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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 03.12.2004
Aktenzeichen: 6 U 54/04
Rechtsgebiete: SGB X, NTSAG, BGB


Vorschriften:

SGB X § 116
SGB X § 119
NTSAG § 6 Abs. 4
NTSAG § 25
BGB § 242
BGB § 185
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Urteil

6 U 54/04

Verkündet am 3.12.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2004 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. Februar 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zur Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte für den Entsendestaat, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, verpflichtet ist, der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 17.11.1999 gegen 3:55 Uhr auf der R... Landstraße in O... in Höhe der Hausnummer ... alle künftigen zu erbringenden Leistungen und Schäden zu ersetzen, zu deren Geltendmachung sie gemäß § 116, 119 SGB X berechtigt ist.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht nach dem NATO-Truppenstatut Feststellung von Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte, die für den Entsendestaat zu leisten hat. Die Parteien streiten dabei insbesondere darüber, ob die materiellrechtlichen Ausschlussfristen des Art. 6 Abs. 1 und 4 des NTSAG eingehalten worden sind.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin erlitt anlässlich eines Unfalls vom 17.11.1999, an dem ein für die britische Reinarmee zugelassenes Fahrzeug, für welches keine Haftpflichtversicherung mehr bestand, beteiligt war, schwere Verletzungen.

Er meldete seine Ersatzansprüche gegenüber dem Amt für Verteidigungslasten am 25.01.2000 an. Mit Schreiben seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 30.05.2000 zeigte er gegenüber dem Amt für Verteidigungslasten u. a. an:

"Was weiter wird, kann man noch nicht sagen. Der Mandant soll eine BU-Rente beantragen. Es ist höchst fraglich, angesichts der Handverletzungen, ob der Mandant wieder arbeiten kann. Es handelt sich also um einen Invaliditätsschaden".

Diesem Schreiben war ein ärztliches Attest beigefügt, aus dem sich der Umfang der Verletzungen des Versicherungsnehmers ergab. Die zuständige Schadensabteilung der Klägerin erhielt erstmals am 5.03.2003 Kenntnis von der Einschaltung des Amtes für Verteidigungslasten der Stadt O.... Mit Schreiben vom 6.03.2003 meldete sie Schadensersatzansprüche an. Die Beklagte wies diese mit der Begründung zurück, der Antrag sei erst nach Ablauf der zweijährigen Frist des § 6 Abs. 4 NTSAG gestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des diesem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalts nimmt der Senat auf den Tatbestand und ergänzend die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des von der Beklagten angefochtenen erstinstanzlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat den Feststellungsanspruch für begründet erachtet. Dieser sei nicht gem. Art. 6 Abs. 1 NTSAG ausgeschlossen. Für die Einhaltung der vorgeschriebenen Dreimonatsfrist sei auf die Kenntniserlangung der Klägerin abzustellen. Auch die Frist des Art. 6 Abs. 4 NTSAG sei gewahrt. Zwar sei die Zweijahresfrist abgelaufen gewesen, die Klägerin könne sich aber die Schadensmeldung ihres Versicherungsnehmers zurechnen lassen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Wiederholung und Bekräftigung ihres erstinstanzlichen Vorbringens insbesondere hervorhebt, die Ausschlussfrist des Art. 6 Abs. 4 NTSAG sei verstrichen. Die Anzeige des Versicherten K... vom 25.01.2000 genüge nicht den Anforderungen. die Geltendmachung eines Gesamtschadens mit allen möglichen Folgen sei für das Amt für Verteidigungslasten daraus nicht ersichtlich gewesen. Vielmehr habe das Amt davon ausgehen können, dass ausschließlich eigene, nicht auf Dritte übergegangene Ansprüche geltend gemacht würden. Im Übrigen verweist die Beklagte auf § 25 NTSAG, wonach auszusprechen ist, dass die Bundesrepublik für den Entsendestaat zu leisten hat.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Bekräftigung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und verweist zudem auf das genannte Schreiben vom 30.05.2000.

Die Akten des Amtes für Verteidigungslasten der Stadt O... -.../00 lagen vor.

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung zutreffend ist und auch das Berufungsvorbringen, worauf der Senat bereits im Beschluss vom 16.08.2004 hingewiesen hat, keine andere Betrachtungsweise rechtfertigt.

