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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 24.01.2003
Aktenzeichen: 6 U 142/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 276 Abs. 2
Zur Pflicht des Rechtsanwalts, eine seinem Mandanten drohende Klage schon vorprozessual abzuwenden, wenn die Rechtsverteidigung mit einem erheblichen Prozessrisiko verbunden wäre und eine Klärung des eigentlichen Streits durch den Prozess gar nicht zu erwarten ist.
Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Urteil

6 U 142/02

Verkündet am 24. Januar 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2003 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 08. August 2002 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages.

Der Beklagte hat den Kläger in dem Rechtsstreit 1 O 2726/98 vor dem Landgericht Oldenburg vertreten. In diesem Verfahren wurde der Kläger als Erbe auf Zustimmung zur Auszahlung von Guthabenbeträgen bei der L... ...bank zugunsten des Herrn K... in Anspruch genommen. Dieser hatte den Kläger in dem Vorprozess als Begünstigter eines von der Erblasserin unterzeichneten Vertrages zugunsten Dritter auf den Todesfall verklagt. Das Landgericht hat in diesem Verfahren den Kläger gemäß § 812 BGB zur Zustimmungserteilung verurteilt und ihm die Kosten des Rechtstreites auferlegt. Dem Kläger sind insgesamt Kosten von 21.024,20 DM entstanden. Der Kläger verlangt von dem Beklagten Ersatz dieser Kosten abzüglich einer 5/10 Beratungsgebühr.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe ihn falsch beraten und vertreten. Bei zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtslage hätte der Beklagte ihm empfehlen müssen, den Anspruch des Herrn K... schon vorprozessual anzuerkennen.

Dem ist der Beklagte mit der Behauptung entgegengetreten, er habe die zutreffende Rechtsauffassung vertreten, dass der Kläger als Erbe mit der Auszahlung des Betrages an den Begünstigten nichts zu tun gehabt habe. Es sei ausschließlich Sache der L... ...bank gewesen, ob sie den Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall für wirksam erachte und eine Auszahlung vornehmen könne oder nicht. Entgegen der Ansicht des Landgerichts im Vorprozess habe eine Bereicherung des Klägers daher auch gar nicht vorgelegen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammer) den Beklagten zur Zahlung von 19.009,57 DM verurteilt. Es hat ausgeführt, unstreitig habe der Beklagte dem Kläger im Vorprozess gute Erfolgsaussichten prognostiziert, die tatsächlich jedoch nicht bestanden hätten.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen, § 540 Abs. 1, S. 1 Nr. 1 ZPO.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und führt weiter aus, er sei im Vorprozess zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage des Herrn K... auf Zustimmungserteilung zur Auszahlung des Kontenguthaben bereits wegen Unschlüssigkeit hätte abgewiesen würden müssen. Es sei daher nicht verfehlt gewesen, dem Kläger anzuraten, den Rechtsstreit aufzunehmen und darauf hinzuweisen, dass dieser nicht passivlegitimiert sei.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 08.08.2002 verkündeten Urteils des Landgerichts Oldenburg die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Landgericht sei zu Recht von einem Beratungsfehler des Beklagten ausgegangen, da der Vorprozess nicht zu gewinnen gewesen sei. Tragende Argumente gegen den Anspruch des Herrn K... habe der Beklagte im Vorprozess nicht vorgetragen. Der Beklagte hätte daher vorprozessual darauf hinweisen müssen, dass die Verträge zugunsten Dritter nicht wirksam angegriffen werden könnten. Die Prognostizierung guter Erfolgsaussichten sei daher völlig verfehlt gewesen. Im übrigen habe der Beklagte selbst dem Kläger empfohlen, die landgerichtliche Entscheidung des Vorprozesses rechtskräftig werden zu lassen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist in der Sache jedoch nicht begründet.

