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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 15.04.2002
Aktenzeichen: 8 Wx 8/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1908 d Abs. 3
FGG § 69 i
FGG § 69 d Abs. 1
FGG § 69 g Abs. 5 Satz 3
1. Grundsätzlich ist der Betroffene durch den entscheidenen Richter persönlich anzuhören; die Anhörung durch einen beauftragten Richter entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

2. Ist die Anhörung durch das Amtsgericht nicht ordnungsgemäß erfolgt, kann die Beschwerdekammer nicht von einer Anhörung absehen (§§ 69g Abs. 5 S. 3, 69i FGG).

3. Eine Anhörung in einem anderen Verfahren, das einen anderen Regelungstatbestand betrifft, vermag die persönliche Anhörung nicht zu ersetzen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

8 Wx 8/02 OLG Naumburg

In der Betreuungssache

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Verfahrenspflegers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 11. März 2002 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, soweit die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Vormundschaftsgerichts - Halberstadt vom 15. Mai 2001 zurückgewiesen worden ist (Absatz 2 des Tenors).

Der Beschwerdewert beträgt EUR 1.000,--.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 22. Oktober 1996 wurde der - am 28. März 1945 geborenen und damals noch in ihrem Haus an der D. -Straße 17 in H. wohnenden - Betroffenen vom Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Halberstadt eine Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis der Betreuerin umfaßte die Gesundheitsfürsorge, die Bestimmung des Aufenthalts der Betroffenen, ihrer Vermögensangelegenheiten unter Einschluss von Grundstücksangelegenheiten sowie ihrer Renten- und Behördenangelegenheiten (Bl. 18 I d.A.). Die Entscheidung erging auf Grund eines Gutachtens eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 18. September 1996, das der Betroffenen eine durch Alkoholismus bedingte Störung von Organ- und Hirnfunktionen bescheinigt hat (Bl. 5 I ff. d.A.).

Mit Beschluss vom 15. Mai 2001 erweiterte das Vormundschaftsgericht - auf Anregung der Betreuerin (Bl. 103 II d.A.) - deren Aufgabenkreis auf Wohnungs- Angelegenheiten der Betroffenen (§ 1908 d Abs. 3 i.V.m. § 1907 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 69 i FGG; Bl. 119 II ff. d.A.). Dadurch sollte die Betreuerin in die Lage versetzt werden, einen Teil des in der Wohnung der Betroffenen befindlichen Hausrats - Bilder und Mobiliar (Bl. 106 II f. d.A.) - zu veräußern, um die Heimkosten sowie die Kosten für ein weiteres Grundstück der Betroffenen an der D. -Straße 20/21 in H. zu decken, das mit Garagen bebaut ist (Bl. 87 II, 119 II R d.A.; vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1907 Rdn. 7). ). Die Betroffene ist seit April 2000 in einem Altenpflegeheim in Hn. untergebracht.

Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts erging nach Anhörung der Betroffenen durch einen ersuchten Richter des Amtsgerichts Oschersleben (Bl. 110 II, 119 II d.A.), nach Anhörung der Betreuerin (Bl. 108 II d.A.) sowie nach Einholung eines Gutachtens des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin vom 20. März 2001 (Bl. 115 II d.A.). Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers wurde abgesehen (Bl. 120 II d.A.).

Am 18. Juni 2001 hat die Betroffene gegen die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vom 15. Mai 2001 Beschwerde eingelegt (Bl. 141 II d.A.).

Mit Beschluss vom 04. Juli 2001 hat das Landgericht Rechtsanwalt W. zum Verfahrenspfleger der Betroffenen für das Beschwerdeverfahren bestellt (Bl. 147 II d.A.). Mit weiteren Beschluss vom 11. März 2002 hat die Kammer die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen (Absatz 2 des Tenors). Zuvor hatte die Kammer die Betreuerin (Bl. 218 II d.A.) und den Verfahrenspfleger der Betroffenen angehört (Bl. 222 II d.A.). Bei ihrer Entscheidung nahm die Kammer auf ein - von der ersten Instanz in einem weiteren dort schwebenden Verfahren nach § 1908 d Abs. 3 BGB eingeholten - Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 01. Oktober 2001 Bezug (Bl. 182 II ff. d.A.). Von der Anhörung der Betroffenen sah die Kammer unter Berufung auf § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG ab (Bl. 234 II d.A.).

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verfahrenspfleger mit der weiteren Beschwerde (Bl. 244 d.A.), da er die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vom 15. Mai 2001 nicht mehr für erforderlich hält (§ 1896 Abs. 2, § 1908 d Abs. 3 BGB), nachdem der Aufgabenkreis der Betreuerin inzwischen in dem weiteren in erster Instanz schwebenden Verfahren nach § 1908 d Abs. 3 BGB - mit Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 30. Oktober 2001 - rechtskräftig auf Grundstücksangelegenheiten hinsichtlich des Hauses D. -Straße 17 sowie auf den Verkauf des Grundstücks an der D. -Straße 20/21 erweitert worden ist (Bl. 207 II, 224 II d.A.).

II.

1. Die weitere Beschwerde des Verfahrenspflegers der Betroffenen (§ 67 Abs. 1, 2, § 69 i FGG) gegen die Entscheidung des Landgerichts (§ 19 Abs. 2, § 69 g Abs. 1, § 69 i FGG) ist zulässig (§ 27 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 1 FGG), da die - am 25. März 2002 beim Gericht erster Instanz eingereichte Beschwerdeschrift (§ 29 Abs. 1 Satz 1 FGG) - von dem Verfahrenspfleger als Rechtsanwalt unterzeichnet worden ist (§ 29 Abs.1 Satz 2 FGG; Bl. 249 d.A.).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Das Landgericht hat nämlich zu Unrecht von der Anhörung der Betroffenen abgesehen. Auf die Bestimmung zu § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG - die gemäß § 69 i FGG entsprechende Anwendung findet - konnte sich die Kammer nicht stützen, weil bereits die erste Instanz die Betroffene - entgegen § 68 Abs. 1 und § 69 d Abs. 1 FGG - nicht persönlich angehört und sich keinen unmittelbaren Eindruck von ihr verschafft hat. Die erstinstanzliche Anhörung durch einen ersuchten Richter des Amtsgerichts Oschersleben war nach den besagten Bestimmungen unzureichend und daher unzulässig.

Die Betroffene ist zwar am 23. Oktober 2001 in dem weiteren, noch in erster Instanz schwebenden Verfahren nach § 1908 d Abs. 3 BGB angehört worden (Bl. 197 II ff. d.A.), das in erster Instanz mit dem Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 30. Oktober 2001 geendet hat. In jenem, im Anschluss an den hier ausschlaggebenden erstinstanzlichen Beschluss vom 15. Mai 2001 geführten Verfahren ging es aber nicht mehr um Wohnungsangelegenheiten der Betroffenen (Veräußerung von Mobiliar und Bildern), sondern um Grundstücksangelegenheiten. Infolgedessen waren die hier fraglichen Wohnungsangelegenheiten kein Anhörungsgegenstand.

3. In dem weiteren Verfahren wird das Landgericht weiter zu prüfen haben, ob das fachärztliche Gutachten vom 01. Oktober 2001 als Grundlage der Entscheidung in den hier fraglichen Wohnungsangelegenheiten herangezogen werden kann. Auch dieses Gutachten ist nämlich nicht in dem vorliegenden Verfahren eingeholt worden, in dem es um Wohnungsangelegenheiten geht, sondern in dem weiteren damals in erster Instanz schwebenden Verfahren nach § 1908 d Abs. 3 BGB, das Grundstücksangelegenheiten betraf und in erster Instanz mit dem Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 30. Oktober 2001 geendet hat. Soweit das besagte Gutachten im vorliegenden Verfahren Berücksichtigung finden soll, wäre vor einer Entscheidung zumindest ein entsprechender richterlicher Hinweis angebracht (Art. 103 Abs. 1 GG). Außerdem dürfte der Frage nachzugehen sein, ob die Begutachtung vom 01. Oktober 2001 noch zeitgemäß ist.

Ferner hat das Landgericht der - mit der weiteren Beschwerde aufgeworfenen - Frage nachzugehen, ob die Veräußerung der Möbel und Bilder - die nach Lage der Akten nur einen Erlös von ca. insgesamt 2.100,-- EUR erbringen wird (Bl. 106 II f. d.A.) - angesichts der inzwischen ergangenen rechtskräftigen Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin auf Grundstücksangelegenheiten im Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 30. Oktober 2001 noch erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2, § 1908 d Abs. 3 BGB). Schließlich befindet sich der Hausrat nach den bisherigen Ermittlungen bereits seit Jahrzehnten im Familienbesitz (Bl. 230 II d.A.); außerdem werden die aufgelaufenen Verbindlichkeiten von EUR 13.804,88 sowie weitere laufende Kosten voraussichtlich mit dem Erlös aus dem Verkauf der besagten Grundstücke der Betroffenen gedeckt. Statt eines Verkaufs des Hausrats kommt auch eine Räumung der Wohnung der Betroffenen durch eine Übergabe der Gegenstände an den Sohn der Betroffenen oder an andere Angehörige in Betracht.

Ende der Entscheidung

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