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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 11.12.2001
Aktenzeichen: 12 U 105/01
Rechtsgebiete: SGB VII, BGB


Vorschriften:

SGB VII § 104
BGB § 833
BGB § 847
Ein Tierhalter, der Aufgaben bei der tierärztlichen Versorgung seines Tieres übernimmt, wird "wie ein Beschäftigter" in der Praxis tätig.
IM NAMEN DES VOLKES! URTEIL

IN DEM RECHTSSTREIT

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom

11. DEZEMBER 2001

unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. August 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer liegt unter 60.000, DM

TATBESTAND:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz für die Folgen eines Katzenbisses in Anspruch.

Die Klägerin suchte während ihres Urlaubs am 11. August 2000 die tierärztliche Praxis des Beklagten auf, um ihren Kater wegen eines Abzesses am Schwanz behandeln zu lassen. Auf Bitten des Beklagten hielt sie das Tier während der Behandlung am Kopf. Als der Beklagte sich der Behandlung des Tieres zuwandte, biß dieses die Klägerin in den Daumenballen der rechten Hand. Der Beklagte versorgte die Wunde zunächst mit Jod und einem Pflaster. Danach schloß er die Behandlung des Katers ab.

Die Wunde hatte sich infiziert, so daß die Klägerin am folgenden Tag zu einer einwöchigen stationären Behandlung aufgenommen werden mußte. Auch nach Abheilung der Verletzung blieben im Daumenballenbereich schmerzhafte Bewegungseinschränkungen. Aufgrund einer diagnostizierten Sattelgelenksathrose erfolgte Anfang dieses Jahres eine weitere Operation.

Mit dem Vorbringen, der Beklagte habe die Verletzung nicht ausreichend versorgt und sie nicht über mögliche Komplikationen sowie die Notwendigkeit weiterer Behandlungen informiert, hat die Klägerin ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 8.000, DM sowie Ersatz ihres jeweils näher dargelegten Haushaltsführungs und Erwerbsschadens in Höhe von insgesamt 9.000, DM geltend gemacht.

Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Haftungsausschluß nach § 104 SGB VII entgegengetreten. Im übrigen hat er ausgeführt, daß er und seine Ehefrau die Klägerin auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung hingewiesen hätten.

Durch das am 15. August 2001 verkündete Urteil hat der Einzelrichter der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Klägerin mit ihrer fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens führt sie zu den Aufklärungspflichten des Beklagten und der Verteilung der Beweislast weiter aus.

Die Klägerin beantragt

das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie

a) ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung 8.000, DM) nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 02. Februar 2000,

b) zum Ersatz des Erwerbsschadens für den Zeitraum vom 01. Oktober 2000 bis 28. Februar 2001 3.150, DM nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit (04. April 2001)

c) zum Ersatz des Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom 11. August 2000 bis 28. Februar 2001 5.850, DM nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit (04. April 2001)

zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Beklagte schuldet der Klägerin aus keinem rechtlichen Grund Ersatz der ihr aus dem Katzenbiß entstandenen Schäden.

Einem Erfolg des Rechtsmittels steht bereits § 104 SGB VII entgegen. Nach dieser Vorschrift (früher § 636 RVO) sind Unternehmer den in ihrem Betrieb tätigen Versicherten nur bei Wegeunfällen oder dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Im übrigen sind Ansprüche - mögen sie auf Vertrag oder unerlaubter Handlung beruhen - ausgeschlossen. Der Kreis der Versicherten ist dabei nach ständiger Rechtsprechung sehr weit gezogen. Zu den versicherten Arbeitnehmern zählen gemäß § 2 SGB VII nicht nur in einem ständigen Beschäftigungsverhältnis stehende Beschäftigte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), sondern auch solche Personen, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 versicherte Arbeitnehmer im Betrieb tätig werden (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Insofern ist es ausreichend, daß mit der für den Unternehmer übernommenen Aufgabe Tätigkeiten ausgeübt werden, wie sie sonst typischerweise Arbeitnehmer erbringen. Dabei ist es unerheblich, ob Arbeiten nur vorübergehend und aus Gefälligkeit übernommen wurden. Entscheidend ist allein, ob der Geschädigte "wie ein Beschäftigter" für den Unfallbetrieb tätig geworden ist (BGH NJW 1987, 1643; vgl. auch zur Hilfeleistung für einen Tierarzt OLG Düsseldorf NJWRR 1991, 605).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Klägerin hat den Kopf des Katers auf Bitten des Beklagten festgehalten, um diesem die Durchführung der Behandlung zu ermöglichen. Wie die Klägerin selber ausführt, hat sie damit eine Aufgabe übernommen, die zur tierärztlichen Assistenz gehört. Damit war sie - wenn auch nur vorübergehend - in den betrieblichen Ablauf eingegliedert und nahm eine üblicherweise einem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit wahr. Dieses genügt, um die Klägerin dem in § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII genannten Personenkreis zuzurechnen (vgl. OLG Düsseldorf aaO.).

Die von der Klägerin angeführten Gründe rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insbesondere hat sich durch die Überführung der gesetzlichen Vorschriften von der Reichsversicherungsordnung in das Sozialgesetzbuch keine sachliche Änderung ergeben. Zwar ist der Satz "dies gilt auch bei vorübergehender Tätigkeit" nicht bei der Neufassung des Gesetzes übernommen worden. In der Gesetzesbegründung ist jedoch ausdrücklich erwähnt, daß damit keine inhaltliche Änderung verbunden sein sollte (BTDrs. 13/2204, zitiert bei LauterbachSchwerdtfeger § 2 SGB VII Rn. 638). Die von der Rechtsprechung zu § 539 RVO entwickelten Grundsätze gelten daher weiterhin.

