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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 14.07.2004
Aktenzeichen: 9 U 43/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 730 Abs. 1
Zur Auseinandersetzung einer Praxisgemeinschaft unter Ärzten.
Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Urteil

9 U 43/04

Verkündet am 14. Juli 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2004 durch die Richter ... , ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlußberufung der Verfügungsklägerin hin wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27.5.2004 (Aktenzeichen 5 O 13.09/04) in Ziff. 2 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

"2. Den Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000, € aufgegeben, es zu unterlassen, in den Räumlichkeiten R ... Str... , O ... , mit den Mitarbeiterinnen der bisherigen Gemeinschaftspraxis und BGB-Gesellschaft zwischen I ... C ... , Dr. med. D ... P ... , Dr. med. M ... S ...- Namen der Mitarbeiterinnen gem. Anlage 1) zum Urteil - unter Gebrauch der im Eigentum der bisherigen Gemeinschaftspraxis und BGB-Gesellschaft zwischen I ... C ... , Dr. med. D ... P ... , Dr. med. M ... S ... stehenden Gegenstände - Gegenstände gem. Anlage 2) zum Urteil - ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin beruflich tätig zu werden.

Diese Anordnung tritt am 15.8.2004 in Kraft und am 15.10.2004 ausser Kraft.

Der weitere Antrag wird zurückgewiesen."

Im Übrigen wird die Anschlußberufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsbeklagten zu 4/5 und die Verfügungsklägerin zu 1/5.

4. Das Urteil ist vollstreckbar.

5. Der Streitwert wird auf 100.000, € festgesetzt. Davon entfallen auf die Berufung 20.000, € und auf die Anschlussberufung 80.000, €.

Gründe:

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27.5.2004 (Bl. 136 d.A. ) Bezug genommen.

Nach Verkündung des Urteils, nämlich mit Schreiben vom 7.6.2004, kündigten die Verfügungsbeklagten die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende BGB-Gesellschaft (im Folgenden: alte BGB-Gesellschaft) gegenüber der Verfügungsklägerin erneut. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Kündigungsschreiben (Bl. 173 d.A.) Bezug genommen.

Unstreitig sind die Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen der Praxis mit der bisherigen Gemeinschaftspraxis der drei Parteien dieses Rechtsstreits (im Folgenden: alte Gemeinschaftspraxis) nicht aufgelöst worden.

Die Verfügungsbeklagten sind der Ansicht, die Fortsetzung der alten BGB-Gesellschaft sei unmöglich geworden. Ausserdem sei die Gesellschaft aus wichtigem Grund gekündigt worden. Die Zugang zur EDV sei der Verfügungsklägerin schon deshalb zu verwehren, weil sie keinen Zugriff auf die Daten und Unterlagen der seit dem 1.5.2004 von den Verfügungsbeklagten neu angenommenen Patienten erhalten dürfe.

Die Verfügungsbeklagten behaupten, die Verfügungsklägerin könne dank des ihr aufgrund der einstweiligen Verfügung gewährten Zugangs zur Praxis dort ihre Patienten versorgen. Sie behaupten weiter, die Mitarbeiterinnen hätten um Abschluß neuer Arbeitsverträge nur mit der von den Verfügungsbeklagten ab dem 1.5. errichteten Gemeinschaftspraxis/BGB-Gesellschaft (im Folgenden : neue Gemeinschaftspraxis/BGB-Gesellschaft) gebeten. Schließlich sei eine Regelung der Streitfragen nicht eilbedürftig.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27.5.2004 (Aktenzeichen 5 O 1309/04) abzuändern und den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlaß einstweiliger Verfügungen gegen die Verfügungsbeklagten zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit ihrer selbständigen Anschlußberufung beantragt sie,

