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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 04.11.2003
Aktenzeichen: 9 U 102/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 539 a. F.
1. Auf die Nachforderung von rückständigem Mietzins durch den Vermieter sind "spiegelbildlich" die Grundsätze anzuwenden, die von der Rechtsprechung zum Wegfall des Minderungsrechts des Mieters bei nachträglicher Kenntniserlangung von Mängeln (§ 539 BGB a. F. in analoger Anwendung) entwickelt worden sind.

2. Ist das Nachforderungsrecht des Vermieters vor dem 01.09.2001 bei "spiegelbildlicher" Anwendung dieser Grundsätze verwirkt, lebt das Nachforderungsrecht für die Zukunft nicht wider auf (gegen: BGH, Urteil vom 16.07.2003 - VIII ZR 274/02 - [NZM 2003, 679]).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 102/03 OLG Naumburg

verkündet am: 04.11.2003

In dem Rechtsstreit

...

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann, des Richters am Oberlandesgericht Manshausen und der Richterin am Amtsgericht Rubner auf die mündliche Verhandlung vom 4.11.2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.6.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau (2 O 470/03) wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.6.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau (2 O 470/03) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 2.000,-- Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Parteien besteht ein Mietvertrag über Räumlichkeiten zum Betrieb einer Apotheke. In § 3 Ziff.1 des Mietvertrages (Bl. 7 in 2 O 1880/00 LG Dessau; i.F. BA) heißt es u.a.:

Darüber hinaus erhöht sich die Grundmiete um DM 2,-- per m² zzgl.MwSt. für den 3. Humanmediziner.

Unstreitig ist ein dritter Humanmediziner ab dem 1.9.2000 in dem Mietobjekt tätig. Zwischen den Parteien war ein Rechtsstreit vor dem Landgericht Dessau (2 O 1880/00) rechtshängig, in dem die Klägerin restlichen Mietzins für die Zeit von Februar 2000 bis Oktober 2001 geltend gemacht hat. Den Mietzins hat sie dabei ausgehend von dem ursprünglich vereinbarten Grundbetrag errechnet. Der Erhöhungsbetrag gemäß § 3 Ziff. 1 des Mietvertrages war nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte wendete Mängel ein. Im Termin vom 30.1.2003 (Bl. 111/112 BA) schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von 4.000,-- Euro verpflichtete. Weiter heißt es in dem Vergleich:

Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus diesem Rechtsstreit erledigt.

Mit Schreiben vom 31.1.2003 (Bl. 5) forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Erhöhungsbetrag gemäß § 3 Ziff. 1 des Mietvertrages rückwirkend ab September 2000 zu zahlen.

Die Beklagte zahlt den erhöhten Betrag ab Februar 2003. Die Rückstände von September 2000 bis Januar 2003 sind Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin durch den abgeschlossenen Vergleich auf eine Nachforderung des Erhöhungsbetrages verzichtet habe. Ein Anspruch sei jedenfalls verwirkt. Nach Ablauf von 29 Monaten habe sie nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 37 - 42).

Das Landgericht hat der Klage für die Zeit ab November 2001 stattgegeben. Der im Vorverfahren abgeschlossene Vergleich stehe der Geltendmachung des Erhöhungsbetrages nicht entgegen. Die Prozessführung der Klägerin im Vorverfahren führe aber dazu, dass der Nachforderungsanspruch für den Zeitraum verwirkt sei, der auch im Vorprozess streitgegenständlich gewesen sei (September 2000 - Oktober 2001). Dieser Vertrauenstatbestand gelte aber nicht für die Zeit danach.

Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung.

Die Klägerin verfolgt ihren Zahlungsantrag aus erster Instanz weiter. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung 18.8.2003 (Bl. 83 - 87) und die Schriftsätze vom 26.8.2003 (Bl. 96/97) und 29.9.2003 (Bl. 107/108).

Die Klägerin beantragt,

das am 13.6.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau (2 O 470/03) abzuändern und die Beklagte zur Zahlung weiterer 3.460,34 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils 215,34 Euro seit dem 8.9.2000, 9.10.2000, 8.11.2000, 8.12.2000, 8.1.2001, 8.2.2001, 8.3.2001, 8.4.2001, 8.5.2001, 8.6.2001, 9.7.2001, 8.8.2001, 10.9.2001 und 8.10.2001 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und weiter,

das am 13.6.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau (2 O 470/03) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat und ist im Übrigen der Ansicht, dass eine Nachforderung insgesamt verwirkt sei.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 30.7.2003 und den Schriftsatz vom 19.9.2003 (Bl. 103 - 105).

Die Klägerin beantragt weiter,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat nur das Rechtsmittel der Beklagten Erfolg. Die Klägerin kann den Erhöhungsbetrag für den streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt nicht mehr fordern.

