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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 16.01.2004
Aktenzeichen: 1 U 77/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 850 c
1. Kommt es zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft auf die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO an, bleibt die gegenüber einem in Ausbildung befindlichen Kind bestehende Unterhaltspflicht außer Betracht, wenn der verbürgte Kredit in den ersten drei Jahren zinsfrei, danach aber das Kind volljährig und berufstätig ist.

2. Die Pfändungsfreigrenze erhöht sich auch nicht durch eine Unterhaltspflicht des Bürgen gegenüber dem Ehegatten, wenn dieser über ein eigenes Einkommen verfügt, das bei einer Bestimmung nach § 850 c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt zu bleiben hätte.


Az.: 1 U 77/02

Beschluß

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hillmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Garbe und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Jäschke

am 16. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

A.

Der Berufung der Beklagten fehlt die zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO).

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der ausgeurteilten Gesamtsumme von € 86.408,33 (= DM 169.000,-). Ihre Teilklagen aus Schuldbeitritt (DM 100.000,-) und Bürgschaft (DM 69.000,-) sind begründet. Beide Rechtsgeschäfte sind wirksam. Sie überforderten die Beklagte nicht in finanziell krasser Weise (§ 138 Abs. 1 BGB). Jedenfalls steht dies nicht fest.

I. Zum Schuldbeitritt der Beklagten gemäß Vertrag vom 10.11.1993/18.02.1994:

Mit diesem Vertrag übernahm die Beklagte die gesamtschuldnerische Haftung für das ihrem Mann von der Deutschen Ausgleichsbank gewährte und von der Klägerin verwaltete Darlehen (1.2 des Vertrages) in Höhe von DM 198.000,-.

Aus dem Umfang dieser Verpflichtung hat das Landgericht zu Recht keine Vermutung für eine Sittenwidrigkeit gefolgert. Die übernommene Mithaft belastete die Beklagte zwar erheblich, aber noch nicht krass. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses war davon auszugehen, dass die Beklagte bei Eintritt des Sicherungsfalles mit Hilfe des pfändbaren Teils ihres Einkommens zumindest die auf die Hauptschuld entfallenden laufenden Zinsen auf Dauer werde tragen können. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

1. Zinsbelastung:

Die Beklagte hat die jährliche Zinsbelastung erstinstanzlich auf bis zu DM 14.454,- beziffert (GA 35, 76). Das mag die Spitzenbelastung während der 10jährigen Bindungsfrist gewesen sein, ist für die hier vorzunehmende Berechnung jedoch nicht maßgeblich. Zu berücksichtigen ist der Umstand, dass der Bund die Darlehenszinsen für die ersten drei Jahre ganz und für die folgenden drei Jahre teilweise übernommen hat (2.2 des Vertrages). Das rechtfertigt es, die durchschnittliche Zinsbelastung anzusetzen. Sind Hauptschuldner und Mithaftende über Jahre (teilweise) von der Zinspflicht befreit, werden sie in die Lage versetzt, aus ihrem zwischenzeitlich erzielten Einkommen die später erhöhten laufenden Zinsen zu zahlen. Die durchschnittliche jährlich Zinslast betrug DM 13.382,60. Das ergibt sich aus der Angabe der effektiven Zinsgesamtbelastung während der Vertragslaufzeit (2.8 des Vertrages: DM 133.826,00). Daraus errechnet sich eine Monatslast von DM 1.115,22. Das war für die Beklagte noch tragbar (dazu im folgenden).

2. Einkommen der Beklagten:

Das monatliche Nettoeinkommen der Beklagten betrug im Februar 1994 unstreitig DM 2.990,16 (GA 35). Sein pfändbarer Teil genügte zur Zahlung der laufenden Zinsen (DM 1.115,22). Er betrug DM 1.781,16.

a. Anzuwenden sind die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO in der bei Eingehung der Mithaft gültigen Fassung (vgl. BGH, BGHReport 2002, 1097). Danach war ein monatliches Arbeitseinkommen von nicht mehr als DM 1.209,- unpfändbar (§ 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).

b. Dieser Betrag war nicht durch Unterhaltspflichten der Beklagten erhöht (§ 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F.).

