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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 02.11.2004
Aktenzeichen: 12 UF 66/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1572
BGB § 1581
Die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung durch einen zuvor erwerbstätigen Ehegatten kann auch dann zu billigen sein, wenn der jetzige Lebenspartner über ein etwa gleich hohes Einkommen verfügt. Das Interesse des anderen Partners an einer Beibehaltung seiner beruflichen Tätigkeit ist nicht geringer als das Unterhaltsinteresse des geschiedenen Ehegatten auf Zahlung von Unterhalt zu bewerten.

Ein möglicher Nebenverdienst begründet dann keine Leistungsfähigkeit, wenn dieser zusammen mit dem Einkommen des neuen Lebenspartners nicht den sich nach der Düsseldorfer Tabelle für die Bedarfsgemeinschaft ergebenden Selbstbehalt erreicht.


OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Im Namen des Volkes Urteil

12 UF 66/04

Verkündet am 2.11.2004

In der Familiensache

hat der 12. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 05. Oktober 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 24. Juni 2004 verkündete Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bersenbrück im Ausspruch zum nachehelichen Unterhalt - Ziff. III des Tenors geändert:

Der Antrag auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Antragsgegnerin zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der 1968 geborene Antragsteller und die 1972 geborene Antragsgegnerin haben im Oktober 1998 geheiratet. Auf den am 02. Dezember 2003 zugestellten Scheidungsantrag ist die kinderlos gebliebene Ehe durch Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bersenbrück vom 24. Juni 2004 geschieden worden, nachdem die Parteien bereits seit November 2002 getrennt gelebt hatten.

Die Antragsgegnerin nimmt den Antragsteller auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Anspruch. Sie leidet an einer paranoidhalluzinatorischen Psychose, die erstmals 1994 eine stationäre Behandlung erforderte und anschließend bis 1998 ambulant behandelt wurde. Nach einem erneuten Krankheitsausbruch im Oktober 1998 folgten mehrere stationäre Klinikaufenthalte, die auch derzeit noch in regelmäßigen Abständen erforderlich sind. Zur Zeit ist die Antragstellerin bei den "Beschützenden Werkstätten" mit einem Einkommen von 200 EUR beschäftigt. Daneben erhält sie 180 EUR Wohngeld sowie zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2004 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von rund 208 EUR.

Der Antragsteller ist angestellter Verkäufer. Aus dieser Tätigkeit erzielte er im Monatsdurchschnitt ein Einkommen von zuletzt rund 1.250 EUR netto. Er ist Vater einer im Januar 2004 geborenen Tochter. Nach der Geburt des Kindes hat er Erziehungsurlaub in Anspruch genommen, und zwar voraussichtlich bis Januar 2007. Er erhält zur Zeit 300 EUR Erziehungsgeld und wird im übrigen von seiner Lebensgefährtin, der Mutter des Kindes, unterhalten.

Dem auf Zahlung von 263 EUR nachehelichen Unterhalts gerichteten Antrag hat das Amtsgericht - Familiengericht - Bersenbrück mit dem am 24. Juni 2004 verkündeten Verbundurteil in Höhe eines ab Rechtskraft der Ehescheidung zu zahlenden Betrages von monatlich 175 EUR stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Antragsteller weiterhin ein Einkommen in der früher bezogenen Höhe zuzurechnen sei und sich dieser Betrag im Rahmen der dann durchzuführenden Mangelfallberechnung ergebe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Antragsteller mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.

Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens beruft er sich weiterhin auf seine Leistungsunfähigkeit und macht geltend, dass seine Inanspruchnahme bei der kurzen Ehedauer grob unbillig sei. Sollte gleichwohl ein Unterhaltsanspruch bestehen, sei dieser zumindest zeitlich zu begrenzen.

Der Antragsteller beantragt

das Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bersenbrück vom 24. Juni 2004 zu Ziff. III des Tenors zu ändern und den Antrag auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt abzuweisen,

hilfsweise das Urteil dahin zu ändern, dass er den ausgeurteilten Unterhalt nur für die Dauer eines Jahres zu zahlen habe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.

Wegen der weiteren Feststellungen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die angefochtene Entscheidung verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Antragsteller ist nicht verpflichtet, der Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt zu zahlen, da es an einer ausreichenden Leistungsfähigkeit fehlt.