Das Landgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht wegen der Verletzung seiner ihm gegenüber dem Kläger aus dem Anwaltsvertrag obliegenden Pflichten zum Schadensersatz verurteilt. Ein Rechtsanwalt ist aufgrund des Anwaltsvertrages verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen und hat Schädigungen seines Mandanten tunlichst zu vermeiden (BGH NJW 1993, 3323,3324). Er hat grundsätzlich jeden Rechtsirrtum zu vertreten. (Palandt-Heinrichs, BGB 61. Aufl., § 276 Rn. 41/42). Dabei muss er sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren und sich bei einer höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage über die OLG-Rechtsprechung informieren (BGH NJW-RR 1993, 243, 245; Palandt-Heinrichs BGB 61. Aufl., § 276 Rn. 41).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Beklagte nach Auffassung des Senats schon dadurch fehlerhaft gehandelt, dass er es überhaupt zu einem Prozess kommen ließ. Das Prozessrisiko für den Kläger (Beklagten des Vorprozesses) war erheblich. Eine Klärung der materiellen Rechtslage durch den Prozess war nicht zu erwarten und ist von dem Beklagten auch nicht ernsthaft angestrebt worden. Auch im übrigen waren für den Kläger mit der Führung des Prozesses keine Vorteile verbunden.

Im Rahmen des Anwaltsvertrages wäre es bereits vorprozessual Aufgabe des Beklagten gewesen, zu prüfen, wem der Geldbetrag materiell zustand, nachdem der Kläger persönlich der Auszahlung des Geldbetrages an Herrn K... widersprochen hatte. Die L... ...bank hatte sich daraufhin auf den Standpunkt gestellt, der Kläger und Herr K... müssten untereinander klären, wem das Guthaben zustehe. Diese in jedem Fall erforderliche Prüfung hätte zu dem Ergebnis führen müssen, dass der Kläger sich ohnehin nicht erfolgreich gegen die Ansprüche des Herrn K... hätte wehren können. Es sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, die für eine Fälschung der Unterschrift der Erblasserin oder ihre Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sprechen könnten. Wie sich aus der Anhörung der Parteien durch das Landgericht ergeben hat, hatte der Kläger den Beklagten bei dem Beratungsgespräch lediglich laienhaft darauf hingewiesen, dass er den streitigen Vertrag zugunsten Dritter anzweifele, weil seine Tante, die Erblasserin, sonst auch mit ihrem Geburtsnamen unterschrieben habe, in diesem Fall aber nicht. Er habe Bedenken gehabt, ob die Unterschrift seiner Tante wirksam sei, wenn vielleicht auch nicht gefälscht, so doch eventuell untergeschoben oder nicht mit "voller Geisteskraft" erteilt. Falls insoweit noch Tatsachen zu klären gewesen wären, wäre es Aufgabe des Beklagten gewesen, vorprozessual eine entsprechende Klärung herbeizuführen. Durch den Prozess war eine Klärung insoweit nicht zu erwarten. Der Beklagte hat in dem Vorprozess auch nichts vorgetragen, was in der Sache selbst den Anspruch des Herrn K... auf Auszahlung des Kontoguthabens den Boden hätte entziehen können. Es kann daher dahinstehen, ob die Entscheidung des Landgerichts Oldenburg im Vorprozess (1 O 2726/98) zutreffend ist, jedenfalls hatte der Beklagte umfassend unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung , auch der Oberlandesgerichte - da die Streitfrage vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden war - zu beraten. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (WM 1997, 867), auf die sich das Landgericht im Vorprozess gestützt hat, ist in allen einschlägigen Kommentaren zitiert. Es bestand daher für den Kläger ein erhebliches Risiko, auf der Grundlage dieser obergerichtlichen Rechtsprechung zur Zustimmung verurteilt zu werden und den Prozess zu verlieren.

Im Ergebnis war daher unter Berücksichtigung der gesamten Tatsachen- und Beweislage das Vorverfahren für den Kläger mit erheblichen Risiken behaftet und zudem sinnlos, da ihm keine ernsthaften Einwendungen gegen die Verfügung zugunsten Dritter für den Todesfall zustanden. Solche sind auch weder im Vorprozess noch im anhängigen Rechtsstreit vorgetragen worden. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände hätte der Beklagte bei sachgerechter Beratung des Klägers diesem abraten müssen, den im Ergebnis sinnlosen Prozess tatenlos auf sich zukommen zu lassen.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, war die Revision nicht zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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