aa. Zwar war die Beklagte gegenüber ihrem damals 17 Jahre alten und in Ausbildung befindlichen Sohn noch unterhaltsverpflichtet (GA 76). Das galt jedoch nur für einen Zeitraum, in dem der Hauptschuldner und ggf. sie - die Beklagte - als Mithaftende keine laufenden Zinsen zahlen mussten. In den ersten drei Jahren war das Darlehen für beide zinsfrei. Danach war der Sohn volljährig und aufgrund einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht mehr unterhaltsberechtigt. Gegenteiliges hat die Beklagte in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 27.02.2002 (GA 246) und in der Berufungsbegründung (GA 285/287f) nicht dargelegt. Vielmehr haben sie und ihr Ehemann in der Selbstauskunft vom 03.05.1998 (per 31.12.1998) das Bestehen von Unterhaltspflichten ausdrücklich verneint (GA 181). Sind laufende Zinsen aber erstmals zu einem Zeitpunkt zu zahlen, in dem eine Unterhaltspflicht gegenüber dem volljährigen Kind nicht mehr besteht, hat diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens unberücksichtigt zu bleiben.

bb. Die Beklagte war ihrem Ehemann gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet. Er verfügte als Geschäftsführer über ein eigenes Einkommen. Dieser Umstand führt dazu, dass sich der anzusetzende pfändungsfreie Betrag nicht durch Unterhaltspflichten erhöht (vgl. BGH, NJW 2002, 2634). Das gilt jedenfalls dann, wenn das Einkommen des Ehegatten so hoch ist, dass es bei einer Bestimmung nach § 850 c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt zu bleiben hätte (dazu: Stöber, in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 850 c Rn. 15 a). Hierzu hat die Beklagte nichts Substantielles vorgetragen (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 01.10.2001; GA 78). Die erwähnte Selbstauskunft aus dem Jahr 1998 weist immerhin ein monatliches Familien-Bruttoeinkommen von DM 9.788,50 aus (DM 117.462,- : 12). Davon entfiel auf die Beklagte ein Bruttoeinkommen von DM 4.749,89 (GA 37). Ihr Ehemann verfügte danach über ein Monatseinkommen von über DM 5.000,-. Das schloss die Berücksichtigung seiner Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommen der Beklagten aus.

cc. Im übrigen hätte die Beklagte auch bei Berücksichtigung jedenfalls einer unterhaltsberechtigten Person die laufenden Zinsen zahlen können. Der unpfändbare Teil ihres Arbeitseinkommens hätte sich in diesem Fall um DM 468,- auf DM 1.677,- erhöht. Der danach noch pfändbare Teil (DM 1.313,16) überstieg auch dann noch die monatliche Zinslast von DM 1.115,22.

II. Zur Bürgschaft der Beklagten vom 31.12.1998:

Die Beklagte wurde auch durch die bis zum Höchstbetrag von DM 264.760,- erklärte Bürgschaft nicht finanziell krass überfordert. Für diesen Betrag konnte sie mit ihrem zwischenzeitlich erworbenen Grundvermögen aufkommen. Die für ihre finanzielle Überforderung beweisbelastete Beklagte hat nicht ausreichend dargetan und unter Beweis gestellt, dass das seit dem 26.04.1995 (GA 52) zur ideellen Hälfte in ihrem Eigentum stehende, 66.057 qm große Grundstück in Wismar (Flurstück 4798/1 der Flur 1 der Gemarkung Wismar, verzeichnet im Grundbuch des Amtsgerichts Wismar Blatt 3556) einen geringeren Wert als DM 529.520,- (= DM 264.760,- X 2 = DM 8,02/qm) hatte.

1. Zwar lässt sich ein höherer Verkehrswert nicht schon aus den Kaufverträgen vom 05.02.1998 (GA 89) und vom 25.01.2001 (GA 98) herleiten. Die darin vereinbarten Kaufpreise in Höhe von DM 990.855,- (§ 9; GA 92) bzw. DM 645.570,- (§ 8 Abs. 2; GA 101) galten nur, falls das Grundstück Bauland werden sollte. Das aber ist bis heute nicht der Fall.

