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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 8 UF 77/07
Rechtsgebiete: BGB, SGB VIII


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1602 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1603
BGB § 1602
SGB VIII § 10 Abs. 1 Satz 1
SGB VIII § 92
SGB VIII § 94
Ein Unterhaltsanspruch setzt Bedürftigkeit voraus. Ab dem Tage einer Heimunterbringung besteht diese nicht mehr, denn der Bedarf des Kindes ist gedeckt. Wem der Anspruch auf Jugendhilfe zusteht hat hierauf keinen Einfluss.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

8 UF 77/07 OLG Naumburg

verkündet am: 25. Oktober 2007

In der Familiensache

hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Feldmann, den Richter am Oberlandesgericht Bisping und den Richter am Oberlandesgericht Harms im schriftlichen Verfahren, in dem der 13. September 2007 dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, am 25. Oktober 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 08. März 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Oschersleben abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen ihrer allein sorgeberechtigten Mutter I. J. , für die Zeit vom 01.12.2005 bis 30.11.2006 Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt 2.063,-- EUR zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 3.410,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die am 10.10.1994 geborene und - nach Aufhebung der Beistandschaft - von ihrer Mutter vertretene Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Vater, auf Zahlung von Unterhaltsleistungen in Höhe von 100 % der jeweiligen Altersstufe der Regelbetragverordnung in Anspruch, und zwar für die Zeit ab Dezember 2005.

Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Gegen diese ihm am 19.03.2007 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am 13.04.2007 Berufung eingelegt, die er am 08.05.2007 begründet hat. Er meint, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, weil sie in der streitigen Zeit Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen habe. Außerdem sei die Klägerin im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen in einem Heim untergebracht, so dass ihr Bedarf auf diese Weise vollständig gedeckt sei. Schließlich sei seine Leistungsfähigkeit vom Amtsgericht unrichtig beurteilt worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Familiengerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und legt eine Rückabtretungsvereinbarung mit dem Landkreis B. vor, in welcher die Rückabtretung von Unterhaltsansprüchen für die Zeit vom 01.05.2006 bis 08.10.2006 vom Landkreis an die Klägerin dokumentiert ist. Außerdem reicht sie einen Bescheid des B. vom 05.10.2006 zu den Akten, wonach für die Klägerin ab 01.12.2006 Jugendhilfe in Form einer Heimunterbringung bewilligt wurde.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens nimmt der Senat Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

Die Berufung des Beklagten hat teilweise Erfolg. Der Klägerin steht gegen den Beklagten für die Zeit von Dezember 2005 bis einschließlich November 2006 ein Unterhaltsanspruch nur in der tenorierten Höhe zu. Im übrigen ist die Klage nicht begründet und deshalb abzuweisen.

1. Ein Unterhaltsanspruch des Klägers gemäß § 1601 BGB setzt nach § 1602 Abs. 1 BGB Bedürftigkeit voraus; sie besteht ab dem Tage der Heimunterbringung, also ab 01.12.2006, nicht. Denn durch diese Unterbringung ist der Bedarf der Klägerin unabhängig von der Frage gedeckt, wem der Anspruch auf die Jugendhilfe zusteht.

Zwar sind die Leistungen der Jugendhilfe im Grundsatz wie alle Sozialleistungen gegenüber dem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch subsidiär, wie sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII entnehmen lässt. Danach werden Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger, durch die Jugendhilfe nicht berührt. Diese Regelung wird aber durch die speziellen Heranziehungs- und Übergangsvorschriften der §§ 92, 94 SGB VIII konkretisiert. In der bis zur Neuregelung ab 01.10.2005 geltenden Fassung unterschied das SGB VIII bei der Frage des Anspruchsübergangs noch danach, ob das Kind vor der Jugendhilfemaßnahme mit dem unterhaltspflichtigen Elternteil zusammengelebt hatte oder nicht. Hatte es mit ihm zusammengelebt, dann war schon damals ein Rückgriff des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe im Wege des übergangenen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs nicht mehr möglich, sondern nur noch durch Erhebung eines öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrages (vgl. § 94 Abs. 2 und 3 a. F.). In diesem Fall war der Unterhaltsbedarf des Kindes oder Jugendlichen auch schon damals durch die mit der Heimunterbringung einhergehenden Leistungen vollständig gedeckt, die Möglichkeit einer Anspruchsüberleitung sah das Gesetz hier nicht vor.

Lebte das Kind schon vor der Maßnahme von den Sorgeberechtigten getrennt, war kein Kostenbeitrag zu erheben, weil der Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe des Betrages, der zu zahlen wäre, wenn die Leistungen der Jugendhilfe außer Betracht blieben, auf den Träger der Jugendhilfe überging. In diesen Fällen war der Unterhaltsbedarf des Kindes wegen der Subsidiarität der Kinder- und Jugendhilfe nicht gedeckt, was einen Übergang seiner Forderungen auf den Träger der Kinder- und Jugendhilfe ermöglichte.