Nach Art. 6 Abs. 1 NTSAG sind Ansprüche der in Artikel VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatus genannten Art gegen die Entsendestaaten zur Vermeidung des Ausschlusses bei der zuständigen deutschen Behörde innerhalb einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an geltend zu machen, in dem der Geschädigte von dem Schaden und von Umständen Kenntnis erlangt hat, aus denen sich ergibt, dass eine Truppe oder ein ziviles Gefolge für den Schaden rechtlich verantwortlich ist oder dass ein Mitglied oder ein Bediensteter einer Truppe oder eines zivilen Gefolges den Schaden verursacht hat.

Diese Frist ist nach zutreffender Auffassung des Landgerichts von der Klägerin eingehalten worden, weil ihre Regressabteilung erst am 05.03.2003 von dem Schaden Kenntnis erlangt und ihre Ansprüche am 06.03.2003 gegenüber dem Amt für Verteidigungslasten O... geltend gemacht hat. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Kenntniserlangung ist auf die Kenntnis des Beamten abzustellen, der mit der Erledigung der betreffenden Angelegenheit, mithin mit der Betreuung und der Verfolgung der in Frage stehenden Schadensersatz bzw. Regressforderungen, in eigener Verantwortung betraut ist (BGH VersR 2000, 1277, 1278, NJW 1967, 2208 und BGHZ 133, 129, 138).

Die Klägerin ist mit ihren Ansprüchen auch nicht nach Art. 6 Abs. 4 NTSAG ausgeschlossen. Danach kann der Anspruch nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht mehr geltend gemacht werden, es sei denn der Schaden war vor Ablauf dieser Frist nicht erkennbar. Die Klägerin selbst hat ihre Ansprüche nicht innerhalb der zwei Jahre nach dem Schadensereignis geltend gemacht. Ihr ist aber die Schadensmeldung ihres Versicherungsnehmers zuzurechnen.

Beide in Art. 6 NTSAG enthaltenen Ausschlussfristen beruhen auf Abs. 3 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 41 ZANTS, wonach sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, durch geeignete gesetzliche Maßnahmen (Bestimmung einer angemessenen Antragsfrist) sicherzustellen, dass eine schnelle Abwicklung der Entschädigungsverfahren gewährleistet wird. Eine schnelle Abwicklung der Entschädigungsverfahren ist deshalb geboten, weil bei den Angehörigen der fremden Streitkräfte mit einem Wechsel des Stationierungsorts oder einer Rückkehr in ihre Heimat gerechnet werden muss. Deswegen bestünde ohne rasche Klärung der Schadensersatzansprüche die Gefahr, dass unberechtigte Ansprüche durchgesetzt oder berechtigte Ansprüche nicht erfüllt werden könnten, weil die beteiligten Angehörigen der Streitkräfte nicht mehr als Zeugen zur Verfügung stehen (BVerfG 2 BvL10/59).

Ausgehend von dem genannten Sinn und Zweck der Regelung wirkt die Anmeldung eines Unfallschadens durch den Verletzten mit allen seinen möglichen Folgen stets auch für den Legalzessionar, denn die Streitkräfte werden durch die Bundesrepublik dadurch hinreichend in die Lage versetzt, sich sofort ein ungefähres Schadenbild zu machen und mit einiger Sicherheit überschlagen zu können, welche Schadensleistungen sie insgesamt voraussichtlich erbringen müssen. Im Falle der Anmeldung des Gesamtschadens durch den Verletzten ist eindeutig erkennbar, dass alle Schadenfolgen geltend gemacht werden, selbst wenn die Ansprüche sofort oder später auf andere Rechtsträger übergegangen und insoweit nur noch ein anderer Rechtinhaber "Anspruchsberechtigter" ist oder geworden ist (so BGH VersR 1962, 91ff zu Art. 8 Abs. 6 Fin-Vetr., OLG Düsseldorf VersR 76, 391, 392). Der Forderungsübergang auf die Klägerin nach §§ 116, 119 SGB X unmittelbar im Zeitpunkt des Unfalles steht damit der Anmeldung durch den Versicherungsnehmer der Klägerin nicht entgegen. Dem Sinn und Zweck des Art. 6 NTSAG ist durch die Anmeldung des Schadens durch den Versicherungsnehmer genüge getan. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein anderer der formal allein "Anspruchsberechtigte" ist oder wird, ist demgegenüber von untergeordneter, jedenfalls nicht entscheidungserheblicher Bedeutung. Sinn und Zweck dieser Regelung ist allein, die Feststellung und Erledigung von Schadensfällen zu beschleunigen. Aus diesem Grunde ist es für die Frage des Ausschlusses von Ansprüchen unerheblich, ob sie von dem Geschädigten oder dem Legalzessionar geltend gemacht werden. Wesentlich ist, dass der Beklagten innerhalb der Frist der Gesamtschaden gemeldet wird.