Der Senat schließt sich zunächst der Ansicht des Landgerichts an, dass der im Vorprozess abgeschlossene Vergleich dem Nachforderungsanspruch nicht entgegen steht. Die Erledigungsklausel bezieht sich ausdrücklich nur auf den Streitgegenstand des Verfahrens. Dabei handelte es lediglich um die ursprünglich vereinbarte Grundmiete, nicht aber um den Erhöhungsbetrag gemäß § 3 Ziff. 1 des Mietvertrages.

Die Frage, wann der Vermieter eine Nachforderung von Mietzins nicht mehr geltend machen kann, ist nicht abschließend geklärt. Der Bundesgerichtshof hat insoweit bislang lediglich entschieden, dass eine Nachforderung dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung gegeben sind (BGH NJW-RR 2003, 727, 728; ebenso: OLG Celle NJW-RR 1988, 723; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1036 und NJW-RR 2001, 1666). Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof (a.a.O.), ob auch auf den Nachforderungsanspruch des Vermieters "spiegelbildlich" die Grundsätze angewendet werden können, die die Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 539 BGB (a.F.) auf das Minderungsrecht des Mieters bei nachträglich erlangter Kenntnis von Mängeln entwickelt hat. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat diese Frage bejaht (ZMR 1999, 328, 329): Die Partner eines Mietverhältnisses könnten in der Regel davon ausgehen, dass laufend zu erfüllende Ansprüche zeitnah geltend gemacht würden. Sowohl auf den Verlust des Minderungsrechts des Mieters als auch auf den Verlust eines Nachforderungsanspruchs des Vermieters sei § 539 BGB (a.F.) entsprechend anzuwenden, wenn rügelos längere Zeit gezahlt bzw. eine Nachforderung nicht geltend gemacht wurde. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an.

Für die Zeit vor Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetz am 1.9.2001 war es herrschende Meinung, dass der Mieter sein Recht zur Minderung verliert (§ 539 a.F. in entsprechender Anwendung), wenn er den Mietzins vorbehaltlos und ungemindert über einen Zeitraum von 6 Monaten gezahlt hat (z.B. BGH NZM 2000, 825; zur Sechsmonatsfrist: BGH ZMR 1997, 505). Die Gewährleistungsrechte des Mieters waren dann für die Vergangenheit und die Zukunft ausgeschlossen (BGH ZMR 1997, 505, 506; Bub/Treier/Kraemer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III.B, Rn. 1413 m.w.N.), ohne dass ein weiterer Vertrauenstatbestand auf Seiten des Vermieters bestehen musste. Fordert der Vermieter über einen längeren Zeitraum die restliche Mietzinsforderung nicht an, sind diese Grundsätze auch auf die vorliegende Fallkonstellation anzuwenden. Ausgehend von der Überlegung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (a.a.O.), dass in einem Mietverhältnis laufend zu erfüllende Ansprüche auch zeitnah geltend gemacht werden müssen, ergibt sich eine Interessendifferenz zwischen dem Wegfall des Minderungsrechts des Mieters und dem Entfallen des Nachforderungsrechts des Vermieters nicht. Ob hinsichtlich des Nachforderungsrechts ebenfalls eine Frist von 6 Monaten ausreichend ist, bedarf für den vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Ausreichend ist jedenfalls eine Frist von 12 Monaten, also dem Zeitraum zwischen September 2000 (Einzug des 3. Arztes) und dem 1.9.2001 (Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes). Im Zeitpunkt des 1.9.2001 war die Klägerin mit einem Nachforderungsanspruch ausgeschlossen.

