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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 08.06.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 128/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 45 Abs. 1
StPO § 45 Abs. 1 Satz 1
StPO § 313 Abs. 2
StPO § 314 Abs. 1
StPO § 319 Abs. 1
StPO § 322
StPO § 322 Abs. 1
StPO § 322 Abs. 2
StPO § 358
StPO § 473 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

1 Ws 128/09

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Körperverletzung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kruse, den Richter am Oberlandesgericht Hansen sowie den Richter am Amtsgericht Horstmann

auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 14.04.2009 - 14 Ns 41/09 -, durch den sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Doberan vom 23.03.2009 - 7 Ds 253/08 - als unzulässig verworfen worden ist, zu Ziffer 1 auf Antrag und im Übrigen nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 08. Juni 2009 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Doberan vom 23.03.2009 - 7 Ds 253/08 - wird als unzulässig verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten beider Rechtsmittel.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad Doberan vom 23.03.2009 wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verwarnt. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe i.H.v. 15 Tagessätzen zu je 25,00 EUR blieb vorbehalten. Das Urteil wurde in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin verkündet. Rechtsmittelbelehrung (Annahmeberufung) wurde ordnungsgemäß erteilt.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 31.03.2009, eingegangen beim Amtsgericht Bad Doberan am selben Tag, beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist. Den Angeklagten treffe kein Verschulden, vielmehr sei die Frist "aufgrund eines Büroversehens" durch "mein Büro versäumt worden". Zugleich wurde Berufung gegen das vorbezeichnete Urteil eingelegt und deren Annahme nach § 313 Abs. 2 StPO beantragt.

Das Landgericht Rostock verwarf den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 14.04.2009 als unzulässig und führte zur Begründung u.a. aus, der knappe Vortrag der Verteidigerin enthalte keine Tatsachen (§ 45 Abs. 2 StPO), denen entnommen werden könne, dass den Angeklagten an der Fristsäumnis kein eigenes Verschulden treffe. So fehle es an der Darlegung, dass er seinerseits das Erforderliche zur Einhaltung der Frist getan, insbesondere den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels so rechtzeitig erteilt habe, dass er mit der fristgerechten Umsetzung durch seine Verteidigerin rechnen und sich darauf verlassen durfte.

Gegen diesen der Verteidigerin am 20.04.2009 förmlich zugestellten Beschluss legte diese namens und im Auftrag ihres Mandanten mit Schriftsatz vom 27.04.2009, eingegangen beim Landgericht Rostock am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte sie aus, es werde "nochmals mitgeteilt, dass dieser (der Angeklagte) noch am 23.03.2009 die Unterzeichnerin beauftragt (habe), gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Bad Doberan vorzugehen. Dies war bereits mit Schriftsatz vom 31.03.2009 mitgeteilt worden". Da der Angeklagte sie somit bereits vor Ablauf der Frist mit der Berufungseinlegung beauftragt habe, könne ihm ein Versäumnis "der Unterzeichnerin" nicht zur Last gelegt werden. Auch sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen, die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zu beobachten. Weiter heißt es in der Beschwerdebegründung:

"Die Nichtnotierung der Frist ist ein Verschulden der Verteidigerin selbst gewesen. ... Zur Klarstellung wird nochmals mitgeteilt, dass die Notierung der Frist durch ein Organisationsverschulden der Anwältin nicht erfolgt ist. ... Der Schriftsatz vom 31.03.2009 war, sofern dies nicht klar erkennbar war, die Information darüber, dass die Fristversäumung ausschließlich bei der Verteidigerin zu sehen ist. ... Eine Glaubhaftmachung durch Mitarbeiter des Büros war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da die Mitarbeiter des Büros diese Beauftragung der Rechtsmitteleinlegung nicht mitbekommen haben. Diese ist bereits im Anschluss an die Urteilsverkündung am 23.03.2009 noch beim Gericht gegenüber der Verteidigerin erfolgt. Die Glaubhaftmachung war insoweit dadurch gegeben, dass die Verteidigerin durch Unterschrift unter den Schriftsatz, und dies hatte sie auch im Schriftsatz entsprechend mitgeteilt, den Vortrag bestätigt. Entsprechend erfolgte auch eine anwaltliche Versicherung durch die Unterzeichnerin im Schriftsatz vom 31.02.2009."

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 31.03.2009 nicht den Zulässigkeitserfordernissen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt. Dieser muss nicht nur Angaben über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund, sondern auch über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten, auch wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht. Diese Angaben sind Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie müssen deshalb innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gemacht werden müssen und können später nur noch ergänzt und verdeutlich werden. Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Rechtsmittelführers ausschließt (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 45 Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es hier.

a)

Der alleinige Hinweis auf ein nicht näher konkretisiertes "Versehen durch mein Büro" bzw. "des anwaltlichen Büros" als Grund der Säumnis genügt nicht. So fehlt es bereits an jeglicher Mitteilung darüber, dass und wann der Angeklagte den Auftrag zur Einlegung der Berufung erteilt hat, was daraufhin von der Verteidigerin veranlasst worden ist, oder eben auch nicht, und wie es zur Versäumung der Berufungseinlegungsfrist gekommen ist, insbesondere - sofern es sich um ein Kanzleiversehen handelte - wie dies im Einzelnen passiert ist und welche Vorkehrungen organisatorischer Art getroffen worden waren, um ein solches zu vermeiden. Es wurden damit keinerlei Umstände dargelegt, aus denen auf einen ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb geschlossen werden kann, auf den der Angeklagte und die von ihm beauftragte Verteidigerin vertrauen durften (vgl. Senatsbeschluss vom 19.07.2004 - 2 Ss [OWi] 311/04 I 192/04; Meyer-Goßner a.a.O. § 44 Rdz. 20 m.w.N.).

b)

Erstmals mit der sofortigen Beschwerde und somit nach Ablauf der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO wird vorgetragen, der Angeklagte habe die Verteidigerin bereits am 23.03.2009 damit beauftragt, gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Bad Doberan vorzugehen. Dies sei durch ein Verschulden der Verteidigerin selbst unterblieben, die die entsprechende Frist nicht notiert habe, weshalb "die Mitarbeiter des Büros diese Beauftragung der Rechtsmitteleinlegung nicht mitbekommen haben".

