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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 18.07.2007
Aktenzeichen: 4 U 1291/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 131
Besteht zur - Sicherung eines Kredits eine wirksame Globalzession und werden im Voraus abgetretene Forderungen in den letzten drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, so stellt der Forderungserwerb eine kongruente Deckung dar, dessen Anfechtung sich nicht nach § 131 InsO, sondern nach § 130 InsO richtet (abweichend von OLG Karlsruhe, NZI 2006, 103 ff, OLG München NZI 2006, 530 ff).
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

4 U 1291/06

Verkündet am 18. Juli 2007

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kammerer, die Richterin am Oberlandesgericht Reitzenstein und den Richter am Oberlandesgericht Bartsch auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. April 2006 geändert.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.862,88 € sowie Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit 21. Juni 2005 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten der 1. Instanz trägt der Kläger 96 %, die Beklagte 4 %.

Von den Kosten der 2. Instanz trägt der Kläger 95 %, die Beklagte 5 %.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VI. Die Revision wird zugelassen

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 65.078,39 € festgesetzt.

Gründe:

A

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter gegen die beklagte ... Rückgewähransprüche nach Insolvenzanfechtung geltend.

Auf deren eigenen Antrag vom 20. Dezember 2004 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 16. März 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, der ... GmbH mit Sitz in der ... in ... eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Vorausgegangen war die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung, verbunden mit einem Aufrechnungs- und Verrechnungsverbot seitens der Gläubiger, und die Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Dezember 2004. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2004 bestätigte die Beklagte dem Kläger den Erhalt einer entsprechenden Mitteilung.

Die Schuldnerin, die u.a. auf Eventmarketing, Künstlervermittlung sowie Sport- und Konzertveranstaltungen spezialisiert war, unterhielt bei der Beklagten das Kontokorrentkonto mit der Nummer .... Der Kontokorrentkredit betrug 205.000 €. Zur Sicherheit für alle bestehenden und zukünftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der ... trat die Fa. " ... GmbH, ..., ..." mit Globalabtretungsvertrag vom 16. Juni 2004 der ... die ihr aus Warenlieferungen und Leistungen sowie aus dem laufenden Geschäftsbetrieb gegen alle Kunden gegenwärtig und zukünftig zustehenden Forderungen ab.

In den Jahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlegte die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb innerhalb ... zunächst von der ... in die ... und sodann in die .... Unter Hinweis auf den Insolvenzantrag der Schuldnerin kündigte die Beklagte die Geschäftsverbindung mit Schreiben vom 22. Dezember 2004 fristlos; das Kontokorrentkonto wies zu diesem Zeitpunkt einen Schuldensaldo von 192.363,71 € auf.

Im Zeitraum vom 17. Dezember 2004 bis 18. Januar 2005 gingen auf dem Kontokorrentkonto folgende Zahlungen ein, die die Beklagte mit dem jeweiligen Schuldensaldo verrechnete:

17.12.2004 ...| 19.887,50 € 20.12.2004 ...| 1.171,60 € 20.12.2004 ...| 4.890,56 € 23.12.2004 ...| 63,80 € 23.12.2004 ... 503.59 € Gesamtsumme| 26.517,05 €

 29.12.2004 ... 580,00 €
05.01.2005 ... 44.258,06 €
11.01.2005 ... 10.080,40 €
17.01.2005 ... 580,00 €
18.01.2005 ... 2.282.88 €
Gesamtsumme 57.781,34 €

Am 17. Dezember 2004 ließ die Beklagte (letztmals) eine Auszahlung in Höhe von 14.329,44 € zu.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2005 verlangte der Kläger von der Beklagten gestützt auf die Anfechtungsgründe des § 130 Abs. 1 Nr. 2 und § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO Zahlung von 69.968,95 € (26.517,05 € + 57.781,34 € -14.329,44 €).