Im Zeitpunkt der Schadensanmeldung war noch gar nicht abzusehen, ob und in welchem Umfang bereits ein gesetzlicher Rechtsübergang stattgefunden hatte oder noch stattfinden würde. Es war noch nicht konkret abzusehen, welche Versicherungsträger beteiligt werden würden. Der Versicherungsnehmer hat in seinem Antrag seine wesentlichen Verletzungen aufgezählt und damit deutlich gemacht, dass alle im Zusammenhang damit auftretenden Schäden gegen die Beklagte geltend gemacht werden würden. Soweit diese auf Versicherungsträger bereits übergegangen waren oder noch übergehen würden, erfolgte die Geltendmachung durch ihn somit auch für die Versicherungsträger. Eine ausdrückliche Geltendmachung im Namen der Klägerin war nicht erforderlich. Es war ausreichend, dass aus den Umständen erkennbar war, dass aufgrund der eingetretenen Schäden von Versicherungsträgern Leistungen erbracht werden, die von der Beklagten ersetzt werden müssten. Die Klägerin hat durch ihr späteres Verhalten die fristgerechte Anmeldung des Schadens ihres Versicherten nachträglich genehmigt, wobei der Senat die in § 185 BGB normierten Grundsätze in entsprechender Anwendung herangezogen hat (vgl. OLG Celle NJW 1962, 593 ff.).

Zwar werden in dieser Schadensmeldung nicht direkt die Ansprüche der Klägerin geltend gemacht, jedoch war dieser Schadensmeldung des Versicherungsnehmers alles Wesentliche zu entnehmen.

Die beteiligten Fahrzeuge waren aufgeführt und der Unfallhergang geschildert, der von der Beklagten erforderte Fragebogen war ausgefüllt. Soweit bis dahin möglich, wurden die Verletzungen angegeben. Der Versicherungsnehmer selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt - wie mitgeteilt noch auf der Intensivstation des Krankenhauses. Damit war den Erfordernissen des Art. 9 Abs. 2 NTSAG genüge getan, denn die Entschädigungsbehörde war durch die Anmeldungserklärung in die Lage versetzt worden, sich ein ungefähres Schadensbild zu machen und zu überschlagen, welche Ersatzleistungen voraussichtlich erbracht werden müssen (vgl. BGH VersR 1976, 490, 491).

Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung ausführt, dass aus der Schadensmeldung in keiner Weise zu erkennen gewesen sei, dass mit Leistungen der Klägerin als Sozialversicherungsträger zu rechnen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die genannten Verletzungen und die notwendige Behandlung auf der Intensivstation ließen einen Rentenanspruch nicht unwahrscheinlich erscheinen (ansonsten hätte die Frist des Art. 6 Abs. 4 Satz 1 NTSAG nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 NTSAG zu dem Zeitpunkt auch noch nicht begonnen). Im Übrigen erhielt die Beklagte im Laufe der nächsten Monate Informationen über den Gesundheitszustand des Versicherten, die den naheliegenden Eintritt von Rentenansprüchen deutlich erkennbar machten. Insoweit wird auf die ausführliche Begründung in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. insbesondere wird auf das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 30.05.2000 verwiesen.

Eine nochmalige Anzeige der nun deutlicher hervorstehenden Schäden war in Anbetracht dessen, dass der Gesamtschaden bereits angemeldet war und von der Beklagten bearbeitet wurde, nicht erforderlich.

Im Übrigen wäre es der Beklagten nach Auffassung des Senats auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB, verwehrt, sich auf den Ablauf der in § 6 Abs. 4 NTSAG bestimmten Frist zu berufen. Wie ausgeführt, waren dem Amt für Verteidigungslasten alle maßgeblichen Umstände bekannt, auch wenn der Versicherungsnehmer der Klägerin nicht ausdrücklich deren Ansprüche geltend gemacht hat, war doch mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass diese als Sozialversicherungsträger Ansprüche geltend machen würde. Unter diesen Umständen stellt es nach Ansicht des Senats eine Überspannung der Formvorschriften dar, wenn gleichwohl ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis gefordert würde.

Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass im Urteilstenor auszusprechen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland für den Entsendestaat zu leisten hat, § 25 NTSAG. Dies hat der Senat klargestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 543, 544 ZPO.

Ende der Entscheidung

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