Die krankheitsbedingte Unterhaltsbedürftigkeit der Antragsgegnerin steht außer Frage. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ist sie in ihrer eigenen Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sie trotz dieser Erkrankung in der Lage ist, aus einer eigenen Erwerbstätigkeit ein den Betrag von 200 EUR nachhaltig übersteigendes Einkommen zu erzielen. Dem steht ihr unbestritten labiler Gesundheitszustand entgegen. Dieser machte allein im vergangen Jahr drei mehrwöchige Klinikaufenthalte erforderlich. Bei einer generell eingeschränkten Belastbarkeit lässt sich unter diesen Voraussetzungen eine feste Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt nicht realisieren, so dass ihre bei den beschützenden Werkstätten ausgeübte Tätigkeit krankheitsgerecht ist. Gestützt wird diese Beurteilung auch durch den Bezug von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz, die nur bei voller Erwerbsminderung iSv. § 43 Abs. 2 SGB VI gewährt werden. Da die Antragsgegnerin aus ihrer Tätigkeit folglich keinen höheren Verdienst als den geringen tatsächlich ausgezahlten Betrag erzielen kann, ergibt sich ihr darüber hinausgehender Unterhaltsbedarf aus § 1572 BGB.

Die Höhe dieses Bedarfs beträgt gerundet 340 EUR. Für die Bestimmung dieses Bedarfs sind ihr eigenes Einkommen mit 200 EUR sowie das von dem Antragsteller in der Ehezeit erzielte Einkommen heranzuziehen. Dieses betrug unstreitig rund 1.250 EUR netto, so dass sich unter Berücksichtigung des Aufwandes für berufsbedingte Aufwendungen ein Betrag von 1.190 EUR ergibt. Hiervon ist der Bedarf des noch vor Ehescheidung geborenen Kindes mit 200 EUR abzuziehen, so dass sich bei einer Einkommensdifferenz ein nach den Lebensverhältnissen angemessener Bedarf von 340 EUR ergibt. Dass der Antragsteller die Rolle des Hausmanns übernommen hat und sich nunmehr im Erziehungsurlaub befindet, beeinflusst die Höhe des nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Bedarfs nicht. Sich hieraus ergebende Beschränkungen berühren nur die Leistungsfähigkeit.

Der von dem Antragsteller vorgenommene Rollenwechsel ist unterhaltsrechtlich zu billigen. Denn nach seinen Erläuterungen im Termin gab es für ihn keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Alternative. Seine Lebensgefährtin ist durch ein ererbtes Hausgrundstück, in dem die Familie kostengünstig lebt, örtlich gebunden. Von dort aus könnte der Antragsteller seine Arbeitsstelle in angemessener Zeit nur mit einem PKW erreichen. Dies wäre ihm jedoch aufgrund der fehlenden Fahrerlaubnis nicht möglich. Die Lebensgefährtin des Antragstellers ist mit einem etwa gleich hohen Einkommen beim selben Arbeitgeber beschäftigt, so dass sich der gewählte Rollenwechsel unter den gegebenen Verhältnissen als eine in jeder Hinsicht vernünftige Entscheidung darstellt. Unerheblich ist es, dass sich dadurch für die neue Familie keine deutliche Verbesserung der Einkommenssituation ergibt. Diesem Umstand kann nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen, da beide Partner im Rahmen ihrer Elternverantwortung die Aufgabenverteilung zwischen Beruf und Kindererziehung frei bestimmen können. Im übrigen stünden dem Gesichtspunkt einer möglicherweise vorübergehenden Einkommenseinbuße die für Mütter größere Schwierigkeiten bei der Rückkehr in den früheren Beruf entgegen. Als weiterer Gesichtspunkt von erheblichem Gewicht rechtfertigt dies die vorliegend getroffene Aufgabenverteilung.

