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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 17 Verg 8/06
Rechtsgebiete: GWB, VwGO


Vorschriften:

GWB § 128 Abs. 3
VwGO § 115 Abs. 4
1. Die Überschreitung des Schwellenwerts ist als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Nachprüfungsvefahrens jederzeit von Amts wegen zu prüfen.

2. Bei einer einheitlichen baulichen Anlage sind zur Ermittlung der geschätzten Gesamtvergütung alle Aufträge zusammenzurechnen, die für die vollständige Herstellung erteilt werden müssen. Erforderlich ist ein funktionaler Zusammenhang der Einzelaufträge in technischer, wirtschaftlicher und zeitlicher Hinsicht.

3. Zeigt sich das Nichterreichen des Schwellenwerts mangels Dokumentation im Vergabevermerk erst im - deshalb unzulässigen - Nachprüfungsverfahren, kommt nach § 128 Abs. 3 GWB i. V. m. § 115 Abs. 4 VwGO analog eine Kostentragungspflicht der Vergabestelle in Betracht.


Oberlandesgericht Rostock Beschluss

17 Verg 8/06 17 Verg 9/06

Verkündet am: 20.09.2006

In der Vergabesache

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 13.09.2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer beim dem Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 16.05.2006 - Az.: 1 VK 8/06 - teilweise geändert und zu Ziffer 2. wie folgt gefasst:

2. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt der Antragsgegner.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin hat der Antragsgegner zu tragen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner schrieb im November 2005 europaweit im offenen Verfahren Bauleistungen zur 'Erweiterung der Kläranlage Hagenow infolge Kapazitätserhöhungen der angeschlossenen Industrieeinleiter, 7. Bauabschnitt, 1. Ausbaustufe "Anaerobe Vorreinigung für 6.000 kg CSB/d' in zwei Losen aus. Los 1 erfasste die Bautechnik, Los 2 die Maschinen- und Elektrotechnik. Als Zuschlagskriterien waren genannt: Preis, Qualität, Konstruktion, Wartung, Ausführungsfrist, Funktionalität und Betriebskosten.

Binnen der Submissionsfrist gab die Antragstellerin - neben den Beigeladenen - ein Angebot für Los 2 zu einem Preis von € 1.971.947,87 einschließlich Umsatzsteuer sowie 14 Nebenangebote ab.

Mit Schreiben vom 31.01.2006 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, sie habe nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben; der Zuschlag werde ihr daher nicht erteilt. Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 06.02.2006, die Information des Antragsgegners werde den Anforderungen nach § 13 VgV nicht gerecht, sowie eine unzureichende Bewertung ihres Angebots, das erhebliche Funktionalitäts- und Konstruktionsvorteile biete. Weitere Informationen erteilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 10.02.2006. Der Zuschlag sollte an die Beigeladene zu 1) erteilt werden.

Die Antragstellerin ist in dem mit Schriftsatz vom 13.02.2006 eingeleiteten Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer der Ansicht gewesen, dass Nachprüfungsverfahren sei zulässig. Insbesondere übersteige der Wert des Bauauftrages nach ihren Informationen den Schwellenwert gemäß § 2 Nr. 4 VgV von 5 Mio €.

Das Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB sei verletzt, weil die Mitteilung des Antragsgegners nicht den Mindestanforderungen des § 13 Abs. 1 VgV genüge. Dem Schreiben vom 31.01.2006 sei weder der Name des erfolgreichen Bieters zu entnehmen noch der Grund, aus dem ihr Angebot nicht berücksichtigt werden solle.

Darüber hinaus sei sie in ihrem Gleichbehandlungsrecht aus § 97 Abs. 2 GWB i.V.m. § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A verletzt. Eine Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der in den Verdingungsunterlagen genannten Kriterien (Preis, Qualität, Konstruktion, Wartung, Ausführungsfrist, Funktionalität und Betriebskosten) habe nicht stattgefunden. Es sei insgesamt ein Ermessensausfall festzustellen, der die Wertungsentscheidung maßgeblich beeinflusst habe.

Die Eignung der Beigeladenen zu 1) sei nicht hinreichend geprüft worden. Andernfalls hätte sie mangels Eignung ausgeschlossen werden müssen. Die Beigeladene zu 1) habe keine Erfahrungen mit Vorreinigungsanlagen der vorliegenden Größenordnung. Insbesondere stelle sie das Kernstück der Anlage - den Anaerobreaktor - weder selbst her noch betreibe sie ihn selbst. Ferner sei das Angebot der Beigeladenen zu 1) unvollständig und daher gemäß §§ 25 Nr. 1, 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A auszuschließen. Sie habe in mindestens drei Positionen einen Preis von € 0,00 angeboten, ohne dies aufzuklären.

Ein Vergabevermerk gemäß § 30 VOB/A fehle; es sei nicht zu erkennen, welches satzungsmäßige Organ des Antragsgegners die Vergabeentscheidung getroffen habe. Das Schreiben des Ingenieurbüros vom 25.01.2006 enthalte lediglich eine Vergabeempfehlung; der gesamte Verfahrensablauf sei unzureichend dokumentiert.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass sie in ihren Rechten in dem Verfahren zur Vergabe des Auftrages für die Erweiterung der Kläranlage Hagenow infolge Kapazitätserhöhungen der angeschlossenen Industrieeinleiter, 7. Bauabschnitt, 1. Ausbaustufe "Anaerobe Vorreinigung für für 6.000 kg CSB/d", hier Los 2: Maschinen- und Elektrotechnik, Vergabe Nr. 502.387_3 verletzt ist;

2. die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.

sowie

3. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten durch die Antragstellerin notwendig war;

4. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

1. den Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, zurückzuweisen;

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegners aufzuerlegen.

3. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten des Antragsgegners notwendig war.

Der Antragsgegner ist der Auffassung gewesen, die Rüge der Antragstellerin sei nicht unverzüglich erfolgt. Im Übrigen stehe dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin entgegen, dass ihr Angebot hinsichtlich des Preises lediglich auf Platz 3 liege. Die Prüfung sämtlicher Vergabekriterien durch das beauftragte Ingenieurbüro habe ergeben, dass die übrigen Kriterien von allen Bietern gleichermaßen gut erfüllt seien. Daher müsse der Preis den Ausschlag geben.

Nachdem der Antragsgegner ursprünglich ausdrücklich von einem Überschreiten des Schwellenwerts von 5 Mio € ausgegangen war, hat er dies schließlich in Abrede genommen. Die maßgebliche Kostenschätzung habe im Jahr 2002 für die "Anaerobe Vorreinigung" zunächst € 3.350.000,- netto veranschlagt. Bei einer angenommenen Preissteigerung von 9% sei für das Jahr 2005 ein Aufwand von € 3.651.500,- netto geschätzt worden. Mit weiterer Planungstiefe habe sich indes letztlich ein geschätztes Bauvolumen für die "Anaerobe Vorreinigung" von € 2.901.430,- ergeben. Die Erweiterung der anaeroben Vorreinigung sei ein technisch und wirtschaftlich abgeschlossenes Projekt, das in keinem technischen, zeitlichen oder logistischen Zusammenhang mit anderen Maßnahmen stehe.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungantrag mit Beschluss vom 16.05.2006 auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Antrag sei mangels Überschreiten des Schwellenwerts unzulässig.

Es sei zwar nach den Ermittlungen der Vergabekammer nicht klar geworden, ob der Ausschreibungsgegenstand "Anaerobe Vorreinigung" einen selbstständig zu beurteilenden Auftrag oder einen Teilauftrag der Gesamterweiterung darstelle. Selbst wenn aber die geschätzten Auftragswerte aller Maßnahmen, die zur Aufrüstung der Kläranlage wegen der Kapazitätserhöhungen der Industrieeinleiter erforderlich seien, zusammen zu rechnen seien, werde der Schwellenwert von 5 Mio € nicht überschritten. Die Werte der im Fördermittelantrag des Antragsgegners zu diesem Zweck genannten Maßnahmen erreichten insgesamt lediglich einen Wert von € 4.893.188,- (Schlammbehandlung € 596.918,-, anaerobe Vorreinigung € 3.350.000,-, Schlammtrocknung € 946.270,-).

Gegen den Beschluss der Vergabekammer zu Ziffer 1. und 2. wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Sie ist der Ansicht, im Verfahren vor der Vergabekammer sei ihr Akteneinsichtsrecht nach § 111 Abs. 1 GWB verletzt worden, weil ihr trotz entsprechender Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2006 die im Hinblick auf den Schwellenwert ergänzend beigezogenen Informationen und Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt worden seien. Nach Akteneinsicht könne sie darlegen und beweisen, dass der Schwellenwert von 5 Mio € überschritten und das Nachprüfungsverfahren daher zulässig sei.

Sie sei in ihren Rechten verletzt, weil das Angebot der Beigeladenen zu 1) mangels Eignung des Bieters und wegen Unvollständigkeit des Angebots habe ausgeschlossen werden müssen. Eine Wertung der Angebote anhand der bekannt gemachten Zuschlagskriterien sei nicht erfolgt, so dass ein Ermessensausfall vorliege.

Hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages habe der Antragsgegner jedoch zumindest die Kosten des Vergabenachprüfungsverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Antragsgegner habe durch seine eigenen Erklärungen die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer veranlasst. Er habe in der Ausschreibung die Vergabekammer als zuständige Nachprüfungsstelle angegeben. Außerdem habe der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 21.02.2006 zunächst selbst vorgetragen, der Schwellenwert sei erreicht. Das Überschreiten des Schwellenwerts habe er vielmehr erst in der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2006 in Abrede genommen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 1. Vergabekammer des Vergabekollegiums bei dem Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern, Az. 1 VK 8/06, vom 16.05.2006 in dem Beschlusstenor Ziff. 1. und 2. aufzuheben;

2. festzustellen, dass sie in ihren Rechten in dem Verfahren zur Vergabe des Auftrages für die Erweiterung der Kläranlage Hagenow infolge Kapazitätserhöhungen der angeschlossenen Industrieeinleiter, 7. Bauabschnitt, 1. Ausbaustufe "Anaerobe Vorreinigung für für 6.000 kg CSB/d", hier Los 2: Maschinen- und Elektrotechnik, Vergabe Nr. 502.387_3 verletzt ist;

3. die Vergabestelle zu verpflichten, die Angebote zur Vergabe des Auftrages für die Erweiterung der Kläranlage Hagenow infolge Kapazitätserhöhungen der angeschlossenen Industrieeinleiter, 7. Bauabschnitt, 1. Ausbaustufe "Anaerobe Vorreinigung für für 6.000 kg CSB/d", hier Los 2: Maschinen- und Elektrotechnik, Vergabe Nr. 502.387_3 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts erneut zu bewerten;

4. die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;

hilfsweise zu Ziffer 1. bis 4.,

5. dem Antragsgegner die Kosten des Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer aufzuerlegen.

Der Antragsgegner beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verteidigt den Beschluss der Vergabekammer soweit er von der Antragstellerin angefochten wird und nimmt Bezug auf sein Vorbringen vor der Vergabekammer.

Der Vergabenachprüfungsantrag sei offensichtlich unzulässig. Denn selbst bei einer - nicht gebotenen - Addition sämtlicher Auftragswerte aus dem Fördermittelantrag werde der Schwellenwert nicht erreicht. Eine absichtliche Fehleinschätzung scheide angesichts der Unterschreitung des angenommenen Auftragswerts durch das Submissionsergebnis aus. Ferner habe er - der Antragsgegner - sogar europaweit ausgeschrieben. Der Schwellenwert sei in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden.

a) Die Vergabekammer hat innerhalb der bis zum 19.05.2006 verlängerten Frist die angefochtene Entscheidung getroffen. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin geht aus den Akten der Vergabekammer hervor, dass zu diesem Zeitpunkt der Beschluss, von allen Mitgliedern der Vergabekammer unterzeichnet, der Geschäftsstelle vorlag.

b) Es kann im vorliegenden Verfahren dahin stehen, ob die Beschwerdefrist der Antragstellerin am 19.05.2006 mit der Übersendung des angefochtenen Beschlusses per Telefax begann. Denn die zweiwöchige Beschwerdefrist ist jedenfalls mit Eingang der Beschwerde am 31.07.2006 gewahrt.

Allerdings ist ihren Verfahrensbevollmächtigten der angefochtene Beschluss entgegen §§ 114 Abs. 3 S. 3, 61 Abs. 1 S. 1 GWB, 5 VwZG nicht gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Insoweit kommt jedoch eine Heilung gemäß § 8 VwZG in Betracht, weil den Verfahrensbevollmächtigen der Beschluss tatsächlich am 19.05.2006 zugegangen ist.

2. Die Beschwerde hat indes mit ihrem Hauptantrag keinen Erfolg, da der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unzulässig ist.

Der nach §§ 100 Abs. 1 GWB, 2 Nr. 4 VgV erforderliche Schwellenwert von 5 Mio € ist nicht erreicht. Eine Überprüfung des Vergabeverfahrens nach §§ 102 ff. GWB ist nicht eröffnet.

a) Es kommt dabei nicht darauf an, dass der Antragsgegner zunächst selbst von einer Überschreitung des Schwellenwerts ausgegangen ist. Die Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer richtet sich allein nach dem geschätzten Auftragswert und ist jederzeit von Amts wegen zu prüfen. Sie unterliegt daher nicht der Dispositionsbefugnis der Vergabestelle.

b) Der Schwellenwert ist gemäß § 3 Abs. 1 VgV nach der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung zu bestimmen. Bei losweiser Auftragsvergabe ist der Wert aller Lose zu addieren, § 3 Abs. 5 VgV. Unberücksichtigt bleiben Mehrwertsteuer, Kosten des Grundstücks und Baunebenkosten. Maßgeblicher Zeitpunkt des geschätzten Auftragswertes ist der Tag, an dem die Bekanntmachung der beabsichtigten Auftrag abgesendet wurde, oder an dem das Vergabeverfahren sonst eingeleitet worden ist, § 3 Abs. 10 VgV.

Dieser Wert betrug im November 2005 höchstens € 4.266.326,-.

Ausweislich des im Fördermittelverfahren eingereichten Änderungsantrags vom 26.05.2006 hatte der Antragsgegner für das Teilobjekt 'Schlammbehandlung' Kosten in Höhe von € 614.826,- netto und für das Teilobjekt 'Anaerobe Vorreinigung' Kosten in Höhe von € 3.651.000,- netto geschätzt. Das weitere Teilobjekt 'Klärschlammtrocknung' ist bei der Ermittlung des Schwellenwertes nicht zu berücksichtigen.

aa) Das Vorhaben 'Anaerobe Vorreinigung' mit einem geschätzten Aufwand von € 3.651.000,- netto setzt sich aus drei Losen zusammen. Dazu zählen das Los 1 (Bautechnik) und das hier streitgegenständliche Los 2 (Maschinen- und Elektrotechnik), die gemeinsam im November 2005 ausgeschreiben worden sind. Das Los 3 ist - wie sich aus den Vergabeakten ergibt - zu einem anderen Zeitpunkt ausgeschrieben worden.

Offen bleiben kann im Ergebnis, ob der Auftragswert für die 'Anaerobe Vorreinigung' - wie vom Antragsgegner behauptet - vor Einleitung des Vergabeverfahrens wegen zunehmender Planungstiefe lediglich auf € 2.901.430,- geschätzt worden ist. Weil das Teilobjekt 'Klärschlammtrocknung' keine Berücksichtigung findet, ist eine Überschreitung des Schwellenwerts selbst dann nicht ersichtlich, wenn die Reduzierung der angenommenen Kosten erst nach der Ausschreibung erfolgt ist. Es kommt daher nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge Dommack, der als Mitarbeiter des beauftragten Ingenieurbüros für den Antragsgegner tätig war, zur hinreichenden Überzeugung des Senats bestätigen konnte, dass die Kostenübersicht gemäß Anlage 5 des Antragsgegners noch vor Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe erstellt worden ist.

bb) Eine künstliche - und damit gemäß § 3 Abs. 2 VgV unzulässige - Aufteilung der Gesamterweiterung der Kläranlage seit 1996 in mehrere Aufträge ist nicht ersichtlich.

Die Einteilung der Ausbauarbeiten in mehrere Bauabschnitte spricht nicht dafür, dass eine einzige Baumaßnahme in einzelne Aufträge aufgeteilt wird, die sich in Wirklichkeit als Lose darstellen.

Die vom Fördermittelantrag vom 25.02.2003 und dessen Änderung vom 26.05.2004 erfassten Teilobjekte sind jedenfalls nicht als Lose der Gesamterweiterung der Kläranlage seit 1996 anzusehen. Die über mehrere Jahre erfolgte schrittweise Erweiterung der Kläranlage ist nicht als ein einheitliches Bauwerk zu betrachten.

Gemäß § 99 Abs. 3 GWB und bei richtlinienkonformem Verständnis ist ein Bauwerk das Ergebnis der Gesamtheit von Tief- oder Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Maßgeblich ist, ob die Ergebnisse der jeweiligen Bauabschnitte unterschiedliche wirtschaftliche und technische Funktionen erfüllen bzw. erfüllten und damit unterschiedlichen Bauwerken dienen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.08.2002 - Verg W 4/02). Komplexe Bauvorhaben, die in verschiedenen Phasen realisiert werden, sind dann kein Gesamtbauwerk, wenn die unterschiedlichen baulichen Anlagen ohne Beeinträchtigung ihrer Vollständigkeit und Benutzbarkeit auch getrennt voneinander errichtet werden können. Etwas anderes kann indes gelten, wenn Maßnahmen, die in engen funktionalen Zusammenhang stehen auch in enger zeitlicher Reihenfolge ausgeschrieben werden (Weyand, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 676).

