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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 29.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 60/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 216 Abs. 1
StPO § 216 Abs. 1 Satz 1
StPO § 230 Abs. 2
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 323 Abs. 1
StPO § 332
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

1 Ws 60/08

In der Strafsache

wegen Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock auf die Beschwerde des Angeklagten vom 25.01.2008 gegen den Haftbefehl der 4. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Rostock vom 02.10.2007 -14 Ns 183/06- nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 29. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten, der litauischer Staatsangehöriger ist und in der Republik Litauen lebt, unerlaubte Einfuhr und unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln zur Last. Er soll am 05.05.2006 als Passagier eines Reisebusses in Frankfurt/Oder insgesamt 3451 g Amphetamin, das in vier einzelnen Tüten in einer Winterjacke eingenäht war, in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht haben, um es über den Rostocker Überseehafen auf einer Fähre nach Schweden zum dortigen gewinnbringenden Weiterverkauf zu transportieren.

Von diesem Vorwurf ist der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 19.06.2006 - 21 Ls 279/06 - aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Eine erstmals auf den 19.03.2007 anberaumte Berufungsverhandlung konnte nicht durchgeführt werden, weil der Angeklagte trotz einer ordnungsgemäßen Ladung unentschuldigt nicht erschienen war. Zu der anschließend auf den 02.10.2007 bestimmten erneuten Berufungsverhandlung wurde der Angeklagte durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein geladen. In dieser Ladung, die der Angeklagte - soweit ersichtlich auch in litauischer Sprache - erhalten hat, wurde er gemäß § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO auf die Folgen eines erneuten Ausbleibens hingewiesen. In dem Ladungsschreiben vom 27.07.2007 heißt es: "Wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann über die Berufung des Staatsanwaltes in Ihrer Abwesenheit verhandelt werden. Sie können sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Auch wenn Sie durch einen Verteidiger vertreten werden, kann Ihre Verhaftung in Deutschland angeordnet werden". Gleichwohl erschien der Angeklagte auch in dieser Hauptverhandlung unentschuldigt nicht.

Daraufhin erließ die Berufungskammer auf einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft unter dem 02.10.2007 gem. § 230 Abs. 2 StPO i.V.m. § 332 StPO einen Sicherungshaftbefehl, gegen den der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25.01.2008 Beschwerde eingelegt hat. Der Vorsitzende der Berufungskammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Haftbefehl hat Bestand.

1.

Ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO setzt voraus, dass der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung ferngeblieben ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

2.

Die Ladung, die entsprechend der Vorgabe des § 216 Abs. 1 StPO mit der darin vorgesehenen Warnung erfolgt ist, ist wirksam und dementsprechend eine geeignete Grundlage für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO.

a)

Soweit einige Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt/Main, NStZ-RR 1999, 18ff [Beschluss vom 21. Januar 1998 - 1 Ws 189/97 - ]; ihm folgend OLG Köln NStZ-RR 2006, 22ff [Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 2 Ws 488/05 - ] und OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2007 - 1 Ws 92/07 -, zitiert nach juris; a.A. offenbar OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.02.2005 - 1 Ws 73/05 -, zitiert nach juris ) die Auffassung vertreten, die Ladung eines dauernd im Ausland lebenden Angeklagten dürfe nicht die in § 216 Abs. 1 StPO vorgeschriebene Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens enthalten und eine gleichwohl ausgesprochene Warnung mache die Ladung unwirksam mit der Folge, dass bei unentschuldigtem Ausbleiben in der Hauptverhandlung kein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ergehen dürfe, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Sie kann sich weder auf gesetzliche Vorschriften noch auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts stützen. Zudem ist diese Auffassung durch die inzwischen erfolgte Rechtsentwicklung in Europa überholt und insbesondere mit den Grundgedanken des Schengener Übereinkommens vom 19.06.1990 nicht zu vereinbaren, das eine Vielzahl von Einschränkungen der Hoheitsrechte der Vertragsstaaten insbesondere auf dem Gebiet der Strafverfolgung vorsieht.

b)

Der Wirksamkeit einer gemäß § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO ausgesprochenen Ladung steht schon nicht die in Nr. 116 Abs.1 RiVASt enthaltene Regelung entgegen, nach der in im Ausland zuzustellenden Ladungen keine Zwangsmaßnahmen, auch nicht die Festsetzung von Ordnungsmitteln für den Fall des Ausbleibens, angedroht werden dürfen.

aa)

Dabei kann offen bleiben, ob ein Verstoß gegen Bestimmungen der RiVASt die Unwirksamkeit einer Ladung und damit auch die Gesetzeswidrigkeit eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO zur Folge haben kann. Hierbei handelt es sich lediglich um allgemeine Richtlinien ohne Gesetzeskraft (Nr. 1 Abs. 1 RiVASt), die zudem auf den Regelfall abgestellt sind und von denen deshalb in besonderen Fällen abgewichen werden kann (Nr. 1 Abs. 2 RiVASt).

bb)

Denn die nach § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeschriebene Warnung ist keine Androhung von Zwangsmaßnahmen im Sinne von Nr. 116 Abs. 1 RiVASt. Sie verstößt insbesondere auch nicht gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG). Dies wird in der in Nr. 78 Abs. 7 RiVASt für eingehende Rechtshilfeersuchen getroffenen Regelung sichtbar, nach der Zwangsmaßnahmen, die in einem im Inland zuzustellenden ausländischen Schriftstück angedroht werden, in Deutschland nicht vollstreckt werden dürfen und der Zustellungsempfänger hierauf ausdrücklich hingewiesen werden muss. Eine derartige Regelung wäre entbehrlich, wenn bereits die Androhung der Zwangsmaßnahme als solche den allgemeinen Regeln des Völkerrechts entgegenstehen würde und das ausländische Rechtshilfeersuchen deshalb zurückgewiesen werden müsste. Eine gegen Nr. 116 Abs. 1 RiVASt und damit auch gegen die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts verstoßende Androhung von Zwangsmitteln ist demnach nur dann gegeben, wenn in der Ladung für den Fall des Ausbleibens die Vollstreckung von Zwangsmitteln in dem jeweils anderen Land angedroht wird. Nur in einem solchen Fall liegt bereits in der Androhung von Zwangsmitteln die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf fremdem Staatsgebiet und damit ein unzulässiger Eingriff in die Souveränität eines fremden Staates.

Hieraus folgt, dass völkerrechtswidrig angedrohte Zwangsmittel allenfalls solche sind, die nach dem Verständnis des Zustellungsempfängers auch im Zustellungsland (Ausland) vollstreckt werden sollen.

cc)

So verhält es sich im vorliegenden Fall gerade nicht. Das dem angefochtenen Haftbefehl zugrunde liegende Ladungsschreiben enthält lediglich den Hinweis, dass dem Angeklagten bei einem erneuten Ausbleiben seine Verhaftung in Deutschland droht. Dementsprechend handelt es sich bei der nach § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeschriebenen Warnung vor der drohenden Verhaftung in Deutschland in der Sache nicht um eine völkerrechtswidrige Androhung eines Zwangsmittels, sondern um die gesetzlich vorgeschriebene Darstellung der deutschen Rechtslage zum Schutz des im Ausland befindlichen Ladungsempfängers (ebenso Schomburg/Lagodny/Gleß/Hacker, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., vor § 68 IRG Rdz. 30). c)

Bei dieser Auslegung sieht sich der Senat durch die Regelungen des Übereinkommens vom 19.06.1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen aus dem Jahre 1985 (SDÜ) bestätigt, dem die Republik Litauen zum 01.05.2004 beigetreten ist.

Dieses Übereinkommen enthält in Art. 52 Abs. 1, der als Zustellungsadressaten auch den Beschuldigten im Strafverfahren erfasst, keine Beschränkungen zum Inhalt der unmittelbar durch die Post zu übersendenden gerichtlichen Urkunden (Ladungen). Zu Zwangsandrohungen verhält sich allein Art. 52 Abs. 3 SDÜ. Danach dürfen Zeugen und Sachverständige, die in einem anderen Vertragsstaat auf postalischem Wege vorgeladen werden und der Vorladung nicht Folge leisten, im Zustellungsland selbst dann nicht bestraft oder einer Zwangsmaßnahme unterworfen werden, wenn die Vorladung Zwangsandrohungen enthält. Satz 2 gibt der zustellenden Behörde auf, darauf zu achten, dass Vorladungen keine Zwangsandrohungen enthalten. Eine generelle Unwirksamkeit der gleichwohl mit Zwangsandrohungen versehenen Vorladung ergibt sich daraus indes nicht, zumal sich aus Art. 52 Abs. 3 2. Halbsatz SDÜ ergibt, dass selbst Zeugen und Sachverständige der angedrohten Zwangsmaßnahme im ersuchenden Staat unterworfen werden dürfen, wenn sie sich später freiwillig in dessen Hoheitsgebiet begeben.

Umso mehr muss dies für den Beschuldigten eines Strafverfahrens gelten, für dessen Ladung das Übereinkommen - wie ausgeführt - keine Beschränkungen vorsieht. Vielmehr verweist die Liste zu Art. 52 Abs. 1 SDÜ, welche diejenigen gerichtlichen Urkunden erhält, die unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, unter H 3. ohne jede Einschränkung auf §§ 323 Abs. 1, 216 Abs. 1 StPO (Ladungen der Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung). Hätten die Vertragsstaaten die dort vorgesehene Warnung nach § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO ausschließen wollen, wäre dies zur Überzeugung des Senates ausdrücklich geschehen. Ein Vorbehalt anderer Vertragsstaaten, insbesondere der Republik Litauen, ist nicht ersichtlich. d)

Schutzwürdige Belange des Angeklagten, insbesondere die Grundsätze des fairen Verfahrens, sind nicht berührt; das Gegenteil ist der Fall. Ihm drohen - wie der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 29.01.2008 zutreffend ausführt, keine Verhaftung oder sonstige Zwangsmaßnahmen in seinem Heimatland. Zudem begründet die Warnung nach § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO als solche keine Belastung des Angeklagten. Sie unterrichtet ihn - wie oben dargelegt - über das deutsche Strafprozessrecht und dient seinem Schutz, um ihn vor einer überraschenden Verhaftung in Deutschland zu bewahren. Auch ist dieser Weg - wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - gegenüber einem Untersuchungshaftbefehl nach § 112 StPO das mildere Mittel, zugleich aber auch im Interesse einer geordneten Strafrechtspflege zur Durchführung des Berufungsverfahrens geboten.

Ende der Entscheidung

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