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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 02.10.2002
Aktenzeichen: Ws 1257/02
Rechtsgebiete: BayStrUBG


Vorschriften:

BayStrUBG Art 1 I
BayStrUBG Art 4 I
Zu den Voraussetzungen für die Anordnung der "Nachträglichen Sicherungsverwahrung" nach der bayerischen Gesetzeslage.
Ws 1257/02

Nürnberg, den 02. Oktober 2002

In der Unterbringungssache nach dem BayStrUBG

wegen Mordes u.a.;

hier: sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt nach dem StrUBG,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Justizvollzugsanstalt gegen den Beschluß der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts mit dem Sitz in vom 24.09.2002 wird als unbegründet verworfen.

II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Die Staatskasse hat die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Mit Beschluß vom 24.09.2002 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts mit dem Sitz in den Antrag der Justizvollzugsanstalt vom 06.03.2002, den Strafgefangenen gemäß dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern nach Verbüßung der Strafe in der Justizvollzugsanstalt unterzubringen, zurückgewiesen und der Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierbei entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Gegen diesen Beschluß hat die Justizvollzugsanstalt mit dem beim Landgericht am 25.09.2002 eingegangenen Schreiben vom 24.09.2002 sofortige Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluß aufzuheben und die Unterbringung des Strafgefangenen anzuordnen, hilfsweise das Verfahren zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. In der mündlichen Beschlußbegründung habe die Strafvollstreckungskammer zu Unrecht darauf abgestellt, daß die bei dem Strafgefangenen bestehende Gefährlichkeit aus den Straftaten resultiere, mithin keine neue, erhöhte Gefährlichkeit vorliege. Darüber hinaus treffe dies nicht zu, da der Sachverständige Dr. in der mündlichen Anhörung von einer im Vergleich zur Verurteilung erhöhten Gefährlichkeit aufgrund der durch fehlende Auseinandersetzung mit der Delinquenz hervorgerufenen eingeschliffenen Verhaltensmuster gesprochen habe. Soweit die Strafvollstreckungskammer ausgeführt habe, es fehle an einer beharrlichen Verweigerung einer rückfallvermeidenden Psycho- oder Sexualtherapie, habe sie verkannt, daß sich die Formulierung "beharrlich" auf die Verweigerung der Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugszieles und nicht auf die Ablehnung einer rückfallvermeidenden Psycho- oder Sexualtherapie beziehe. Daneben lehne der Strafgefangene eine Sozialtherapie entschieden ab, denn er habe gegenüber dem Sachverständigen Dr. erklärt, daß er den ihm von der Justizvollzugsanstalt überlassenen Fragebogen nicht ausgefüllt zurückgegeben habe, da er keine Sexualprobleme habe und sich auch nicht als Sexualstraftäter betrachte und deshalb keine derartige Therapie erforderlich sei. Es sei auch nicht Aufgabe der Justizvollzugsanstalt, ihm ein konkretes Angebot einer Therapie zu unterbreiten, sondern nur, ihn mit einem Formblatt auf Therapiemöglichkeiten hinzuweisen. Es sei dann seine Sache, sich bei den Fachkräften der Justizvollzugsanstalt zu erkundigen und dann entsprechend zu bewerben. Der Strafgefangene sei auch während seiner Inhaftierung durch Aushänge auf die in der Justizvollzugsanstalt angebotene Gruppentherapie für sexualdeviante Straftäter hingewiesen worden. Er habe sich diesbezüglich nie bemüht. Als im August 2001 seine Aufnahme in den Entlassungsvollzug mit dem Hinweis abgelehnt worden sei, er lehne eine Therapie ab, habe der Strafgefangene keine Reaktion erkennen lassen. All dies belege, daß der Strafgefangene beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugszieles verweigere, namentlich eine rückfallvermeidende Psycho- oder Sozialtherapie ablehne.

Nach Mitteilung des schriftlichen Beschlusses vom 24.09.2002 hat die Justizvollzugsanstalt von einer weiteren Begründung ihres Rechtsmittels abgesehen.

