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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 13.11.2001
Aktenzeichen: 3 U 3189/01
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 25
Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG ist im Regelfall widerlegt, wenn der Verletzte mit seinem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mehr als 1 Monat zuwartet.
3 U 3189/01

verkündet am 13.11.2001

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 3. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2001 folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfügungsverfahrens beider Instanzen.

II. Der Streitwertbeschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 5. September 2001 wird abgeändert.

Der Streitwert des Verfügungsverfahrens erster Instanz beträgt bis zur Abgabe der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung (29. August 2001) 40.000,-- DM, danach 21.500,-- DM.

III. Der Streitwert beträgt für das Berufungsverfahren bis zur Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen (30. Oktober 2001) 21.500,-- DM, danach 15.000,-- DM.

Gründe:

1. Nachdem sich die Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien erledige hat, ist nur noch darüber zu entscheiden, wer die Verfahrenskosten zu tragen hat. Die Entscheidung ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen (§ 91 a ZPO). Danach waren die Kosten des Verfahrens beider Instanzen der Verfügungsklägerin aufzuerlegen. Der Verfügungsbeklagte wäre mit seiner Berufung erfolgreich gewesen, da für den Erlaß der Urteilsverfügung der Verfügungsgrund fehlte.

Eine einstweilige Verfügung kann nur beantragt werden, wenn eine vorläufige Regelung dringlich ist (§§ 935, 940 ZPO). Allerdings können in Wettbewerbssachen einstweilige Verfügungen gemäß § 25 UWG auch dann erlassen werden, wenn die in §§ 935, 940 ZPO genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Nach einhelliger Rechtsauffassung stellt § 25 UWG eine Dringlichkeitsvermutung dar, die auf der Erwägung beruht, daß das Vorgehen gegen wettbewerbswidrige Handlungen regelmäßig dringlich ist. Die Vermutung der Dringlichkeit ist jedoch widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gibt, daß es ihm "mit der Sache nicht so eilt" (Köhler/Piper, UWG, 2. Auflage, § 25, RdNr. 15). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, nachdem er vom Wettbewerbsverstoß und der Person des Handelnden Kenntnis erlangt hatte.

In Rechtsprechung und Literatur herrscht Streit darüber, welcher Zeitraum die Vermutung der Dringlichkeit widerlegt. Einigkeit besteht nur insoweit, als es eine bestimmte, generell für alle Fälle geltende Frist nicht geben kann (vgl. etwa OLG Koblenz, GRUR 1978, 718; Borck WRP 1978, 519; Großkommentar/Schultz-Süchting, § 25 UWG, RdNr. 41). Im Interesse der Praxis haben sich jedoch Regelfristen herausgebildet, die allerdings zwischen den einzelnen Oberlandesgerichten deutlich voneinander abweichen (vgl. Köhler/Piper, a.a.O.).

Nach Auffassung des Senats muß gerade im Hinblick auf § 21 UWG die Regelfrist deutlich unter der 6-Monate-Grenze liegen, zumal nach der gegenwärtigen Rechtslage dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung bzw. deren Erlaß keine verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt. Der Senat teile auch nicht die Auffassung, daß für die Bemessung der Regelfrist als Bewertungsmaßstab der Zeitraum herangezogen werden kann, innerhalb dessen ein Urteil im Hauptsacheverfahren erzielbar wäre (so aber Großkommentar/Schultz-Süchting, a.a.O., RdNr. 42). Darauf abzustellen würde dem gesetzgeberischen Zweck des Verfügungsverfahrens widersprechen, anders als in einer streitigen Hauptsacheklage in einem summarischen Verfahren rasch eine vorläufige Regelung zu erzielen.

In ständiger Rechtsprechung sieht das Oberlandesgericht München die Dringlichkeitsvermutung bei Überschreitung eines Zeitraumes von vier Wochen bzw. einem Monat seit Kenntnis der wettbewerbswidrigen Handlung als widerlegt an (vgl. etwa WRP 1971, 533; WRP 1981, 49; 1983, 643; 1984, 644; WRP 1993, 49). Diese Auffassung ist gelegentlich übernommen worden (vgl. zuletzt OLG Köln NJWE-WettbR 1998, 138 sechs Wochen zu lang). Der Senat hält im Anschluß an die Rechtsprechung des OLG München eine Regelfrist von einem Monat für ausreichend; ein längeres Zuwarten widerlegt die Dringlichkeitsvermutung. Dieser Zeitraum stellt eine ausreichende Überlegungsfrist dar, innerhalb welcher sich der Verletzte darüber schlüssig werden kann und muß, ob er von den Möglichkeiten eines Verfügungsverfahrens Gebrauch machen will. Dies gilt einschließlich der regelmäßig vorangehenden Abmahnungen. Es entspricht den Erfahrungen des Senats, dass im Regelfall das Abmahnverfahren nach wenigen Tagen abgewickelt ist und dass bei verweigerter Unterwerfungserklärung der Abmahnende umgehend einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung stellt. Dies ist ihm auch abzuverlangen, will er sich die Dringlichkeizsvermutung des § 25 UWG erhalten. Das Verfahren über die einstweilige Verfügung dient der Erlangung eines raschen und wirksamen Schutzes des durch eine wettbewerbswidrige Handlung Verletzten vor denjenigen Nachteilen, die bei der Fortsetzung des wettbewerbswidrigen Verhaltens eintreten würden. Nimmt aber der Verletzte dadurch, daß er mit der Beantragung der einstweiligen Verfügung längere Zeit zuwartet, den Eintritt solcher Nachteile in Kauf, gibt er zu erkennen, daß ihm die Unterbindung weiterer wettbewerbswidriger Handlungen nicht so dringlich ist, daß er durch eine einstweilige Verfügung gesichert sein müßte. Er ist vielmehr auf die Möglichkeit verwiesen, seinen Anspruch mit einer Hauptsacheklage zu verfolgen.

Der Lauf der Regelfrist setzt freilich voraus, daß der Verletzte positive Kenntnis von der Verletzungshandlung hat und sich im Besitz aller Unterlagen befindet, um mit Aussicht auf Erfolg einen Verfügungsantrag stellen zu können. Ihm muß also ein hinreichender Zeitraum zur Prüfung der Frage zugestanden werden, ob überhaupt eine Verletzungshandlung vorliegt. Gerade bei schwierig zu beurteilenden Tat- und Rechtsfragen, wie sie etwa bei Schutzrechten häufig auftreten werden, wird diese Prüfung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Diese Überlegungen verbieten die Annahme einer starren, generell anzuwendenden Frist. Abzustellen ist vielmehr auf eine Einzelfallwürdigung (Köhler/Piper, aaO, § 25, Rd. 15).

Vorliegend handelt es sich um einen einfach gelagerten Fall, bei dem die Voraussetzungen für die Annahme der Regelfrist von einem Monat gegeben sind. Die Verfügungsklägerin erlangte am 2. Juli 2001 Kenntnis von der wettbewerbswidrigen Handlung und der Person der für sie Verantwortlichen. Ihr Antrag vom 8. August 2001 - eingegangen bei Gericht am 9. August 2001 - auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ging erst nach Ablauf der Regelfrist ein. Die Vermutung der Dringlichkeit ist somit widerlegt. Glaubhaft gemachter Vertrag der Verfügungsklägerin, weshalb die Sache noch immer dringlich sei, liegt nicht vor. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung schied damit wegen fehlenden Verfügungsgrundes aus.

Die Vermutung der Dringlichkeit ist nicht dadurch gewahrt, daß die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten mit Telefax vom 1. August 2001 abgemahnt hat. Eine Abmahnung reicht für die Wahrung der Regelfrist nicht aus. Abzustellen ist vielmehr auf die Stellung des Verfügungsantrages bei Gericht. Soweit ersichtlich ist dies einhellige Auffassung der Oberlandesgerichte. So prüfen sie bei der Frage, ob die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist, stets wann der Verfügungsantrag gestellt worden ist. Der Zeitpunkt der Abmahnung spielt hierbei keine Rolle. Soweit aus einer Kommentierung bei Baumbach/Hefermehl (Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, § 25, RdNr. 12 a) entnommen werden könnte, daß auch eine Abmahnung ausreichen solle, hält dies der Senat für verfehlt. § 25 UWG enthält gegenüber §§ 935, 940 ZPO eine Privilegierung. Die vom Gericht zu beachtenden prozessualen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung verlangen ein Verhalten, das gegenüber dem Gericht Wirksamkeit entfalten kann. Damit ist auf die Stellung des Verfügungsantrages abzuheben, nicht aber auf Vorgänge, die lediglich zwischen den Parteien ablaufen.

Schließlich hat der Verfügungsbeklagte auch der Verfügungsklägerin keinen Anlaß für die Annahme gegeben, sie könne auf die Einhaltung der Regelfrist verzichten. Nach Erhalt des Telefaxes vom 1. August 2001 mußte dem Verfügungsbeklagten eine Frist von einigen Tagen zur Entscheidung für die Frage zugestanden werden, ob er sich unterwerfen werde ggf. unter Zuhilfenahme anwaltlicher Beratung. Nach Ablauf einer derartigen Überlegungsfrist war aber die Regelfrist von einem Monat bereits abgelaufen, nämlich am 2. August 2001. Ein Verhalten des Verfügungsbeklagten war also für die Nichteinhaltung der Regelfrist durch die Verfügungsklägerin nicht ursächlich.

2. Der Streitwertbeschluß des Landgerichts Regensburg vom 5. September 2001 war gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG von Amts wegen abzuändern, da er weder den Anforderungen an das gemäß § 2 ZPO auszuübende Ermessen entspricht, noch die sich für den Streitwert ergebenden Konsequenzen aus der teilweisen Erledigungserklärung berücksichtigt.

Verfahrensgegenstand waren zwei wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche. Für jeden dieser beiden Ansprüche mußte ein eigener Wert festgesetzt werden. Dieser Wert liegt selbst bei einfach gelagerten Fällen - wie vorliegend - nach der ständigen Rechtsprechung des Senats für ein Verfügungsverfahren in der Regel nicht unter 20.000,-- DM, insgesamt also bei 40.000,-- DM. Die vom Erstgericht angenommene Schätzung des Verfahrenswertes auf ein Viertel aus einem angenommenen Hauptsachestreitwert in Höhe von 50.000,-- DM findet in Rechtsprechung und Literatur keine Stütze (vgl. Köhler/Piper, a.a.O., vor §§ 23 a, b, RdNr. 16). Der ständigen Übung des Senats entspricht es, im Regelfall den Wert eines Verfügungsverfahrens auf zwei Drittel eines Hauptsachestreitwertes festzusetzen.

Aufgrund der auf einen der beiden geltend gemachten Unterlassungsansprüche bezogenen übereinstimmenden Erledigungserklärungen ging diesbezüglich der Streit zwischen den Verfahrensbeteiligten nur noch um die Frage, wer die auf diesen Teil entfallende Kostenlast zu tragen hat. Demgemäß mußte für die Zeit vor und nach der teilweisen Erledigungserklärung (der Gebühren-) Streitwert gesondert festgesetzt werden.

Entsprechend war der Wert des Berufungsverfahrens ebenfalls aufzuteilen auf die Zeit vor und nach der Abgabe der das Verfahren abschließenden übereinstimmenden Erledigungserklärungen.

Ende der Entscheidung

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