Der Kläger vertritt den Standpunkt, dass die streitgegenständlichen Forderungen von der am 16. Juni 1994 vereinbarten Globalzession nicht erfasst werden, weil dieser Vertrag nur im Geschäftsbetrieb "..." entstandene Forderungen betreffe. Bezüglich der Verrechnung der ab dem 29. Dezember 2004 - also nach Kenntnis der Beklagten von der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung - eingegangenen Gelder lägen die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor; überdies sei die Verrechnung wegen des gerichtlich ab dem 23. Dezember 2004 angeordneten Verrechnungsverbotes unwirksam. Für den davor liegenden Zeitraum seien die Anfechtungsvoraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt. Zudem habe die Beklagte während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gekannt; dies ergebe sich aus handschriftlichen Anmerkungen zur Werthaltigkeit der offenen abgetretenen Forderungen auf den von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Januar 2006 vorgelegten Zessionslisten (Außenstände am 5. Mai 2004 in Höhe von 297.000 € bewertet mit 80.000 € und Außenstände zum 20 Juli 2004 in Höhe von 151.986,84 € bewertet mit 43.000 €) und deren Gegenüberstellung mit den Verbindlichkeiten des Schuldners bei der Beklagten im Sommer 2004 in Höhe von rund 164.000 €.

Der Kläger hat in 1. Instanz beantragt:

Die Beklagte wird verurteil, an den Kläger 69.968,95 € nebst 8 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 21.06.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Sie meint, dass die Globalzession ausreichend bestimmt sei. Die Schuldnerin sei trotz zweier Umzüge innerhalb ... jederzeit eindeutig bestimmbar gewesen; diese habe ihre Geschäfte stets nur von einem Hauptsitz aus geführt und nie Zweigstellen unterhalten. Sowohl sie als auch die Schuldnerin seien immer von einer wirksamen Globalzession ausgegangen; dies habe sich auch daran gezeigt, dass die Schuldnerin bis zur Insolvenzeröffnung ihrer Verpflichtung zur Vorlage von Forderungsbestandslisten nachgekommen sei. Die Globalzession sei Insolvenzfest; maßgeblicher Zeitpunkt für ihren Forderungserwerb sei der Abschluss des Abtretungsvertrages, somit der 16. Juni 1994; dieser Zeitpunkt liege außerhalb des gesetzlichen Anfechtungszeitraumes.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2006 hat die Kammer auf die Bedeutung des Zeitpunkts der Entstehung einer Forderung für die Frage der Anfechtbarkeit nach §§ 130, 131 InsO hingewiesen. Der Kläger hat daraufhin mit bei Gericht am 22. Februar 2006 eingegangenem Schriftsatz folgende tabellarische Übersicht aufgestellt, deren Angaben in 1. Instanz von der Beklagten nicht bestritten wurden:

 AuftragsbestätigungLeistungszeitraumRechnungsdatumKundeRechnung brutto
30.09.200408.11.-30.11.200402.12.2004 ...19.887,50 €
-06.12.200425.11.2004...1.171,60 €
18.10.200410.-11.11.200419.-22.10.2004...4.890,56 €
19.10.200426.11.200402.12.2004 ...63,80 €
-  ...503,59 €
-17.01.200522.12.2004...580,00 €
10.12.200419.12.200414.12.2004...44.084,64 €
03.12.200409.12.-11.12.200403.12.2004...10.080,40 €
07.12.200427.12.200408.12.2004...580,00 €
11.01.200517./18.O1.200511.01.2005...2.282,88 €

Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Ersturteil sowie die in 1. Instanz eingereichten Schriftsätze der Parteien einschließlich Anlagen Bezug genommen.

Mit Endurteil vom 20. April 2006 hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 65.078,39 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Juni 2005 zu bezahlen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die verrechneten Forderungen - bis auf eine Forderung in Höhe von 4.890,56 €, die bereits am 10711. November 2004 entstanden sei und bezüglich derer Klageabweisung erfolgte - im Monat vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder danach entstanden und als inkongruente Deckung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar seien. Insoweit schließt sich das Erstgericht ausdrücklich der vom Oberlandesgericht Karlsruhe (ZIP 2005, 1248) vertretenen Rechtsansicht an. Die Globalzession vom 16. Juni 1994 hält die Kammer für hinreichend bestimmt und wirksam; sie umfasse auch die im Geschäftsbetrieb "..." entstandenen Forderungen. Wegen der Begründung des Erstgerichtes im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils verwiesen.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte eine vollständige Klageabweisung. Sie hält den Vortrag des Klägers zur Entstehung der abgetretenen Ansprüche für verspätet. Sie ist der Auffassung, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe und ihm folgend das Erstgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Insolvenzfestigkeit der Globalzession verkenne. Vorliegend sei daher nicht § 131 InsO, sondern § 130 InsO einschlägig. Gegen die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe sprächen im Übrigen auch wirtschaftliche Argumente, weil eines der wichtigsten Sicherungsmittel der Banken - würde man der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe folgen - im Fall einer Krise wirkungslos wäre. Im Übrigen habe sie die Kreditlinie in Höhe von 205.000 € bis zur Stellung des Insolvenzantrages offen gehalten und das Konto erst gesperrt, als sie hiervon - am 20., 21. oder 22. Dezember 2004 - erfahren habe.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:

