Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 7 UF 681/07
Rechtsgebiete: HKÜ


Vorschriften:

HKÜ Art. 3
HKÜ Art. 12
Zur Anwendung des HKÜ, wenn die Eltern einen teilweisen bzw. vorübergehenden Aufenthalt der Kinder in dem Staat vereinbart haben, in den das Kind entführt wird.
7 UF 681/07

Nürnberg, den 17.7.2007

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 10.5.2007 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragstellerin die im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die polnische Staatsangehörige ist, und der Antragsgegner, der die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sind die Eltern der Kinder ..., geb. am ... und ... geb. am .... Die Kinder haben sowohl die polnische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die Parteien waren und sind nicht miteinander verheiratet. Der Antragsgegner ist verheiratet mit ... . Aus dieser Ehe sind die Kinder und hervorgegangen. Die Antragstellerin hat eine mindestens 12 Jahre alte Tochter namens ... deren Vater nicht der Antragsgegner ist.

Die Antragstellerin lernte den Antragsgegner 1998 in Warschau kennen, wo dieser mit seiner Ehefrau eine Firma betrieb, in der die Antragstellerin beschäftigt war. In der Folgezeit kam es zu einer Beziehung zwischen den Parteien, aus der die bei den Kinder ... und ... hervorgingen und die zu einer zeitweiligen Trennung des Antragsgegners von seiner Ehefrau führte. Spätestens im April 2006 (der genaue Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig) kam es zur endgültigen Trennung der Parteien. Der Antragsgegner kehrte zu seiner Ehefrau nach Deutschland zurück und lebt seitdem bis auf weiteres mit dieser und den beiden ehelichen Kindern zusammen in Wörth bei Regensburg.

Ob es bereits im April 2006 zwischen den Antragsgegner und der Antragstellerin zu einer mündlichen Vereinbarung über den weiteren Aufenthalt der Kinder bei dem einen oder anderem Elternteil kam, ist zwischen den Parteien streitig.

In der Folgezeit hielten sich ... und ... - nach den insoweit übereinstimmenden Angaben der Eltern - zunächst vom 17.4. bis 24.4. und vom 26.5. bis 2.6.2006 beim Vater in Deutschland und in der übrigen Zeit bei der Mutter in Polen auf.

... besuchte im Schuljahr 2006/2007 die deutsche ... Schule in Warschau. In einem Schreiben an die Familie ... vom 29.6.2006 teilte die Leiterin der Schule mit, dass ... im zweiten Schulhalbjahr an 53 Tagen unentschuldigt gefehlt habe. In dem Schreiben wurde weiter auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Schulpflicht hingewiesen.

Am 5.7.2007 gaben die Parteien vor dem deutschen Konsulat in Warschau gemäß § 1626 a Abs. 2 Nr. 1 BGB die Erklärung ab, dass sie die elterliche Sorge für ... und ... uneingeschränkt gemeinsam ausüben wollen.

Am selben Tag unterzeichneten sie eine handschriftliche, in englischer Sprache abgefasste Erklärung, die u. a. folgenden Inhalt hat:

"...

2. We signed the notarial papers in ambassy that we both have full rights for the boys.

...

4. We will always discuss school together an decide together for the best for the Boys

- ... might go in September in Bavaria

- ... 2 weeks with and two weeks with me

5. I would agree in the future for a britsch-german education for the Boys!

6. The Volvo ... is driving is hers, she is using and driving him, I finance him and pay insurance. After 3 years I will change him to ... Name.

7. We promise each others never to take each other to court.

8. We promise each other to stay friends.

Nach der von der Antragstellerin hinsichtlich in vollem Umfang und hinsichtlich ... teilweise bestätigten Darstellung des Antragsgegners hielten sich beide Kinder vom 20.6. bis 16.7.2006 wieder beim Antragsgegner in Deutschland auf.

Unstreitig ist, dass die Kinder dann wieder vom 1. bis 14.8.2006 beim Vater in Deutschland waren, nach dessen von der Antragstellerin bestrittener Darstellung dauerte der Aufenthalt bis 21.8.2006.

Zu Beginn des Schuljahres 2006/2007 wurde ... - entsprechend der Vereinbarung vom 5.7.2006 - in der Grundschule in Wörth eingeschult und lebte fortan ab 2.9.2006 im väterlichen Haushalt. In den bayerischen Herbstferien besuchte er vom 29.10. bis 3.11.2006 die Anntragstellerin in Polen. Am 4.11.2007 fuhr der Antragsgegner nach Polen, um dort ... und abzuholen und wieder mit nach Deutschland zu nehmen. Dabei kam es zu - von den Parteien im Einzelnen unterschiedlich geschilderten - Streitigkeiten, da die Antragstellerin und deren Vater sich mit einer Rückkehr der Kinder nach Deutschland zunächst nicht einverstanden erklärten. Schließlich fuhr der Antragsgegner am 4.11.2006 mit ... nach Deutschland zurück, blieb zunächst weiterhin bei der Antragstellerin in Polen.

... blieb dann bis zu den bayerischen Weihnachtsferien beim Vater in Wörth und besuchte dort weiterhin die Schule. Am 22.12.2006 brachte der Antragsgegner .. zur Antragstellerin nach Polen.

Auch ... hielt sich ab 3.9.2006 zunächst bis 8.10.2006 im väterlichen Haushalt in Wörth auf und besuchte dort auch den Kindergarten.

