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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.03.2001
Aktenzeichen: 7 UF 2844/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Dem Umstand, daß der in Deutschland lebende Sohn eines dem islamischen Glauben angehörenden Vaters nach der Trennung der Eltern bei der nicht dieser Glaubensgemeinschaft angehörenden Mutter weder nach der islamischen noch nach einer sonstigen Religion erzogen wird, kommt im Rahmen der Kindeswohlprüfung keine entscheidend gegen die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter sprechende Bedeutung zu.
7 UF 2844/00 102 F 1570/00 AG Nürnberg

Nürnberg, den 30.03.2001

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 24.7.2000 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die im Beschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 5.000,-- DM.

Gründe:

I.

Der am 15.12.1953 geborene Antragsteller, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, und die am 6.6.1971, geborene Antragsgegnerin, die armenische Staatsangehörige ist, sind seit 12.5.2000 getrennt lebende Eheleute. Aus der Ehe ist der am 10.3.1998 geborene Sohn S (im folgenden S) hervorgegangen, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Der Antragsteller ist Kurde und wurde in der Türkei geboren. Er war 1972 nach Deutschland übergesiedelt und hatte dort eine 13 Jahre ältere Schwägerin geheiratet. Aus dieser Verbindung gingen der 1975 geborene Sohn G und die 1977 geborene Tochter T hervor. 1979 trennte sich der Antragsteller von seiner, ersten Ehefrau, 1993 wurde diese Ehe geschieden. Die erste Ehefrau des Antragstellers und die Kinder aus dieser Ehe leben im Raum N. Der Antragsteller, der an der Universität E Islamwissenschaften studiert hat, ist freiberuflich als Dolmetscher und Übersetzer (für die kurdische und türkische Sprache) berufstätig. 1996 wurde er von der am 11.8.1932 geborenen G W, einer alleinstehenden Witwe, adoptiert. Zu dieser Zeit befand er sich aufgrund von erfolglosen Versuchen, im Immobilien- und Versicherungsbereich Fuß zu fassen, in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die auch zu einem Eintrag in der Schufa führten, der 1998 wieder gelöscht wurde.

Die Antragsgegnerin, die aufgrund der entsprechenden Religionszugehörigkeit ihrer Eltern der jezidischen Glaubensgemeinschaft angehörte, war 1995 zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus Armenien nach Deutschland gekommen und hatte dort einen Asylantrag gestellt. Da dieser abgelehnt wurde, siedelte die Mutter der Antragsgegnerin nach Holland über, der Bruder heiratete in Nürnberg und lebt seitdem hier.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin lernten sich 1996 in Nürnberg kennen, Anfang Januar 1997 heirateten sie dort.

Die Antragsgegnerin ging jedenfalls nach der Geburt des Kindes S keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern widmete sich dem Haushalt und der Betreuung des Kindes.

Die selbständige Tätigkeit des Antragstellers erlebte durch seine Hinzuziehung als Dolmetscher zu den PKK-Prozessen einen erheblichen Aufschwung, der auch zu einer Verbesserung seiner finanziellen Verhältnisse führte.

Am 11.5.2000 erhielt die Antragsgegnerin, die bis dahin lediglich eine auf 3 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis hatte, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Deutschland.

Am 12.5.2000 verließ sie zusammen mit S die - vom Antragsteller nach wie vor bewohnte und in dessen Eigentum stehende - Ehewohnung in Nürnberg und begab sich, ohne den Antragsteller darüber zu informieren, mit ihrem Kind zunächst in ein Frauenhaus in später auch für einige Tage zu ihrer Mutter nach Holland.

Auf Antrag des Antragstellers vom 24.5.2000 erließ das Amtsgericht Nürnberg nach Anhörung des Antragstellers - die Antragsgegnerin konnte nicht angehört werden, da ihr Aufenthalt dem Gericht nicht bekannt war - am 13.6.2000 einen Beschluß, in dem im Wege der vorläufigen Anordnung

- die elterliche Sorge für S auf den Vater übertragen und

- angeordnet wurde, daß die Mutter S an den Vater herauszugeben habe.

Aufgrund des Beschlusses nahmen Beamte des Bundesgrenzschutzes, die der Antragsteller über ein von ihm mit der Antragsgegnerin vereinbartes Treffen in Köln am 17.6.2000 informiert hatte, S an diesem Tag der Mutter in Köln weg und übergaben das Kind dem Antragsteller.

Mit Schriftsatz vom 24.5.2000 hatte der Antragsteller auch in der Hauptsache beantragt, ihm die elterliche Sorge für das Kind S allein zu übertragen.

Zur Begründung hat er .u. a. vorgetragen, daß seine Frau ihn offensichtlich nur geheiratet habe, um die Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erhalten, und ihn daher, als sie ihr Ziel am 11.5.2000 erreicht habe, bereits am Tag danach-verlassen habe,

- er befürchte, daß die Antragsgegnerin nicht mehr in Deutschland leben wolle und ihm sein Kind auf Dauer entziehen werde,

- die Versorgung bei ihm sichergestellt sei, da er seine Arbeitszeit als Dolmetscher insbesondere bei Gericht "mehr oder weniger frei einteilen" könne (vgl. Schriftsatz, vom 24.5.2000, Seite 3), in den Ausnahmefällen berufsbedingter Abwesenheit seine Adoptivmutter G W zur Betreuung des Kindes zur Verfügung stehe, und er auch bisher schon in die Versorgung Siyabends eingebunden gewesen sei (vgl. Schriftsatz vom 17.7.2000, Seite 4),

- er, der auch mit der deutschen Sprache und Kultur wesentlich vertrauter sei als die Antragsgegnerin, S besser erziehen und fördern könne.

Die Antragsgegnerin, die zwischenzeitlich nach Nürnberg zurückgekehrt war und zunächst im Frauenhaus wohnte, hat mit Schriftsatz vom 29.6.2000 beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts vom 13.6.2000 aufzuheben und ihr die elterliche Sorge für S zu übertragen.

Sie hat behauptet, daß sie den Antragsteller verlassen habe, weil sie von diesem seit Jahren immer wieder massiv mißhandelt worden sei.

Im übrigen hat sie sich zur Begründung ihres Antrages u. a. darauf berufen, daß

- das Kind seit der Geburt von ihr betreut und versorgt worden und sie deshalb dessen Hauptbezugsperson sei,

- der Antragsteller zur Kindeserziehung nicht geeignet sei, was sich auch darin gezeigt habe, daß sein erster Sohn rauschgiftsüchtig gewesen sei,

- sie eine akademische Ausbildung als Lehrerin habe und der deutschen Sprache durchaus mächtig sei.

Der Antragsteller hat irgendwelche Gewalttätigkeiten gegenüber der Antragsgegnerin bestritten.

Das Amtsgericht, dem im übrigen auch ein Bericht des Jugendamtes vom 27.6.2000 (vgl. Sonderheft einstweilige Anordnung, B1. 35) vorlag, hat nach Anhörung der Eltern in Sitzungen vom 12.7.2000 (vgl. Bl. 29 - 32 d. A.) und 18.7.2000 (vgl. Bl. 84 - 89 d. A.) mit Beschluß vom 24.7.2000

I. den Beschluß vom 13.6.2000 aufgehoben

II. die elterliche Sorge für S auf die Mutter übertragen

und

III. angeordnet, daß der Vater das Kind an die Mutter herauszugeben hat und u. a. zur Durchsetzung auch Gewalt gebraucht werden darf.

Mit Beschluß vom 26.7.2000 hat das Amtsgericht den zuständigen Gerichtsvollzieher beauftragt, den Beschluß vom 24.7.2000 zu vollziehen, was dann auch geschah. Seit dem lebt S bei seiner Mutter.

Mit am 3.8:2000 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat der Antragsteller gegen den ihm am 27.7.2000 zugestellten Beschluß vom 24.7.2000 Beschwerde eingelegt und begründet.

Er verfolgt mit seinem Rechtsmittel seinen erstinstanzlichen Antrag, ihm die elterliche Sorge für S allein zu übertragen weiter.

Zur Begründung dieses Antrags beruft er sich u. a. darauf, daß die Antragsgegnerin zur Erziehung des Kindes nicht geeignet sei weil

- sie stark medikamentenabhängig sei und regelmäßig das eine Abhängigkeit erzeugende Beruhigungsmittel Diazepam einnehme,

- die Körperpflege des Kindes vernachlässige, so daß dieses teilweise verdreckt sei,

- dem Kind keine Liebe geben könne und sich nicht aktiv um kümmere; sondern lieber den ganzen Tag fernsehe,

- dadurch, daß sie in Gegenwart des Kindes nicht ausreichend Deutsch, sondern mit Bekannten nur Russisch gesprochen habe,. für Rückstände in der Sprachentwicklung S verantwortlich sei,

- das Kind später schulisch und intellektuell nicht ausreichend fördern könne, weil sie die lateinische Schrift nicht beherrsche und an intellektuellen Dingen nicht interessiert sei.

Er, der Antragsgegner,

habe dagegen eine starke und intensive Beziehung zu seinem Sohn (Beweisangebot: R zu laden über die Beratungsstelle des Jugendamtes der Stadt N sowie Augenschein des Gerichtes in Anwesenheit des Kindes) sowie die größeren Einflußmöglichkeiten in der Erziehung, da das Kind ihm großes Vertrauen entgegenbringe,

könne aufgrund seiner sprachlichen und sonstigen Kenntnisse und weil er mit dem Kind nur deutsch spreche, dessen Sprachentwicklung und Ausbildung bessern fördern und

sei auch in der Lage, seine Berufstätigkeit so einzurichten, daß er S persönlich versorgen könne.

Für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn spreche auch, daß die Antragsgegnerin ihm S nach der Trennung zunächst völlig entzogen, nach der Rückkehr des Kindes zu ihr in Nürnberg am 26.7.2000 zunächst bis Ende Oktober 2000 keinen Umgang gestattet habe und auch den danach praktizierten Umgang eigentlich ablehne und nur unter dem Druck des Verfahrens zugebilligt habe. Außerdem habe sie den unter der Aufsicht des Jugendamts durchgeführten Umgang immer wieder durch Verspätungen erschwert (Beweisangebot: R Beratungsstelle des Jugendamtes der Stadt N).

Im übrigen müsse auch aus religiöser und kultureller Sicht das Sorgerecht auf ihn übertragen werden:

Der Antragsgegnerin sei von ihrer jezidischen Religionsgemeinschaft die Eheschließung mit dem Angehörigen einer anderen Religion, also auch mit ihm als Moslem, verboten. Der Verstoß gegen dieses Verbot habe zur Folge, daß die Antragsgegnerin als von Gott verflucht angesehen sowie aus ihrer Religionsgemeinschaft ausgestoßen werde und mit Verfolgung bis hin zum Mord rechnen müsse. Auch S sei, wegen der Heirat seiner Mutter mit einem Andersgläubigen, kein Jezide und könne auch keiner mehr werden.

Sowohl nach dem jezidischen Glauben als auch aus moslemischer Sicht müsse ein Kind nach der Trennung der Eltern beim Vater und nicht bei der Mutter bleiben. Da S einerseits nach der jezidischen Religionsgemeinschaft kein Jezide mehr werden könne und andererseits nach islamischem Glauben sich die Religion des Kindes nach der Religion des Vaters richte, sei es dringend erforderlich, daß der Antragsteller das Sorgerecht erhalte, um die Erziehung des Kindes nach dem islamischen Glauben übernehmen zu können. Die moslemische Gesellschaft erkenne ein Kind, das moslemisch durch den Vater erzogen sei, voll als Moslem an. Auch aufgrund dessen könne er als moslemischer Vater das Kind besser vor Verfolgungen schützen, die der Mutter und auch dem Kind von Seiten der Jeziden drohten.

Zum Beleg für seine Darlegungen im Hinblick auf die religiösen Verhältnisse hat der Antragsteller ein Schreiben eines D vom 16.3.2001 sowie des D des geistlichen Oberhaupts der jezidischen Religion in Europa, vom 12.3.2001 vorgelegt und die genannten Personen als Sachverständige benannt.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Sie bestreitet, tablettenabhängig zu sein, und hat insoweit ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. K und S vom 13.9.2000 (vgl. Bl. 163 d. A.) vorgelegt.

Sie macht weiter geltend, daß sie in vollem Umfang zur persönlichen Betreuung S zur Verfügung stehe. Der Antragsteller werde dagegen nicht bereit sein, den mit der Betreuung des Kindes verbundenen Verzicht auf viele Dinge zu leisten. Dies werde zur Folge haben, daß S ständig in der Obhut anderer Frauen wie der Adoptivmutter oder der Tochter des Antragstellers sein werde.

Bis zur Trennung im Mai 2000 sei S ausschließlich von ihr versorgt worden.

Wegen des Sachvortrags der Eltern im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Eltern in den Sitzungen vom 30.10.2000 (vgl. Bl. 177 - 180 d. A.) und 26.3.2001 (Bl. 304 - 310 d. A.) persönlich angehört. Ihm haben ein Bericht des Jugendamtes der Stadt N vom 15.9.2000 (Bl. 155 - 156 d. A.) sowie von der Antragsgegnerin vorgelegte Berichte des Frauenhauses in N vom 8.9.2000 (vgl. Bl. 150 d. A.) und 27.10.2000 (vgl. Bl. 181 d. A.) vorgelegen.

Der Senat hat darüber hinaus ein Gutachten des Diplom-Psychologen Dr. S vom 12.1.2001 erholt, das zum Ergebnis gekommen ist, daß es dem Wohl des Kindes mehr entspreche, bei der Mutter zu leben und im Hinblick auf eine fehlende Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit die elterliche Sorge für das Kind insgesamt allein auf die Mutter zu übertragen sei.

Auf Antrag des Antragstellers ist der Sachverständige in der Sitzung vom 26.3.2001 persönlich angehört worden (vgl. Bl. 306 - 310 d. A.).

Der Antragsteller hat Einwendungen gegen das Sachverständi- gengutachten erhoben (vgl. Schriftsatz vom 10.3.2001) und beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten zu der Frage zu erholen, ob es am meisten dem Kindeswohl dient, das Sorgerecht für das Kind der Mutter oder dem Vater zu übertragen.

II.

Die gemäß §§ 621 e, 516, 518, 519 ZPO, 20 FGG zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg, weil die vom Amtsgericht vorgenommene, dem Antrag der Antragsgegnerin entsprechende Übertragung der elterlichen Sorge für das Kind S allein auf die Antragsgegnerin nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB gerechtfertigt ist.

1. Da S und seine Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, ist nach Art. 1 und 2 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 (MSA) die Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben und formell und materiell deutsches Recht, mithin auch § 1671 BGB, anzuwenden.

2. Nach dieser Vorschrift ist zunächst zu prüfen, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insgesamt (gegenüber der - möglicherweise auch nur teilweisen - Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei beiden Eltern) dem Wohl S am besten entspricht.

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall zu bejahen, weil die Eltern sich nicht nur über den Aufenthalt des Kindes uneinig sind, sondern auch unter Berücksichtigung und in Folge der gegenseitigen Vorwürfe - die Antragsgegnerin wirft dem Antragsteller u. a. andauernde Mißhandlungen während des Zusammenlebens vor, der Antragsteller spricht der Antragsgegnerin jegliche Erziehungseignung ab - jedenfalls derzeit nicht von einer - für die Beibehaltung auch der teilweisen gemeinsamen elterlichen Sorge erforderlichen - Kooperationswilligkeit und Kooperationsfähigkeit der Eltern in Angelegenheiten des Kindes ausgegangen werden kann (so auch der Sachverständige Dr. S in seinem Gutachten vom 12.2.2001, Seite 45, 53).

3. Steht somit fest, daß die Aufhebung der Belassung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge im Kindesinteresse vorzuziehen ist, so ist als nächstes zu prüfen, ob die Übertragung der elterlichen Sorge für S auf den Vater oder auf die Mutter dem Wohl des Kindes am besten entspricht, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Der Senat kommt insoweit, wie das Amtsgericht, auch unter Berücksichtigung der zusätzlichen Erkenntnisse aus dem Beschwerdeverfahren zum Ergebnis, daß die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin dem Wohl S am besten entspricht.

Aufgrund des Sachvortrags der Parteien ist zunächst davon auszugehen, daß das Kind von seiner Geburt am 10.3.1998 bis, zur Trennung der Eltern am 12.5.2000 jedenfalls überwiegend und seitdem, von der Zeit vom 17.6. bis 26.7.2000 abgesehen, allein von der Antragsgegnerin betreut wurde Die Antragsgegnerin war und ist daher die Hauptbezugsperson für das Kind. Dieser Umstand spricht dafür, daß S zu seiner Mutter intensive emotionale Bindungen entwickelt hat. Diese Vermutung wird durch die Feststellung des Sachverständigen Dr. S gestützt, der eine herzliche, liebevolle und natürliche Mutter-Kind-Beziehung beobachtet hat (vgl. Gutachten, Seite 42). Die Aufrechterhaltung dieser durch die überwiegende Betreuung seit der Geburt gewachsenen Bindung ist für ein Kind im Alter S von etwa 3 Jahren für die weitere emotionale und kognitive Entwicklung von erheblicher Bedeutung, so daß sie durch eine Sorgerechtsregelung nicht ohne triftigen Grund beeinträchtigt werden soll (vgl. etwa Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 RdNr. 69 m. w. N.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall vom Antragsteller vorgetragen und auch durchaus anzunehmen ist, erfreulicherweise auch zwischen S und seinem Vater eine gute und intensive Beziehung besteht.

Damit ergibt sich ein Vorrang der Antragsgegnerin als bisheriger Hauptbezugsperson unabhängig davon, ob man mit dem Sachverständigen Dr. S einen "Muttervorrang" daraus herleiten will, daß eine intim-zärtliche Versorgung eines Kindes im Alter S - etwa bis zum Alter von 7 Jahren (vgl. Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 26.3.2001, Protokoll Seite 3) - durch die Mutter eine positive Bedeutung und Auswirkung für die spätere Persönlichkeitsentwicklung hat, und der Vater insoweit als Identifikationsfigur aufgrund seiner beruflichen und sonstigen Interessen erst ab einem Alter des Kindes von etwa 8 Jahren eine gewichtigere Rolle spielt (vgl. Gutachten, Seite 57).

Die grundsätzlich anzustrebende, bei einem weiteren Verbleib des Kindes bei der Mutter gewährleistete personale Kontinuität spielt für das Wohl des Kindes auch eine größere Rolle als die - vom Antragsteller im Hinblick auf das bei ihm mögliche weitere Verbleiben des Kindes in der Ehewohnung r zu seinen Gunsten angeführte Kontinuität des sozialen Umfeldes. Was diese angeht, hat die Antragsgegnerin das Kind zwar durch ihre "Flucht" am 12.5.2000 zunächst einem - für das Kind sicher nicht förderlichen - mehrfachen Wechsel des Aufenthaltsortes und des, sozialen Umfeldes ausgesetzt. Seit 30.10.2000 hält sich die Antragsgegnerin nunmehr aber in einer = nach den Feststellungen der Diplom-Sozialpädagögin M vom Frauenhaus in N vom 27.10.2000 sowie des Sachverständigen Dr. S - kindgerecht eingerichteten 3-Zimmer-Wohnung in Nürnberg auf. Damit kann die Antragsgegnerin S nunmehr eine durchaus ausreichende und hinter den entsprechenden Möglichkeiten des Antragstellers - er wohnt nach wie vor in der Ehewohnung - nicht zurückbleibende Unterbringung bieten.

Es sind auch keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Antragsgegnerin, wie vom Antragsteller befürchtet, die Wohnung in Nürnberg in absehbarer Zeit aufgeben wird, um nach Holland zu ihrer Mutter öder gar nach Armenien zurückzukehren. Die Antragsgegnerin hat insoweit in der Sitzung vom 26.3.2001 erklärt, daß sie beabsichtige, mit dem Kind weiter in Deutschland, und zwar in Nürnberg, zu bleiben. Diese Absichtserklärung ist auch glaubhaft, weil es der Antragstellerin ja seit dem 11.5.2000 gelungen ist, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu erhalten, in Nürnberg auch ihr dort verheirateter Bruder lebt und deshalb kein Motiv ersichtlich ist, das die Antragsgegnerin zu einem verlassen Deutschlands oder gar zu einer Rückkehr nach, Armenien veranlassen sollte.

Angesichts des Alters von S ist auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der persönlichen Betreuung des Kindes durch den einen oder anderen Elternteil ein gewichtiges Kriterium für die Übertragung der elterlichen Sorge. Dies beruht auf der allgemein vertretenen Auffassung, daß jedenfalls bei einem Kind im Alter S die persönliche Betreuung durch einen Elternteil dem Kindeswohl mehr entspricht, als eine Fremdbetreuung durch Verwandte oder Freunde (vgl. auch Sachverständigengutachten, Seite 58).

Auch insoweit sind im vorliegenden Fall Vorteile auf Seiten der Antragsgegnerin zu sehen, die nicht berufstätig ist, und damit - wie seit der Geburt des Kindes - weiterhin - von Notfällen wie etwa Krankheit abgesehen - die Betreuung S in vollem Umfang persönlich leisten kann und ihren glaubhaften Angaben nach auch leisten wird.

Ob eine persönliche Betreuung des Kindes auf Seiten des Antragstellers in gleichem Umfang gewährleistet ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Zwar hat dieser mit Schriftsatz vom 13.10.2000 vorgetragen, er könne sich, da er im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung durch seine Adoptivmutter auf eine Erwerbstätigkeit nicht angewiesen sei, bis zum 3. Lebensjahr des Kindes, d. h. bis zum Kindergartenbesuch, voll und ganz der Kindesbetreuung widmen und sei, bis auf wenige Ausnahmen, die auch die Mutter in Anspruch nehmen müsse, nicht auf fremde Hilfe angewiesen.

Nach Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 12.2.2001, in dem zur Begründung des Vorschlages der elterlichen Sorge auf die Mutter auch auf die ausschließlich persönliche Betreuung des Kindes durch die Mutter gegenüber einer (teilweisen) Drittbetreuung beim Vater abgestellt, wurde (vgl. Seite 58 des Gutachtens), hat der Antragsteller in einem weiteren Schriftsatz vom 10.3.2001 geltend gemacht, daß er tatsächlich bis zur Eingliederung des Kindes in den Kindergarten im September 2001 keiner Erwerbstätigkeit nachgehen werde und die bisherige Anwesenheit der Adoptivmutter während des Aufenthaltes des Kindes bei ihm nicht als Mitbetreuung, sondern als bloßer Besuch anzusehen sei.

Angesichts

- der Feststellung des Allgemeinen Sozialdienstes der Stadt N in der Stellungnahme vom 27.6.2000, daß der Antragsteller während des Aufenthalts des Kindes bei ihm seit 17.6.2000 teilweise "von seiner Mutter ebenfalls notwendige Unterstützung" erhalte sowie

- der im Gutachtendes Sachverständigen Dr. S auf Seiten 14 und 22 wiedergegebenen Äußerungen des Antragstellers über die Anwesenheit und Mitbetreuung des Kindes durch die Adoptivmutter hat der Senat jedoch zumindest Zweifel daran, daß der Antragsteller - unter Hinnahme der damit verbundenen finanziellen Einbußen durch den vorübergehenden Ausfall bzw. die Einschränkung seiner Berufstätigkeit sowie der sonstigen Einschränkung in der Lebensführung - in der Lage und bereit ist, S ohne Einschaltung - der insoweit jedenfalls zur Verfügung stehenden - Adoptivmutter durchgehend persönlich zu betreuen.

Den für die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin sprechenden Gesichtspunkten der Kontinuität hinsichtlich der Hauptbezugsperson des Kindes sowie der größeren Gewähr für eine grundsätzlich persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil bei der Mutter stehen keine Aspekte entgegen, die eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater rechtfertigen könnten.

So ist zunächst im Anschluß an die Feststellung des Sachverständigen Dr. S (vgl. Gutachten Seite 57) davon auszugehen, daß beide Elternteile ihr Kind in gleicher Weise lieben. Dafür, daß dies - entgegen der Darstellung des Antragstellers - auch bei der Antragsgegnerin der Fall ist, sprechen im übrigen auch der Bericht des Frauenhauses Nürnberg vom 8.9.2000, nach dem die Mitarbeiter des Frauenhauses die Antragsgegnerin als liebevolle und umsichtige Mutter erlebt haben, sowie die diese Beobachtung bestätigende Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt Nürnberg vom 15.9.2000.

Des weiteren haben sich keine ernsthaften Anhaltspunkte für die Berechtigung der Einwände des Antragstellers gegen die Erziehungseignung der Antragsgegnerin ergeben.

In dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Attest der Ärzte Dr. K und S vom 13.9.2000 ist aufgrund einer Untersuchung vom 13.9.2000 festgestellt, daß bei der Antragsgegnerin keinerlei Hinweise auf eine Suchterkrankung bzw. die Einnahme von Diazepam-Präparaten festzustellen seien. Auch das Frauenhaus N hat in seiner Stellungnahme vom 8.9.2000 ausgeführt, daß aufgrund der. Beobachtungen der Mitarbeiter eine Abhängigkeit der Antragsgegnerin von Psychopharmaka ausgeschlossen werden könne. Schließlich hat auch der Sachverständige Dr. S keinerlei Hinweise auf eine Tablettenabhängigkeit der Antragsgegnerin festgestellt.

Der Vorwurf des Antragstellers, daß die Antragsgegnerin S pflegerisch vernachlässige und dem Kind keine Liebe geben könne, ist sowohl durch den Bericht des Frauenhauses vom 8.9.2000, als auch durch die Feststellung des Jugendamtes N vom 15.9.2000 sowie durch die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S (vgl. Gutachten Seite 42, 48) widerlegt.

Auch von den Möglichkeiten und der Bereitschaft der sprachlichen und - später - schulischen und allgemein intellektuellen Förderung des Kindes her ergeben sich keine Vorteile auf Seiten des Antragstellers, die im Rahmen der gebotenen Prüfung und Gewichtung der Einzelaspekte eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater rechtfertigen würden.

Zwar ist der Antragsteller von seinen ausgezeichneten Kenntnissen der deutschen Sprache, seiner Ausbildung und seinem Bildungsstand her sicher zu einer angemessenen Förderung S in der Lage. Andererseits hat auch die Antragsgegnerin eine akademische Ausbildung als Lehrerin in Armenien genossen und innerhalb des verhältnismäßig kurzen Aufenthalts in Deutschland durchaus bemerkenswerte Kenntnisse der deutschen Sprache erworben. Wie bei ihrer Anhörung durch den Senat festgestellt werden konnte, spricht sie fließend Deutsch. Entgegen den anderslautenden Behauptungen des Antragstellers beherrscht sie, wie aus dem Bericht des Frauenhauses N vom 8.9.2000 ersichtlich und vom Senat im Termin vom 26.3.2001 auch selbst festgestellt, auch die lateinische Schrift mühelos, so daß keinerlei Bedenken gegen die Fähigkeit der Antragsgegnerin zu einer angemessenen Förderung auch im Schulalter bestehen.

Aufgrund der Feststellungen des Jugendamtes in seinem Bericht vom 27.6.2000 und insbesondere des Sachverständigen Dr. S in seinem Gutachten (vgl. Seite 41) ist allerdings davon auszugehen, daß bei Siyabend sprachliche Rückstände bestehen. Dies läßt jedoch - entgegen der entsprechenden Argumentation des Antragstellers - nicht den Rückschluß zu, daß die Antragsgegnerin bei der Sprachförderung des Kindes - etwa dadurch, daß sie in dessen Gegenwart nicht ausreichend Deutsch gesprochen hat - ihre Erziehungseignung in Frage stellende Fehler gemacht hat. Dagegen spricht etwa die im Bericht des Frauenhauses vom 8.9.2000 wiedergegebene Beobachtung, daß die Antragsgegnerin ausschließlich Deutsch mit dem Kind gesprochen hat. Berücksichtigt werden muß auch, daß S jedenfalls bis Mai 2000 noch mit beiden Elternteilen zusammen war. Mit dem Sachverständigen Dr. S (vgl. Angaben bei der Anhörung im Termin vom 25.3.2001, Seite 4 des Protokolls) ist davon auszugehen, daß der Zeitraum, für den das Kind bisher allein bei der Mutter war, zu kurz ist, um die Feststellung zu erlauben, daß die sprachlichen Defizite aus dem mütterlichen Bereich kommen. Wie der Sachverständige weiter nachvollziehbar ausgeführt hat, kann die Mehrsprachigkeit der Umgebung zwar durchaus ein denkbarer Grund für die derzeitigen Sprachprobleme des Kindes sein. ES komme vor, daß die grundsätzlich positiv zu bewertende zweisprachige Erziehung eines Kindes zu den bei S beobachteten Rückständen in der deutschen Sprache führe. Diese würden sich möglicherweise dann bessern, wenn das Kind in den Kindergarten komme, da es dort in verstärktem Umfang in sprachlichen Kontakt, mit deutschen Kindern komme oder aber eine zusätzliche Sprachförderung veranlaßt werde.

Vor diesem Hintergrund kann aber der momentane Rückstand des Kindes in der deutschen Sprache kein Anlaß sein, die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen.

Was den Erziehungsstil und die Erziehungsvorstellungen angeht, lassen sich keine Vorteile auf Seiten des Antragstellers feststellen.

Wie sich aus den Berichten des Frauenhauses und des Jugendamtes, insbesondere aber den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S ergibt, ist die Antragsgegnerin dem Kind liebevoll zugetan, aber auch in der Lage, S in angemessener Weise Gebote und Verbote zu setzen (vgl. etwa Gutachten Seite 56, 57). Demgegenüber hat der Sachverständige das Erziehungsverhalten des Antragstellers eher negativ bewertet: Dieser richte in unangemessener Weise alles auf seinen Sohn aus (vgl. Anhörung vom 26.3.2001, Seite 3 des Protokolls), sein Bild von S sei von Realitätsverzerrungen insoweit geprägt, als er Äußerungsformen und Verhaltensweisendes Kindes überbewerte (vgl. Gutachten Seite 43, 58). Aus diesen Verhaltensweisen und Äußerungen des Antragstellers gegenüber dem Sachverständigen, er, der Antragsteller, sei jetzt für das Kind eine gute Mama, dieses sehe seinen Vater als großes Vorbild und sei bereits auf Männer fixiert, ist nach Auffassung des Sachverständigen das Risiko einer "symbiotischen Beziehungsfalle" im Verhältnis des Antragstellers zu S abzuleiten (vgl. Gutachten Seite 58). Als mögliche Erklärung für dieses seiner Auffassung nach auch längerfristig bestehende Risiko hat der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat ausgeführt, daß der Antragsteller seine beiden Kinder aus erster Ehe auch aus seiner Sicht wohl "verlassen" habe, dies als Fehler ansehe und nun versuche, bei S alles wieder gutzumachen.

Dem Senat erscheint eine entsprechende Motivation des Antragstellers - unter zusätzlicher Berücksichtigung auch der vorübergehenden Rauschgiftsucht des Sohnes des Antragstellers aus erster Ehe - durchaus naheliegend, so daß auch er bei einem Verbleibend S beim Antragsteller jedenfalls das Risiko sieht, daß in einer zu intensiven und ausschließlichen Beziehung zum Antragsteller aufwächst und sich daraus Gefahren für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ergeben können.

"Auch der Aspekt der Bindungstoleranz, also der Bereitschaft und Fähigkeit der Elternteile, trotz der zwischen ihnen bestehenden Spannungen einen persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen und dem Kind im übrigen auch ein positives Bild vom anderen Elternteil zu vermitteln, spricht nicht gegen eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter.

Zwar hat diese mit ihrer "Flucht" am 12.5.2000 den Kontakt des Kindes zu seinem Vater zunächst vorübergehend völlig abgebrochen und auch nach der Rückkehr des Kindes zu ihr am 26.7.2000 bis in den November 2000 hinein jeglichen Umgang des Kindes mit dem Vater verweigert. Diese Umgangsverweigerung vom 26.7.2000 bis zum November 2000 muß jedoch auf dem Hintergrund der für die Antragsgegnerin offenbar traumatischen Erfahrung der Wegnahme des Kindes durch Beamte des Bundesgrenzschutzes am 17.6.2000 in Köln und der Auseinandersetzungen anläßlich der Trennung gesehen werden. Ab November 2000 ist es jedoch darin zu einem Umgang S mit seinem Vater gekommen, zunächst aufgrund einer Vereinbarung vom 24.10.2000 (vgl. Bl. 184 d. A.) unter Aufsicht des Jugendamts und ab Ende Januar 2001 in Erfüllung einer von den Eltern im Umgangsrechtsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg geschlossenen Vereinbarung vom 24.1.2001 (vgl. Bl. 311 - 313 d. A.), nach der dem Antragsteller ein Umgang jeweils Donnerstag, von 16.00 Uhr bis 19.00 Uhr und an jedem Wochenende von Samstag 18.00 Uhr bis Sonntag 18.00 Uhr eingeräumt wurde. Der vereinbarte Umgang hat nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der Sitzung vom 26.3.2001 auch tatsächlich stattgefunden.

Aufgrund des geschilderten Verlaufes kann davon ausgegangen werden, daß die Antragsgegnerin - nach Überwindung der durch die Trennung und deren Begleitumstände hervorgerufenen Ängste - nunmehr und auch in Zukunft bereit ist, dem Antragsteller einen auch dem Umfang nach in jedem Fall ausreichenden Umgang mit seinem Kind zu gewähren, so daß die zwischen Vater und Kind bestehenden Bindungen aufrecht erhalten werden können. Die Annahme einer entsprechenden Bereitschaft wird durch eventuelle Verspätungen der Antragsgegnerin bei den - im Januar 2001 durch ein unbegleitetes Umgangsrecht abgelösten -Umgangsterminen beim Jugendamt nicht in Frage gestellt. Daß die Vereinbarung des Umgangs am 24.1.2001 und dessen Durchführung seitens der Antragsgegnerin (auch) unter dem Druck des anhängigen Sorgerechtsverfahrens erfolgt ist, wie der Antragsteller geltend macht, erscheint durchaus denkbar. Da und solange die Antragsgegnerin aber tatsächlich einen ausreichenden Umgang des Kindes mit dem Vater ermöglicht, besteht kein Anlaß, eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller aufgrund fehlender Bindungstoleranz der Antragsgegnerin in Erwägung zu ziehen. Sollte die Antragsgegnerin im übrigen in der Zukunft den Umgang des Antragstellers mit S in unangemessener Weise einschränken oder verweigern, ohne daß dies durch einen Verstoß des Antragstellers gegen die nach § 1684 Abs. 2 BGB gebotene Umgangsloyalität gerechtfertigt ist, besteht die Möglichkeit einer Abänderung der Sorgerechtsentscheidung nach § 1696 BGB.

Im übrigen erscheint es dem Senat keineswegs gesichert, daß der Antragsteller im Fall der Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn der Antragsgegnerin einen Umgang mit dem Kind in der Weise ermöglichen würde, wie er ihm nunmehr seit Ende Januar 2001 geboten wird. Zwar hat er in der Sitzung vom 30.10.2000 gegenüber dem Senat "verbindlich" erklärt, daß er im Fall der Übertragung des Sorgerechts auf ihn seiner Ehefrau einen Umgang an jedem Mittwoch von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr sowie jeweils 14-tägig von Freitag 14.00 Uhr bis Sonntag 18.00 Uhr einräumen werde. Angesichts des Umstandes, daß der Antragsteller seiner Ehefrau in diesem Verfahren die Liebe zu dem gemeinsamen Kind und die Erziehungseignung völlig abspricht und offensichtlich bei einer Betreuung des Kindes durch ihn auch die Mutterrolle wahrnehmen will (vgl. entsprechende Äußerungen gegenüber dem Sachverständigen Dr. S Seite 20 des Gutachtens), bestehen jedoch Zweifel daran, ob er einen Umgang tatsächlich in der angekündigten Form ermöglichen und durch sein Verhalten dem Kind auch weiterhin das Gefühl vermitteln würde, daß die Antragsgegnerin dessen Mutter ist.

Auch die vom Antragsteller geltend gemachten religiösen Aspekte geben keinen Anlaß dafür, die elterliche Sorge für S auf den Vater zu übertragen.

Es kann dabei unterstellt werden, daß entsprechend der Darstellung des Antragstellers

- die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Ehe mit dem moslemischen Antragsteller endgültig aus der jezidischen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen ist, auch S als Kind aus dieser Ehe der jezidischen Glaubensgemeinschaft nicht angehören wird und auch nicht mehr beitreten kann,

- nach jezidischen und islamischen Vorstellungen im Fall der Trennung der Eltern ein Kind beim Vater zu verbleiben hat und

sich nach islamischem Glauben die Religion eines Kindes nach der des Vaters richtet.

