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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 1 W 81/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 114
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 850c
BGB § 138
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 488 Abs. 1
BGB § 765 Abs. 1
BGB § 767 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

1 W 81/08

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 11.12.2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den ihm Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 28.07.2008, Az.: 6 O 378/07, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 4 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtsverteidigung des Beklagten gegen die Klage hat nicht die gemäß § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1.

Erstinstanzlich ist zu Recht die vollumfängliche Schlüssigkeit der Klage - Abweichendes hat auch der Beklagte nicht eingewandt - festgestellt worden. Der Klägerin steht zum einen ein Anspruch auf Darlehensrückzahlung in Höhe von 38.003,25 € nebst aufgelaufenen Zinsen aus § 488 Abs. 1 BGB sowie ein erstrangiger Teilbetrag in Höhe von 30.000 € aus der durch den Beklagten für die Verbindlichkeiten der xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx mbH übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaft gemäß §§ 765 Abs. 1 i.V.m. 767 Abs. 1 BGB zu.

2.

Der Rechtsverteidigung ist kein Erfolg beschieden, soweit der Beklagte einwendet, die Klägerin sei als faktische Geschäftsführerin in Erscheinung getreten. Auf die insoweit zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

3.

Der nunmehr in der Beschwerde erhobene Einwand der Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrages als auch der Bürschaftserklärung greift ebenfalls nicht.

a)

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrages bzw. der Abgabe der Bürgschaftserklärung mittellos gewesen ist und die Klägerin hiervon Kenntnis gehabt hat, da sich hieraus weder eine Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrages (aa) noch der Bürgschaftserklärung (bb) ergibt.

aa)

In Betracht kommt lediglich eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB wegen krasser Überforderung des Schuldners. Grundsätzlich hat der Schuldner jedoch wegen des Grundsatzes der Privatautonomie, der nicht nur das Recht zur Selbstbestimmung, sondern auch die Pflicht zur Selbstverantwortung beinhaltet, selbständig zu prüfen und zu entscheiden, wo die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit sind (Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 138 Rn. 36). Allein die Tatsache, dass eine Verpflichtung das Leistungsvermögen des Schuldners subjektiv überfordert, begründet daher nicht ohne Weiteres einen Nichtigkeitsgrund (OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 578). Sind die vom Schuldner zu leistenden Zahlungen höher als sein pfändbares Einkommen, so rechtfertigt das nicht die Anwendung von § 138 BGB (BGH, NJW 1989, 1666). Insbesondere ist ein Verstoß gegen § 138 BGB nicht etwa stets schon dann zu bejahen, wenn ein Ratenkreditvertrag einem Kreditnehmer monatliche Belastungen auferlegt, die höher liegen als der pfändbare Betrag seines Arbeitseinkommens nach § 850c ZPO (vgl. LG Lübeck WM 1987, 955). Der Schutz der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip mögen es erfordern, jedem Schuldner ein bestimmtes Existenzminimum zu gewährleisten. Das geltende Recht trägt diesem Verfassungsgebot aber durch die in der Zwangsvollstreckung geltenden Pfändungsschutzvorschriften hinreichend Rechnung. Es ist nicht notwendig, die dort aufgestellten Maßstäbe schematisch bereits bei der materiellen Prüfung nach § 138 BGB zu berücksichtigen und damit die Vertragsfreiheit erheblich einzuschränken. Es liegt kein Wertungswiderspruch darin, sondern erscheint durchaus sinnvoll, wenn den Vertragspartnern im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Einschätzung ihrer zukünftigen Erfüllungsmöglichkeiten grundsätzlich noch selbst überlassen bleibt und dem Schuldner erst bei einer späteren Zwangsvollstreckung der Schutz gewährt wird, den er dann wirklich benötigt (BGH, a.a.O.).

Im Einzelfall kann zwar die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Vertragspartners im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 138 Abs. 1 BGB, also im Zusammenwirken mit anderen Geschäftsumständen, von Bedeutung sein. So ist in der neueren Rechtsprechung zum Konsumentenratenkredit anerkannt, dass bei Verträgen mit objektiv überhöhten Zinsforderungen und sonstigen unbilligen Bedingungen die wirtschaftlich schwächere Lage des Kreditnehmers zu den persönlichen Voraussetzungen des wucherähnlichen Kreditgeschäfts gehört (BGHZ 98, 174). So liegt der Fall hier jedoch nicht.