I. Das Urteil des Landgerichts vom 20.04.2006, Az.: 10 O 9242/05, wird abgeändert.

II. Die Klage wird zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Er wiederholt im Wesentlichen den Sachvortrag 1. Instanz und macht sich die Angaben des Erstgerichtes zu eigen. Im Übrigen weist er darauf hin, dass auch die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Ziffer 1 InsO - Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin - gegeben seien.

Zum Parteivortrag im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich übergebener Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen ... wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Mai 2007 verwiesen.

B

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und zum Teil erfolgreich. Soweit die Beklagte vor dem 20. Dezember 2004 - dem Zeitpunkt, bis zu dem sie nach der fristlosen Kündigung vom 22, Dezember 2004 bereits erfolgte Abbuchungen vom Konto des Insolvenzschuldners rückgängig machte - eingehende Zahlungen mit dem Schuldensaldo des Kontokorrentkontos der Schuldnerin verrechnete, sind diese Rechtshandlungen als Bargeschäfte i.S.d. § 142 InsO nicht anfechtbar. Soweit die Beklagte am 17. Januar 2005 einen Betrag von 580 € und am 18. Januar einen Betrag von 2.282,88 € verrechnete, hat sie das Erlangte gemäß §§ 143, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zurückzugewähren. Alle weiteren Verrechnungen sind nicht anfechtbar; insbesondere sind weder die Voraussetzungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 noch die Voraussetzungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.

I.

Die Verrechnung vom 17. Dezember 2004 über 19.887,50 € ist ein unanfechtbares Bargeschäft (§ 142 InsO).

Bis zu ihrer Kenntnis von der Stellung des Insolvenzantrages sowie der hierdurch bedingten fristlosen Kündigung der Geschäftsverbindung am 22. Dezember 2004 und der gleichzeitig veranlassten Rückbelastung der am 20. Dezember 2004 und 21. Dezember 2004 erfolgten Kontobelastungen ließ die Beklagte die spätere Insolvenzschuldnerin vereinbarungsgemäß wieder über Eingänge verfügen - insbesondere führte sie noch am 17. Dezember 2004 eine Belastung in Höhe von 14.329,44 € aus - und hielt die Kreditlinie in Höhe von 205.000 € weiter offen.

Ein entsprechend dem Kontokorrentvertrag praktiziertes Kontokorrentverhältnis ist als Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO, bei dem sich die Leistung des Schuldners und eine gleichwertige Gegenleistung unmittelbar gegenüber stehen, nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar.

1. Der Zeuge ..., ein Mitarbeiter der beklagten ... hat glaubhaft bekundet, dass die Beklagte bis zu ihrer Kenntnis vom Insolvenzantrag am 22. Dezember 2004 das Kontokorrentverhältnis vereinbarungsgemäß durchführte, d.h. Belastungen ausführte, Eingänge verrechnete und den Kreditrahmen von 205.000 € offen hielt. Mit Kenntnis von den Zahlungsschwierigkeiten ihres Kunden, kündigte die Beklagte zum einen fristlos, zum anderen rief sie innerhalb des zulässigen Zeitraums von zwei Tagen Belastungen zurück. Damit bestand bis zum 20. Dezember 2004 ein "unauffälliges" vereinbarungsgemäß umgesetztes Kontokorrentverhältnis.