Nach der Darstellung des Antragsgegners war dann wieder vom 18.11. bis 8.12.2006 bei ihm in Deutschland. Die Antragstellerin hat diesen Aufenthalt in der Verhandlung vor dem Senat am 4.7.2007 zunächst in vollem Umfang bestritten. Nachdem ihr eine Liste des Kindergartens in Wörth vorgehalten wurde, in der Anwesenheiten des Kindes am 23.11., 27.11. und 28.11.2006 vermerkt sind, hat sie dann angegeben, dass Ende November 2006 möglicherweise fünf Tage beim Vater gewesen sei, während sie in Deutschland ein Auto angemeldet habe.

Nach ihrer Darstellung bereits vor den Weihnachtsferien, unstreitig aber spätestens im Laufe der Weihnachtsferien erklärte die Antragstellerin dann dem Antragsgegner telefonisch, dass sie nicht bereit sei, die Kinder nach den Ferien wieder nach Deutschland zu lassen. Am 5.1.2007 suchte der Antragsgegner die Antragstellerin an deren Wohnort in Polen auf. Nach einer verbalen Auseinandersetzung kehrte er ohne die Kinder nach Deutschland zurück.

... besuchte in der Folgezeit in Polen nicht die Schule.

Am 11.2.2007 erschien der Antragsgegner am Wohnsitz der Antragstellerin in Polen und kehrte am gleichen Tag mit beiden Kindern mit dem Flugzeug nach Deutschland zurück. Bei der Antragstellerin blieben der deutsche Personalausweis, der deutsche Führerschein des Antragsgegners sowie die Reisepässe der Kinder zurück; Die genauen Umstände der Verbringung der Kinder nach Deutschland sind zwischen den Parteien streitig.

Seit 11.2.2007 halten sich die beiden Kinder im väterlichen Haushalt in Wörth in Deutschland auf. ... besucht dort die Grundschule ... und den ... Kindergarten.

Mit Schriftsatz vom 2.4.2007 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Herausgabe der beiden Kinder zum Zweck der sofortigen Rückführung in die Republik Polen nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (BGBl 1990 II, 207) - nachfolgend als HKÜ bezeichnet - beim Amtsgericht Nürnberg eingereicht.

Zur Begründung hat sie sich im wesentlichen auf folgendes berufen:

Sie habe mit dem Antragsgegner lediglich vereinbart, dass das Kind ... von September bis Weihnachten 2006 die Grundschule in Wörth a. d. Donau besuchen solle, um zweisprachig aufzuwachsen. Anlässlich des Besuches bei ihr in den Herbstferien 2006 habe ... erklärt, nie wieder nach Deutschland fahren zu wollen. Der Antragsgegner habe dann nach den Ferien versucht, die beiden Kinder gewaltsam und gegen ihren - der Antragstellerin - Willen wieder nach Deutschland zu holen.

Noch bevor ... am 22.12.2006 wieder zu ihr nach Polen gekommen sei, habe sie mit dem Antragsgegner telefonisch darüber gesprochen, wie es weitergehen solle. Der Antragsgegner habe gemeint, dass ... doch besser bis zum Abschluss des ersten Schulhalbjahres in Regensburg bleiben sollte. Sie habe sich das zunächst auch als eine sinnvolle Lösung vorstellen können. Als ... dann aber in den Weihnachtsferien zu ihr gekommen sei, habe er vom ersten Moment an erklärt, dass er unter keinen Umständen wieder nach Deutschland wolle.

Daraufhin habe sie dem Antragsgegner telefonisch mitgeteilt, dass sie ein Problem damit hätte, die Kinder gegen ihren Willen nach Deutschland zurück zu schicken.

Nachdem der Antragsgegner nach den Weihnachtsferien am 5.1.2007 unangemeldet bei ihr in Polen erschienen sei, habe es wegen ihrer Weigerung, die Kinder mitzuschicken, eine unangenehme Auseinandersetzung gegeben. Der Antragsgegner sei dann schließlich ohne die Kinder nach Regensburg zurückgekehrt.

Am 11.2.2007 habe der Antragsgegner sie dann gebeten, die beiden Jungen in ein Einkaufszentrum zum Einkaufen mitnehmen zu dürfen. Da sie wegen der vorausgegangenen Auseinandersetzungen beunruhigt gewesen sei, habe sie sich vom Antragsgegner als Garantie dafür, dass er die Kinder wieder zurückbringe, dessen deutschen Personalausweis und Führerschein sowie die Reisepässe der Kinder aushändigen lassen. Noch am 11.2.2007 um 15.05 Uhr habe sie dann eine SMS des Antragsgegners erhalten, in der er dieser mitgeteilt habe, dass er in München gelandet sei und die Jungen o.k. seien.

Der Antragsgegner ist dem Rückführungsantrag der Antragstellerin entgegengetreten.

Er hat sich darauf berufen, dass die Parteien im Sommer 2006 hinsichtlich ... vereinbart hätten, dass dieser zumindest das Schuljahr 2006/2007 in Bayern absolvieren und in dieser Zeit bei ihm leben sollte. Hinsichtlich sei vereinbart worden, dass das Kind im Wesentlichen zur Hälfte bei ihm in Deutschland und zur Hälfte bei der Antragstellerin in Polen leben sollte. Die genaue zeitliche Aufteilung habe man nicht im Einzelnen besprochen. Diese Regelung sei auch auf Wunsch der Antragstellerin zustande gekommen, die sich zum damaligen Zeitpunkt mindestens einmal im Monat in Spanien oder in Irland aufgehalten habe.

Schon nach den Herbstferien 2006 habe die Antragstellerin versucht, eine Rückkehr der Kinder nach Deutschland zu verhindern.

Anlässlich der Weihnachtsferien sei es vereinbart gewesen, dass er die Kinder nach den Ferien wieder abhole.

