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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 234/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 43
StGB § 57
Die Vollstreckung des Restes einer teilverbüßten Ersatzfreiheitsstrafe kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. § 57 StGB ist insoweit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

1 Ws 234/06

In dem Strafverfahren

wegen Steuerhinterziehung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 24. April 2006

durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ...

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück, Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Lingen, vom 29. März 2006, durch den der Antrag des Verurteilten auf bedingte Aussetzung des Restes der zurzeit vom Verurteilten verbüßten Ersatzfreiheitsstrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Stade vom 11. Juni 2004 als unzulässig zurückgewiesen worden ist, wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

Gründe:

Die Ansicht der Strafvollstreckungskammer, § 57 StGB finde auf Ersatzfreiheitsstrafen (§ 43 StGB) keine Anwendung, trifft zu.

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist zwar - wenn und soweit sie vollzogen wird - eine Freiheitsstrafe und nicht lediglich ein Zwangsmittel zur Beitreibung der Geldstrafe. Indessen ist sie dennoch keine "zeitige Freiheitsstrafe" im Sinne von § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB. Diese wird in § 38 StGB definiert als Freiheitsstrafe mit einem Höchstmaß von 15 Jahren und einem Mindestmaß von einem Monat. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird hingegen im Abschnitt "Geldstrafe" unter § 43 StGB mit einem Mindestmaß von einem Tag umschrieben. Zudem ist die Ersatzfreiheitsstrafe keine eigenständig zu verhängende Strafe, sondern bis zum letzten Tag ihrer Vollstreckung abhängig von der primär verhängten Geldstrafe. Sie tritt an die Stelle der Geldstrafe nur wenn, soweit und solange diese im Sinne von § 459e Abs. 1 und 2 StPO nicht beigetrieben werden kann. Der Verurteilte kann in jeder Lage des Verfahrens durch völlige oder teilweise Zahlung des noch offenen Geldstrafenbetrages die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Umfang der bezahlten Tagessätze endgültig verhindern. Die Vollstreckungsbehörde kann ihrerseits bis zum Ablauf der Verjährungsfrist (§ 79 StGB) trotz Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe versuchen, die - bis dahin noch nicht "verbüßte" - Geldstrafe doch noch beizutreiben, etwa wenn neue Gesichtspunkte hervortreten, die eine Vollstreckung der Geldstrafe nunmehr erfolgreich erscheinen lassen. Zudem kann die Vollstreckungsbehörde selbst bei fortbestehender Uneinbringlichkeit der Geldstrafe auch noch dem inhaftierten Verurteilten Vergünstigungen (etwa Zahlungserleichterungen nach § 459a StPO) gewähren. Im Falle einer grundsätzlich möglichen Stundung der Geldstrafe wäre der Verurteilte umgehend aus der Haft zu entlassen, ohne dass die sonstigen Voraussetzungen des § 57 StGB erfüllt sein müssten und ohne Rücksicht auf die richterliche Zuständigkeit im Rahmen von § 57 StGB.

§ 57 StGB berücksichtigt die Akzessorietät der Ersatzfreiheitsstrafe gegenüber der originär verhängten Geldstrafe nicht und enthält keine Regelungen dazu, was im Falle einer Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zur Bewährung aus einer noch nicht beglichenen Geldstrafe wird. Wie schon das OLG Bamberg (NStZRR 1998, 380 ff.) zutreffend ausführt, wäre - abgesehen davon, dass die mit der zur Bewährung ausgesetzten Ersatzfreiheitsstrafe korrespondierende Geldstrafe als solche nach geltendem Recht nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann - mit der Anwendung des § 57 StGB auf Ersatzfreiheitsstrafen in nicht unerheblichem Maße die Gefahr eines Missbrauchs verbunden, der auf eine dem geltenden Recht fremde Restgeldstrafenbewährung und einen faktischen Restgeldstrafenerlass hinausliefe. Mit der Verurteilung zur Geldstrafe bringt das erkennende Gericht regelmäßig zum Ausdruck, dass zur Einwirkung auf den Verurteilten im Sinne künftig gesetzestreuen Verhaltens die Verhängung von Freiheitsstrafe und insbesondere deren Vollstreckung nicht erforderlich erscheint. Reststrafenbewährung wäre deshalb einem zur Ersatzfreiheitsstrafe herangezogenen Verurteilten bei Anwendung des § 57 StGB praktisch regelmäßig zu bewilligen. Ein Verurteilter, der die Bezahlung einer verhängten Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen nach Erreichen von zwei Dritteln einstellte, könnte somit selbst dann, wenn die Vollstreckungsbehörde die restliche Geldstrafe als uneinbringlich im Sinne des § 459 e Abs. 2 StPO ansähe, nicht ohne Weiteres zur Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe herangezogen werden. Wegen Erreichens der Zweidrittelgrenze und damit verbundener Erledigung von mindestens zwei Monaten der - einer verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen entsprechenden - Ersatzfreiheitsstrafe müsste dann nämlich zunächst von Amts wegen geprüft werden, ob die restliche Ersatzfreiheitsstrafe nicht sofort gemäß § 57 StGB zur Bewährung auszusetzen wäre, wobei diese Reststrafenbewährung wegen der bei geldstrafenwürdigen Verurteilten vorauszusetzenden positiven Sozialprognose in aller Regel auch zu bewilligen wäre. Denkt man an die vielfältigen Möglichkeiten, durch Vermögensverlagerung oder verschiebung eine Geldstrafe "uneinbringlich" im Sinne des § 459e Abs. 2 StPO erscheinen zu lassen, wäre ein redlicher Geldstrafenpflichtiger unbillig benachteiligt, der unter Umständen mit kleinsten Raten über lange Zeiträume seine Geldstrafe in voller Höhe begleicht, obwohl bei ihm möglicherweise tatsächlich oder jedenfalls eher Unpfändbarkeit und damit Nichtbeitreibbarkeit der Geldstrafe vorliegt als bei einem insoweit versierten Verurteilten. Einen Bewährungswiderruf wegen eines Bewährungsversagens könnte der primär zu Geldstrafe Verurteilte zudem durch Zahlung der Restgeldstrafe abwenden (§ 459e Abs. 4 StPO) und zwar auch dann, wenn die Mittel für die Tilgung der Restgeldstrafe nachweisbar aus einer neuen Straftat stammten, die im Falle einer zur Bewährung ausgesetzten originären Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 3 StGB i.V.m. § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nahezu zwangsläufig zum Bewährungswiderruf und damit zur Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe führte.

Zudem wäre bei - konsequenter - Anwendung des § 57 StGB auf Ersatzfreiheitsstrafen nach erfolgreich durchgestandener Bewährungsfrist die ausgesetzte restliche Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 3 StGB i.V.m. § 56g StGB zu erlassen; es verbliebe dann eine Restgeldstrafe ohne Ersatzfreiheitsstrafe.

Der Senat hält es wegen der Fülle und Art der mit der Anwendung des § 57 StGB auf Ersatzfreiheitsstrafen verbundenen Systemwidrigkeiten und Ungereimtheiten für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die Regelung dieser Probleme völlig offengelassen hätte, wenn er die Anwendung des § 57 StGB auf Ersatzfreiheitsstrafen gewollt hätte. Auch eine entsprechende Anwendung des § 57 StGB auf Ersatzfreiheitsstrafen scheidet aus , weil keine Regelungslücke besteht und die Anwendung der gesetzlichen Regelung auch nicht zu unerträglichen Ergebnissen führt, zumal § 459f StPO ein praktikables Regulativ bietet, falls bei der Vollstreckung der Geldstrafe bzw. der Ersatzfreiheitsstrafe im Einzelfall unbillige Härten auftreten. Die vom Beschwerdeführer zitierte abweichende Ansicht (etwa OLG Koblenz NStZ 1995, 254; OLG Hamm StV 1998, 151) verkennt diese Zusammenhänge.

Nach allem hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Verurteilten, den Rest der Ersatzfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, zu Recht abgelehnt.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten war deshalb mit der Kostenfolge gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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