Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 07.05.2007
Aktenzeichen: 9 U 52/07
Rechtsgebiete: EGBGB, ZPO, ZGB, BGB


Vorschriften:

EGBGB § 2
ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 3
ZGB § 120 Abs. 2 S. 1
ZGB § 121 Abs. 1
BGB § 543 Abs. 1 S. 2
BGB § 543 Abs. 2
In einem vor dem 03.10.1990 abgeschlossenen Mietvertrag über Gewerberäume treten die Regelungen des BGB auch bei einer vertraglichen Vereinbarung an deren Stelle, wenn die vertragliche Regelung gegen wesentliche Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts verstößt. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Vertrag die ordentliche Kündigung eines unbefristeten Mietvertrages für den Vermieter gänzlich ausschließt.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

9 U 52/07 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 07. Mai 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Klier, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und des Richters am Landgericht Lienau einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.2.2007 verkündet Urteil des Landgerichts Halle (3 O 305/06) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.880,14 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beklagte schloss mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (VEB Gebäudewirtschaft H. ) am 23.4.1990 einen Mietvertrag über Räume zum Betrieb einer Videothek.

Unter II. und IX. des Mietvertrages (Bl. 5R/6 I) heißt es u.a.:

Das Mietverhältnis beginnt am 15.4.1990 und gilt auf unbestimmt Zeit.

Das Mietverhältnis endet durch:

a) Vereinbarung der Vertragspartner

b) Kündigung durch den Mieter

c) gerichtliche Aufhebung

Die Klägerin hat das Objekt mit Kaufvertrag vom 28.6.2005 erworben und wurde am 6.2.2006 ins Grundbuch eingetragen. Die Klägerin hat das Mietverhältnis mit Schreiben vom 21.9.2005, 24.11.2005 und letztmalig mit Schreiben vom 20.12.2005 zum 30.6.2006 gekündigt. Die Beklagte ist der Kündigung entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, dass eine ordentliche Kündigung im Hinblick auf IX. des Mietvertrages unzulässig sei. Im Wege der Widerklage macht die Beklagte Rechtsanwaltskosten geltend.

Das Landgericht hat der Räumungsklage der Klägerin stattgegeben und die Widerklage teilweise abgewiesen. Die Beendigungsmöglichkeit aus IX. lit. c des Mietvertrages sei im Hinblick auf Art. 232 § 2 EGBGB durch die gesetzlichen Kündigungsregelungen des BGB ersetzt worden. Die am 20.12.2005 ausgesprochene Kündigung sei wirksam, weil ihr eine entsprechende Bevollmächtigung der zu diesem Zeitpunkt noch im Grundbuch eingetragenen Verkäuferin beigefügt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag hinsichtlich des Räumungsantrages sowie ihren Widerklageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

Der Senat hat der Klägerin im Rahmen des Antrages auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung einen schriftlichen rechtlichen Hinweis erteilt (Bl. 23 - 25 II), zu dem die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.4.2007 (Bl. 28 - 30 II) Stellung genommen hat.

II.

Die zulässige Berufung ist durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel insbesondere keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat nimmt in vollem Umfang Bezug auf den Inhalt des Beschlusses vom 16.4.2007. Der Inhalt des Schriftsatzes vom 24.4.2007 rechtfertigt keine abweichende Bewertung.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen mietvertragliche Regelungen aus Verträgen, die vor dem 3.10.1990 abgeschlossen wurden, im Hinblick auf Art. 232 § 2 EGBGB in der Zeit danach fortwirken, bedarf für den vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung. Im Grundsatz gelten ab dem 3.10.1990 die Kündigungsregelungen des BGB (vorliegend insbesondere § 580a Abs. 2 BGB). Das ZGB-DDR (§§ 120 - 122 ZGB i.V.m. § 131 ZGB) sah eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausschließlich für den Mieter, nicht aber für den Vermieter vor. Gegen den Willen des Mieters konnte das Mietverhältnis auf Antrag des Vermieters nur durch das Gericht aufgehoben werden und auch nur in den im Gesetz geregelten Fällen (§ 120 Abs. 1 S. 2 ZGB). Die Fälle, in denen das Gericht das Mietverhältnis aufheben konnte, waren in § 121 Abs. 1 ZGB darauf beschränkt, dass:

1. der Mieter seine Pflichten aus dem Mietvertrag wiederholt gröblich verletzt; 2. der Mieter oder andere zu seinem Haushalt gehörende Personen die Rechte der anderen Mieter gröblich verletzen.

