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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: 8 Wx 7/08
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70e
Bei der Genehmigung der Unterbringung wegen einer notwendigen Heilbehandlung ist zu prüfen, ob die Heilbehandlung vertretbar und verhältnismäßig ist, da in das Grundrecht der persönlichen Freiheit eingegriffen wird.

Ein Gutachten nach § 70e FGG muss so gestaltet sein, dass es für den Vormundschaftsrichter eine in den jeweiligen Einzelheiten nachvollziehbare und überprüfbare Entscheidungsgrundlage schafft. Insbesondere muss das Gutachten

- Art und Ausmaß der Behinderung im einzelnen an Hand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen,

- sich mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung detailliert auseinander setzen,

- auch zur der Frage Stellung nehmen, ob und welche Alternativen anstelle der Freiheitsentziehung zur Verfügung stünden.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

8 Wx 7/08 OLG Naumburg

In der Unterbringungssache

hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Feldmann, den Richter am Oberlandesgericht Bisping und die Richterin am Amtsgericht Koch am 09. Mai 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 25.03.2008 (3 T 205/08) und der Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Aschersleben vom 17.03.2008 (19 XVII 24/08) aufgehoben.

2. Der Antrag der Betreuerin vom 14.03.2008 auf Verlängerung der Unterbringung der Betroffenen wird zurückgewiesen.

3. Die Betroffene ist sofort aus der Unterbringung zu entlassen.

4. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

5. Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen und der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 05.02.2008 bestellte das Amtsgericht für die Betroffene vorläufig eine Betreuerin. Als Aufgabenkreise wurden Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung, Regelung von Behördenangelegenheiten und Vermögenssorge bestimmt. Auf Antrag der Betreuerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts am selben Tag die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung für längstens sechs Wochen vormundschaftsgerichtlich genehmigt. Mit Beschluss vom 17.03.2008, auf den Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht gemäß § 1906 Abs. 1 BGB die Unterbringung der Betroffenen für weitere acht Wochen genehmigt. Die Betroffene war seit dem 5.02.2008 jedenfalls bis zum 21.04.2008 aufgrund dieser Beschlüsse im Fachklinikum B. geschlossenen untergebracht. Gemäß Mitteilung des Fachkrankenhauses B. vom 22.04.2008 ist die Betroffene seit dem 22.04.2008 "offen untergebracht". Der Beschluss vom 17.03.2008 blieb aufrecht erhalten. Gegen den Beschluss vom 17.03.2008 hat die Verfahrenspflegerin am 19.03.2008 für die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat diese sofortige Beschwerde ohne Anhörung mit Beschluss vom 25.03.2008, auf den Bezug genommen wird, zurückgewiesen.

Gegen diesen am 31. März 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 14.04.2008 bei dem Landgericht Magdeburg eingegangene sofortige weitere Beschwerde vom 14.04.2008. Zur Begründung führt die Verfahrenspflegerin aus, dass die Betroffene das ärztliche "Gutachten" vom 07.03.2008 nicht akzeptiere. Sie gehe davon aus, dass ihr Hausarzt Prof. Dr. K. aus M. eine andere ärztliche Diagnose stellen würde. Sie halte die vorgenommenen Therapien für nicht nötig und sei nicht damit einverstanden, dass sie zwangsmedikamentiert werde, wobei es auch zu Fixierungen gekommen sei. Sie sei der Auffassung, dass das Landgericht Magdeburg den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt habe, weil es seinen Beschluss vom 25.03.2008 erlassen habe, ohne sie angehört zu haben.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie der ihr zu Grunde liegenden amtsgerichtlichen Verlängerung der Unterbringung. Denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGG in Verb. mit § 546 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine genehmigungsfähige Unterbringung sind gem. § 1906 Abs.1 BGB abschließend geregelt. Die getroffenen Feststellungen tragen die vom Amtsgericht beschlossene und durch die Kammer bestätigte Verlängerung der Unterbringung für weitere acht Wochen nicht.

Für eine Unterbringung zur Heilbehandlung gem § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Voraussetzung, dass diese notwendig ist und ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder aufgrund einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen kann. Bei der Genehmigung der Unterbringung wegen einer notwendigen Heilbehandlung ist zu prüfen, ob die Heilbehandlung vertretbar und verhältnismäßig ist (OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118). Angesicht der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu beachten. Die auf § 1906 Abs. 1 gestützte Unterbringung muss unumgänglich sein, um eine drohende Gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Betroffenen abzuwenden. Die Nachteile, die ohne Unterbringung und Behandlung entstehen würden, müssen die Schwere der Freiheitsentziehung überwiegen. (Beschluss des OLG München vom 22.05.2006, 33 Wx 79/06). Dabei ist auch der Gedanke mit einzubeziehen, dass dem Betroffenen in gewissen Grenzen ein "Recht auf Krankheit zu steht".

Die notwendigen Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen.