2. Andererseits lässt der Vertrag vom 25.01.2001 nicht den Schluss auf einen bedeutend geringeren Wert des Grundstücks zu. Zwar hatten sich darin die Vertragsparteien auf einen qm-Preis von DM 2,- und einen Gesamtkaufpreis von DM 129.114,- (rechnerisch richtig: DM 132.114,-) für das von ihnen als Bauerwartungsland qualifizierte (§ 1) Grundstück geeinigt (§ 8 Abs. 1; GA 100). Das besagt jedoch nichts über den wahren Wert des Grundstücks. Es spricht keine Vermutung dafür, dass der erzielte Verkaufserlös dem Marktwert der Kaufsache entspricht. Das zeigen einerseits die vielen Fälle eines Wuchergeschäfts, andererseits aber auch die nicht selteneren und dem Senat gerichtsbekannten Fälle, in denen Sicherungsgut unter Wert verschleudert wird.

3. Die Beklagte hat für ihre Behauptung, der Wert des Grundstücks habe lediglich DM 2,-/qm betragen (GA 290), keinen Beweis angetreten. Ihr tatsächliches Vorbringen gab dem Landgericht zu einer amtswegigen Einholung eines Sachverständigen-gutachtens keinen Anlass. Die Beklagte hat eingeräumt, dass es sich bei der Ackerfläche um Bauerwartungsland gehandelt habe und hierfür im Jahr 2000 im Wismarer Raum qm-Preise von DM 4,- bis DM 19,-, im Durchschnitt DM 11,- (GA 47), erzielt worden seien (GA 78/79). Bei Ansatz des Durchschnittspreises hatte das hälftige Grundstück einen Wert von DM 363.313,50. Selbst ein erzielbarer qm-Preis von DM 8,02 hätte zur Tilgung des verbürgten Höchstbetrages von DM 264.760,- genügt. Demgegenüber kommt der weiteren, mit Schriftsatz vom 01.10.2001 hervorgebrachten Behauptung der Beklagten, derzufolge die Beplanung der Fläche wegen ausreichenden Baulandes unwahrscheinlich geworden sei (GA 79), keine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich ist allein der Wert des Grundstücks im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme (31.12.1998). Dass schon Ende 1998 mit dem Erlass eines Bebauungsplanes nicht ernsthaft mehr zu rechnen und deshalb der sonst für Bauerwartungsland erzielbare Durchschnittspreis von DM 11,- nicht zu erreichen war, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen. Immerhin hatten die Parteien des Kaufvertrags vom 25.01.2001 noch zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung einer Umqualifizierung der Fläche zu Bauland.

Damit verbleibt zumindest die Möglichkeit, dass das im Miteigentum der Beklagten stehende Grundstück bei Übernahme ihrer Bürgschaftsverpflichtung einen Vermögenswert darstellte, der ihr die Zahlung von DM 264.760,- ermöglichte und deshalb ihre krasse finanzielle Überforderung ausschloss.

4. Darüber hinaus verfügte die Beklagte am 31.12.1998 über weiteres Vermögen. Sie war hälftige Eigentümerin eines Grundstücks, welches mit Notarvertrag vom 26.08.1999 zum Preis von DM 70.000,- verkauft wurde (GA 55), und Miteigentümerin des von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Einfamilienhauses. Dieses war zwar erheblich (im Mai 2001: DM 285.344,31; GA 227), aber - anders als vorgetragen (GA 209) - nicht wertausschöpfend belastet. Denn die Selbstauskunft vom 03.05.1998, an deren Angaben sich die Beklagte festhalten lassen muss, bezifferte den Wert des Hausgrundstücks auf DM 400.000,- (GA 181). War dieses im Umfang von DM 100.000,- nicht belastet, verfügte die Beklagte über weiteres Grundvermögen von insgesamt DM 85.000,- (DM 35.000,- + DM 50.000,-). Unter Berücksichtigung dieses Betrages wäre ein Wert des Bauerwartungslandes in Höhe von DM 359.520,- (DM 5,44/qm) ausreichend zur Erfüllung der verbürgten Kredite gewesen. Dafür, dass nicht einmal dieser - unstreitig am untersten Rand des für Bauerwartungsland zu zahlenden Kaufpreises liegende - qm-Preis dem Ende 1998 am Markt zu realisierenden Verkehrswert entsprach, fehlen hinreichende Anhaltspunkte, die im ersten Rechtszug die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätten gebieten können.

III. Im übrigen zeigt die Berufung der Beklagten nicht auf, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Beides ist auch nicht ersichtlich.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 1 GKG, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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