Im Ergebnis folgt aus § 121 Abs. 1 ZGB, der inhaltlich § 543 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB entspricht, dass der Vermieter das Mietverhältnis nur außerordentlich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (unter Beteiligung des Gerichts) beenden konnte. Eine fristgebundene, ordentliche Kündigungsmöglichkeit, wie sie § 120 Abs.2 S.1 ZGB für den Mieter vorsah, bestand für den Vermieter nicht (was die Berufung selbst ausdrücklich - Schriftsatz vom 24.4.2007, S. 3 [Bl. 30 II] - annimmt).

Das BGB geht bei Mietverträgen für unbestimmte Zeit im Grundsatz davon aus, dass sowohl der Mieter als auch der Vermieter das Mietverhältnis (auch) durch fristgebundene, ordentliche Kündigung beenden können. Die Regelungen sowohl hinsichtlich der ordentlichen wie der außerordentlichen Kündigung unterliegen grundsätzlich dem Vereinbarungsrecht der Parteien. Das ordentliche - wie auch das außerordentliche - Kündigungsrecht kann dabei aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden (Emmerich/Sonnenschein Miete, 8. Aufl., § 543, Rn. 12 m.w.N. [für das außerordentliche Kündigungsrecht]; BGH NJW 2001, 3480, 3482; OLG Celle MDR 1990, 154 [für die ordentliche Kündigung im Formularvertrag). Die Möglichkeit, einen auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrag auch durch eine ordentliche Kündigung beenden zu können, gehört zu den wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts, die auch der Disposition der Parteien entzogen sind. Zu berücksichtigen ist dabei, dass jedenfalls dann, wenn der Vermieter (wie vorliegend) auch Eigentümer ist, ihm bei Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts jede Möglichkeit genommen würde, über sein Eigentum anderweitig verfügen zu können. Selbst bei einem Vertrag über 30 Jahre besteht nach Ablauf dieser Frist ein gesetzliches Kündigungsrecht, das nicht abdingbar ist (Palandt/Weidenkaff BGB, 66. Aufl., § 544, Rn. 2 m.w.N.). Im vorliegenden Fall könnte die Klägerin - die Rechtsansicht der Beklagten unterstellt - das Mietverhältnis nicht einmal nach Ablauf dieser Zeitspanne (im Zeitpunkt dieser Entscheidung läuft der Mietvertrag immerhin schon mehr als 17 Jahre) kündigen.

Kann das ordentliche Kündigungsrecht nicht in vollem Umfang ausgeschlossen werden, müssen über Art. 232 § 2 EGBGB die Regelungen des BGB jedenfalls dann an die vor dem 3.10.1990 getroffenen vertraglichen Vereinbarungen treten, wenn diese gegen wesentliche Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts verstoßen. Aus der von der Berufung zitierten Entscheidung des Kammergerichts (vom 22.1.1998 - 8 RE-Miet 6765/97 - [MDR 1998, 395, 396]) folgt nichts Abweichendes. Im Gegenteil: Im zu entscheidenden Fall ging es um die Vereinbarung einer Kündigungsfrist und den Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wurde. Insoweit hat das Kammergericht festgestellt, dass die vertraglichen Regelungen sich im Rahmen der Dispositionsfreiheit der Parteien bewegten und nicht gegen im BGB normiertes zwingendes Recht verstießen (so ausdrücklich a.a.O., re. Sp. a.E.). Der Entscheidung des Kammergerichts kann damit - entgegen der Ansicht der Berufung - gerade nicht entnommen werden, dass vor dem 3.10.1990 getroffene vertragliche Vereinbarungen ausnahmslos immer fortgelten, selbst wenn sie gegen wesentliche Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts verstoßen.

Hinsichtlich der Widerklage nimmt der Senat in vollem Umfange Bezug auf die angefochtene Entscheidung.

Die übrigen Voraussetzungen von § 522 Abs.2 ZPO liegen vor. Insbesondere kann weder ein Fall von § 522 Abs. 2 Nr. 2 noch von Nr. 3 ZPO angenommen werden. Die vom Senat vertretene Ansicht widerspricht entgegen der Ansicht der Berufung nicht der Entscheidung des Kammergerichts.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück