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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 24.03.2005
Aktenzeichen: 8 U 3617/04
Rechtsgebiete: MB/KK


Vorschriften:

MB/KK § 1 Abs. 2
MB/KK § 5 Abs. 1
Zur Frage, ob eine In-vitro-Fertilisation als medizinisch notwendige Heilbehandlung anzusehen ist, wenn die Unfruchtbarkeit der versicherten Frau die Folge einer Tubensterilisation ist, die sie zum Zwecke der Empfängnisverhütung durchführen ließ.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 3617/04

Verkündet am 24. März 2005

In Sachen

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Endmann, den Richter am Oberlandesgericht Rebhan und die Richterin am Oberlandesgericht Schwarz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteils des Landgerichts Regensburg vom 01.10.2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO).

Tatbestand:

Die bei der Beklagten unter den Bedingungen der MBKK 94 versicherte -Klägerin hatte 1999 zur Empfängnisverhütung eine Tubensterilisation durchführen lassen, weil sie hormonelle Kontrazeptiva, Pessare oder andere Verhütungsmittel, die Konservierungsstoffe oder Latex enthielten (Vaginalcremes bzw. Kondome) nicht vertrug. Mit der Klage begehrt sie die Erstattung der im Jahr 2004 durch In-vitro-Fertilisation entstandenen Kosten (EUR 5.298,95) sowie die Feststellung, dass die beklagte Versicherung Versicherungsschutz für eine künstliche Befruchtung im Wege der IVF-Behandlung zu gewähren habe.

Das LG Regensburg hat die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass im vorliegenden Fall die Sterilität nicht organisch bedingt war, eine bewusst herbeigeführte Unfruchtbarkeit keine Krankheit im Sinn der MBKK 94 darstelle und letztlich eine Leistungspflicht der Versicherung auch daran scheitere, dass die Klägerin die "Krankheit" vorsätzlich herbeigeführt habe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 511 ff. ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg.

Es besteht keine Verpflichtung der Beklagten aus der privaten Krankenversicherung, die Behandlungskosten für eine künstliche Befruchtung der Klägerin zu übernehmen -und zwar weder für die bereits stattgefundene noch für eine weitere beabsichtigte (homologe) In-vitro-Fertilisation-, da kein Versicherungsfall anzunehmen ist.

I.

Nach § 1 Teil I (1) a) und (2) (der zwischen den Parteien vereinbarten) MB/KK 94 besteht Versicherungsschutz bei Krankheit (...) für medizinisch notwendige Heilbehandlungen. Krankheit im vorgenannten Sinne ist nach herrschendem Verständnis ein unabhängig von den subjektiven Vorstellungen des Versicherungsnehmers objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Zustand des Körpers oder Geistes. Der BGH hat ausgehend von dieser allgemeinen Definition der Krankheit die organisch bedingte Sterilität als bedingungsmäßige Krankheit und die homologe In-vitro-Fertilisation als notwendige medizinische Heilbehandlung anerkannt (BGH VersR 1987, 278).

1. Eine derartige, organisch bedingte Sterilität macht die Klägerin erstmals in ihrer Berufungsbegründung vom 23.12.2004 geltend. Dort läßt sie unter Bezugnahme auf die Schreiben von Prof. Dr. S vom 10.12.2003 und 02.11.2004 vortragen, die Ursache für ihre Unfruchtbarkeit sei nicht die im Jahre 1999 vorgenommene Sterilisierung, sondern eine Chlamydien-Infektion, die zu Adhäsionen im Eileiter und Bauchraum führte, so daß die Sterilisierung unnötiger Weise vorgenommen worden sei.

Dieser neue Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz kann jedoch nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO keine Berücksichtigung finden. Der Klägerin war die Diagnose einer -von der Beklagten im übrigen bestrittenen- organisch bedingten Sterilität bereits auf Grund des ärztlichen Attestes vom 10.12.2003, also vor Klageerhebung bekannt; dies hat sie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14.02.2005 ausdrücklich zugestanden. Es wäre ihr daher möglich und zumutbar gewesen, hierzu in erster Instanz vorzutragen.

