemäß § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. für den 8. Mai 2002 vermerkt, obwohl sie zuvor allgemein über die sich aus § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. ergebenden Änderungen belehrt und angewiesen worden sei, die Fristen nunmehr nach dieser Vorschrift zu berechnen. Dieser Fehler sei ihr erst am 14. Mai 2002 aufgefallen, als sie die Berufungsbegründungsschrift für den Postversand vorbereitet habe. Sie habe sich bisher stets als zuverlässig erwiesen und sei regelmäßig überprüft worden, ohne dass sich eine fehlerhafte Behandlung von Fristen gezeigt hätte.

B.

Das Gesuch des Klägers um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist zulässig (§§ 233, 234 Abs. 1 und 2, 236 ZPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Er war nämlich nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten oder wenigstens rechtzeitig um ihre Verlängerung nachzusuchen.

Die Dauer der Frist richtet sich nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (ZPO-RG), denn die mündliche Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist, wurde nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen (Art. 3 Nr. 3 - § 26 Nr. 5 EGZPO -, 53 Nr. 3 ZPO-RG). Die Frist endete daher gemäß §§ 520 Abs. 2 Satz 1, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit dem 7. Mai 2002, weil das Urteil dem Kläger am 7. März 2002 zugestellt worden ist. Dass dies dem Kläger nicht vor Ablauf der Frist auffiel, beruht auf vom Kläger zu vertretenen Organisationsmängeln in seiner Kanzlei, möglicherweise aber auch auf eigener Nachlässigkeit des Klägers bei der Bearbeitung der Sache.

Zum einen durfte der Kläger die Fristenberechnung nicht der Kanzleiangestellten L. zur selbständigen Bearbeitung übertragen. Zwar kann ein Rechtsanwalt eine dafür geschulte, zuverlässige Kanzleikraft mit der selbständigen Berechnung einfacher und in seiner Kanzlei geläufiger Fristen betrauen (BGH VersR 1973, 961 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen waren hier indes nicht erfüllt. Jedenfalls im März 2002 handelte es sich schon deshalb nicht um eine in der Kanzlei des Klägers geläufige und daher zur selbständigen Berechnung durch Kanzleiangestellte geeignete Frist, weil seit dem Inkrafttreten der Regelung des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO am 1. Januar 2002 (Art. 2 Nr. 72, 53 Nr. 3 ZPO-RG) erst wenige Wochen verstrichen waren, so dass sich noch keine gefestigte Übung bei der Behandlung dieser Frist gebildet haben konnte. Hinzu kommt, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht stets nach dieser Vorschrift, sondern auf Grund der Übergangsregelungen (§ 26 Nr. 5 EGZPO) ggfls. auch nach dem bis zum 1. Januar 2002 geltenden Recht (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.) zu ermitteln ist. Gerade im ersten Quartal des Jahres 2002 hatte das alte Recht noch große, anfangs sogar überwiegende praktische Bedeutung. Im Hinblick darauf, dass eine zuverlässige Berechnung der Berufungsbegründungsfrist somit die Kenntnis sowohl des alten als auch des neuen Rechtszustandes und zusätzlich der Übergangsvorschriften voraussetzt, ist die Frist auch nicht als einfach anzusehen, zumal die fehlerhafte Fristberechnung nicht einmal dem Kläger selbst bei der weiteren Bearbeitung der Sache aufgefallen ist, sondern erst später und wohl nur zufällig entdeckt wurde. Daher war es zumindest bei Urteilszustellungen im ersten Quartal des Jahres 2002 geboten, dass die Berechung der Berufungsbegründungsfristen von dem Kläger selbst vorgenommen oder jeweils von ihm überprüft wurde.

Ferner hat der Kläger es zu vertreten, dass er den Fristablauf nicht ungeachtet der falschen Berechnung durch seine Kanzleikraft noch rechtzeitig erkannt hat. Dies beruht entweder auf einem - weiteren - Organisationsmangel in seiner Kanzlei oder auf nachlässiger Bearbeitung der Sache durch ihn selbst.

Eine ordnungsgemäße Kanzleiorganisation setzt voraus, dass jedenfalls für Berufungsbegründungen Vorfristen vermerkt werden, zu denen die Akten dem Rechtsanwalt vorzulegen sind. Die Vorfristen werden in aller Regel etwa eine Woche zu betragen haben (BGH NJW 1994, 2551). Je nach den Umständen des Einzelfalles können aber auch einige Tage genügen (BGH AnwBl. 2000, 132 f.). Selbst auf der Grundlage der fehlerhaften Annahme, die Berufungsbegründungsfrist ende erst mit dem 8. Mai 2002 hätten die Akten daher dem Kläger spätestens am Freitag dem 3. Mai 2002 oder zumindest am Montag, dem 6. Mai 2002 und vorgelegt werden müssen. Wäre dies geschehen und hätte der Kläger sodann die Sache mit der gebotenen Sorgfalt bearbeitet, wäre ihm noch vor Ablauf des 7. Mai 2002 aufgefallen, dass an diesem Tage die Frist endete. Er hätte dann noch rechtzeitig entweder die Berufungsbegründung oder zumindest ein Fristverlängerungsgesuch einreichen können.

Der Rechtsanwalt ist zwar nicht gehalten gewesen, sich noch am Tage der Vorlage mit den Akten zu befassen; er kann dies auch bis zum folgenden Tag hinausschieben (BGH AnwBl. a. a. O., NJW 1999, 2680; VersR 1999, 886; NJW 1997, 3243; VersR 1997, 1252). Keinesfalls aber darf er die Akten kurzerhand bis zum Tage des - vermeintlichen - Fristablaufes unberührt liegen lassen, denn dies hätte zur Folge, dass die Vorfrist nutzlos wäre. Daher musste der Kläger vor dem vermeintlich letzten Tag der Frist, also vor dem 8. Mai 2002 und damit noch vor Ablauf der wahren Frist entweder die Akten abschließend bearbeiten oder zumindest sorgfältig prüfen, ob er die Bearbeitung noch verschieben konnte. Dabei durfte ihm nicht entgehen, dass die Frist schon mit dem 7. Mai 2002 endete.

Dass der Kläger die nötigen organisatorischen Maßnahmen zur rechtzeitigen Vorlage der Akten auf Grund von Vorfristen getroffen und die drohende Fristüberschreitung nur deshalb nicht rechtzeitig habe erkennen können, weil ihm die Akten weisungswidrig nicht bei Ablauf der Vorfrist zugeleitet worden seien, ist nicht ersichtlich und wird nicht einmal von ihm selbst behauptet.

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der mit dem 7. Mai 2002 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist (§§ 520 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert für den Berufungsrechtszug hat der Senat gemäß §§ 3 ZPO, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 22 Abs. 1 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück