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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 07.04.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 393/04 I 5/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB, GmbHG


Vorschriften:

StPO § 264
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 52
StGB § 53
StGB § 283 Abs. 1
StGB § 283 Abs. 1 Nr. 5
StGB § 283 Abs. 1 Nr. 7 b
StGB § 283 b Abs. 1 Nr. 1
StGB § 283 b Abs. 1 Nr. 3 b
GmbHG § 64 Abs. 1
GmbHG § 84 Abs. 1 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

Geschäftsnummer 1 Ss 393/04 I 5/05

In der Strafsache

wegen Bankrotts u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D., den Richter am Oberlandesgericht H. sowie die Richterin am Amtsgericht M.

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 01.03.2004 - 13 Ns 11/03 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Rostock sowie des Angeklagten und der Verteidigung

am 07. April 2005

einstimmig beschlossen:

Tenor:

1.

Das angefochtene Urteil wird in den Fällen III.2. bis 4. mit den zugehörigen Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - sowie im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 30.07.2003 (22 Ls 13/03) wurde der Angeklagte wegen Bankrotts in 3 Fällen und wegen vorsätzlich verspäteter Beantragung der Gesamtvollstreckung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt und die vom Angeklagten in Costa Rica verbüßte Auslieferungshaft im Verhältnis von 1 : 1,2 auf die Strafe angerechnet.

Mit dem jetzt angefochtenen Urteil hat die Kleine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Rostock die Berufung des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil verworfen.

Der Angeklagte beanstandet mit der ordnungsgemäß angebrachten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Während sich die erhobenen Verfahrensrügen als unzulässig erweisen, führt das Rechtsmittel auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in den Fällen III.2. bis 4. der Urteilsgründe - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben - und des gesamten Strafausspruchs. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

Nach den Feststellungen des Landgerichts gründete der Angeklagte im Juni 1993 u. a. die Firma r.-B. Wohnungsgesellschaft mbH (r.-B.). Zur "offiziellen Geschäftsführerin" wurde die frühere Mitangeklagte und jetzige Zeugin Frau R. bestellt, während der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer die vorbezeichnete Gesellschaft wie eine eigene führte. Das Unternehmen geriet 1994 in Zahlungsschwierigkeiten und war spätestens seit Ende 1994 zahlungsunfähig und überschuldet, insbesondere nachdem im Dezember 1994 eine Gläubigerin eine Forderung in Höhe von 247.000 DM geltend machte. Erst am 11.07.1995 beantragte die Zeugin R. beim Amtsgericht Rostock die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Der Eröffnungsantrag wurde mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 13.02.1996 mangels Masse zurückgewiesen.

Die Kammer hat den Angeklagten u. a. in 2 Fällen (III.3. und 4. der Urteilsgründe) des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB für schuldig befunden, weil er die Bilanz für das Geschäftsjahr 1993 verspätet (Fall III.3.) und die Bilanz für 1994 gar nicht mehr (Fall III.4.) erstellen ließ. In einem weiteren Fall (Fall III.2.) geht das Landgericht von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Verletzung der Buchführungspflicht ) aus, da er seiner Verpflichtung, ab Gründung der r.-B im Juni 1993 Bücher über die Geschäfte zu führen, bis Januar 1995 nicht ordnungsgemäß und ab Februar 1995 gar nicht mehr nachgekommen sei.

1.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Fall III.2.: unterlassenes bzw. unzureichendes Führen der Handelsbücher) hat keinen Bestand.

a)

Ausweislich der hierzu maßgeblichen Urteilsfeststellungen hat die Kammer dem diesbezüglichen Schuldspruch zu Grunde gelegt, dass der Angeklagte ab Gründung der r.-B. im Juni 1993 bis Januar 1995 seiner Verpflichtung, Bücher über die Geschäfte des Unternehmens zu führen und in diesen deren Handelsgeschäfte und die Lage des Vermögens der Gesellschaft nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu dokumentieren, nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei; ab dem Monat Februar 1995 sei für die r.-B. überhaupt keine Buchhaltung mehr erstellt worden, weil die damit betraute Steuerkanzlei ihre Tätigkeit wegen unbeglichener Honorarforderungen eingestellt habe.

Diese Feststellungen genügen nicht den Anforderungen. Strafbar macht sich nach § 283 Abs. 1 StGB nur derjenige, der die in den Nummern 1 - 8 der Vorschrift näher beschriebenen Tathandlungen bei Überschuldung oder drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit begeht. Dies war (erst) "spätestens seit Ende 1994" der Fall (UA Bl. 13). Nach allem kann der Senat nicht ausschließen, dass die Kammer ihrer Entscheidung zu Fall III.2. (auch) einen Tatzeitraum zu Grunde gelegt hat, der jedenfalls nicht von § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfasst wird, was sich insbesondere daraus ergibt, dass dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung hinsichtlich dieser Tat straferschwerend angelastet wird, er habe über einen langen Tatzeitraum, praktisch von Anfang an bewusst auf eine ordentliche Buchführung verzichtet (UA Bl. 38). Auch wenn eine als eine Tat zu behandelnde Bewertungseinheit vorliegt, wenn die Pflichtverletzungen vor und nach dem Kriseneintritt liegen, wobei § 283 b Abs. 1 Nr. 1 StGB hinter § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB zurücktritt (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. § 283 Rdz. 23 m. w. N.), so bedarf es doch zur korrekten Feststellung des Schuldumfangs der hinreichend präzisen Angabe, welcher Tatzeitraum von § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfasst sein soll.

b)

Überdies setzt tatbestandsmäßiges Unterlassen im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB die Möglichkeit des Täters voraus, die Pflicht zu erfüllen. Eine Strafbarkeit entfällt daher, wenn der Täter aus fachlichen oder finanziellen Gründen zur Erfüllung seiner Pflichten nicht (mehr) in der Lage war (vgl. BGH NStZ 1998, 192; NStZ 2003, 546).

Die diesbezüglichen Feststellungen sind nicht vollständig. Ob der Angeklagte selbst (oder die Zeugin R.) in der Lage gewesen wären, die Buchführungspflicht zu erfüllen, wird nicht festgestellt. Festgestellt wird, dass diese Arbeiten bis Januar 1995 von einem Steuerberatungsbüro erledigt worden sind, das ab Februar 1995 seine Tätigkeit aufgrund nicht erfüllter Honorarforderungen eingestellt habe. Das Landgericht führt zwar aus, der Angeklagte wäre "durchaus noch in der Lage gewesen, mit den der r.-B. zustehenden Zahlungen die ... umgeleitet wurden, zumindest den Steuerberater zu bezahlen" (UA Bl. 16). Welchen Umfang diese "umgeleiteten" Zahlungen ausmachten und welche Mittel die weitere Tätigkeit des Steuerberaters erfordert hätten, wird indes nicht mitgeteilt, sodass der Senat die vorbezeichnete pauschale Feststellung nicht überprüfen kann.

2.

Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB, soweit er die Bilanz für das Geschäftsjahr 1993 verspätet (Fall III.3.) und für das Geschäftsjahr 1994 gar nicht mehr erstellt hat (Fall III.4.), ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben.

a)

Soweit der Angeklagte es unterlassen hat, die Bilanz für das Geschäftsjahr 1993 rechtzeitig zu erstellten bzw. erstellen zu lassen, ist der Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB nicht erfüllt.

Strafbar macht sich nach § 283 Abs. 1 StGB, wie bereits erwähnt, nur derjenige, der die in den Nummern 1 - 8 der Vorschrift näher beschriebenen Tathandlungen (bzw. Unterlassungen) bei Überschuldung oder drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit begeht.

Nach den handelsrechtlichen Bestimmungen hätte der Angeklagte die tatsächlich erst am 03.05.1995 erstellte Bilanz spätestens bis zum 30. Juni 1994 erstellen müssen (§ 242, 264 Abs. 1 Satz 3, 267 Abs. 1 HGB). Diese Pflicht hat er zwar verletzt, aber nach den bisherigen Feststellungen noch nicht in einer wirtschaftlichen Krisensituation des Unternehmens. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass im maßgeblichen Zeitraum bereits eine Überschuldung vorlag oder Zahlungsunfähigkeit drohte. Die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft trat nach den Urteilsfeststellungen vielmehr erst Ende 1994 ein, nachdem die Bilanzfrist schon abgelaufen war.

Danach liegt kein Verstoß nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB vor.

In Betracht kommt insoweit zwar eine Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Buchführungspflicht nach § 283 b Abs. 1 Nr. 3 b StGB (BGH NStZ 1998, 192). Eine entsprechende Abänderung des Schuldspruchs war dem Senat aber schon deswegen nicht möglich, weil der erforderliche tatsächliche Zusammenhang zwischen der verspäteten Bilanzerstellung und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Gesellschaft nicht festgestellt ist (vgl. BGH St 28, 231, 233 f.; BGHR StGB § 283 b Krise 1). Danach müssen im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch "irgendwelche Auswirkungen" vorhanden sein, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen, etwa Zeitverlust durch Nachholung der Bilanzierung zwecks Dokumentation gegenüber Insolvenzverwalter und Gläubigern oder mangelndes rechtzeitiges Erkennen der bedrohlichen Geschäftslage wegen der Versäumnisse (vgl. BayObLG NStZ 2003, 214; NJW 2003, 1960, jeweils m. w. N.). Auch wenn der vorbezeichnete tatsächliche Zusammenhang nahe liegt, bedarf es in dieser Hinsicht noch weiterer Feststellungen.

b)

Soweit der Angeklagte die Bilanz für das Geschäftsjahr 1994 gar nicht mehr erstellen ließ, kommt zwar eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB ohne Weiteres in Betracht, da sich nach den Urteilsfeststellungen das Unternehmen zum diesbezüglich maßgeblichen Stichtag (30.06.1995) in einer wirtschaftlichen Krisensituation befand.