Weder dem Beschluss des Amtsgerichts noch der ärztlichen Stellungnahme des Fachklinikums B. vom 07.03.2008 oder dem amtsärztlichen Zeugnis des Gesundheitsamts vom 04.02.2008 lassen sich hinreichend konkrete Tatsachen entnehmen, die die Anordnung der Unterbringung rechtfertigen könnten.

Es sind bereits keine ausreichenden Feststellungen zu dem Vorliegen einer entsprechenden Krankheit der Betroffenen getroffen.

Verfahrensrechtlich ist die Unterbringungsgenehmigung nur zulässig, wenn zuvor das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt wurde (§ 70 e FGG). Ein ärztliches Zeugnis ist gemäß § 70 h Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 69 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGG nur dann ausreichend, wenn die Unterbringung im Wege einer einstweiligen Anordnung erfolgt. Dieses ist jedoch entgegen der Darstellung in dem Beschluss des Landgerichts ausweislich des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 17.03.2008 nicht der Fall gewesen. Bereits der Tenor des Beschlusses lässt nicht erkennen, dass die weitere Unterbringung im Wege einer vorläufigen Maßnahme erfolgt. Ebenso wenig ist § 70 h FGG, die Vorschrift über die einstweilige Anordnung im Rahmen der Unterbringung, erwähnt. Auch ist das gemäß § 70 h Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 69 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erforderliche besondere Eilbedürfnis nicht bejaht worden.

Ein Gutachten gem. § 70 e FGG muss so gestaltet sein, dass es für den Vormundschaftsrichter eine in den jeweiligen Einzelheiten nachvollziehbare und überprüfbare Entscheidungsgrundlage schafft. Dieses wiederum setzt voraus, dass das Gutachten insbesondere

a) Art und Ausmaß der Behinderung im einzelnen an Hand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellt und wissenschaftlich begründet,

b) sich mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung (§ 1906 Abs. 1 BGB) detailliert auseinander setzt und

c) auch zu der Frage Stellung nimmt, ob und welche Alternativen anstelle der Freiheitsentziehung zur Verfügung stünden (OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 118).

Die Entscheidung des Landgerichts kann sich nicht auf ein Gutachten in dem beschriebenen Sinne stützen. Im Ergebnis sind keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden, die eine Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB rechtfertigen könnten. Die ärztliche Stellungnahme der Dr. med. U. F. , ärztliche Direktorin, der K. Z. , Abteilungsleitende Ärztin und des Dr. med. H. Sch. (Oberarzt), auf die sich sowohl die Entscheidungen des Amts- als auch des Landgerichts stützen, genügt diesen Anforderungen nicht. Dem nur etwa eine halbe DinA 4 Seite langen Text lässt sich zwar die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie entnehmen. Nicht erkennbar ist jedoch, aufgrund welcher durchgeführten Untersuchungen und Erkenntnisse die Ärzte zu diesem Ergebnis kommen. Es ist lediglich allgemein mitgeteilt, dass dieses Ergebnis unter Berücksichtigung der Eigen- und Fremdanamnese sowie der Verlaufsbeobachtung gefunden worden sei. Es fehlen Angaben darüber, welche Untersuchungen im Einzelnen mit der Betroffenen durchgeführt wurden, welche Ergebnisse der Fremdanamnese zu Grunde gelegt wurden und welche Erkenntnisse die Verlaufsbeobachtung zu Tage gefördert hat. Das Fehlen all dieser Angaben erweist sich als um so problematischer, als die Betroffene bereits in ihrer Beschwerdebegründung mitgeteilt hatte, sie sei noch am 04.04.2008, d. h. einen Tag vor ihrer Unterbringung durch ihren Hausarzt Prof. Dr. M. K. in M. , untersucht und für gesund befunden worden.

Weder dem Beschluss des Landgerichts noch dem Inhalt der Akte lässt sich entnehmen, welche Heilbehandlung wie lange durchgeführt werden soll, noch finden sich Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme. Dem ärztlichen Zeugnis vom 09.03.2008 und dem Beschluss des Landgerichts ist lediglich zu entnehmen, dass im Fall der Nichtbehandlung eine Chronifizierung des Leidens drohe.

Auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegen nicht vor. Der Senat geht davon aus, dass das Amtsgericht seine Entscheidung auf diese Vorschrift stützen wollte. Der amtsgerichtliche Beschluss vom 17.03.2008 führt dazu jedoch lediglich formelhaft aus, es bestehe die Gefahr, dass die Betroffene sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Woraus sich diese Gefahr ergibt, wird in dem Beschluss nicht mitgeteilt. Auch aus dem Akteninhalt ergibt sich nicht, dass die Betroffene auch nur eine konkrete Handlung begangen hätte, bei der eine gesundheitliche Schädigung konkret drohte.

Es erscheint angemessen, die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Betroffenen gem. § 13 Abs. 2 S.2 S.1 FGG der Staatskasse aufzuerlegen. Die Entscheidung über den Geschäftwert beruht auf § 30 Abs. 2, §131 Abs. 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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