Der Antragsgegner hat sich weiter darauf berufen, dass dem Rückführungsbegehren der Antragstellerin ein Härtefall nach Art. 13 HKÜ entgegenstehe. Die Antragstellerin habe die Gesundheitsvorsorge hinsichtlich des Kindes ... gröblich vernachlässigt. Bei den Aufenthalten des Kindes bei ihm in Deutschland habe er festgestellt, dass verschiedene Zähne und auch bereits der Unterkiefer des Kindes derart kariös gewesen sein, dass in einer Operation in Regensburg nicht nur mehrere Zähne im Unterkiefer, sondern auch ein Teil des Unterkieferknochens habe entfernt werden müssen.

Die Antragsgegnerin sei alkoholabhängig gewesen und habe die Kinder verwahrlosen lassen. Eine Rückführung der Kinder nach Polen würde in eklatanter Weise dem Wohl der Kinder zuwiderlaufen.

Die Einzelheiten des Sachvortrages der Antragstellerin ergeben sich insbesondere aus deren Schreiben vom 10.4.2007 an das Bundesamt für Justiz (vgl. Bl. 64 f. d. A.) und dem Protokoll der Sitzung vor dem Amtsgericht vom 25.4.2007 (vgl. Bl. 167 bis 173 d. A.).

Die Sichtweise des Antragsgegners ergibt sich insbesondere aus dessen Schreiben vom 15.3.2007 an das Bundesamt für Justiz (vgl. Bl. 19 f. d. A.) sowie aus seinem Schreiben vom 23.4.2007 an die Verfahrenspflegerin (vgl. Bl. 61 f. d. A.) und aus dem Protokoll der Sitzung vom 25.4.2007 (Bl. 167 bis 173 d. A.).

Die für die Kinder bestellte Verfahrenspflegerin, Rechtsanwältin ... hat in einem Schreiben vom 25.4.2007 beantragt, den Antrag der Antragstellerin auf Herausgabe der Kinder zum Zweck der sofortigen Rückführung in die Republik Polen abzuweisen. Wegen der Begründung dieses Antrages wird auf den Schriftsatz vom 25.4.2007 (Bl. 131 bis 153 d. A.) und die mitvorgelegten Anlagen (Bl. 154 bis 160 d. A.) Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat im Termin vom 25.4.2007 beide Parteien und die Verfahrenspflegerin angehört und sich einen persönlichen Eindruck von beiden Kindern verschafft. Insoweit wird auf das Protokoll der Sitzung vom 25.4.2007 (Bl. 167 bis 173 d. A.) Bezug genommen. Dem Amtsgericht hat darüber hinaus eine Stellungnahme des Kreisjugendamtes Regensburg vom 17.4.2007 vorgelegen (Bl. 55 f. d. A.). Am 10.5.2007 hat das Amtsgericht Nürnberg folgenden Beschluss erlassen:

I. Die Herausgabe der Kinder ... geb. am ... und ..., geb. am .., an die Antragstellerin zum Zwecke der sofortigen Rückführung in die Republik Polen wird angeordnet.

II. Dem Antragsgegner wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus diesem Beschluss die Auferlegung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000, - € sowie die Festsetzung von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

III. Zum Vollzug von Ziff. I wird angeordnet.

1. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person anzuwenden.

2. Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners in der ..., ... und der Wohnung jeder anderen Person, bei der sich die Kinder aufhalten, ermächtigt.

3. Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.

4. Die Vollstreckung ist nur durchzuführen, wenn die Antragstellerin selbst bei der Vollstreckung anwesend ist.

IV. Eine Vollstreckungsklausel ist für die Vollstreckung nicht erforderlich.

V. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rückführungskosten.

VI. Der Geschäftswert wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 18.5.2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit einem am 24.5.2007 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag Beschwerde eingelegt und diese sogleich begründet.

Er erhebt Einwände gegen die im angefochtenen Beschluss vertretene Auffassung, dass die Kinder am 11.2.2007 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen gehabt hätten.

... hat sich nicht erst seit Beginn des Schuljahres 2006/2007, sondern - ebenso wie - schon vorher seit 17.4.2006 immer wieder vorübergehend bei ihm in Deutschland aufgehalten. Die für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderliche soziale Eingliederung in Deutschland sei insofern eingetreten, als ... in Deutschland seit September 2006 die Schule besucht habe, Mitglied eines örtlichen Sportvereins gewesen sei und sich in seiner Familie eingelebt habe. ... sei in ... in den Kindergarten gegangen.

Es könne jedenfalls nicht von einem alleinigen gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder in Polen ausgegangen werden. Auch aus diesem Grund lägen die Voraussetzungen des Art. 3 HKÜ nicht vor.

Der Antragsgegner wendet sich auch dagegen, dass er die Kinder am 11.2.2007 "entführt" habe. Es treffe nicht zu, dass er der Antragstellerin die - unstreitig in deren Besitz befindlichen - persönlichen Dokumente und Reisepässe der Kinder als Pfand für eine Rückkehr der Kinder überlassen habe. Richtig sei vielmehr, dass er die Dokumente mit einem Sakko bei der Antragstellerin versehentlich zurückgelassen habe. Dass er der Antragstellerin sofort seine Landung mit den Kindern in Deutschland mitgeteilt habe, sei nicht das Verhalten eines Vaters, der seine Kinder entführt. Es werde bestritten, dass der Antragsgegner die Kinder am 11.2.2007 gegen den Willen der Antragstellerin nach Deutschland verbracht hat.

Einer Rückführung der Kinder nach Deutschland stehe entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch Art. 13 des HKÜ entgegen.

... habe zwischenzeitlich erneut den Wunsch geäußert, weiterhin die Schule in Deutschland besuchen zu dürfen, weil er hier ein guter Schüler sei und sich in Polen seine Mutter nicht um seinen Schulbesuch gekümmert habe. ... habe in diesem Zusammenhang auch erklärt, dass er, bevor er ganz nach Polen und dort wieder zur Schule gehen müsse, lieber seine Mutter nicht mehr sehen wolle.

Fest stehe auch, dass ... die Schule in Polen (im Schuljahr 2006/2007) an 53 Tagen nicht besucht habe. Auch nach den Weihnachtsferien habe das Kind die Schule in Polen nicht besucht. Ein weiterer Grund i. S. des Art. 13 HKÜ sei die Vernachlässigung der Kinder durch die Antragstellerin, die sich insbesondere auch im Unterbleiben einer ausreichenden zahnmedizinischen Versorgung mit katastrophalen Folgen gezeigt habe.

Von Bedeutung müsse im Rahmen des Art. 13 HKÜ auch sein, dass die Antragstellerin alkohol- und medikamentenabhängig sei.

Wie die Verfahrenspflegerin bei ihren Erkundigungen in der deutschen Schule in Warschau festgestellt habe, seien ... und seine Stiefschwester in allen schulischen Belangen völlig auf sich allein gestellt gewesen, wohl auch weil die Antragstellerin sich häufig in Spanien aufgehalten habe.

Für ... sei es nach seinem eigenen Bekunden unvorstellbar, nach seinem Erfolg in der deutschen Schule künftig wieder in Polen zur Schule gehen zu müssen. Würde er dort die 2. Klasse im zweiten Anlauf nicht schaffen, was durch die Belastung infolge der Rückführung durchaus denkbar wäre, dann müsste er diese Klasse ein drittes Mal besuchen. Dass sich dies nach den Erfolgen in der deutschen Schule negativ auf die Psyche des Kindes auswirken würde, liege auf der Hand.

Zwischen den Parteien habe es eine klare Regelung gegeben, dass während der Schulzeit beide Kinder beim Vater und in den Ferien bei der Mutter leben sollten. Wenn sich, wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin, eine Partei von einer solchen Vereinbarung plötzlich grundlos lossage, erscheine es geradezu absurd, davon auszugehen, dass die andere Partei, die an dieser Regelung festhält, die Kinder entführt habe.

Es sei eine Illusion, zu glauben, dass die polnischen Behörden sich darum kümmern würden, dass ... nach einer Rückführung nach Polen regelmäßig die Schule besuchen werde. Dies hätten die unbeanstandet gebliebenen Schuldversäumnisse der Vergangenheit bewiesen.

Eine Beratung durch Rechtsanwälte in Warschau habe ergeben, dass es in Polen geradezu unmöglich sei, dass ein Vater in einem Sorgerechtsstreit obsiege. Eine entsprechende Verhandlung würde frühestens nach zwei Jahren stattfinden.

Bei seiner Anhörung durch den Senat hat der Antragsgegner noch behauptet, dass die am 5.7.2006 schriftlich niedergelegten Vereinbarungen zum Aufenthalt der Kinder bereits anlässlich der Trennung im März 2006 mündlich getroffen worden seien.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 10.5.2007 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Rückführung der Kinder nach Polen zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen nicht verloren hätten.

Zwar hätten sich die Kinder im Anschluss an die schriftliche Vereinbarung vom 5.7.2006 teilweise bei der Mutter in Polen und teilweise beim Vater in Deutschland aufgehalten.

Bereits nach dem Ende der Herbstferien habe die Antragstellerin aber am 4.11.2006 deutlich gemacht, dass sie ihre ursprüngliche Erklärung vom 5.7.2006 nicht weiter gelten lassen wolle und gegen eine Rückkehr der Kinder nach Deutschland sei.

Spätestens am 5.1.2007 habe sich auch der Antragsgegner der Tatsache bewusst sein müssen, dass die Kinder in Polen bleiben sollten.

Die Zeit vom 2.9. bis 22.12.2006, in der ... in Bayern die Schule besucht habe, reiche nicht aus, um dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.

Dies gelte erst recht für ..., der seit 28.11.2006 den Kindergarten in Deutschland nicht mehr besucht habe.

Am 11.2.2007 habe der Antragsgegner die Kinder dann entführt. Insoweit wiederholt die Antragstellerin ihre Darstellung erster Instanz, dass der Antragsgegner vorgegeben habe, die Kinder nur vorübergehend mitnehmen zu wollen und sie sich von ihm als Pfand den Personalausweis, den Führerschein und die Pässe der Kinder habe aushändigen lassen.

Zutreffend sei das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen eines Härtegrundes nach § 13 HKÜ nicht erfüllt gewesen seien.

Sie bestreite, sich um die Belange der Kinder nicht gekümmert zu haben. Die zahnmedizinische Versorgung sei problematisch gewesen, weil ... beim Anblick von Zahnärzten hysterisch geworden sei. Für die in Deutschland festgestellten Schäden sei auch der Antragsgegner mitverantwortlich gewesen, weil er nicht für eine konsequente Durchführung einer in Polen bereits begonnenen Zahnbehandlung gesorgt habe.

Im übrigen hätten die Kinder nunmehr das Schuljahr in Deutschland beendet. ... könnte in Polen wieder eingeschult werden, ohne dass ein Bruch für schulische Belange ersichtlich wäre. Auch deshalb würde eine Rückführung des Kindes nach Polen zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs zu einer Gefährdung des Kindes führen.

Bei ihrer Anhörung durch den Senat hat die Antragstellerin im Übrigen u. a. weiter erklärt, dass ein Gespräch über die dann am 5.7.2006 getroffenen Abmachungen hinsichtlich der Kinder erst kurz vor dem 5.7.2006 und nicht schon im April stattgefunden habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze vom 24.5.2007 (Antragsgegner) und 25.6.2007 (Antragstellerin) sowie das Protokoll der Sitzung vom 4.7.2007 Bezug genommen.

Die auf ihren Antrag mit Beschluss vom 15.6.2007 auch für das Beschwerdeverfahren erneut beigeordnete Verfahrenspflegerin hat, wie der Antragsgegner, beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Herausgabe der Kinder zum Zwecke der Rückführung nach Polen zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass angesichts der am 5.7.2006 schriftlich und vorher bereits mündlich getroffenen Vereinbarung über den weiteren Verbleib der Kinder und den von ihr im Einzelnen vorgetragenen und teilweise mit Unterlagen belegten Aufenthaltszeiten der Kinder beim Vater ab 17.4.2006 und der Integration der Kinder in Bayern davon ausgegangen werden müsse, dass sich der Lebensmittelpunkt und damit der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder schon lange vor der angeblichen Entführung in Bayern befunden habe.

Im Übrigen führt sie eine Reihe von Gründen auf, warum Art. 13 HKÜ einer Rückführung der Kinder entgegenstehe.

Insoweit und wegen des Vorbringens der Verfahrenspflegerin im einzelnen wird auf deren Schriftsatz vom 2.7.2007 (Bl. 211 bis 219 d. A.) und die dazu vorgelegten Unterlagen Bezug genommen. In der Sitzung vom 4.7.2007 hat der Senat

- beide Eltern und die beiden Kinder persönlich angehört,

- die anwesende Zeugin ... die Ehefrau des Antragsgegners zur Frage vernommen, ob sich vom 8.11. bis 8.12.2006 im Haushalt des Vaters aufgehalten hat.

Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der Sitzung Bezug genommen.

Die Verfahrenspflegerin hat auch zwei Berichte der polnischen Kuratorin ... vom 3.2. und 12.2.2007 vorgelegt. Auf diese wird ebenfalls Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg, weil auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens vom Vorliegen der Voraussetzungen des HKÜ für die Anordnung einer Rückführung der Kinder nach Polen auszugehen ist und auch die weiteren Anordnungen des Amtsgerichts nicht zu beanstanden sind.

Verbringen der Kinder durch den Antragsgegner von n nach Deutschland am 11.2.2007 war widerrechtlich. des Art. 3 HKÜ.

Im Ergebnis zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 HKÜ nicht daran scheitert, dass ... oder ... am 11.2.2007 ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht bei der Mutter in Polen hatten.

Der - grundsätzlich nach objektiven Kriterien festzustellende - gewöhnliche Aufenthalt auch i. S. von Art. 3 HKÜ ist am "Daseinsmittelpunkt" anzunehmen, also am Mittelpunkt der Lebensführung des Minderjährigen, der vor allem durch den Schwerpunkt der sozialen Bindungen bestimmt wird. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes setzt deshalb ein gewisses Maß an sozialer Integration am neuen Aufenthaltsort voraus. Zu berücksichtigen sind insoweit insbesondere familiäre Bindungen, der Besuch von Kindergarten oder Schule.

Als ein Indiz für eine ausreichende Integration an einem neuen Aufenthaltsort kann insbesondere die Dauer des Aufenthalts an dem neuen Ort dienen. Insoweit wird als "Faustregel" (vgl. etwa Baetge IPrax 2001, 575) häufig die auch vom Amtsgericht herangezogene Sechs-Monats-Frist verwendet: Deren Ablauf an einem neuen Aufenthaltsort wird in der Regel als ein Indiz für eine ausreichende Integration angesehen.

Ist der Aufenthalt an einem neuen Ort von vorneherein auf Dauer angelegt, kann ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts auch vor Ablauf der sechs Monate, u. a. auch schon mit Beginn des Aufenthalts am neuen Ort, angenommen werden (vgl. etwa BGH, NJW 1981, 520). Inwieweit sonst subjektive Momente für die Begründung eines (neuen) gewöhnlichen Aufenthalts eine Rolle spielen, ist im Einzelnen umstritten (vgl. dazu etwa Baetge, IPrax 2001, 573, 576 sowie Staudinger/Blumenwitz, Neubearbeitung des Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch/IPR 2003, § 5 EGBGB RdNr. 46).

Geht es, wie im vorliegenden Fall, um den gewöhnlichen Aufenthalt minderjähriger Kinder, ist im objektiven Bereich deren Daseinsmittelpunkt grundsätzlich unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen (vgl. etwa Baetge, IPrax 2006, 313, 314). Soweit für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dagegen subjektive Elemente, wie etwa der Bleibewille an einem neuen Ort, von Bedeutung sind, kommt es dagegen auf den Willen der gesetzlichen Vertreter, im vorliegenden Fall also der Eltern, an (vgl. dazu etwa auch Baetge, IPrax 2001, 573, 576).

Im vorliegenden Fall haben die Kinder ihren Lebensmittelpunkt bis zur Trennung der Parteien im April 2006 unzweifelhaft in Polen gehabt.

Was ... angeht, haben dessen vorübergehende Aufenthalte beim Vater in Deutschland ab April 2006, auch wenn man hinsichtlich der Dauer der Aufenthalte auch für die Zeit vom 20.6. bis 16.7.2006 und vom 1. bis 21.8.2006 von der Darstellung des Antragsgegners ausgeht, noch nicht zu einer Änderung des Daseinsmittelpunktes des Kindes mit dem Ergebnis geführt, dass der gewöhnliche Aufenthalt in Polen beendet und ein neuer in Deutschland begründet worden ist.

Eine soziale Integration in Deutschland hat allerdings mit dem Aufenthalt beim Vater und dem Schulbesuch in Wörth ab Anfang September 2006 begonnen.

Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, war vom 2.9.2006 bis zum 5.1.2007, dem Zeitpunkt, zu dem dem Antragsgegner spätestens klar sein musste, dass die Antragstellerin mit einem weiteren Aufenthalt ... in Deutschland nicht mehr einverstanden war, die Frist von sechs Monaten noch nicht abgelaufen.

Das Amtsgericht hat es abgelehnt, aus der Vereinbarung der Parteien über den Schulbesuch in Bayern ab dem Schuljahr 2006/2007 einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abzuleiten. Dem ist zu folgen.

Anzumerken ist insoweit zunächst, dass eine Vereinbarung der Eltern über den Aufenthalt der gemeinsamen Kinder, wie sie im vorliegenden Fall im Schriftstück vom 5.7.2006 niedergelegt worden ist, nicht unmittelbar den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bestimmen kann. Wo ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist grundsätzlich anhand der angeführten objektiven Kriterien zu klären (vgl. dazu etwa Baetge, IPrax 2001, 573, 576). Die Vereinbarung vom Juli 2006 könnte allerdings insoweit von Bedeutung sein, als der darin niedergelegte und objektiv bis 22.12.2007 umgesetzte gemeinsame Wille der Parteien, das ... ab September 2006 beim Vater in Deutschland lebt und die Schule besucht, zu einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts schon vor dem Ablauf der im Regelfall einzuhaltenden Sechs-Monats-Frist alsbald nach Beginn des Schulbesuches jedenfalls aber bis zum 22.12.2006 anzunehmen ist.

Der Senat ist der Auffassung, dass auch unter diesem Aspekt ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ... von Polen nach Deutschland bis zum 22.12.2006 bzw. bis 11.2.2007 nicht eingetreten ist, weil bereits nach den Herbstferien anlässlich der Streitigkeiten zwischen den Parteien zumindest Zweifel daran deutlich geworden sind, dass die Antragstellerin weiter hinter der Abmachung vom 5.7.2006 steht und ... vor allem davon auszugehen ist, dass die Abmachung vom 5.7.2006 keine endgültige Übersiedelung ... zum Vater, sondern nur einen zeitlich begrenzten Aufenthalt des Kindes in Deutschland vorsah.

Insoweit spricht zwar vieles dafür, dass zwischen den Parteien entgegen der Darstellung der Antragstellerin nicht nur ein Schulbesuch ... in Bayern bis zu den Weihnachtsferien 2006, sondern entsprechend der Darstellung des Antragsgegners für das gesamte Schuljahr 2006/2007 vereinbart war.

Aber auch bei der Zugrundelegung dieser Darstellung des Antragsgegners lag ein übereinstimmender Wille der Eltern, dass auf Dauer in Deutschland bleibt, nicht vor.

Es kann dahinstehen, ob die zeitliche Begrenzung des geplanten Schulbesuches ... in Bayern auch dann einer Beendigung des gewöhnlichen Aufenthaltes ... in Polen entgegengestanden hätte, wenn der Plan bis zum Ende des Schuljahres durchgeführt worden wäre. Der Umstand, dass keine endgültige Umsiedelung ... nach Deutschland vereinbart war, führt aber jedenfalls dazu, dass vor Ablauf der regelmäßig einzuhaltenden Sechs-Monats-Frist ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes nicht angenommen werden kann (vgl. zur Bedeutung des Willens, auf Dauer an einem anderen Ort zu leben, in diesem Zusammenhang etwa Baetge, IPrax 2001, 573, 576).

Das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 und damit die Anwendung des HKÜ könnte auch dann nicht verneint werden, wenn man davon ausgehen würde, dass ... als Folge der Vereinbarung vom 5.7.2006 bis 22.12.2006, möglicherweise auch noch am 11.2.2007, einen doppelten gewöhnlichen Aufenthalt in Polen und in Deutschland gehabt hat. Ob ein solcher mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt überhaupt möglich ist (dafür etwa OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 355, und OLG Frankfurt, FPR 2001, 233) ist streitig (vgl. dazu etwa Baetge, IPrax, 2005, 335, 336). Teilweise wird die Möglichkeit eines gleichzeitigen gewöhnlichen Aufenthaltes in mehreren Ländern abgelehnt und bei alternativen Aufenthaltes des Kindes bei beiden Elternteilen angenommen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jeweils wechselt (so OLG Stuttgart, FamRZ 2003, 959) oder dass es in einem solchen Fall bei dem vor der Vereinbarung und Praktizierung des Wechsels bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt bleibt (so etwa OLG Rostock, FamRZ 2001, 642).

Ausgehend von den beiden zuletzt genannten Auffassungen wäre der gewöhnliche Aufenthalt jedenfalls am 11.2.2007 bei der Antragstellerin in Polen gewesen.

Aber auch bei Annahme eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts läge eine Verletzung des Sorgerechts der sorgeberechtigten Mutter im Sinne des Art. 3 HKÜ vor, wenn das Kind wie im vorliegenden Fall, gegen den Willen dieses Elternteils vom anderen Elternteil in ein anderes Land verbracht wird. Es gibt deshalb entgegen der in zwei Entscheidungen des OLG Karlsruhe (FamRZ 2003, 955) und des OLG Frankfurt (FPR 2001, 233) keinen Grund, in einem solchen Fall das Vorliegen der Voraussetzungen der Art. 3, 4 HKÜ bzw. die Anwendung des HKÜ abzulehnen (so auch Baetge, IPrax 2005, 335, 337).