das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27.5.2004 (Aktenzeichen 5 O 1309/04) abzuändern und den Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000, € aufzugeben, es zu unterlassen, in den Räumlichkeiten R ..., O ... , mit den Mitarbeiterinnen der Gemeinschaftspraxis (BGB-Gesellschaft) ";K ... O ...", Gesellschafter: Frau I ... C ... , Frau Dr. med. D ... P ... , Herr Dr. med. M ... S ...- Namen der Mitarbeiterinnen gem. Anlage 2 (Bl. 38 - 41 d.A.) - unter Gebrauch der im Eigentum der Gemeinschaftspraxis (BGB-Gesellschaft) "; ... O ... " -Gesellschafter:Frau I ... C ... , Frau Dr. med. D ... P ... , Herr Dr. med. M ... S ... - stehenden Gegegenstände gemäß Anlage 3 (Bl. 4354 d.A.) beruflich ambulant, privatärztlich und vertragsarztrechtlich als Partner der seit dem 1.5.2004 von ihnen betriebenen BGB-Gesellschaft "K ... O ... Dres. med. I ... C ... / M ... S ..., Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Endokrinologie und Reproduktionsmedizin" ohne ihre ausdrückliche Zustimmung weiterhin beruflich tätig zu werden.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

die Anschlußberufung zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin wiederholt im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist inbesondere der Auffassung, dass die Weiterbehandlung der Patienten der alten Gemeinschaftspraxis bzw. BGB-Gesellschaft durch die neue Gemeinschaftspraxis bzw. BGB-Gesellschaft unzulässig sei. Sie behauptet, die Verfügungsbeklagten hätten bereits neue Arbeitsverträge mit den Mitarbeiterinnen geschlossen.

Hinsichtliche der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Berufung

Die form und fristgerecht eingelegt Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

a) Verfügungsanspruch

1. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 730 BGB. Der Verfügungsklägerin steht ein Recht auf gleichberechtigte Geschäftsführung in der alten BGB-Gesellschaft zu, die infolge der Kündigung der Verfügungsbeklagten zu liquidieren ist.

a) Die alte BGB-Gesellschaft konnte jederzeit gekündigt werden, § 723 Abs. 1 S. 1 BGB, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt.

Dieses Recht ist nicht vertraglich ausgeschlossen worden.

Ein Ausschluß gem. dem Vertragsentwurf vom 23.5.2002 scheidet aus, weil dieser Vertrag nicht wirksam geworden ist. Schriftlich wurde er nicht abgeschlossen. Die Klägerin lehnte die Unterzeichnung des Entwurfs im Jahr 2002 endgültig ab, so dass die spätere Unterschrift durch sie nicht dazu führte, dass der Vertrag zustande kam. Auch konkludent ist der Vertrag nicht abgeschlossen worden. Die Klägerin genehmigte ihn nicht, indem sie hinnahm, dass der Vertrag - ohne ihre Unterschrift - bei der kassenärztlichen Vereinigung bei Beantragung der alten Gemeinschaftspraxis vorgelegt wurde, da sie gleichzeitig ausdrücklich dem Vertragsentwurf widersprach und einen Gegenentwurf vorlegte. Wie die Tatsache der Genehmigung durch die kassenärztliche Vereinigung, die trotz der offenkundig fehlenden dritten Unterschrift erteilt wurde, zeigt, war auch jedenfalls 2002 die Vorlage eines wirksamen Vertrags für die Genehmigung tatsächlich nicht erforderlich.

Es ist auch nicht hinreichend vorgetragen worden, dass einer der weiteren Entwürfe von Gesellschaftsverträgen, die zwischen den Bevollmächtigten der Parteien ausgetauscht wurden, mündlich oder konkludent von den Parteien in Geltung gesetzt wurde.

Da die Parteien lange über den schriftlichen Gesellschaftsvertrag verhandelten, letztlich aber bewußt einen Abschluß unterließen, kann auch nicht angenommen werden, dass zumindest die Regelungen, die in den verschiedenen Entwürfen übereinstimmen, vereinbart sein sollten.