Zutreffend hat daher das erstinstanzliche Gericht in der angefochtenen Entscheidung auf den Haftungsausschluß nach § 104 SGB VII abgestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen (§ 543 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BGH NJW 2001, 3127).

Der damit gegebene gesetzliche Haftungsausschluß ist nicht auf die von der Klägerin erlittene Bißverletzung begrenzt, sondern erfaßt gleichermaßen die Wundversorgung sowie den gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf, dieser habe sie nicht hinreichend auf die Notwendigkeit einer weiteren humanmedizinischen Behandlung hingewiesen. Denn alle diese Ereignisse stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der von der Klägerin übernommenen Tätigkeit. Der Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit ist untrennbar. Denn wenn der entscheidende Vorwurf einer unterlassenen Aufklärung zutreffen sollte, ist er nicht anders zu beurteilen, als wenn man einem Arbeitgeber anlasten wollte, nach einem Arbeitsunfall Fürsorgepflichten gegenüber seinem Arbeitnehmer vernachlässigt zu haben. Auch dieser Bereich ist als Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht vom gesetzlichen Haftungsausschluß nach § 104 SGB VII erfaßt.

Die Klage ist jedoch auch unabhängig von diesem gesetzlichen Haftungsausschluß unbegründet. Für die erlittene Bißverletzung trifft den Beklagten im Verhältnis zur Klägerin keine Verantwortung. Für eine sachwidrige Durchführung der Behandlung ergeben sich keine Anhaltspunkte. Katzen sind von Natur aus sehr wehrhafte Tiere, so daß es bereits aus geringfügigem Anlaß zu Verletzungen kommen kann. Insofern hat sich mit dem Biß in die Hand die von dem Kater ausgehende Tiergefahr verwirklicht. Nach den gesetzlichen Vorschriften haftet für die Folgen des unberechenbaren tierischen Verhaltens die Klägerin als Tierhalterin (§ 833 S. 1 BGB). Es handelt sich hierbei um einen Fall der Gefährdungshaftung, so daß nach seiner weit überwiegenden Verantwortung ein Tierhalter keinen Schadensersatz beanspruchen kann, wenn er bei einer sachgerecht durchgeführten Behandlung durch sein eigenes Tier verletzt wird (§ 254 BGB; vgl. PalandtThomas § 833 BGB Rn. 13).

Eine Haftung des Beklagten ließe sich daher allenfalls auf eine Verletzung von Aufklärungspflichten stützen. Daß der Beklagte seinen Pflichten hier nicht genügt hat, hat die Klägerin jedoch nicht bewiesen.

Ein Vertrag über eine ärztliche Behandlung der eigenen Verletzung ist zwischen den Parteien nicht geschlossen worden. Mit der Wundversorgung hat der Beklagte nicht mehr als erste Hilfe geleistet. Es handelt sich nicht um eine Behandlung im Sinne eines Arztvertrages. Zu einer weitergehenden Behandlung war der Beklagte weder berechtigt noch verpflichtet. Er hat demnach gegenüber der Klägerin auch nicht die Stellung eines behandelnden Arztes. Wenn man eine weitergehende Hinweispflicht annimmt, konnte diese nur als Nebenpflicht aus dem Tierarztvertrag in dem Rat bestehen, zur weiteren Behandlung einen Humanmediziner aufzusuchen. Daß ein solcher Rat nicht erteilt worden ist, läßt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Die Ehefrau des Beklagten hat bekundet, sie habe gehört, wie ihr Mann der Klägerin gesagt habe, sie möge zu einem Arzt gehen. Eingehend hat die Zeugin sodann geschildert, wie sie selbst bei der Verabschiedung die Klägerin nochmals auf die Notwendigkeit einer Behandlung hingewiesen habe. Da es sich um einen einmaligen Vorfall handelte, sind keine Anhaltspunkte für eine Verwechslung von Ereignissen ersichtlich. Die sehr detailreiche Schilderung spricht vielmehr für die Richtigkeit der Zeugenaussage. Zwar hat der Ehemann der Klägerin bekundet, daß keine weiteren Hinweise erteilt worden seien. Bei den einander widersprechenden Aussagen vermochte die Klägerin jedenfalls nicht den Beweis einer unterbliebenen Aufklärung zu führen.

Da die Beweislast der Klägerin sich auch auf die Pflichtwidrigkeit durch Unterlassen erstreckt, wirkt sich dies zu ihren Lasten aus. Mit der Ansicht, eine unterlassene Dokumentation müsse hier zu einer Umkehr der Beweislast führen, kann die Klägerin nicht durchdringen. Soweit ein Tierarzt zur Dokumentation verpflichtet ist, betrifft dies die Behandlung des Tieres. Im Verhältnis zur Klägerin hat der Beklagte nicht als Arzt gehandelt, so daß ihn keine weitergehenden Pflichten als jeden anderen Ersthelfer treffen. Insbesondere ist er nicht verpflichtet, Aufzeichnungen über seine Hilfemaßnahmen vorzunehmen. Die für das besondere Verhältnis Arzt - Patient entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf andere Personenkreise übertragen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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