Diese Unterscheidung ist mit der ab 01.10.2005 geltenden Fassung des SGB VII aufgehoben worden. Seither sieht das SGB VIII für laufende Unterhaltsansprüche ab April 2006 grundsätzlich eine Bedarfsdeckung durch die mit der Heimunterbringung einhergehenden Jugendhilfeleistungen vor. Für seinen Rückgriff gegen die Eltern ist der Träger der Kinder- und Jugendhilfe nun stets auf einen öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag verwiesen (vgl. BGH FamRZ 2007, 377). Da die Klägerin ab 01.12.2006 im Heim untergebracht ist, ist ihr Unterhaltsbedarf durch die damit verbundenen Leistungen gedeckt mit der Folge, dass ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten seit diesem Zeitpunkt ausscheidet.

2. Für die vorausgegangene Zeit ab Dezember 2005 gilt folgendes:

Auch wenn das tatsächliche Nettoeinkommen des Beklagten unter dem notwendigen Selbstbehalt von 820,-- EUR liegen sollte, änderte dies an seiner Leistungsfähigkeit nichts. Denn für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit kommt es im Hinblick auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Beklagten nicht auf das tatsächlich erzielte, sondern auf das durch zumutbare Anstrengungen erzielbare Einkommen an. Von einem Unterhaltsverpflichteten, der gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden hat, sind alle zumutbaren Anstrengungen zu erwarten, um durch eine Vollerwerbstätigkeit und notfalls auch durch eine ergänzende Nebentätigkeit seine Leistungsfähigkeit in dem erforderlichen Umfang zu erhalten bzw. herzustellen. Derartige Anstrengungen, eine besser bezahlte Tätigkeit zu finden, hat der Beklagte nicht hinreichend vorgetragen, erst recht nicht unter Beweis gestellt. Ihn trifft nach der gesetzlichen Konzeption des § 1603 BGB, der als Ausschluss- bzw. Ausnahmetatbestand zur grundsätzlich gegebenen Unterhaltspflicht auf Grund der §§ 1601, 1602 BGB formuliert ist, die Darlegungs- und Beweislast für eine unter Umständen fehlende oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Da er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, muss er sich ein erzielbares fiktives Einkommen zurechnen lassen. Dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, dass auch ungelernte Unterhaltsschuldner die Möglichkeit haben, Nettoeinkünfte über 1.000,-- bis 1.100,--EUR zu erzielen. Rechnet man sodann noch Einkünfte aus zumutbarer Nebentätigkeit von rd. 150,-- EUR hinzu, hätten dem Beklagten auch nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen und des Selbstbehalts von 820,-- EUR noch genügend Mittel zur Verfügung gestanden, mit denen er den Unterhaltsbedarf der Klägerin selbst in der 3. Altersstufe (im Jahre 2006 also 269,-- EUR) hätte decken können.

Allerdings ist die Klägerin aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem UVG nur zum Teil aktivlegitimiert. Aufgrund des mit dem Leistungsbezug verbundenen Anspruchsübergangs kann sie, soweit eine Rückabtretung nicht nachgewiesen ist, Unterhaltszahlungen allenfalls an den jeweiligen Leistungsträger verlangen. Da sie ihren Antrag insoweit allerdings nicht umgestellt hat, ist die Klage unbegründet und im Umfang des übergegangenen Anspruchs (151,-- EUR monatlich) damit abzuweisen; Zahlung an sich selbst kann die Klägerin in dieser Zeit nur in Höhe von 77,-- EUR monatlich (228,-- EUR abzüglich 151,-- EUR) verlangen. Bei einem Leistungsbezug in der Zeit von Dezember 2005 bis zum 09.10.2006 betrifft dies die Monate Dezember 2005 bis einschließlich April 2006; für diese Zeit hat die Klägerin eine Rückabtretungsvereinbarung nicht vorgelegt. Für die Zeit ab Mai 2006 bis zur Einstellung der UVG-Leistungen im Oktober 2006 ist hingegen eine Rückabtretung des Leistungsträgers erfolgt, so dass die Klägerin für diese Zeit in vollem Umfang Zahlung an sich beanspruchen kann.

Hiernach ergeben sich folgende Unterhaltsansprüche:

 Dezember 2005 bis April 2006:5 x 77,-- EUR =385,-- EUR
Mai 2005 bis November 2006:5 x 228,-- EUR =1.140,-- EUR
 2 x 69,-- EUR =538,-- EUR (3. Altersstufe)
  2.063,-- EUR

Da die Klägerin während dieser Zeit von der Mutter betreut wurde, war diese nicht zum Bar-unterhalt verpflichtet, so dass eine nur anteilige Haftung des Beklagten nicht in Betracht kommt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist gemäß § 42 GKG festgesetzt worden. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

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