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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 1 UH 4/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GVG


Vorschriften:

ZPO § 12
ZPO § 13
ZPO § 29
ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 35
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 37
ZPO § 281
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
BGB § 269 Abs. 1
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 1 UH 4/07

Beschluss

In dem Zuständigkeitsbestimmungsverfahren

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 15. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Mit Schriftsatz vom 30.04.2007 hat die Klägerin beim Landgericht Neubrandenburg zunächst Klage auf Rückzahlung von Darlehen gegen die A.-F.-V.- und D. GmbH (im Folgenden: GmbH) erhoben, die jetzt in ..., bei Darlehensgewährung im Mai 2006 jedoch in ... ansässig gewesen sein soll. Mit Schreiben vom 10.05.2007, beim Landgericht eingegangen vor Verfügung der Zustellung der Klageschrift, hat die Klägerin das Passivrubrum berichtigt in "Frau A. M. S., c/o ...GmbH,". Dazu hat sie mitgeteilt, die Beklagte sei unter der von ihr angegebenen Adresse nicht mehr wohnhaft, auch nicht unter der von der Meldebehörde angegebenen neuen Adresse in B., S.-Str. In D. befänden sich weder eine gewerbliche noch eine private Adresse der GmbH oder der Beklagten. Sie, die Klägerin, gehe davon aus, dass sich die Beklagte an ständig wechselnden Orten aufhalte, ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber in Rechlin habe, wo die GmbH Eigentümerin mehrerer Ferienimmobilien sei.

Bereits mit Zustellung der Klageschrift und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens durch Verfügung vom 04.06.2007 wies das Landgericht darauf hin, dass seine örtliche Zuständigkeit wohl nicht gegeben sei, da die Beklagte nicht im Landgerichtsbezirk Neubrandenburg wohnhaft sei. Auch sei die Beklagte nicht passivlegitimiert, da Darlehensnehmerin die GmbH sei.

Mit Schriftsatz vom 13.06.2007 stellte die Klägerin klar, dass sie die Beklagte nicht aus Darlehen, sondern aus Bürgschaften vom 26.05.2006 in Anspruch nehme, die die Beklagte als Sicherheit für die am selben Tag der damals in Rechlin ansässigen GmbH gewährten Darlehen gegeben habe. Dazu legte sie den Bürgschaftsvertrag vom 26.05.2006 vor, in dem als Anschrift der Beklagten (als Bürgin) A.-Str. in D. und als Hauptschuldnerin die A.-F.-V.- und D. GmbH in R. angegeben sind. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Neubrandenburg hielt die Klägerin an ihrer Auffassung fest, beantragte jedoch hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das für den letzten angegebenen Wohnsitz in B. zuständige Landgericht.

Die Beklagte zeigte mit Schriftsatz vom (ebenfalls) 13.06.2007 ihre Verteidigungsbereitschaft an, rügte die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Neubrandenburg und beantragte die Verweisung an das (für D. zuständige) Landgericht Aachen. Dazu führte sie im Schriftsatz vom 21.06.2007 unter Vorlage einer entsprechenden Meldebescheinigung weiter aus, die Beklagte habe bis 31.12.2005 ihren Wohnsitz in D., M.-Str. gehabt und sei mit Wirkung vom 01.01.2006 nach B., L.ufer umgezogen. Mit Nebenwohnsitz sei sie nach wie vor in D. gemeldet. Die GmbH unterhalte in R. keinen Sitz mehr, auch die Beklagte halte sich dort nicht vorwiegend auf. Hilfsweise beantragte die Beklagte sodann die Verweisung an das Landgericht Berlin.

Das Landgericht Neubrandenburg wies die Parteien mit Beschluss vom 27.06.2007 darauf hin, dass seine örtliche Zuständigkeit weder nach § 12 ZPO noch nach § 29 ZPO gegeben sei und regte einen Verweisungsantrag durch die Klägerin an das Landgericht Berlin an, das zuständig sei. Mit Schriftsatz der Klägerin vom 03.07.2007 erfolgte ein solcher Antrag, worauf sich das Landgericht Neubrandenburg mit Beschluss vom 05.07.2007 unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 27.06.2007 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwies.

Dieses erklärte sich - ohne vorherige Anhörung der Parteien - mit Beschluss vom 19.07.2007 ebenfalls für örtlich unzuständig und legte die Sache gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht Brandenburg vor. Zur Begründung führte das Landgericht Berlin aus, der Erfüllungsort der streitgegenständlichen Bürgschaftsforderung und damit der Gerichtsstand bestimmten sich nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der ausweislich der Anlage K 4 im Bezirk des Landgerichts Neubrandenburg begründet gewesen sei. Die Klägerin habe mit Klageerhebung außerdem von ihrem Wahlrecht nach § 35 ZPO Gebrauch gemacht, so dass sich die Provozierung von Verweisungsanträgen als rechtsmissbräuchlich darstelle. Die Verweisung sei schließlich auch deshalb nicht bindend, weil das Landgericht Neubrandenburg mit § 269 Abs. 1 BGB eine seine Zuständigkeit begründende Vorschrift in einer den Vorwurf der Willkür begründenden Nachlässigkeit nicht beachtet habe.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht gab die Akten unter Hinweis auf § 36 Abs. 2 ZPO mit Verfügung vom 02.08.2007 dem Landgericht Berlin wieder zurück, welches mit Beschluss vom 14.08.2007 die Sache unter Wiederholung der Begründung vom 19.07.2007 nunmehr dem Oberlandesgericht Rostock vorlegte.

Beide Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Berlin sind den Parteien jeweils bekannt gemacht worden. Die Beklagte wies mit Schriftsatz vom 03.08.2007 darauf hin, dass lediglich die GmbH, nicht aber die Beklagte (diese zu keinem Zeitpunkt) ihren (Wohn-)Sitz in R. gehabt habe. Bei Vertragsschluss sei die Beklagte vielmehr in D. wohnhaft gewesen, später sei sie nach B. umgezogen. Die Klägerin hat sich nicht geäußert.

II.

Gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, 37 ZPO war das Landgericht Berlin als das Gericht zu bestimmen, das nach §§ 12, 13, 29, 281 ZPO örtlich zuständig ist.

1.

Das - von einem der beteiligten Gerichte zulässig von Amts wegen angerufene - Oberlandesgericht Rostock ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil sich zwei in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken belegene Gerichte durch jeweils unanfechtbaren Beschluss (vom 05.07.2007 bzw. vom 14.08.2007) für örtlich unzuständig erklärt haben, wobei das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Neubrandenburg zum Bezirk des - diesem im Rechtszug übergeordneten, § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG - erkennenden Oberlandesgerichts gehört.

2.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist das Landgericht Berlin zuständig, weil der entsprechende Verweisungsbeschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 05.07.2007 bindend ist, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

a)

Im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten sind Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, NJW 2006, 847 [Tz. 12]; OLG Brandenburg, NJW 2006, 3444 [Tz.10]; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rn. 16; MK/Prütting, ZPO, 3. Aufl., § 281 Rn. 55, jeweils m.w.N.).

Diese Bindungswirkung ist grundsätzlich auch im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Das bedeutet, dass der erste mit solcher Bindungswirkung erlassene Verweisungs-beschluss im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fortwirkt (BayObLG, WM 2005, 2157 f.; KG, MDR 1999, 438; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 28, jeweils m.w.N.).

Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur - wobei Einzelheiten streitig sind - sind von diesem Grundsatz allerdings Ausnahmen zuzulassen. So kommt einem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Dabei kann Willkür u.a. dann anzunehmen sein, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und offen-sichtlich unhaltbar, offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist (vgl. BGH, OLG Brandenburg, BayObLG, KG, jeweils a.a.O.; KG, MDR 2007, 173; Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 17; MK/Prütting, a.a.O., Rn. 56, alle m.w.N.).

b)

Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend - entgegen der Auffassung des Landgerichts Berlin - nicht gegeben, so dass der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 05.07.2007 für das Landgericht Berlin bindend ist.

aa)

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor, weil das Landgericht Neubrandenburg - schon in der Verfügung vom 04.06.2007 zur Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens und insbesondere mit Beschluss vom 27.06.2007 - vor Erlass seiner Entscheidung auf seine mögliche Unzuständigkeit hingewiesen und damit den Parteien - anders als das Landgericht Berlin - Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

bb)

Der Verweisungsbeschluss entbehrt auch nicht jeder rechtlichen Grundlage, weil das Landgericht Berlin bereits bei Klageerhebung nach §§ 12, 13, 29 ZPO örtlich zuständig war.

(1)

Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage hatte die Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand (§ 12 ZPO) beim Landgericht Berlin, in dessen Bezirk sie seit dem 01.01.2006 ihren Hauptwohnsitz hat (§ 13 ZPO, § 7 Abs. 1 BGB). Das ergibt sich aus ihrem Schriftsatz vom 21.06.2007, wonach sie bis zum 31.12.2005 in D. wohnhaft gewesen und sodann nach B. verzogen war. Dieser - unbestritten gebliebene - Vortrag wird im Übrigen bestätigt durch die vorgelegte Anmeldebestätigung des Bezirksamtes B. vom 28.02.2006.

Dagegen war die Zuständigkeit des Landgerichts Neubrandenburg - entgegen der von der Klägerin ursprünglich vertretenen Auffassung - nicht gegeben.

(2)

Die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin ergibt sich aber auch aus § 29 Abs. 1 ZPO.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Bürgschaft in Anspruch, die die Beklagte als Privatperson am 26.05.2006 zur Sicherung einer Forderung der Klägerin gegenüber der Fa. A.-F.-V.- und D. GmbH übernommen haben soll. Damit bestimmt sich - wie die beiden streitenden Landgerichte übereinstimmend annehmen - der Erfüllungs- bzw. Leistungsort gemäß § 29 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 1 BGB nach dem Wohnort des Bürgen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bürgschaftsvertrages (BGHZ 134, 133 [Tz, 22]; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 29 Rn. 25, Stichwort "Bürgschaft und Garantie").

Im Mai 2006 war die Beklagte ausweislich ihres Vortrags mit Schriftsatz vom 21.06.2007 bereits in B. wohnhaft, so dass damit die Zuständigkeit des dortigen Landgerichts begründet ist.

Dem steht nicht entgegen, dass in dem Bürgschaftsvertrag vom 26.05.2006 als Anschrift der Bürgin (= Beklagte) angegeben ist: "A.-Str., D." und dass die Beklagte - in ihrer Stellungnahme zu dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19.07.2007 - mit Schriftsatz vom 03.08.2007 angegeben hat, zum Zeitpunkt der Bürgschaftsunterzeichnung ihren Wohnsitz noch in D. gehabt zu haben und erst später von dort nach B. umgezogen zu sein.

Zum einen wird damit nochmals bestätigt, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt - auch nicht bei Vertragsschluss - einen Wohnsitz in R., dem Sitz der Hauptschuldnerin, hatte, so dass das Landgericht Neubrandenburg - entgegen der Auffassung des Landgerichts Berlin - nicht als Wohnsitzgericht zuständig sein konnte. Die angegebene Anschrift in D. würde vielmehr die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Aachen begründen. Zum anderen hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21.06.2007 mitgeteilt, dass sie "nach wie vor unter der Adresse M.-Str., D. als Nebenwohnsitz gemeldet" sei. Angesichts der eindeutigen, durch Vorlage einer Anmeldebestätigung belegten Ausführungen der Beklagten in diesem Schriftsatz zu ihrem Wohnsitz ist daher davon auszugehen, dass sie auch im Schriftsatz vom 03.08.2007 auf ihren damaligen Nebenwohnsitz in D. abstellt.

Unter diesen Umständen stellt sich die Verweisung des Rechtsstreits von dem - in keinem Fall zuständigen - Landgericht Neubrandenburg an das Landgericht Berlin jedenfalls nicht als willkürlich dar.

(3)

Ein ausschließlicher, die Zuständigkeit des Landgerichts Neubrandenburg begründender Gerichts-stand der Beklagten ist nicht ersichtlich und wird von keiner Seite behauptet.

Schließlich hat sich das Landgericht Neubrandenburg auch nicht etwa über eine - bindende - Wahl des zuständigen Gerichts durch die Klägerin gemäß § 35 ZPO hinweg gesetzt. Diese Vorschrift räumt der Klägerin nur die Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten ein. Da die Klage hier beim unzuständigen Gericht erhoben worden war, konnte die Klägerin von ihrem Wahlrecht aus § 35 ZPO noch durch Stellung des Verweisungsantrages Gebrauch machen (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 35 Rn. 3 m.w.N.).

cc)

Der Verweisungsbeschluss stellt sich damit auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar, weil die Hinweise des Landgerichts Neubrandenburg im Beschluss vom 27.06.2007 und die dadurch herbeigeführten Verweisungsanträge der Parteien nach den obigen Ausführungen sachgerecht - und nicht etwa zu Unrecht "provoziert" - waren.

3.

Das Landgericht Berlin ist schließlich auch deshalb als zuständiges Gericht für den vorliegenden Rechtsstreit zu bestimmen, weil - wie dargelegt - seine örtliche und sachliche Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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