2. Für die Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Versicherungsfalls ist somit von dem Sachverhalt auszugehen, den die Klägerin in erster Instanz (und noch in der Berufungsbegründung vom 21.10.2004) vortragen ließ. Danach soll die bei ihr im Jahre 1999 vorgenommene Tubenligatur medizinisch notwendig gewesen sein, weil ansonsten ihr Sexualleben und ihre berufliche Entwicklung in nicht zumutbarer Weise eingeschränkt worden wäre; sie habe nämlich an einer Unverträglichkeit von hormonellen Kontrazeptiva, Pessaren, Vaginalcremes mit Konservierungsstoffen und Kondomen aus Latex gelitten.

3. Ob eine Krankheit im Sinne der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen vorliegt, wenn die Sterilität bewußt -also durch eine Sterilisierung- herbeigeführt wurde, ist streitig.

a) Teilweise wird dies mit der Begründung verneint, daß als Krankheit nur eine schicksalhafte Unfruchtbarkeit angesehen werden könne, nicht aber ein bewußt und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung herbeigeführter Zustand der Unfruchtbarkeit zu dem Zweck, eine Schwangerschaft zu vermeiden. So hat beispielsweise das OLG Köln in seiner Entscheidung vom 18.03.1993 (VersR 94, 208) nicht einmal aus dem Umstand, daß bei einer Versicherungsnehmerin im Falle einer Schwangerschaft die Gefahr der Erblindung bestand, auf eine Krankheit im Sinne der AVE geschlossen (vgl. auch Marlow, VersR 2002, 144, 147).

Unter Umständen könnte eine andere Beurteilung dann gerechtfertigt sein, wenn nach einer freiwillig herbeigeführten Sterilisation anderweitige gesundheitliche Beschwerden mit Krankheitswert aufgetreten wären, wie etwa psychische Störungen wegen eines nicht mehr erfüllbaren Kinderwunsches (vgl. OLG Köln vom 13.01.1994, VersR 94, 1170).

b) Nach der Gegenmeinung wird eine durch Sterilisation bewirkte Unfruchtbarkeit als Krankheit angesehen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 1 MB/KK94 RNr. 13 -ohne Begründung-).

4. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin unter keinem in Frage kommenden Gesichtspunkt Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine In-vitro-Fertilisation.

a) Folgt man der letztgenannten Auffassung, der private Krankenversicherer habe im Falle einer Krankheit Leistungen unabhängig von deren Ursache zu erbringen, ist allerdings weiter zu berücksichtigen, daß nach § 5 Teil I (1) b MB/KK 94 bei vorsätzlich herbeigeführter Krankheit eine Leistungspflicht des Versicherers entfällt. War die "Krankheit" - hier: die durch Tubensterilisation hervorgerufene Unfruchtbarkeit allerdings nicht schuldhaft herbeigeführt, sondern Folge eines medizinisch notwendigen Eingriffs, bliebe die Leistungspflicht bestehen.

Eine medizinische Notwendigkeit für die im Jahre 1999 vorgenommene Sterilisierung der Klägerin läßt sich ihrem Vorbringen jedoch nicht entnehmen. Der Wunsch nach einem normalen Sexualleben und die Intention, die berufliche Entwicklung nicht durch ein Kind zu gefährden, vermag dies nicht zu begründen, auch wenn hormonelle Kontrazeptiva (Pille und Depot), Pessare, Vaginalcremes mit Konservierungsstoffen und Kondome aus Latex von der Klägerin nicht vertragen werden. Unstreitig gibt es Vaginalcremes ohne Konservierungsstoffe und latexfreie Kondome, die alternativ zur Verfügung stünden.

b) Soweit mit der bereits angeführten Entscheidung des OLG Köln (VersR 94, 1170) eine behandlungsbedürftige Erkrankung nach einer durch ärztlichen Eingriff herbeigeführten Sterilisation die medizinische Notwendigkeit einer Refertilisierung oder einer künstlichen Befruchtung begründen könnte, fehlt es vorliegend an einem dahingehenden Sachvortrag. Die Klägerin hat sich nicht darauf berufen, auf Grund durchgeführter Tubenligatur physisch oder psychisch krank geworden zu sein.

Im Ergebnis bedeutet dies, daß die Beklagte mangels Vorliegens eines Versicherungsfalls nicht verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für eine künstliche Befruchtung zu erstatten.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

II.

Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO,

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind; eine Revisionszulassung wurde im übrigen auch nicht beantragt.

Ende der Entscheidung

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