2. Stellt eine Bank wie hier - Zahlungseingänge ins Kontokorrent, kann in dem Umfang ein unanfechtbares Bargeschäft vorliegen, in dem sie ihren Kunden wieder über den Gegenwert verfügen lässt; allerdings muss die Verrechnung "unmittelbar" erfolgen, d.h. Gutschriften und Belastungen müssen in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, der bei Verrechnungen innerhalb zweier Wochen in der Regel eingehalten ist (BGH Urteil vom 7. März 2002, Az: IX ZR 223/01, NJW 2002,1722 ff.). Der geforderte zeitliche Zusammenhang ist hier - Gutschrift über 19.887,50 € und Belastung in Höhe von 14.329,44 € erfolgten beide am 17. Dezember 2004 - unzweifelhaft gegeben. Ob der Schuldner den vereinbarten Kreditrahmen voll ausnutzt, ist grundsätzlich unerheblich (BGH a.a.O.).

Die vereinbarungsgemäße und als Bargeschäft grundsätzlich kongruente Fortführung des Kontokorrentverhältnisses wird auch nicht insoweit inkongruent, als innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften - wie vorliegend - im Ergebnis höher sind als die Belastungen. Während das zuvor zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002 im Schrifttum teilweise so verstanden wird, dass die Rückführung des «angekündigten Kontokorrentkredites nur in der Höhe kongruent sei, in der die Bank Auszahlungen zugelassen habe (vgl. die Darstellung des Meinungsstandes im Urteil des OLG Rostock vom 7. März 2005, Az.: 3 U 121/02, WM 2007, 980, 981); stellt der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 17. Juni 2004, Az.: IX ZR 2/01, NZI 2004, 491 - ergangen zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 Gesamtordnung - klar, dass Verrechnungen erst dann inkongruent werden, wenn das Kreditinstitut Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt und dadurch im Ergebnis die Darlehensforderung vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt wird (wie hier OLG Rostock a.a.O.). Vorliegend hat die Beklagte erst mit Wirkung ab dem 20. Dezember 2007 belastende Verfügungen ihres Kunden nicht mehr zugelassen.

3. Ein Bargeschäft ist nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung anfechtbar; Anhaltspunkte für eine derartige Absicht sind nicht ersichtlich.

II.

Die Verrechnungen vom 17. Januar 2005 über 580 € und vom 18. Januar über 2.282,88 € sind nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

1. Eine Anfechtbarkeit ergibt sich allerdings noch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass Verrechnungen nach Stellung des Insolvenzantrages und bei Kenntnis der Beklagten von diesem Antrag erfolgten; entscheidend ist vielmehr, ob das der Verrechnung zugrunde liegende Deckungsgeschäft anfechtbar ist. Ist dies nicht der Fall, verwertet der Gläubiger vielmehr eine ihm zustehende Sicherheit, fehlt es an der für eine Insolvenzanfechtung stets notwendigen Gläubigerbenachteiligung nach § 129 Abs. 1 InsO.

Auch das mit der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung am 23. Dezember 2004 verbundene Verrechnungs- und Aufrechnungsverbot führt nicht zur Unwirksamkeit dieser Verrechnungen, weil es Aufrechnungen der Bank kraft eigenen Gestaltungsrechts nicht ausschließen kann und insofern wirkungslos ist (Eickmann/Flessner/Kirchhof, Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 21 Rdnr. 41). Das vorliegende Deckungsgeschäft ist die Globalzession vom 16. Juni 1994.

2. Werden durch Globalzession (auch) künftige Ansprüche abgetreten, ist der für eine insolvenzrechtliche Anfechtung maßgebliche Zeitpunkt derjenige, in dem die rechtlichen Wirkungen der Rechtshandlung - hier der Obergang der Forderung auf die Zessionarin - eintreten (§ 140 Abs. 1 InsO). Bei einer Forderung ist dies der Zeitpunkt ihres Entstehens d.h. ihrer Fälligkeit (BGH Z 113, 188, 191). Den Verrechnungen vom 17. Januar 2005 über 580 € und vom 18. Januar 2005 über 2282,88 € liegen Forderungen zugrunde, die erst im Januar 2005 entstanden sind. Der Übergang dieser Forderungen auf die Beklagte ist nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

a)

Zwar ist der Erwerb dieser Forderungen und ihre Verrechnung mit dem Schuldensaldo des Kontokorrentkontos durch die Beklagte kongruent, weil die Beklagte nach wirksamer fristloser Kündigung vom 22. Dezember 2004 einen Anspruch auf Rückführung der Verbindlichkeiten hatte (vgl. BGH NJW 2002,1722,1723).

