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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 5 U 737/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91a
ZPO § 93
1. Eine Berufung kann nur dann einseitig für erledigt erklärt werden, wenn anders eine angemessene Kostenentscheidung nicht erreicht werden kann.

2. Legt der zu Schadensersatz verurteilte Beklagte sein Rechtsmittel ein, weil das Gericht des ersten Rechtszugs entgegen § 108 SGB VII die Frage nach dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls selbst entschieden und verneint hat, und kommen die Sozialgerichte während des ausgesetzten Berufungsverfahrens zu dem selben Ergebnis, liegt ein solcher Fall nicht vor.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES

Az.: 5 U 737/06

Verkündet am 26.05.2008

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg -5. Zivilsenat- durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Braun, Richter am Oberlandesgericht Kimpel und Richter am Oberlandesgericht Redet auf Grund des Sachstands vom 30.04.2008 ohne mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 26.05.2008 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Regensburg vom 2. März 2006 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des BerufungsVerfahrens mit Ausnahme der Gerichtskosten, die nicht erhoben werden.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 41.503,20 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um den Ersatz eines Verdienstausfallschadens und um Schmerzensgeld wegen eines Unfalls, den der Kläger bei Holzfällarbeiten am 11. Juni 2004 erlitten hat.

Die zuständige Berufsgenossenschaft stufte den Unfall mit Bescheid vom 30. Mai 2005 als Arbeitsunfall ein. Der Beklagte legte hiergegen form- und fristgerecht Widerspruch ein und hat seine Rechtsverteidigung von Beginn an auch auf den Haftungsausschluss nach §§ 104 ff., § 2 Abs. 2 SGB VII gestützt.

Mit Grund- und Teilurteil vom 2. März 2006, auf das wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, hat das Erstgericht festgestellt, dass die Klage dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 4/10 gerechtfertigt ist. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es liege kein Arbeitsunfall i. S. d. SGB VII vor. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 108 Abs. 2 SGB VII ist nicht erfolgt.

Gegen dieses ihm am 7. März 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 27. März 2006 Berufung eingelegt, die er nach Fristverlängerung mittels eines am 23. Mai 2006 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründet hat.

Der Beklagte hat zunächst die fehlende Aussetzung des Verfahrens nach § 108 Abs. 2 SGB VII gerügt. Das Landgericht habe über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht entscheiden dürfen. Er hat zunächst beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit auszusetzen. Für den Fall, dass im sozialgerichtlichen Verfahren ein Arbeitsunfall verneint werde, hat er angekündigt, eine Abänderung des angefochtenen Urteils dahin zu beantragen, dass ein Mitverschulden des Klägers von 50 % berücksichtigt wird.

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 23. Juni 2006 nach § 108 Abs. 2 SGB VII ausgesetzt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 16. November 2007 hat das Sozialgericht L den Bescheid der Berufsgenossenschaft vom 30. Mai 2005 aufgehoben, da ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen hat.

Mit Schriftsatz vom 7. April 2008 hat der Kläger darauf sein Rechtsmittel für erledigt erklärt, da es grob unbillig sei, seine Verteidigung gegen das rechtsfehlerhafte Zivilurteil mit einem Kostenrisiko zu belasten, und beantragt,

die Kosten dem Kläger aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat keine Erledigterklärung abgegeben.

Mit Beschluss vom 14. April 2008 hat der Senat im allseitigen Einverständnis angeordnet, dass die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergeht und die Parteien bis zum 30. April 2008 Schriftsätze einreichen können.

II.

1. Die Berufung des Beklagten ist zulässig.

Zwar bestehen gegen die in der Berufungsbegründung vom 22. Mai 2006 enthaltenen Anträge Bedenken, weil kein ausdrücklicher Angriff in der Sache erklärt und nicht genau gesagt wird, inwieweit das Urteil angefochten und welche Abänderungen beantragt werden sollen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Doch kann zugunsten des Beklagten unterstellt werden, dass er seinen Klageabweisungsantrag erster Instanz weiter verfolgen wollte (BGH NJW 2006, 2705).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Senat kann die beantragte Feststellung der Erledigung des Rechtsmittels nicht aussprechen, da im Streitfall kein Bedürfnis für die Zulassung einer einseitigen Erledigterklärung der Berufung besteht und diese zu keinem Zeitpunkt in der Sache begründet war. Sein ursprünglich geltend gemachtes, auf eine günstigere Quote zielendes Anliegen hat der Beklagte mit der Erledigterklärung aufgegeben.

a) Die im Rechtsmittelzug abgegebene Erklärung, die Hauptsache sei erledigt, ist etwas anderes als die Erledigterklärung des Rechtsmittels. Letztere ist im Gesetz nicht vorgesehen. Sie ist zwar grundsätzlich anerkannt; die Frage, ob ihre Zulassung von einem besonderen - ggf. von welchem - Bedürfnis abhängt, ist jedoch nicht geklärt (Musielak/Wolst, ZPO, 5. Auflage, § 91 a Rn. 8 m. w. N.). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt eine Erledigterklärung nur hinsichtlich des Rechtsmittels, ohne eine generelle Entscheidung zu treffen, dann zu, wenn hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht. Es soll eine unangemessene Kostenbelastung des Rechtsmittelführers vermieden werden, wie sie bei Anwendung der starren Rücknahmevorschriften einträte (BGH NJW-RR 2006, 142; NJW-RR 2X1, 1007; NJW 1998, 2453). Auch in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur wird neben der Dispositionsmaxime vor allem die Zwangslage des Rechtsmittelführers als Argument für die Zulassung der Erledigterklärung von Rechtsmitteln angeführt (OLG Stuttgart BauR 1995, 135; OLG Frankfurt NJW 1998, 1447; OLG Hamm FamRZ 1987, 1056; OLG Bamberg Rpfleger 1995, 289; Musielak/ Wolst a. a. O.; Zöller Vollkommer, 26. Aufl., Rn 19; Thomas/Putzo/Hüßtege, 28. Auflage, Rn. 8; MüKo-ZPO/Lindacher, 3. Auflage, Rn. 126 ff.; Stein/Jonas/Bork, 22. Auflage, Rn. 61 ff. je zu § 91 a ZPO; Bergerfurth NJW 1992, 1655/1656).

b) Der Senat hält eine einschränkungslose Zulassung der einseitigen Erledigterklärung des Rechtsmittels für nicht gerechtfertigt.

Dagegen spricht schon das Fehlen einer gesetzlichen Regelung. Die Dispositionsmaxime kann lediglich für die Zulässigkeit der übereinstimmenden Erledigterklärung in Anspruch genommen werden, nicht für die vom Rechtsmittelführer einseitig erklärte. Die Vorschrift des § 516 ZPO zeigt, dass der Berufungsführer nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade nicht nach freiem Ermessen von der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens Abstand nehmen kann bzw. dass ein solches Vorgehen in der Regel mit nachteiligen Kostenfolgen verbunden sein soll.

Ein Rechtsmittel kann daher nur in besonderen Fällen für erledigt erklärt werden, wenn hierfür in der konkreten Fallkonstellation ein Bedürfnis besteht, weil anders eine unangemessene Kostenbelastung des Rechtsmittelführers nicht vermieden werden kann. (OLG Hamm a. a. O.; KG FamRZ 1982, 950; Musielak/ Wolst a. a. O.; Thomas/ Putzo/ Hüßtege a. a. O. jem. w. N.).

Im Streitfall fehlt es an einem solchen besonderen Bedürfnis, weil der Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, den Klageanspruch nach Rechtskraft des sozialgerichtlichen Urteils anzuerkennen. Da ohne die nur den Sozialversicherungsträgern oder den Sozialgerichten mögliche bindende Feststellung des NichtVorliegens eines Arbeitsunfalls die Klage keinen Erfolg haben konnte, wäre ein zu diesem Zeitpunkt erklärtes Anerkenntnis noch als sofortiges im Sinne des § 93 ZPO anzusehen gewesen. Die Möglichkeit, ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO abzugeben, macht häufig den Rückgriff auf die Erledigterklärung des Rechtsmittels entbehrlich (Stein/Jonas/ Bork a. a. O.; MüKo-ZPO/Lindacher a. a. O.).

c) Der Antrag des Beklagten hätte aber auch dann keinen Erfolg, wenn die Erledigterklärung als solche zulässig wäre. Denn das Urteil des Sozialgerichts L ist kein erledigendes Ereignis im Rechtssinne.

Mit der Rechtskraft dieser Entscheidung stand zwar fest, dass der Haftung des Beklagten nicht die Vorschriften des SGB VII entgegenstanden, sein Klageabweisungsantrag also kaum mehr in vollem Umfang Erfolg haben konnte. Gleichwohl war das Rechtsmittel des Beklagten damit nicht automatisch sinnlos und ohne jede Erfolgsaussicht Denn zumindest über die richtige Haftungsquote besagte das sozialgerichtliche Urteil nichts.

Darüberhinaus kann nicht festgestellt werden, dass das Rechtsmittel des Beklagten ohne das Urteil des Sozialgerichts in der Sache Erfolg gehabt hätte. Der in der unterbliebenen Aussetzung nach § 108 SGB VII liegende Verfahrensfehler des Erstgerichts hätte für das Rechtsmittel des Beklagten allenfalls zu einem Erfolg in Form einer hier allerdings nicht beantragten (§ 538 Abs. 2 ZPO) Zurückverweisung an das Erstgericht führen können. Die Zurückverweisung hätte aber nichts daran geändert, dass ein Arbeitsunfall nach der maßgeblichen Auffassung des Sozialgerichts nicht vorlag. Der Beklagte hätte dann bei sonst gleichen Umständen auch die gesamten Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens tragen müssen. Es kann für die Kostenlast aber keinen Unterschied machen, ob die Aussetzung vom Berufungsgericht selbst oder nach Aufhebung und Zurückverweisung vom Erstgericht angeordnet wird.

3. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Berufungsverfahren ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abzusehen, weil es der Berufung nicht bedurft hätte, wenn das Erstgericht das Verfahren nach § 108 SGB VII ausgesetzt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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