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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 07.11.2005
Aktenzeichen: 10 WF 69/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1564
BGB § 1565 I
BGB § 1565 II
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 10 WF 69/05

Beschluss

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch den Richter am Oberlandesgericht - als Einzelrichter - am 07.11.2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Hagenow Familiengericht vom 16.12.2004, Az. 3 F 228/04, aufgehoben. Der Antragstellerin wird unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt , Ludwigslust, zur Durchführung des Scheidungsverfahrens ratenfreie Prozeßkostenhilfe gewährt.

Gründe:

Die am 25.01.2005 eingelegte sofortige Beschwerde gegen den am 28.12.2004 zugestellten Beschluss ist zulässig und begründet. Das Familiengericht hat der Antragstellerin zu Unrecht die beantragte Prozesskostenhilfe verweigert. Dem beabsichtigten Scheidungsantrag kann nicht von vornherein die Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden.

1. Zunächst hätte das Familiengericht aufklären müssen, ob algerisches oder deutsches Recht zur Anwendung kommt. Zwar sind die Parteien beide algerische Staatsangehörige, was gemäß Art. 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB zur Anwendung algerischen Rechts führen würde. Völlig ungeklärt ist aber, auf welcher rechtlichen Grundlage der Aufenthalt der Parteien in Deutschland beruht. Sollte es sich bei den Parteien um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder um anerkannte Asylberechtigte handeln, so besäßen sie deutsches Personalstatut (Art. 12 Abs. 1 Genfer FlüchtKonv, § 2 Abs. 2 AsylVG) mit der Folge, daß gemäß Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung käme.

2. Sollte algerisches Recht Scheidungsstatut und die Scheidung danach nicht zulässig sein, so käme ebenfalls deutsches Scheidungsrecht zum Zuge, weil dieses Ergebnis gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 II GG) und damit gegen den deutschen ordre public verstoßen würde, Art. 6 EGBGB. Während nämlich der Ehemann gemäß Art. 48 S. 2 des algerischen Familiengesetzbuchs vom 9.6.1984 (in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Algerien, Stand: 31.8.1991, S. 17 ff.) durch einfache Willenserklärung (sog. talaq) die Scheidung herbeiführen kann, ist der Scheidungsantrag der Ehefrau nur unter den in Art. 53 alger. FGB genannten engen Voraussetzungen zulässig. Ist danach die Scheidung nicht zulässig, so greift Art. 6 EGBGB ein und es gilt ersatzweise deutsches Recht (vgl. MünchKomm/Winkler v. Mohrenfels, 3. Aufl. 1998, Art. 17 EGBGB RdNr. 124b m.w.N.).

3. Nach deutschem Recht ist die Scheidung zulässig, wenn die Ehe gescheitert ist, § 1564 BGB, und die Ehegatten seit mindestens 1 Jahr getrennt leben, § 1565 II BGB. Die Dreijahresfrist des § 1566 II BGB begründet eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe, das Scheitern kann aber auch vorher festgestellt werden. Eine Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen, § 1565 I BGB. Es reicht aus, wenn ein Ehegatte die Gemeinschaft nicht wiederherstellen will (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 64. Aufl. 2005, § 1565 BGB RdNr. 3) und die Gründe hierfür plausibel sind. Die von der Antragstellerin behaupteten Gewalttätigkeiten des Antragsgegners, wie sie insbesondere im Verfahren über die Folgesache Sorgerecht eindringlich geschildert sind, sind durchaus geeignet, ihren Willen, nicht zu ihrem Ehemann zurückzukehren, plausibel zu begründen. Ob das in Algerien anders gewertet wird (was sehr unwahrscheinlich ist, denn gemäß Art. 4 S. 2 alger. FGB beruht die Ehe auf Zuneigung, Sanftmut und gegenseitigem Beistand, womit sich Gewalttätigkeiten schwerlich vereinbaren lassen), ist völlig unerheblich.

Eine Kostenentscheidung war gemäß § 127 IV ZPO nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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