b)

Den Verrechnungen vom 17. Januar 2005 über 580 € und vom 18. Januar 2005 über 2.282,88 € liegen jedoch Forderungen zugrunde, die ausweislich der vom Kläger in 1. Instanz nach einem richterlichen Hinweisbeschluss mit Schriftsatz, eingegangen beim Landgericht am 22. Februar 2006, übergebenen Aufstellung erst Mitte Januar 2005 bzw. am 27. Dezember 2005 entstanden sind. Die Auflistung ist von der Beklagten in 1. Instanz nicht bestritten worden. Ihr Bestreiten in 2. Instanz ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 531 Abs. 2 ZPO verspätet; ein Grund für das verspätete Bestreiten in 2. Instanz ist nicht ersichtlich.

c)

Rechtshandlungen, die nach dem Eröffnungsantrag - hier vom 20. Dezember 2004 - vorgenommen werden, sind nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Vorliegend kannte die Beklagte den Eröffnungsantrag, wie sich aus ihrem auf diesen Antrag gestützten Kündigungsschreiben vom 22. Dezember 2004 ergibt.

III.

Die in der Zeit vom 23. Dezember 2004 bis 11. Januar 2005 erfolgten Verrechnungen sind weder nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

1. Der Kläger kann diese Verrechnungen und die ihnen zugrunde liegenden Forderungserwerbe nicht nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechten, weil die Beklagte hierdurch keine inkongruente Deckung erlangt hat. Inkongruent ist eine Deckung, wenn eine Rechtshandlung einem Gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat.

a)

Vorliegend beruht die Deckung auf der Globalzession vom 16. Juni 1994. Diese Sicherungsabtretung ist - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - wirksam und erfasst auch die im Betrieb der Schuldnerin in der ... entstandenen Forderungen. Die spätere Insolvenzschuldnerin hat ihre Geschäfte unstreitig stets nur von einer Betriebsstätte ausgeführt. Sie und die ihr zustehenden Forderungen aus dem Geschäftsbetrieb waren somit immer zweifelsfrei bestimmbar. Wurde bei nach Abschluss der Globalzession erfolgten Umzüge der Schuldnerin der Vertragstext nicht an die neue Adresse angepasst, ist dies unschädlich, weil dieses Unterlassen nur zu einer unrichtigen und jederzeit korrigierbaren Bezeichnung der eindeutig gewollten Schuldnerin führt. Eine Befriedigung, die auf einer wirksamen und unanfechtbaren globalen Vorausabtretung im Rahmen einer Sicherungsvereinbarung beruht, ist grundsätzlich kongruent, so dass die Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 131 InsO nicht vorliegen.

b)

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Inkongruenz nur durch einen bestimmten Sicherungsanspruch ausgeschlossen wird, der auf einen von vornherein individualisierbaren Gegenstand gerichtet ist (BGM, Urteil vom 3. Dezember 1998, Az. IX ZR 313/97, u. a. NJW 1999, 645, 646); denn mit der Abtretung aller künftigen Ansprüche des Schuldners aus seinem Geschäftsbetrieb sind diese Ansprüche von vornherein bestimm- und individualisierbar, wenn auch zum Zeitpunkt der globalen Abtretung noch nicht in den Einzelheiten - insbesondere zu Forderungshöhe und Drittschuldnern - feststehend. So hat auch der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 1. Oktober 2002, Az.: IX ZR 360/99, NJW 2003, 360 ff., entschieden, dass bei einer wirksamen Globalzession zukünftiger Forderungen, die Insolvenzgläubiger regelmäßig nicht benachteiligt werden, soweit das Kreditinstitut die bei ihm eingehenden Zahlungen der Drittschuldner gegen Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin verrechnet.

c)

Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002, Az.: IX ZR 223/01, NJW 2002, 1722 ff. zum Pfandrecht der Banken auf Grund Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken nicht entgegen (aA OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. April 2005, 14 U 200/03, NZI 2006, 103 ff,; OLG München, Urteil vom 8. Juni 2006, 19 U 5587/05, NZI 2006, 530; m. abl. Anm. Waiden in BKR 2006, 162 ff.; Lange/Reimann, BKR 2006, 230 ff.; Brandt/Günther, BKR 2006, 232 ff.; Himmelsbach/Achsnick NZI 2006, 105 ff; Piekenbrock, NZI 2006, 685 ff.; Leithaus/Riewe, NZI 2006, 532; ablehnend auch LG Arnsberg, Urteil vom 10. Februar 2006, Az.: 2 O 105/05; zustimmend dagegen Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 131 Rn. 13; Kirchhof WuB VI A § 131 InsO 1.06).