Dabei handelte sich um keine bloße Ergänzung oder Verdeutlichung des bisherigen Wiederaufnahmevorbringens. Vielmehr wurde erstmals mit der sofortigen Beschwerde substantiiert zu den Gründen der Säumnis vorgetragen. Diese Darstellung steht dabei in signifikantem Widerspruch zum rudimentären Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag vom 31.03.2009, in dem ausdrücklich auf die Schuld "des anwaltlichen Büros", auf ein "Organisationsverschulden", abgehoben wurde, während nun "ein Verschulden der Verteidigerin selbst" vorgelegen habe.

2.

Weil der Wiedereinsetzungsantrag der verfristeten Berufung nicht zum Erfolg verhelfen kann, war auch diese durch den Senat als unzulässig zu verwerfen.

a)

Zwar liegt die originäre Verwerfungskompetenz bei verspätetet angebrachten Berufungen nach § 319 Abs. 1 StPO beim Amtsgericht. Jedoch hätte schon das Landgericht nach der ablehnenden Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag anstelle des Amtsgerichts die Berufung als unzulässig verwerfen können (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 319 Rn 1a; LR-Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 319 Rn. 22). In derartigen Fällen steht der Gedanke der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung deutlich im Vordergrund. Nach der Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist kommt eine andere Entscheidung als die Verwerfung der Berufung als unzulässig inhaltlich nicht mehr in Betracht. Dem Gebot der Vereinfachung und Beschleunigung würde nicht entsprochen, wollte man nur zur nachträglichen Wahrung der Kompetenz aus § 319 Abs. 1 StPO die Sache an das Amtsgericht zurückgeben, damit dieses eine inhaltlich bereits feststehende Entscheidung trifft (OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.01.1990 - 6 Ws 255/89 - zitiert nach juris m.w.N.).

b)

Für die gewählte Verfahrensweise spricht außerdem, dass die Prüfung der Rechtzeitigkeit und damit der Zulässigkeit der Berufung bereits in die Entscheidung über die Wiedereinsetzung mit eingeflossen ist. Denn über den Wiedereinsetzungsantrag konnte das Landgericht nur entscheiden, nachdem es die Wahrung der Frist des § 314 Abs. 1 StPO geprüft und verneint hatte. Andernfalls wäre der Wiedereinsetzungsantrag gegenstandslos gewesen (vgl. BGHSt 11, 152; OLG Stuttgart a.a.O.).

c)

Aus den selben Erwägungen hält der Senat nun eine Rücksendung der Akten an das Landgericht zur Nachholung der unterlassenen Entscheidung über die Berufung nicht für geboten.

Zwar sieht § 322 Abs. 1 StPO vor, dass - sofern nicht bereits durch das Amtsgericht geschehen - das Landgericht neben der Wiedereinsetzung zugleich über die Zulässigkeit der Berufung entscheiden kann. Allerdings hätte auch das Landgericht mit rechtskräftiger Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung keine andere Möglichkeit, als die Berufung als verspätet zu verwerfen.

Wenn auch die Ablehnung der Wiedereinsetzung keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet, die vergleichbar mit § 358 StPO wäre, da diese Vorschrift weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar ist, vermag die auf dieses Argument gestützte Ansicht des Thüringer Oberlandesgerichts (Beschluss vom 26.10.2004 - 1 Ws 320/04 - zitiert nach juris), die Oberlandesgerichte seien - auch in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage - zur Berufungsverwerfung nicht befugt, nicht zu überzeugen.

Auch wenn keine rechtliche Bindungswirkung eintritt, kann doch ausgeschlossen werden, dass entweder das Amtsgericht oder das Landgericht nach bereits festgestellter Verfristung der Berufung im Zuge des Wiedereinsetzungsverfahrens und erfolgter abschließender Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags durch das Oberlandesgericht (ebenfalls nach Prüfung der Verfristung des Rechtsmittels) nunmehr zu der Erkenntnis gelangen könnten, die Berufung sei - anders als im Verfahren bereits mehrfach festgestellt - dennoch rechtzeitig eingelegt worden.

d)

Schließlich spricht auch § 322 StPO für die durch den Senat vertretene Auffassung. Ohne die angenommene Verwerfungskompetenz wären die Oberlandesgerichte auf sofortige Beschwerde gemäß § 322 Abs. 2 StPO nach Abschluss des Wiedereinsetzungsverfahrens zweimal zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung aufgerufen, nämlich bei der Vorfrage auf sofortige Beschwerde (§ 46 Abs. 3 StPO) gegen die versagte Wiedereinsetzung, danach auf sofortige Beschwerde gemäß § 322 Abs. 2 StPO bei der Nachprüfung des Verwerfungsbeschlusses gemäß § 322 Abs. 1 StPO. Eine solche rein formale Verfahrensweise liefe dem Gebot der Verfahrensvereinfachung und Prozessvereinfachung völlig zuwider (OLG Stuttgart a.a.O.).

Der Senat sieht sich deshalb als befugt an, auch die Berufung wegen Versäumnis der Einlegungsfrist als unzulässig zu verwerfen, nachdem er zuvor abschließend und abschlägig über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden hatte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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