Der Beistand des Betroffenen beantragt, die sofortige Beschwerde der Justizvollzugsanstalt zurückzuweisen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Justizvollzugsanstalt (Art. 3 Abs. 4 S. 2; Abs. 2 StrUBG i.V.m. §§ 306, 311 StPO) ist unbegründet.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit ausführlicher Begründung, die die volle Zustimmung des Senats findet und auf welche deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, den Antrag der Justizvollzugsanstalt auf Unterbringung des Betroffenen nach Verbüßung der mit Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts vom 17.07.1989 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren wegen Mordes, sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und ferner der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen nach Art. 1 Abs. 1 BayStrUBG als unbegründet zurückgewiesen. Dabei hat die Strafvollstreckungskammer auch die Begründung zum BayStrUBG (Drucksache 14/7642) berücksichtigt.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. In der Begründung zum BayStrUBG wird allgemein (S. 5) u.a. ausgeführt, daß die Anordnung der Unterbringung engen materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen unterliegt und zu Art. 1 u.a. festgestellt:

"Zu den formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung muss ein Vollzugsverhalten hinzutreten, das den Anknüpfungspunkt für die Anordnung der Unterbringung darstellt. In diesen Tatsachen muss die besondere Rückfallgefahr zum Ausdruck kommen. Durch den mit "namentlich" eingeleiteten Halbsatz wird der Generalklausel Kontur verliehen. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die Unterbringung nicht wegen des Therapieabbruchs oder der Therapieverweigerung erfolgt, sondern letztendlich wegen der sich daraus ergebenden Rückfallgefahr."

Daraus ergibt sich eindeutig, daß das sicherheitsrechtlich ausgestaltete Institut der Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter für solche Fälle geschaffen wurde, in denen sich bei einem bereits verurteilten Straftäter während des Strafvollzugs seine besondere Gefährlichkeit für den Einzelnen oder die Allgemeinheit herausstellt, und zwar vornehmlich aufgrund von konkreten Umständen, die erst nach dem Zeitpunkt der Verurteilung entstanden sind und deshalb vom Strafrichter noch nicht berücksichtigt werden konnten (Begründung S. 5).

Die Justizvollzugsanstalt hat weder in ihrer Antragsschrift vom 06.03.2002 noch in der Ergänzung vom 06.05.2002 nach der Verurteilung eingetretene Tatsachen (Art. 1 Abs. 1; Art. 4 Abs. 1 S. 3 u. 4 StrUBG) darzustellen vermocht, aus denen sich die Notwendigkeit der Unterbringung nach Art. 1 Abs. 1 StrUBG entnehmen ließ. Sie hat nicht dargelegt, wann, bei welchen Gelegenheiten und in welcher Weise sie den Betroffenen, der sich seit 13.09.1989 in der Justizvollzugsanstalt befindet, angehalten hat, den in der Justizvollzugsanstalt tätigen externen Drogenberater zu konsultieren. Auch die Erklärung, der Betroffene habe an einer Sexualtherapie nicht teilgenommen und Mitte des Jahres 2000 einen ihm ausgehändigten Fragebogen im Hinblick auf mögliche Therapien, dem ein Merkblatt für einen in Haft befindlichen Sexualtäter beigefügt worden war, nicht zurückgegeben, ist völlig nichtssagend in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 StrUBG. Der Fragebogen ist mit folgendem Hinweis überschrieben.

"Das Ausfüllen des Fragebogens ist freiwillig; ein Nichtausfüllen hat keine disziplinarischen Folgen. Sie sollten jedoch die in § 6 Strafvollzugsgesetz geforderte Erforschung Ihrer Persönlichkeit durch Ausfüllen des Bogens unterstützen und dadurch in Ihrem eigenen Interesse wichtige Grundlagen für eine Ihnen gerecht werdende Vollzugsplanung schaffen."

Danach sollte er nach knapp 11-jährigem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt die Erforschung seiner Persönlichkeit durch Ausfüllen des Fragebogens unterstützen und wichtige Grundlagen für die Vollzugsplanung schaffen, was bereits zu Beginn seiner Strafhaft hätte geschehen müssen und worauf die einzelnen Fragen abgestimmt sind. Dieses Merkblatt und der Fragebogen befinden sich als Anlage zur Niederschrift der öffentlichen Verhandlung vom 24.09.2002.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, wieso die Justizvollzugsanstalt den Betroffenen zu einer Alkoholtherapie bewegen wollte, nachdem sich hierfür nichts aus dem Urteil der Schwurgerichtskammer vom 17.07.1989 entnehmen ließ. Vielmehr ist das Schwurgericht dem Gutachten des Sachverständigen Dr. gefolgt, wonach sich in der Alkoholkarriere beim Angeklagten nur zeitweise eine psychische Abhängigkeit entwickelt habe und eine massive alkoholtoxische Wesensänderung, möglicherweise verhindert durch die langjährige erzwungene Karrenz in den Justizvollzugsanstalten, nicht entstanden sei. Deshalb befaßte sich das Schwurgericht auch nicht mit der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, § 64 StGB. Soweit die Justizvollzugsanstalt in ihrer ergänzenden Begründung vom 06.05.2002 vorbrachte, sie habe den Betroffenen aufgrund einer fernmündlichen Äußerung des Ltd. Medizinaldirektors a. D. Dr. im August 1999, der Inhaftierte sei ein "verwahrloster Krimineller und Trinker", der eine Alkoholtherapie benötige, zu einer derartigen Therapie bewegen wollen, ließen sich damit auch nicht die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 StrUBG begründen. Zum einen ist unverständlich, wieso die Justizvollzugsanstalt aufgrund einer bloßen pauschalen Einschätzung eines Sachverständigen eine Alkoholtherapie des Betroffenen zur Erreichung des Vollzugssziels (§ 2 S. 1 StVollzG) für erforderlich hielt und mit welcher Begründung sie dem Betroffenen hierzu bewegen wollte. Zum anderen hat sich nunmehr erstmals zum Strafende aufgrund der übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen Dr. und Dr. gezeigt, daß sich der Betroffene nicht einer Alkohol- und/oder Sexualtherapie, sondern einer länger dauernden stationären Sozialtherapie zur Verminderung der Rückfallwahrscheinlichkeit unterziehen hätte müssen. Eine Psycho- oder Sozialtherapie hat die Justizvollzugsanstalt bis zur Antragstellung nicht angeregt und die Notwendigkeit einer Sexual- und/oder Alkoholtherapie konnte sie nicht begründen, sodaß die Strafvollstreckungskammer bereits die Eröffnung des Unterbringungsverfahrens - ohne Erholung von Sachverständigengutachten - ablehnen hätte können. Das BayStrUBG ermöglicht es nicht, Versäumnisse während des Strafvollzugs (vgl. z.B. §§ 4 Abs. 1 S. 2; 6 Abs. 2 u. 3; 7 Abs. 2 Nr. 2 U. Abs. 4; 9 Abs. 1 S. 1 StVollzG und die Kommentierung hierzu bei Callies/Müller-Dietz) durch Anordnung einer Sicherungsverwahrung aufzufangen, um die Allgemeinheit vor dem nach dem Urteil vom 17.07.1989 wegen seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung hoch gefährlichen Straftäter, die mangels Behandlung trotz seines im wesentlichen beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens fortbesteht, zu schützen. Dies kann nicht mit der Begründung geschehen, der Betroffene lehne nunmehr am Strafende die erstmals von Sachverständigen für dringend erforderlich gehaltene längere stationäre Sozialtherapie (18 - 30 Monate) ab. Der Sachverständige Dr. hat darauf hingewiesen, daß man seit 10 Jahren von der Behandlungsfähigkeit dissozialer Persönlichkeitsstörungen ausgehe und nicht der Proband, sondern der Fachmann zu entscheiden haben sollte, welche Therapiemaßnahme zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlich ist. Letzteres ergibt sich auch aus den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, sodaß die von der Justizvollzugsanstalt vertretene Meinung, nach Aushändigung eines Formblattes über Therapiemöglichkeiten müsse sich der Betroffene bei Fachkräften selbst erkundigen und um eine konkrete Therapie bewerben, unzutreffend ist und dementsprechend eine bloßes Untätigbleiben des Strafgefangenen nicht eine Unterbringung nach dem BayStrUBG zu begründen vermag.

Da bereits aus diesen sowie den weiteren von der Strafvollstreckungskammer angeführten Gründen eine Unterbringung des Betroffenen, der nach den beiden Sachverständigengutachten nach wie vor hochgefährlich ist, nicht in Betracht kommt, erübrigt es sich, auf die verfassungsrechtliche Problematik des StrUBG und dessen Vereinbarkeit mit der EMRK, (vgl. Ullenbruch, NStZ 2002, 466 m.w.N.) näher einzugehen und sich festzulegen.

Nach Art. 7 Abs. 1 StrUBG werden für das gerichtliche Verfahren und damit auch für das Beschwerdeverfahren Kosten und Auslagen nicht erhoben.

Der Staatskasse sind nach Art. 3 Abs. 2 StrUBG i.V.m. § 473 Abs. 2 S. 1 StPO die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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