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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 3 U 2925/04
Rechtsgebiete: UWG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 5 Abs. 5
UWG § 8 Abs. 4 n.F.
ZPO § 59
ZPO § 60
Missbräuchliches Geltendmachen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs liegt im Regelfall nicht schon dann vor, wenn ein Verletzter wegen gleichartiger Verstösse gegen mehrere konzernmäßig verbundene, jedoch rechtlich selbständige Verletzer die Möglichkeiten einer subjektiven Klagehäufung nicht nutzt, sondern in verschiedenen Verfahren gegen sie vorgeht.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

3 U 2925/04

Verkündet am 26. Oktober 2004

In Sachen

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Seidel, die Richterin am Oberlandesgericht Scheib und die Richterin am Oberlandesgericht Junker-Knauerhase aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 9.7.2004 (Az.: 1 HKO 3433/04) abgeändert.

II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Geräte der Unterhaltungselektronik blickfangmäßig hervorgehoben zu bewerben, wenn diese Geräte am Erscheinungstag der Werbung nicht zur sofortigen Mitnahme durch den Kunden bereit liegen.

Im übrigen wird der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

III. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,-- EURO, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt 2 Jahren, angedroht, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Antragsgegnerin zu vollstrecken ist.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Antragsgegnerin 5/6 und die Antragstellerin 1/6.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,-- EURO festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin, die in Form einer selbständigen GmbH einen M in N, V Straße betreibt, wegen Verstoßes gegen § 3 UWG a.F. im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen. Der Antragsgegnerin sollte untersagt werden, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Geräte der Unterhaltungselektronik zu bewerben, wenn diese Geräte am Erscheinungstag der Werbung nicht zur sofortigen Mitnahme durch den Kunden bereit liegen. Zur Begründung hat die Antragstellerin vorgetragen, dass die Antragsgegnerin ein am 05.03.2004 beworbenes Plasma-TV-Gerät nicht zur sofortigen Mitnahme durch die Kunden bereit gehalten habe.

Mit zwei weiteren getrennt, aber gleichzeitig eingereichten Anträgen auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist die Klägerin gestützt auf den gleichen Sachverhalt gegen zwei andere M Märkte in N vorgegangen (siehe. Az. 3 U 2924/04 und 2923/04). Das Landgericht hat zunächst alle drei einstweiligen Verfügungen antragsgemäß erlassen und den Streitwert auf jeweils 30.000,00 EUR festgesetzt. In den nach Widerspruch aller drei Antragsgegnerinnen ergangenen Endurteilen hat das Erstgericht sämtliche Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung als rechtsmißbräuchlich nach § 13 Abs. 5 UWG a.F. zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Erstgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin alle drei Antragsgegnerinnen in einem Verfahren hätte verklagen können und auch müssen, um die aus der Durchführung nur eines Verfahrens resultierende geringere Kostenbelastung der Antragsgegnerseite zu erreichen. Schließlich habe die Antragstellerin in alle drei Märkte die gleichen Personen als "Testkäufer" entsandt. Trotz der unterschiedlichen Erklärungen der Antragsgegnerseite für die jeweiligen Vorratslücken in den einzelnen Märkten hätte ohne Schwierigkeiten eine Beweisaufnahme in nur einem Verfahren durchgeführt werden können.

Gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin Berufung eingelegt. Dabei hat sie rechtsmissbräuchliches Vorgehen in Abrede gestellt.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird nach den §§ 540 Abs. 2, 313 a ZPO abgesehen.

B.

Die Berufung ist weitgehend erfolgreich.

I.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist der Antrag nicht rechtsmissbräuchlich und damit auch nicht unzulässig.

1. Einen allgemeinen zivilprozessualen Grundsatz, nämlich dass ein Antragsteller/Kläger bei der Verfolgung seiner Ansprüche die Möglichkeiten der subjektiven Klagehäufung auf der Passivseite in Anspruch nehmen muss, gibt es nicht (s. Zöller, ZPO, 24. Aufl. Rn. 4 zu §§ 59, 60 ZPO). Die §§ 59, 60 ZPO sprechen lediglich von "können", räumen also ein Ermessen ein.

2. Auch nach den besonderen Regelungen des UWG, nämlich § 8 Abs. 4 UWG n.F. = § 13 Abs. 5 UWG a.F. stellt sich das getrennte Vorgehen der Antragstellerin gegen die 3 Antragsgegnerinnen nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

a) Das prozessuale Verhalten der Antragstellerin kann nicht als der in § 8 IV UWG n.F. geregelte Beispielsfall gewertet werden. Danach ist ein Missbrauch der Klagebefugnis zu bejahen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs "vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfoglung entstehen zu lassen".