Der Bundesgerichtshof hat zum Pfandrecht der Banken nach deren AGB ausgeführt, dass eine frühere pauschale Einigung dahin, sämtliche künftig in den Besitz der Bank kommenden Sachen oder für den Kunden entstehenden Ansprüche gegen sie sollten verpfändet werden, nicht genügt, um im Voraus eine kongruente Sicherung (§ 130 InsO) zu begründen, weil nur solche Vereinbarungen die insolvenzrechtliche Kongruenz herstellen können, welche auf bestimmte, sogleich wenigstens identifizierbare Gegenstände gerichtet sind; solange Absprachen es dagegen dem Ermessen der Beteiligten oder dem Zufall überlassen, welche konkrete Sicherheit erfasst werden wird, sind sie nicht geeignet, die Besserstellung einzelner Gläubiger im Konkurs/in der Insolvenz unter Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu rechtfertigen.

Die durch eine Globalzession geschaffene Rechtslage ist eine andere. Es ist weder dem Zufall überlassen, noch steht es im Ermessen der Beteiligten, welche Forderung von dem Sicherungsmittel erfasst werden wird. Vielmehr erstreckt sich die Globalzession - ohne Dispositionsbefugnis des Schuldners - auf alle Forderungen aus einer bestimmten geschäftlichen Tätigkeit. Hieraus resultiert die bei einer Globalzession deutlich stärkere Rechtsstellung der Bank im Vergleich zur Situation beim Pfandrecht nach Nr. 14 Abs. 1 AGB Banken. Die vorliegende Rechtsauffassung vermeidet zudem eine schuldrechtlich und insolvenzrechtlich unterschiedliche Definition von Bestimmtheit und Bestimmbarkeit einer Forderung und trägt dadurch dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung Rechnung. Sie berücksichtigt ferner, dass es sich bei Verrechnungen in einem durch eine Globalzession gesicherten Kontokorrent jedenfalls wirtschaftlich betrachtet um einen Austausch von revolvierenden Sicherheiten handelt, durch den andere Gläubiger nicht benachteiligt werden (vgl. hierzu Leithaus/Riewe, a.a.O.; Piekenbrock, a.a.O.). Dagegen kann dem rein wirtschaftlichen Argument, bei einer zu weitgehenden insolvenzrechtlichen Anfechtungsmöglichkeit der Globalzession würde eines der wichtigsten Sicherungsinstrumente der Deutschen Kreditwirtschaft praktisch entwertet, bei der hier streitigen Gesetzesauslegung aus systematischen Gründen keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen.

2. Zwar können Rechtshandlungen auch bei kongruenter Deckung unter den Voraussetzungen des § 130 InsO angefochten werden, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erwiesen.

Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zur Zeit der Handlung ist nicht dargelegt. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Januar 2006 vorgelegten Zessionslisten der Jahre 1999 bis 2004 auf handschriftliche Vermerke (wohl) von Mitarbeitern der Beklagten zur Werthaltigkeit der abgetretenen Forderungen und zur Höhe der Verbindlichkeiten der Schuldnerin bei der Beklagten verweist, lassen diese Anmerkungen (ohne Datum) allenfalls Schlüsse auf eine Kenntnis der Beklagten von einer möglicherweise prekären wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin zu. Dass tatsächlich Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorlag, lässt sich ihnen nicht entnehmen. So hat auch das Landgericht zutreffend - allerdings bei Prüfung von § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO - festgestellt, dass der Kläger weder eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin noch eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Beklagten habe darstellen können. Weiterer Sachvortrag hierzu ist im Berufungsverfahren nicht erfolgt.

C

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO; der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit liegen § 708 Nr. 10, § 711 ZPO zugrunde.

Die Revision war im Hinblick auf die abweichenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und München zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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