Ob für die Zeit ab dem 1.9.2001 weiter eine analoge Anwendung von § 536b BGB (= § 539 BGB a.F.) in Betracht kommt (und damit eine "spiegelbildliche" Anwendung der dazu entwickelten Grundsätze auf die Fälle von Nachforderungen), bedarf für den vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung (dagegen: BGH - VIII ZS - NZM 2003, 679; a.A. OLG Naumburg NZM 2002, 251; OLG Dresden NZM 2002, 662). Der Senat geht davon aus, dass ein einmal verwirktes Forderungsrecht jedenfalls solange als erloschen anzusehen bzw. seine Geltendmachung ausgeschlossen ist, wie sich an den Umständen nichts verändert (zum Meinungsstand: Staudinger/Schmidt BGB, 13. Bearbeitung, § 242, Rn. 566; Soergel/Teichmann BGB, 12. Aufl., § 242, Rn. 343; Palandt/Heinrichs BGB, 62. Aufl., § 242, Rn. 96 m.w.N.; Bamberger/Roth/Grünberg BGB, § 242, Rn. 144; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Schuldrecht, § 242, Rn. 31; a.A. - offenbar - MK - Roth, 4. Aufl., § 242, Rn. 313). Der XII. Senat des Bundesgerichtshofs (NJW-RR 2003, 727, 728) geht allerdings davon aus, dass ein Wiederaufleben des Nachforderungsrechts dann in Betracht kommt, wenn auf Seiten des Mieters ein Vertrauenstatbestand nicht mehr gegeben ist (der XII. Senat stellt diese Überlegung jedoch im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung an und gerade nicht im Rahmen einer "spiegelbildlichen" Anwendung des § 539 BGB a.F. in entsprechender Anwendung auf Nachforderungsfälle). Der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs (NZM 2003, 679, 670) ist der Ansicht, dass ab dem 1.9.2001 ein Minderungsrecht des Mieters wieder auflebt. Der VIII. Senat begründet dies damit, dass der Mietzinsanspruch für jeden Monat neu entsteht (a.a.O.). Diese Überlegung spielte allerdings im Zusammenhang mit der Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 539 BGB a.F. keine Rolle. Nach vorbehaltloser Zahlung über einen Zeitraum von 6 Monaten war - bei unveränderten Umständen - das Minderungsrecht auch für künftige Zeiträume ausgeschlossen, also auch für solche in der Zukunft liegende Monate, für die der Mietzinsanspruch bei Eintritt der "Verwirkung" noch nicht entstanden sein konnte. Vor diesem Hintergrund ist es für die Beantwortung der Frage, ab wann eine Nachforderung ausgeschlossen ist, bei einer entsprechenden "spiegelbildlichen" Anwendung des § 539 BGB (a.F.) nicht konsequent, auf den monatlich jeweils neu entstehenden Mietzinsanspruch abzustellen. Ist der Mieter berechtigt, den Mietzins wegen vorhandener Mängel zu mindern, tritt die Minderung kraft Gesetzes ein (h.M. z.B. BGH NJW-RR 1988, 329; Staudinger/Voelskow BGB, Neubearbeitung 2003, § 537, Rn. 11a) und führt zu einer Änderung der Vertragspflichten (BGH WuM 1991, 544). Die Minderung bewirkt, dass der geminderte Mietzins als der vertraglich vereinbarte gilt (Palandt/Weidenkaff BGB, 62. Aufl., § 536, Rn. 33). Diesen Grundsatz auf den streitgegenständlichen Fall der Nachforderung übertragen heißt, dass mit dem Eintritt der "Verwirkung" der Differenzbetrag nicht mehr zum vertraglich geschuldeten Mietzins gehört. Legt man diesen Gedanken zugrunde und stellt nicht auf den monatlich neu entstehenden Mietzinsanspruch ab, kann ein Nachforderungsrecht auch ab September 2001 nicht neu entstehen.

Der Anspruch ist vielmehr insgesamt "verwirkt".

Soweit man dieser Ansicht nicht folgt und mit dem XII. Senat des Bundesgerichtshofs davon ausgeht, dass ein Nachforderungsrecht dann in Betracht kommt, wenn ein Vertrauenstatbestand auf Seiten des Mieters nachträglich wieder entfällt, ergibt sich für den vorliegenden Fall kein abweichendes Ergebnis. Dem Landgericht ist insoweit zuzustimmen, dass durch die Prozessführung der Klägerin auf Seiten der Beklagten ein Vertrauenstatbestand entstehen konnte. Zwischen der Rechtshängigkeit der Klage im Vorprozess (22.12.2000 - Bl. 41 I BA -) und dem Abschluss des Vergleichs (30.1.2003 - Bl. 112 II BA -) lag ein Zeitraum von mehr als einem Jahr, in dem die Parteien über den Mietzins gestritten haben, ohne dass die Nachforderung Erwähnung gefunden hätte. Dies reicht - auch - im Rahmen des allgemeinen Verwirkungstatbestandes für das Umstandsmoment aus. Lagen somit die Voraussetzungen des allgemeinen Verwirkungstatbestandes vor (für das Zeitmoment ist auf die Zeit ab September 2000 abzustellen), konnte der Vertrauenstatbestand frühestens mit Zugang des Schreibens der Klägerin vom 31.1.2003 (Bl. 5) erschüttert werden. Streitgegenständlich ist aber die Zeit davor. Ab Februar 2003 wird der Erhöhungsbetrag gezahlt. Für den streitgegenständlichen Zeitraum wäre auch nach dieser Ansicht Verwirkung eingetreten.

Die Klage ist somit insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein Nachforderungsrecht des Vermieters verwirken bzw. nachträglich wieder aufleben kann, - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht abschließend geklärt ist.

Ende der Entscheidung

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