Dies trifft hier keinesfalls zu, weil die jeweiligen Parteien im unmittelbaren und sogar engen örtlichen Wettbewerb stehen und die Antragstellerseite ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der klageweisen Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes hat. Auch kann der Antragstellerin nicht vorgeworfen werden, dass die prozessuale Durchsetzung berechtigter Ansprüche mit Kosten verbunden ist. Dass darüber hinaus der bei einem günstigen Ausgang des Verfahrens auf Seiten der Antragstellerin entstehende Kostenerstattungsanspruch bei 3 Prozessen höher ist als nur bei einem, rechtfertigt für sich allein genommen ebenfalls noch nicht die Annahme eines Missbrauchs im Sinne des vom Gesetz genannten Beispielfalles.

b) Der Senat verkennt nicht, dass auch bei dem neu gefassten § 8 Abs. 4 UWG neben dem im Gesetz selbst genannten Beispielsfall nach wie vor die obergerichtliche Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauchstatbestand heranzuziehen ist. Danach drängt sich ein solches missbräuchliches Verhalten auf, wenn von einer Vielzahl von Antragstellern oder Klägern ein- und derselbe Antragsgegner wegen des identischen Wettbewerbsverstoßes in Anspruch genommen wird, sei es, dass das wettbewerbswidrige Verhalten bereits in der Werbung als solcher liegt (so Urteile des BGH vom 06.04.2000, "Neu in Bielefeld I" und "Neu in Bielefeld II", "Missbräuchliche Mehrfachverfolgung", s. WRP 2000, 1263 ff) oder in einer erst die Wettbewerbs-Widrigkeit begründenden mangelnden Vorratshaltung (so Urteil des BGH vom 20.12.2001 "Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung", s. WRP 2002, 980 ff).

c) Das Erstgericht führt selbst aus, dass der Bundesgerichtshof in seiner "Preisbrecher"-Entscheidung (Teilurteil vom 02.10.2003, GRUR 2004, 70 f) eine Einschränkung seiner Missbrauchs-Rechtsprechung vornimmt, wenn die Vorratshaltung in verschiedenen (und nicht wie bei der "zeitlichen Mehrfachverfolgung" in einer einzigen Filiale) zu beurteilen ist. Aus der genannten Entscheidung ist ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof die getrennte Verfolgung an verschiedenen Standorten für nicht rechtsmissbräuchlich erachtet, da es wegen des zweigliedrigen Sachverhalts (Werbung und Vorratshaltung) auf die individuelle Beurteilung der Verhältnisse an jedem Standort ankomme. Allerdings hat im entschiedenen Fall für die im Sachverhalt genannten Standorte kein gemeinsamer örtlicher Gerichtsstand vorgelegen, so dass sich die Möglichkeit und damit die Problematik einer (fehlenden) subjektiven Klagehäufung auf der Passivseite gar nicht stellte.

Genau dieses Problem stellt sich jedoch, dies hat das Erstgericht völlig zutreffend gesehen, im vorliegenden Fall in aller Deutlichkeit.

d) Der Senat teilt die vom Erstgericht vertretene Auffassung nicht, dass allein die nicht wahrgenommene Möglichkeit der subjektiven Klagehäufung auf der Passivseite - jedenfalls im hier konkret zu beurteilenden Fall - einen Missbrauch begründet. Es müssen vielmehr noch weitere zusätzliche, die Antragsgegnerin erheblich belastende Umstände hinzutreten, die hier jedoch fehlen:

So führt die getrennte Klageerhebung nach der von den Parteien nicht beanstandeten Berechnung des Erstgerichts zu einer Erhöhung der Prozesskosten von 7.300 Euro auf 12.552 Euro. Dies ist noch keine erhebliche Vervielfachung. Schließlich verteilen sich diese Mehrkosten auf drei Antragsgegnerinnen, die finanziell eine solche Mehrbelastung ohne weiteres verkraften können.

Auch bindet die Durchführung getrennter Prozesse personelle Kräfte der Antragsgegnerin nicht mehr als die Verhandlung in nur einem Verfahren. Nachdem es hier auf die konkreten Verhältnisse der Vorratshaltung in jeder einzelnen Filiale ankommt, ist von Anfang an davon auszugehen, dass die Antragsgegnerseite hierzu ohnehin verschiedene Zeugen präsentieren muss. Die Erwartung, dass eine die Antragsgegnerseite erhebliche personelle Belastung durch wiederholte Zeugenvernehmungen der stets gleichen Mitarbeiter in getrennten Prozessen eintritt, stellt sich bei Einleitung des Verfahrens gerade nicht. Dieses denkbare Risiko liegt hier vielmehr allein bei der Antragstellerseite, da deren jeweils identische Testkäufer wiederholt in getrennten Prozessen auftreten müssen. Die Antragsbellerseite soll jedoch nicht geschützt werden.

e) Allerdings ist dem Erstgericht und dem Antragsgegnervertreter zuzugestehen, dass in der Entscheidung "Missbräuchliche Mehrfachverfolgung" (a.a.O. S. 1272) folgender Satz zu lesen ist:

"Ferner kann ein Mißbrauch naheliegen, ... wenn mehrere Unterlassungsschuldner nicht in einem Verfahren, sondern jeweils gesondert in Anspruch genommen werden, obwohl eine subjektive Klagehäufung auf der Aktiv- oder Passivseite für den Kläger oder Antragsteller mit keinerlei Nachteilen - etwa bei der Wahl des Gerichtsstandes - verbunden wäre."

Dieser vom Antragsgegnervertreter zitierte Satz ist jedoch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang, mit den übrigen Ausführungen zum Rechtsmissbrauch zu sehen. Dort werden genau die weiteren Kriterien genannt, die auch nach Überzeugung des Senats erfüllt sein müssen, um einen Rechtsmissbrauch wirklich zweifelsfrei bejahen zu können. Daran fehlt es jedoch wie oben unter c) dargelegt.

Die getrennte Einleitung der drei Verfahren ist damit nicht rechtsmissbräuchlich, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

II.

Auch wenn die Antragsgegnerin die mangelhafte Vorratshaltung tatsächlich nicht bestreitet, konnte dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht in dem von der Antragstellerseite begehrten vollem Umfang stattgegeben werden. Denn mit ihrem allgemein gehaltenen Unterlassungsantrag würde die Antragstellerin in Zukunft auch nicht Wettbewerbswidrige Handlungen unterbinden können.

1. Eine Vorratshaltung in der Form, dass Geräte der Unterhaltselektronik sofort mitgenommen werden können, setzt auch nach der Neufassung des UWG, hier des § 5 Abs. 5 UWG voraus, dass die Werbung "blickfangmäßig hervorgehoben" erfolgt (so ständige Rechtsprechung des BGH, siehe z.B. GRUR 2000, 912 ff - "Computerwerbung".) Das soeben zitierte Urteil des BGH betrifft zwar, wie weitere dort genannte BGH-Urteile, Werbemaßnahmen, die sich auf EDV-Geräte bezogen haben. Bei dieser Warengruppe erwartet nach den genannten Urteilen der Verbraucher nicht, dass jegliches beworbenes EDV-Gerät zur sofortigen Mitnahme vorhanden ist. Diese Erwartung hegt er nur hinsichtlich der "blickfangmäßig hervorgehoben" beworbenen. Nach Auffassung des Senats decken sich inzwischen die Verbrauchererwartungen bezüglich EDV-Geräten und Geräten der Unterhaltselektronik. Denn auch letztere bewegen sich mittlerweile im gleichen, wenn nicht sogar höheren Preissektor gegenüber EDV-Geräten. Auch sie werden häufig individuell wie zum Beispiel Computeranlagen zusammengestellt.

Wenn mit dem Verfügungsantrag und dem daraus resultierenden Titel nicht auch wettbewerbsrechtlich zulässige Werbemaßnahmen verfolgt werden sollen, muss die aus dem Tenor ersichtliche Einschränkung (= "blickfangmäßig hervorgehoben") stattfinden. Darauf weist im übrigen auch der BGH erneut in der "Preisbrecher-Entscheidung" (a.a.O.) hin.

2. Es ist zwar durchaus zutreffend, dass die Antragstellerin gerade einen blickfangmäßig hervorgehobenen Gegenstand, hier das streitgegenständliche Plasma-TV Gerät zum Anlaß für ihren Verfügungsantrag genommen hat. Jedoch hat sie diesen so weitgehend formuliert, dass auch (siehe oben) nicht wettbewerbswidrige Handlungen erfaßt werden. Aufgrund der "Kerntheorie" ist es der Klägerin ohne weiteres gestattet, ihren Unterlassungsantrag nicht auf TV-Geräte, sondern auch auf Geräte der Unterhaltselektronik allgemein zu beziehen. Die Kerntheorie erlaubt jedoch nicht, wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Handlungen durch eine Verallgemeinerung zum Gegenstand einer Unterlassung zu machen.

3. Der vom Senat gebrauchte Zusatz "blickfangmäßig hervorgehoben" verstößt nicht gegen das Gebot, dass Vollstreckungstitel eine hinreichende Bestimmtheit aufweisen müssen, um überhaupt vollstreckungsfähig zu sein. Wie dem Urteil des BGH in GRUR 2000, 249 ff "Preis ohne Monitor" zu entnehmen ist, hatte der BGH keine Bedenken, einem Klageantrag, der die Worte "blickfangmäßig hervorgehoben" enthielt, stattzugeben.

4. Die Verurteilung in der eingeschränkten Form stellt kein "aliud" gegen dem ursprünglichen Klageantrag dar, sondern lediglich ein "minus" (vgl. Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., Rn. 291 vor § 13). Eine vollständige Klageabweisung war deshalb nicht veranlaßt, da die Antragstellerin, anders als in der Entscheidung "Vorratslücken" (GRUR 1999, 509 ff) nicht ausdrücklich an ihrem umfassenden Klageantrag festgehalten und eine Einschränkung abgelehnt hatte.

III.

Die Kostenentscheidung resultiert demzufolge aus §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO. Die teilweise Abweisung des Klageantrages bewertet der Senat mit 1/6.

Ende der Entscheidung

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