Weiter ist davon auszugehen, daß

- die Antragsgegnerin entsprechend ihrer Erklärung vor dem Senat im Termin vom 26.3.2001 den jezidischen Glauben nicht praktiziert, Religionen im allgemeinen eher distanziert gegenüber steht und weder nach dem jezidischen noch nachdem islamischen Glauben erziehen wird,

- der Antragsteller entsprechend seinem Sachvortrag und seiner Erklärung gegenüber dem Sachverständigen Dr. S (vgl. dessen Anhörung im Termin vom 26.3.2001, Seite 5 des Protokolls) islamischer Sunnit ist, diesen Glauben nicht mit aller Konsequenz praktiziert, aber S gleichwohl zunächst einer islamischen Erziehung mit den dazugehörigen Ritualen, wie etwa Beschneidung, zukommen lassen würde, um das Kind später selbst entscheiden zu lassen, woran es glauben wolle.

In einem weltanschaulich neutralen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland, der in seiner Verfassung in Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nicht nur für die Eltern, sondern grundsätzlich auch für das Kind garantiert (vgl. etwa OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 920, 921), kann der Umstand, daß der Sohn eines der islamischen Glaubensgemeinschaft angehörenden Vaters nach der Trennung bei der nicht dieser Glaubensgemeinschaft angehörenden Mutter nicht im islamischen Glauben erzogen wird, als solcher keine Bedenken gegen die Erziehungseignung der Mutter begründen.

Daß nach den Vorstellungen der jezidischen oder islamischen Religion der Glaube eines Sohnes dem des Vaters zu folgen hat, kann gleichfalls keinen Einfluß auf die Entscheidung der Frage haben, welchem Elternteil die elterliche Sorge zu übertragen ist. Dies ergibt sich aus der - nach § 2 MSA - gebotenen Anwendung deutschen Rechtes, nach dem - aufgrund der in Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie der in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Gleichberechtigung von Mann und Frau - die Regel einer Glaubensgemeinschaft, daß die Religion eines Kindes nach der Auflösung einer gemischt-religiösen Ehe grundsätzlich der des Vaters zu folgen hat, auch im Rahmen einer Entscheidung nach § 1671 BGB nicht zu berücksichtigen ist. Die insoweit entwickelten Entscheidungskriterien, insbesondere also auch die Erziehungseignung der Eltern, sind im Hinblick auf Art. 4 Abs. l GG grundsätzlich losgelöst davon anzuwenden, welcher Glaubensgemeinschaft die Eltern angehören (vgl. etwa Garbe, FamRZ 1996, 684). Lediglich dann, wenn die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit eines Elternteils zu einer Glaubensgemeinschaft konkret zu Erziehungszielen und Erziehungsmethoden oder sonstigen Umständen führt, die mit dem Wohlergehen und dem Recht des Kindes auf eine Förderung seiner Entwicklung und auf eine Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (als wesentliche Elemente des Kindeswohls, vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 RdNr. 48) nicht vereinbar sind, kann sie sich mittelbar auf die Entscheidung nach § 1671 BGB auswirken (vgl. etwa OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 1511).

Insoweit bestehen im vorliegenden Fall keine, hinreichenden] Anhaltspunkte dafür, daß S im Hinblick auf die von der jezidischen Religion nicht akzeptierte Ehe seiner Mutter sein Wohl oder gar Leib und Leben gefährdenden Verfolgungen von Seiten der Jeziden ausgesetzt sein wird, vor denen ihn der Antragsteller besser beschützen könnte als die Antragsgegnerin.

Dagegen, daß insoweit überhaupt eine Gefahr besteht, spricht bereits der Umstand, daß der Antragsteller, obwohl seine nach jezidischem Glauben verbotene Ehe bereits Anfang 1997 geschlossen und S 1998 geboren wurde, keinerlei Angaben zu in der Zwischenzeit erfolgten Anfeindungen oder Bedrohungen irgendwelcher Art gemacht hat. Angesichts des offensichtlichen Fehlens irgendwelcher Einwirkungen von jezidischer Seite auf den Antragsteller oder die Antragsgegnerin vermag auch der in dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben des vom 16.3.2001 geschilderte Vorfall, daß vor einigen Jahren die Hochzeit eines Kurden mit einer Jezidin von aus Deutschland angereisten Jeziden gestürmt worden sei, die ernsthafte Möglichkeit einer Gefährdung der Antragsgegnerin oder des Kindes nicht zu begründen.

Auch der Umstand, daß S bei seiner Mutter nach deren Erklärungen weder nach der moslemischen noch nach irgendeiner sonstigen Religion erzogen werden wird, vermag das wohl des Kindes nicht entscheidend negativ zu beeinträchtigen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, daß das Kind durch den Kindergarten und die Schule mit einem Wertesystem konfrontiert wird, das ihn auf ein gemeinschaftsfähiges Leben in der hiesigen Gesellschaft hinreichend vorbereitet, und im übrigen auch die Möglichkeit offen läßt, daß S, sobald er dazu die geistige Reife erworben hat, eine - offensichtlich auch vom Vater gewollte - eigenständige Entscheidung hinsichtlich der Religion treffen wird.

Da dem Senat mit den vorgelegten Unterlagen und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S ausreichende Erkenntnismöglichkeiten im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung nach § 1671. Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Verfügung standen, bestand kein Anlaß, entsprechend dem Antrag des Antragstellers, ein weiteres Sachverständigengutachten zu erholen.

4. Die Entscheidung über die Tragung der außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG, die Festsetzung des Geschäftswertes auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3, 2 KostO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde (§ 621 e Abs. 2, 546 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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