Das Gesellschaftsverhältnis zwischen den Parteien ist deshalb ausschließlich nach den §§ 705 ff BGB zu beurteilen.

b) Infolge der Kündigung ist die alte Gesellschaft gem. den §§ 730 ff BGB abzuwickeln. Die Gesellschaft gilt für die Abwicklung - nämlich für die Beendigung der schwebenden Geschäfte, die dazu erforderliche Eingehung neuer Geschäfte sowie für die Erhaltung und Verwaltung des Gesellschaftsvermögens - als fortbestehend, § 730 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zur Geschäftsführung sind gem. § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB alle bisherigen Partner in gleicher Weise berechtigt. Dazu gehört auch das Recht, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen.

Dieses Recht kann die Verfügungsklägerin nur wahrnehmen, wenn sie Zugang zu der EDV der alten BGB-Gesellschaft und Gemeinschaftpraxis hat. Dass diese von den Verfügungsbeklagten ohne ordnungsgemäßen Gesellschaftsbeschluß werbend für ihre neu gegründete Gesellschaft/Gemeinschaftspraxis genutzt wird, kann das Recht der Verfügungsklägerin nicht einschränken. Sofern ein Verstoß gegen Vertraulichkeit der Patientendaten vorliegt, ist dieser bereits dadurch entstanden, dass die Verfügungsbeklagten Daten in eine EDV eingaben, deren Nutzung auch der Verfügungsklägerin, die nicht Gesellschafterin der neuen Praxis ist, zusteht. Es steht den Verfügungsbeklagten frei, ihren Pflichten aus den neuen Patientenverhältnissen dadurch zu genügen, dass sie die Daten der seit dem 1.5. behandelten Patienten aus der EDV-Anlage der alten Praxis entfernen.

b) Verfügungsgrund

In Anbetracht der Nutzung des gesamten Vermögens der alten BGB-Gesellschaft durch die Verfügungsbeklagten, die ohne ordnungsgemäßen Gesellschafterbeschluß der alten BGB-Gesellschaft erfolgt, ist zu befürchten, dass die Verfügungsklägerin ihre Kontroll- und damit auch Mitbestimmungsrechte für die Abwicklung ohne die Anordnung der einstweiligen Verfügung dauerhaft nicht wahrnehmen kann. Die Anordnung erscheint deshalb zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Verfügungsklägerin als nötig, § 940 ZPO.

2. Anschlußberufung

a) Verfügungsanspruch

Wie bereits ausgeführt, ergibt sich aus § 730 BGB das Recht der Klägerin, gemeinsam mit den Verfügungsbeklagten über die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens während der Liquidation zu entscheiden. Umfasst davon wird das gesamte Vermögen der alten Gesellschaft, also auch der Bestand an Arbeitsverhältnissen sowie immaterielle Werte wie der Patientenstamm und das schriftlich festgelegte Praxisknowhow. Dies ergibt den Anspruch der Klägerin, über jegliche Nutzung des gesamten Gesellschaftsvermögens mitzuentscheiden (vgl. auch OLG Hamm, MDR 99, 376).

b) Verfügungsgrund und gewählte Anordnung

Gem. §§ 938, 940 ZPO hält der Senat die getroffene Regelung für erforderlich, aber auch ausreichend. Die von der Verfügungsklägerin begehrten Anordnung des Zustimmungsvorbehalts stellt eine Leistungsverfügung dar, bei der die Erfüllung des Hauptsacheanspruchs vorweggenommen wird. Solche Regelungen sind zwar zulässig, dürfen aber im Wege der einstweiligen Verfügung nur ausgesprochen werden, soweit und solange dies zur Vermeidung erheblicher Nachteile für den Inhaber des Verfügungsanspruchs unumgänglich ist.

Eine Anordnung zugunsten der Verfügungsklägerin ist erforderlich, weil andernfalls der gesellschaftsrechtlich unzulässige Zugriff der Verfügungsbeklagten auf das Gesellschaftsvermögen perpetuiert wird, ohne dass die Verfügungsklägerin wirtschaftliche oder rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten hätte. Alle Vorteile des rechtlich unzulässigen Verhaltens verblieben so bei den Verfügungsbeklagten, wohingegen die Verfügungsklägerin Gefahr läuft, wirtschaftlich durch Verlust ihrer kassenärztlichen Zulassung und durch Vorenthaltung der ihr zustehenden gesellschaftsrechtlichen Ansprüche ruiniert zu werden. Entgegen der Behauptung der Verfügungsbeklagten kann die Verfügungsklägerin derzeit noch nicht einmal die bisher von ihr behandelten Patienten in der Praxis behandeln, da ihr zwar der Zugang - aufgrund der einstweiligen Verfügung des Landgerichts vom 23.4.2004 - gewährt wird, die Mitarbeiterinnen sich aufgrund von Informationen, die sie von den Verfügungsbeklagten erhalten haben, aber weigern, mit der Verfügungklägerin zusammen zu arbeiten. Dies ist von den Verfügungsbeklagten auch gewollt, wie sich daraus ergibt, dass sie der Verfügungsklägerin dauerhaft den Zugang zur Praxis untersagen wollen, siehe Verfahren 9 U 42/04. Dies kann nicht hingenommen werden.

Auf der anderen Seite ist jedoch ist zu berücksichtigen, dass mit der unbegrenzten Anordnung des Zustimmungserfordernisses der Verfügungsklägerin die Möglichkeit gegeben würde, ihrerseits durch eine dauerhafte Blockade die wirtschaftliche Existenz der Verfügungsbeklagten zu vernichten und damit zugleich im Ergebnis auch den Wert der alten BGB-Gesellschaft zu vernichten. Dies muß im Interesse aller Parteien verhindert werden.

Der Senat hält deshalb eine zeitliche Befristung der Anordnung für erforderlich. Dies gibt der Verfügungsklägerin Gelegenheit, den Beginn der ordnungsgemäßen Abwicklung der Praxis zu erzwingen. Das Gericht weist vorsorglich darauf hin, dass alle Gesellschafter zur Mitwirkung an der ordnungsgemäßen Abwicklung verpflichtet sind, also Zustimmungen zu wirtschaftlich sinnvollen Abwicklungsgeschäften nicht ohne Grund verweigert werden dürften. Um die Patienten vor einem sofortigen Behandlungsabbruch zu schützen und um nicht unnötig Werte zu vernichten, hat das Gericht den Beginn der Anordnung auf den 15.8.2004 gelegt. Dies gibt den Verfügungsbeklagten Gelegenheit, sich rechtzeitig auf die neue Situation einzustellen. Die Dauer der Anordnung hält das Gericht mit zwei Monaten für ausreichend. Das Gericht geht davon aus, dass die Parteien in der Lage sein werden, bis zum 15.10.2004 einvernehmlich die Praxisabwicklung zu regeln oder eine Übernahmelösung zu vereinbaren. Eine längere Dauer der Untersagungsmöglichkeit für die Klägerin ist deshalb jedenfalls im jetzigen Zeitpunkt nicht zwingend erforderlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

4. Das Urteil ist gem. § 704 ZPO vollstreckbar, da es mit Verkündung rechtskräftig wird, § 542 Abs. 2 ZPO.

5. In Anbetracht des ganz erheblichen Umsatzes, der mit der alten Praxis erzielt wurde, erscheint der Streitwert von 10.000, € als wesentlich zu niedrig. Der Senat hält für den Zugang zur EDV (Berufung) einen Wert von 20.000, € und für die Anschlussberufung einen Wert von 80.000, € für angemesssen. Die zeitliche Befristung der von der Verfügungsklägerin begehrten Anordnung stellt ein Unterliegen dar, dessen Anteil der Senat in Anbetracht der wirtschaftlich gravierenden Folgen eines auch nur kurzfristigen Versagens der Zustimmung lediglich auf ein Viertel des Streitwertes für der Anschlussberufung bemisst. Insgesamt ergibt sich damit ein Unterliegen der Verfügungsbeklagten in Höhe von 4/5.

Ende der Entscheidung

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