Der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag fällt weder aufgrund einer überhöhten Zinsforderung (7,5 % p.a., Anlage K 6, GA 23) noch wegen sonst unbilliger Bedingungen aus dem Rahmen des Üblichen. Insbesondere lässt sich - entgegen der Beklagtenansicht - nicht allein aus dem Wissen der Klägerin um die Mittellosigkeit des Beklagten eine Sittenwidrigkeit ableiten, da der Beklagte kraft eigener Geschäftserfahrenheit die Verantwortung für die von ihm eingegangenen Verpflichtungen selbst trägt.

Darauf, ob die Klägerin bei der Ausreichung des Kredites ausschließlich in eigenem Interesse gehandelt hat, kommt es ebenfalls nicht streitentscheidend an. Eine Pflicht, auch die Interessen der Gegenseite zu wahren, gibt es im Vertragsrecht erst dann, wenn ein nicht hinnehmbares Ungleichgewicht zwischen den Parteien derart besteht, dass eine Seite schutzbedürftig ist. Das ist vorliegend nicht gegeben, da der Beklagte als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin in Kenntnis aller Umstände tätig geworden ist.

Entgegen der Argumentation des Beklagten begründen auch die die Klägerin im Falle der Vermögensverschlechterung des Beklagten zur Kündigung berechtigenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen kein Verbot des Vertragsabschlusses, sondern lediglich das Recht der Klägerin sich im Falle eines durch Vermögenslosigkeit des Beklagten ergebenden erhöhten Risikos vom Vertrag wieder zu lösen.

bb)

Hinsichtlich der Bürgschaftserklärung sind Gründe für eine Sittenwidrigkeit ebenfalls nicht erkennbar. Grundsätzlich kann die Übernahme einer Bürgschaft bei Vorliegen einer krassen Überforderung zwar sittenwidrig sein. Die hierfür durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien gelten jedoch nur im Verhältnis zwischen Angehörigen. Auf die Bürgschaft - die wie vorliegend - ein Gesellschafter für Schulden der Gesellschaft übernimmt, finden die für die Angehörigenbürgschaft entwickelten Grundsätze hingegen keine Anwendung (BGHZ 137, 329; NJW 1998, 894; NJW 2002, 956).

Eine finanzielle Überforderung des Bürgen kann eine Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages nur dann begründen, wenn zusätzlich erschwerende Umstände hinzukommen (BGH, WM 1997, 2117, 2118 m.w.N.). Bei Personen, die dem Hauptschuldner nahestehen, können allerdings ein krasses Mißverhältnis zwischen der übernommenen Verpflichtung und der Leistungsfähigkeit des Bürgen sowie das Fehlen eines rechtlich vertretbaren Interesses des Kreditgebers an der vom Bürgen eingegangenen Verpflichtung ein gewichtiges Indiz dafür sein, dass dieser sich entgegen seinen eigenen Interessen nur aus einer - durch die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner bedingten - unterlegenen Position heraus auf das Geschäft eingelassen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat (BGH, a.a.O.). Ist der Hauptschuldner aber eine Gesellschaft, an der der Bürge selbst beteiligt ist, so kommt eine solche Indizwirkung jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es sich um eine maßgebliche Beteiligung handelt. Vielmehr steht für denjenigen, der sich für die Schulden "seiner" Gesellschaft verbürgt, das eigene wirtschaftliche Interesse im Vordergrund; er nimmt deshalb in aller Regel kein unzumutbares Risiko auf sich. Die gängige Bankpraxis, bei der Gewährung von Geschäftskrediten für eine GmbH die Mithaftung der Gesellschafter zu verlangen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Übernahme der Bürgschaft durch einen Gesellschafter verstößt nur in Ausnahmefällen und unter ganz besonderen Umständen - die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führen - gegen die guten Sitten (BGH, WM 1997, 511). Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Gläubiger die Geschäftsunerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt (vgl. BGHZ 125, 206; 128, 230; BGH, WM 1996, 53; 1124; 2194; 1997, 511).

Derartige Belastungen ergeben sich vorliegend aus dem Beklagenvortrag nicht. Der Beklagte hat als geschäftserfahrener Geschäftsführer der Hauptschuldnerin eine Bürgschaft übernommen ohne sich in einer Zwangslage befunden zu haben. Der Vortrag in der Beschwerdebegründung kann das für eine Sittenwidrigkeit erforderliche Ungleichgewicht zwischen den Parteien nicht begründen.

II.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 127 Rn. 39).

III.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nicht.

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