Auch insoweit fehlt es jedoch an der Feststellung, dass dem Angeklagten die Erfüllung seiner Bilanzierungspflichten in fachlicher oder finanzieller Hinsicht möglich gewesen ist (vgl. BGH NStZ 2003, 546).

Eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Bilanzierungspflicht entfällt nämlich, wenn der Angeklagte nicht in der Lage war, seine Verpflichtung zu erfüllen. Dass der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum vom 01. Januar 1995 bis spätestens 30. Juni 1995 seiner Verpflichtung noch hätte nachkommen können, ist nach den bisherigen Feststellungen nicht hinreichend belegt.

Aufgrund seiner Ausbildung und seines beruflichen Werdegangs liegt die Annahme, der Angeklagte sei selbst in der Lage, eine Bilanz zu erstellen, eher fern. Muss sich der Täter aber zur Erstellung einer Bilanz oder zu ihrer Vorbereitung der Hilfe eines Steuerberaters bedienen, entfällt eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Bilanzierungspflicht, wenn er die erforderlichen Kosten nicht aufbringen kann, da niemandem Unmögliches abverlangt werden kann (BGHR StGB § 283 Abs. 1 Nr. 7 b Bilanz 1).

Die Kammer hat in dieser Hinsicht versäumt, hinreichend festzustellen, über welche Mittel die Gesellschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt noch verfügte und welche Mittel zur Erstellung der Bilanz nötig gewesen wären (vgl. oben II.1.).

Es wird auch nicht mitgeteilt, wann die Zahlungseinstellung der Gesellschaft folgte. Eine Verurteilung wegen nicht rechtzeitiger Bilanzerstellung kommt aber in der Regel nur dann in Betracht, wenn die Frist vor der Zahlungseinstellung versäumt wurde (BGHR StGB § 283 Abs. 1 Nr. 7 b Zeit 1).

3.

Nach alledem konnte das angefochtene Urteil, was die Schuldsprüche zu den Taten III.2. - 4 anbelangt, keinen Bestand haben. Die Aufhebung des Urteils insoweit zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auch die Strafe in Fall III.1. durch die Höhe der übrigen aufgehobenen Strafen zu Lasten des Angeklagten beeinflusst worden ist.

III.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten war gem. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Die landgerichtlichen Feststellungen tragen ohne Weiteres die Verurteilung im Fall III.1. wegen vorsätzlich unterlassener Beantragung der Gesamtvollstreckung gem. §§ 84 Abs. 1 Ziff. 2, 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz i. V. m. § 1 Abs. 4 Gesamtvollstreckungsordnung. Gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts ist - wie im Übrigen auch hinsichtlich der Fälle III.2. - 4. - nichts zu erinnern. Aus diesem Grunde und unter dem Gesichtspunkt tunlichster Aufrechterhaltung der von Gesetzesverletzungen nicht berührten Feststellungen (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. § 353 Rdz. 15 m. w. N.) hat der Senat auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Fällen III.2. - 4. von der Urteilsaufhebung ausgenommen. Sie bedürfen lediglich der Ergänzung, um zu abschließender richtiger Rechtsanwendung zu gelangen.

Auch die Feststellungen zum und die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabes zur Auslieferungshaft in Costa Rica sind rechtsfehlerfrei getroffen.

IV.

Für die Neuverhandlung der Sache weist der Senat der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe liegt es nicht gänzlich fern anzunehmen, dem Angeklagten könne es von Anfang an darum gegangen sein, die Gesellschaft seines eigenen Vorteils wegen (bedingt) vorsätzlich in den Ruin gelangen zu lassen. Für diesen Fall wird der neu zur Entscheidung berufene Spruchkörper auch zu prüfen haben, ob unter Berücksichtigung der Rechtsfigur der Bewertungseinheit (vgl. dazu Meyer-Goßner a. a. O. Einleitung Rdz. 175, 175 a m. w. N.) bzw. der Rechtsfigur des Dauerdelikts (vgl. dazu Tröndle/Fischer a. a. O. vor § 52 Rdz. 35) mehrere oder eventuell nur eine Straftat im Sinne der §§ 52, 53 StGB, § 264 StPO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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