Ausgehend von der geschilderten rechtlichen Situation steht auch bei die Praktizierung eines wechselnden Aufenthaltes in Polen und Deutschland in der Zeit von April 2006 bis längstens 8.12.2006 entsprechend der Vereinbarung vom 5.7.2006 dem Fortbestehen eines gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes in Polen auch noch am 11.2.2007 nicht entgegen.

Auch wenn man nicht nur die unstreitigen, sondern auch die vom Antragsgegner behaupteten Aufenthaltszeiten des Kindes in Deutschland sowie den behaupteten und teilweise belegten Kindergartenbesuch in Wörth unterstellt, kann nach den aufgezeigten Grundsätzen noch nicht von einer Integration des Kindes in Deutschland in der Weise ausgegangen werden, dass es dadurch zu einem bis zu den Weihnachtsferien 2006 bzw. bis zum 11.2.2007 fortwirkenden vollständigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes von Polen nach Deutschland gekommen ist.

Auch insoweit ist im Übrigen die am 5.7.2006 getroffene Vereinbarung der Eltern über das Wechselmodell jedenfalls seit den Weihnachtsferien 2006 von der Antragstellerin nicht mehr mitgetragen worden.

b) Die Voraussetzungen des Art. 3 HKÜ sind auch insoweit erfüllt, als durch das Verbringen der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 ein bestehendes Sorgerecht der Antragstellerin verletzt wurde, das diese zum genannten Zeitpunkt auch tatsächlich ausgeübt hat.

Geht man davon aus, dass die Kinder am 11.2.2007 ihren gewöhnlichen Aufenthalt (zumindest auch) in Polen hatten, liegt es nahe, dass das Sorgerecht für die Kinder über das dann zunächst maßgebliche polnische internationale Privatrecht nach materiellem polnischen Recht zu beurteilen ist. Dass danach die (mit dem Vater nicht verheiratete) Mutter jedenfalls ein Mit sorgerecht hat, ergibt sich aus Art. 93 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzesbuches vom 25.2.1964 (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Polen, Seite 42 f., 57). Aber auch nach deutschem Recht wäre die Antragstellerin (nach § 1626 a BGB) mitsorgeberechtigt.

Die Verbringung der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 erfolgte auch gegen den Willen der Antragstellerin.

Es kann dabei dahinstehen, ob der Antragsgegner entsprechend der Darstellung der Antragstellerin an diesem Tag seinen deutschen Personalausweis und seinen Führerschein sowie die Reisepässe der Kinder der Antragstellerin als Garantie dafür überlassen hat, dass er die Kinder wieder zurückgibt, oder ob der Antragsgegner entsprechend seiner Darstellung die Dokumente mit seinem Sakko bei der Antragstellerin vergessen hat. Angesichts dessen, dass die Antragsgegnerin bereits in den Weihnachtsferien erklärt hatte, dass sie die Kinder nicht nach Deutschland zurücklassen will und die Rückkehr der Kinder auch gegenüber dem am 5.1.2007 angereisten Antragsgegner verweigert hat, spricht alles dafür, dass sie auch am 11.2.2007 jedenfalls mit einer Mitnahme der Kinder nach Deutschland nicht einverstanden war.

2. Damit sind die Kinder aber am 11.2.2007 vom Antragsgegner i. S. des Art. 3 HKÜ widerrechtlich von Polen nach Deutschland verbracht worden. Da der Antrag der Antragstellerin vom 3.4.2007 auf Rückführung innerhalb eines Jahres nach dem 11.2.2007 gestellt worden ist, liegen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anordnung einer sofortigen Rückgabe der Kinder nach Art. 12 HKÜ vor.

3. Einer Rückführungsanordnung steht auch Art. 13 HKÜ nicht entgegen.

a) Davon, dass der Antragsgegner nachgewiesen hätte, dass die Antragstellerin dem Verbringen der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hätte, kann nach den Ausführungen zu 1. b) nicht ausgegangen werden.

b) Die Anordnung einer Rückgabe kann nach Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ unterbleiben, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass die Ausnahmevorschrift des Art. 13 Abs. 1 b) im Hinblick auf die Ziele des HKÜ, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen von Kindern ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes zu ermöglichen (vgl. etwa BVerfG, FamRZ 1996, 405) eng auszulegen ist. Deshalb können nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls einer Rückführung entgegenstehen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen solcher außergewöhnlicher Beeinträchtigungen trägt der Antragsgegner.

Eine in diesem Sinn zu verstehende schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für die Kinder durch die Anordnung einer Rückgabe an die Antragstellerin zum Zwecke der Rückführung nach Polen kann im vorliegenden Fall nicht bejaht werden.

Soweit es um das vom Antragsgegner der Antragstellerin angelastete Unterbleiben einer ausreichenden zahnärztlichen Versorgung ... in Polen geht, sind die aufgetretenen - sicher massiven - Schäden, soweit ersichtlich, zwischenzeitlich in Deutschland beseitigt. Die Frage der Verantwortlichkeit für insoweit vorliegende Versäumnisse der Eltern mag für die Entscheidung über das eigentliche Sorgerecht von Bedeutung sein. Eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen Schadens durch die Rückführung des Kindes nach Polen zum Zweck der Durchführung eines Sorgerechtsverfahrens ist aber, auch weil ein akuter Handlungsbedarf nach der durchgeführten Sanierung nicht vorgetragen oder ersichtlich ist, nicht dargetan.

Auch aus den durch die Bestätigung der deutschen Schule in Warschau vom 29.6.2006 belegten bzw. unstreitigen Schulversäumnissen ... (53 Tage unentschuldigtes Fehlen im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2005/2006, kein Schulbesuch nach den Weihnachtsferien 2006/2007 bis zum 11.2.2007) sowie aus dem Vortrag einer fehlenden Unterstützung ... durch die Mutter in der deutschen Schule in Warschau kann noch keine schwerwiegende Gefährdung des Wohls des Kindes i. S. des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ durch die Anordnung einer Rückführung abgeleitet werden. Ob es auch nach einer Rückführung zu weiteren Schulversäumnissen kommt, ist ungewiss. ... hat bei seiner Anhörung durch den Senat den Eindruck erweckt, dass er nach der Zeit, in der er in Deutschland die Schule besucht hat, den Sinn und die Notwendigkeit eines Schulbesuches durchaus erfasst hat. Auf die Frage, wie es denn seiner Vorstellung nach bei einer eventuellen Rückkehr nach Polen mit der Schule weitergehen solle, hat er erklärt, dass er es in Deutschland gelernt habe, Hausaufgaben zu machen. Falls es zu weiteren Schulversäumnissen des Kindes kommen sollte, hätte es der Vater als mitsorgeberechtigter Elternteil in der Hand, bei den zuständigen polnischen Behörden entsprechende Maßnahmen anzuregen, falls solche von dort aus nicht ohnehin ergriffen werden würden.

Der Antragsgegner beruft sich - im Anschluss an entsprechende Ausführungen der Verfahrenspflegerin in erster Instanz - weiter darauf, dass es einen erheblichen psychischen Schaden für ... mit sich bringen würde, wenn das Kind als Folge der Anordnung der Rückführung nach Polen dort die zweite Klasse auch im zweiten Anlauf nicht schaffen würde und diese daraufhin ein drittes Mal besuchen müsste. Aus diesem Vortrag kann eine Gefährdung i. S. des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil es nicht feststeht und nach den jetzt ordentlichen Leistungen ... in der Schule in Deutschland eher nicht zu erwarten ist, dass ... in Polen erneut an der zweite Klasse scheitert.

Schließlich ist auch mit dem Vortrag des Antragsgegners und der Verfahrenspflegerin zu angeblichen - auch auf häufige Auslandsaufenthalte der Antragstellerin zurückzuführende - Defiziten bei der Betreuung der Kinder während ihres Aufenthalts in Polen nicht ausreichend dargetan, dass die Rückkehr der Kinder nach Polen mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für diese verbunden ist oder die Kinder auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht werden.

Durch die in diesem Verfahren vorgelegten Belege mögen zwar negative Auswirkungen von Auslandsaufenthalten der Antragstellerin in Spanien und Irland auf die Versorgung der Kinder punktuell, insbesondere hinsichtlich der Förderung in der Schule, belegt sein. Dies reicht jedoch nicht aus, um das Vorliegen der genannten Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ bejahen zu können. Bei der Anhörung ... durch den Senat haben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Kinder etwa wegen der Auslandsaufenthalte der Antragstellerin ohne Betreuungsperson zurückgeblieben sind.

Auch das übrige Vorbringen des Antragsgegners ist nicht geeignet, das Vorliegen einer Ausnahmesituation nach Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ darzutun.

c) Die Anordnung einer Rückgabe des Kindes kann nach Art. 13 Abs. 2 HKÜ auch dann abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass sich ein Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.

Der derzeit 8-jährige ... hat bei seiner Anhörung durch den Senat insoweit zunächst geäußert, dass es das Beste wäre, wenn seine Eltern sich darauf einigen würden, dass er in den Ferien bei seiner Mutter in Polen und im Übrigen beim Vater in Deutschland bleibt. Nach einer kurzen Überlegungspause hat er dann erklärt, dass es vielleicht doch besser sei, wenn er grundsätzlich bei seiner Mutter in Polen leben und nur in den Ferien den Vater in Deutschland besuchen würde. Angesichts dieser aktuellen Äußerungen des Kindes kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass dieses sich einer Rückgabe an die Mutter nach Polen in einer Weise widersetzt, die der Anordnung einer Rückführung entgegensteht.

Es kann deshalb offen bleiben, ob ... bereits ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts derer es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.

Bei kommt eine Anwendung des Art. 13 Abs. 2 HKÜ angesichts seines Alters von nur vier Jahren von vorneherein nicht in Betracht.

Damit gibt es keinen Grund, die vom Amtsgericht auf der Grundlage von Art. 12 HKÜ angeordnete Herausgabe der Kinder an die Antragstellerin zum Zwecke der sofortigen Rückführung in die Republik Polen zu beanstanden.

4. Die vom Amtsgericht unter II. und III. des Tenors getroffenen Anordnungen dienen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung und finden ihre Grundlage in § 44 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht vom 26.1.2005 (BGBl. 2005 I, Seite 162). Dass das Amtsgericht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung unter III. bereits die besondere Verfügung getroffen hat, die nach § 44 Abs. 3 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich ist, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Angesichts des bei der Anhörung durch den Senat deutlich gewordenen Verhältnisses der Kinder zu ihrer Mutter ist nicht zu erwarten, dass diese sich einer Rückkehr zur Mutter widersetzen werden und deshalb Gewalt gegen die Kinder angeordnet werden müsste. Auch aus diesem Grund kann die sofortige Anordnung nach § 44 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht nach den für den Senat derzeit erkennbaren Umständen nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.

Es ist im Übrigen zu hoffen, dass die Elternteile im Interesse ihrer Kinder so vernünftig sind, die angeordnete Rückgabe der Kinder an die Mutter nach der Beendigung des laufenden Schuljahres in Bayern einvernehmlich durchzuführen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 52 Satz 2 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht und § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Die Festsetzung des Geschäftswertes erfolgt entsprechend § 131 Abs. 2, 30 Abs. 3, Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück