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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 349/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
Allein der Wohnsitz eines der fahrlässigen Tötung verdächtigen polnischen Beschuldigten in Polen begründet als solcher auch bei Erwartung einer Freiheitsstrafe von deutlich über einem Jahr keine Fluchtgefahr.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

1 Ws 349/09

In dem Strafverfahren

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 25. Juni 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten werden der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 10.6.2009, durch den die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet wurde, und der Haftbefehl des Amtsgerichts Cloppenburg vom 30.3.2009 aufgehoben.

Der Angeschuldigte ist in dieser Sache sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Das Amtsgericht Cloppenburg hat gegen den Angeklagten am 30.03.2009 Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 LIT a, Abs. 3 Nr. 2 StGB) und einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) erlassen. Als Haftgrund ist Fluchtgefahr angenommen. Auf den Haftbefehl wird Bezug genommen. Der Angeklagte befindet sich seit dem 30.03.2009 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.05.2009 gegen den Haftbefehl Haftbeschwerde eingelegt. Nach Anklageerhebung und Eingang der Akten beim Landgericht Oldenburg hat dieses mit Beschluss vom 25.05.2009 den Haftbefehl des Amtsgerichts Cloppenburg vom 30.03.2009 aufrechterhalten und es abgelehnt, den Vollzug auszusetzen. Mit Beschluss vom 10.06.2009 hat das Landgericht Oldenburg die Anklage der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 13.05.2009 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Cloppenburg eröffnet. Außerdem hat es beschlossen, dass die Untersuchungshaft fortdauert. Mit Schriftsatz vom 10.06.2009 hat der Angeklagte gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 25.05.2009 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht Oldenburg mit Beschluss vom 11.06.2009 nicht abgeholfen hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Beschlüsse Bezug genommen.

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig und hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

Die Beschwerde des Angeklagten richtet sich zwar ausdrücklich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25.05.2009. Da das Landgericht aber bereits vor der Beschwerdeeinlegung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Fortdauer der Untersuchungshaft entschieden hatte ist die Beschwerde dahin auszulegen, dass sie sich gegen die inhaltsgleiche neue, den Angeklagten beschwerende Sachentscheidung des Landgerichts vom 10.06.2009 richtet.

Es kann offen bleiben, welche rechtlichen Folgen daraus herzuleiten sind, dass dem Verteidiger des Angeklagten erst Mitte Mai 2009 die Akten durch die Staatsanwaltschaft zur Akteneinsicht zugeleitet worden sind, obwohl der Verteidiger bereits mit Schriftsatz vom 15.04.2009 und damit vor dem Haftprüfungstermin vom 29.4.2009 Akteneinsicht beantragt hatte.

Der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 10.06.2009 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Cloppenburg vom 30.03.2009 waren schon deshalb aufzuheben, weil der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht gegeben ist.

Zwar ist der Angeklagte der im Haftbefehl aufgeführten Tat der fahrlässigen Tötung der Radfahrerin ... in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit als Kraftfahrer aufgrund der in der Anklageschrift aufgeführten Beweismittel dringend verdächtig. Auch ist davon auszugehen, dass der Angeklagte wegen der folgenschweren Straftat, bei der ein Mensch getötet wurde, mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe von deutlich über einem Jahr zu rechnen hat. Diese - durch eine mögliche künftige Halbstrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 StGB noch verringerte - Straferwartung vermag aber eine Fluchtgefahr ebenso wenig zu begründen wie der Umstand, dass der Angeschuldigte ... Staatsbürger ist und bis kurz vor der Tat in ... bei seinen Eltern gelebt hat. Fluchtgefahr darf nur aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, bloße Mutmaßungen oder Befürchtungen genügen nicht. Dass der Angeklagte seinen Wohnsitz im Ausland hat und demgemäß in Deutschland über keine tragfähigen sozialen Bindungen verfügt, vermag eine Fluchtgefahr nicht zu begründen. Der Angeklagte hat sich kurz vor dem Unfall nach ... begeben, um dort wie bereits in der Vergangenheit zu arbeiten. Ausreichend tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der ledige kinderlose und nicht vorbestrafte Angeklagte sich dem Strafverfahren dauernd oder vorübergehend entziehen werde, sind nicht ersichtlich. Dass der Angeklagte nach eigenen Angaben "schwer herzkrank" ist und ihn dies nicht von einem Alkoholmissbrauch abgehalten hat, vermag entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft die Inhafthaltung des Angeklagten nicht wegen einer sich daraus ergebenden Unzuverlässigkeit zu rechtfertigen.

Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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