Dieser Rollenwechsel führt dazu, dass der Antragsteller den Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin auch nicht teilweise aus seinem Einkommen bzw. ihm fiktiv zuzurechnenden Einkünften decken kann. Das an ihn gezahlte Erziehungsgeld muss dabei unberücksichtigt bleiben (§ 9 BErzGG; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. A. Rn. 660). Allerdings obliegt es dem Antragsteller, bei der Übernahme der Aufgaben auf die Belange aller gleichrangig Unterhaltsberechtigten Rücksicht zu nehmen und die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit nur in dem Umfang zu beschränken, wie dies für die Kinderbetreuung erforderlich ist. Soweit es die häuslichen Verhältnisse zulassen, besteht die Verpflichtung zur Aufnahme einer Nebentätigkeit (st. Rspr. BGH FamRZ 1980, 43; FamRZ 1996, 796; zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft BGH FamRZ 2001, 614). Diese Verpflichtung ist nicht von vornherein auf Ansprüche von Kindern aus einer früheren Beziehung beschränkt, sondern beruht auf dem Gleichrang aller Ansprüche (BGH FamRZ 1982, 590). Ob sie auch bei einem mit der Kinderbetreuung konkurrierenden Anspruch aus § 1572 BGB durchgreift (so OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1079), kann jedoch offen bleiben. Denn obwohl die Voraussetzungen für die Ausübung einer Nebentätigkeit im vorliegenden Fall als günstig zu beurteilen sind, führt dies nicht zur Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Eine solche wäre nur dann gegeben, wenn ein zusätzlicher Verdienst für Unterhaltszwecke zur Verfügung steht und nicht vorrangig zur Deckung des eigenen Bedarfs benötigt würde (BGH FamRZ 2004, 24). Denn nur soweit dieser Bedarf bereits aus dem Familienunterhalt gedeckt ist, ist ein zusätzlicher Verdienst für den Unterhalt einzusetzen. Die Höhe des eigenen Bedarfs bemisst sich nach einem fiktiv in Geld zu veranschlagenden Anspruch auf Familienunterhalt, der sich wiederum nach den gleichen Grundsätzen bestimmt, wie sie für einen geschiedenen Ehegatten gelten (BGH FamRZ 2004, 24, Kalthoener/Büttner/Niepmann Rn. 659).

Das der neuen Lebensgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen ist so gering, dass der Antragsteller hieraus nicht einmal seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu decken vermag. Die Lebensgefährtin des Antragstellers verfügt nach seinen Erläuterungen über ein gleich hohes Nettoeinkommen, wie er es in der Vergangenheit selbst erzielte. Zusammen mit dem Vorteil mietfreien Wohnens kann daher kein höheres Familieneinkommen als rund 1.450 EUR angesetzt werden. Dieses vermindert sich um den Barbedarf des Kindes, der unter Berücksichtigung des gezahlten Kindergeldes mit wenigstens 200 EUR anzusetzen ist, sowie die Fahrtkosten für die regelmäßigen Fahrten zum Arbeitsplatz in Osnabrück. Bei einer Fahrtstrecke von etwa 70 km sind hierfür mehr als 300 EUR im Monat anzusetzen, so dass für den sonstigen Familienbedarf in jedem Fall weniger als 1.000 EUR verbleiben. Der bei einem Ehepaar zu berücksichtigende Selbstbehalt beträgt jedoch bereits bei Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder 1.375 EUR (840 EUR + 535 EUR, Unterhaltsrechtliche Leitlinien Ziff. 22.1) und liegt bei anderen Unterhaltsansprüchen deutlich darüber. Ein dem Antragsteller fiktiv zuzurechnender Nebenverdienst würde damit vorrangig zur Deckung des eigenen angemessenen Bedarfs benötigt. Dass sich die Familie mit einem zur Zeit geringeren Einkommen zufrieden gibt, kann nicht dazu führen, jeden zusätzlichen Verdienst als für Unterhaltszwecke frei verfügbares Einkommen zu behandeln.

Damit scheitert ein Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin an der mangelnden Leistungsfähigkeit des Antragstellers auch dann, wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass dieser mit der Übernahme der Kinderbetreuung seiner Erwerbsverpflichtung nicht genügt und ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit zuzumuten ist. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung, ob eine etwa 5jährige Ehedauer noch als "kurz" iSv. § 1579 BGB anzusehen wäre und allein die Eheschließung unter Wahrung der Kindesinteressen eine absehbar lebenslange Unterhaltslast rechtfertigen kann, obwohl die Erkrankung der Antragsgegnerin in keinen Zusammenhang mit dem Verlauf der Ehe steht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 93a Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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