Nach diesen Voraussetzungen stellen die in getrennten Bauabschnitten verwirklichten Ausbaumaßnahmen jeweils einzelne Bauwerke dar. Die jährlich gestaffelten Ausbaumaßnahmen seit 1995 bilden wegen der jeweils an die veränderten Bedingungen anzupassenden Bedürfnisse kein einheitliches Bauwerk. Sämtliche Bauabschnitte dienten anderen Abwasserbehandlungsarten, sind für sich genommen technisch allein funktionsfähig und sinnvoll und weisen einen hinreichend engen zeitlichen Zusammenhang nicht auf.

Im Jahr 1995 wurde eine biologische Reinigungsstufe für 23.000 Einwohner errichtet. Fördermittel für einen Ausbau der mechanischen Reinigungsstufe wurden wegen erhöhten Abwasseraufkommens durch Industrieeinleiter im Jahr 1996 beantragt. Wegen weiterer Industrieeinleiter beantragte der Antragsgegner im Jahr 1997 Fördermittel für eine anaerobe Schlammfaulung und den zweistraßigen Ausbau der Belebung.

Gegenstand des Fördermittelantrags aus dem Jahr 2003 ist unter anderem die hier betroffene 'Anaerobe Vorreinigung'. Der Antragsgegner bemühte sich damit um Fördergelder zur Erweiterung der Kläranlage wegen Kapazitätserhöhungen der angeschlossenen Industrieeinleiter. Die Überlastung der Schlammbehandlungsstrecke und der Schlammfaulung sollte abgestellt werden (Teilobjekt Schlammbehandlung). Der mangelhaften Vorreinigung der hochbelasteten Industrieabwässer sollte durch das Teilobjekt 'Neubau einer anaeroben Vorreinigung' begegnet werden. Schließlich sollten Mittel bereitgestellt werden, um dem Entsorgungsproblem des Klärschlamms infolge verringerter Deponiemöglichkeiten und eingeschränkter landwirtschaftlicher Verwertung abzuhelfen (Teilobjekt Klärschlammtrocknung).

cc) Der Senat ist nicht abschließend davon überzeugt, dass die drei vom Fördermittelantrag erfassten Teilobjekte als Lose eines Bauwerks zusammen zu fassen sind. Das gilt angesichts der möglichen funktionalen Unabhängigkeit der Teilobjekte auch, wenn alle Teilobjekte nach der Begründung des Fördermittelantrages dem gemeinsamen Zweck dienten, die Überlastung der Kläranlage durch den Abwasserzuwachs der Industrieeinleiter abstellen. Es ist daher denkbar, dass jedes Teilobjekt für sich genommen ein einheitliches Bauwerk bildet.

Im vorliegenden Fall kann dies jedoch dahin stehen. Denn zumindest das Teilobjekt 'Klärschlammtrocknung' ist in die Bemessung des geschätzten Auftragswertes nicht einzubeziehen, so dass eine Überschreitung des Schwellenwertes von 5 Mio € selbst bei Addition der Auftragswerte für die Teilobjekte 'Schlammbehandlung' und 'Anaerobe Vorreinigung' ausscheidet.

Gemäß § 3 Abs. 1 und 5 VgV ist die geschätzte Gesamtvergütung aus allen Bauaufträgen für ein Bauvorhaben zu ermitteln. Daher sind für eine einheitliche bauliche Anlage alle Aufträge zusammen zu rechnen, die für deren vollständige Herstellung sowohl in technischer Hinsicht als auch im Hinblick auf eine sachgerechte Nutzung erteilt werden müssen. Erforderlich ist demnach ein funktionaler Zusammenhang der Einzelaufträge in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht (Ingenstau/Korbion/Müller-Wrede, VOB, 15. Aufl., § 3 VgV, Rn. 3). Um einen Gesamtauftrag anzunehmen, ist darüber hinaus - wie oben ausgeführt - auch ein zeitlicher Zusammenhang der einzelnen Auftrag notwendig. Das ist der Fall, wenn die Verwirklichung der weiteren, in einem funktionalen Zusammenhang stehenden Aufträge in absehbarer Zeit im Raum steht. (Ingenstau/Korbion/Müller-Wrede, a.a.O., Rn. 5).

Zumindest der zeitliche Zusammenhang ist hier hinsichtlich des Teilobjekts 'Klärschlammtrocknung' nicht gegeben. Davon ist der Senat angesichts der glaubhaften Bekundung des Zeugen F..., einem Mitarbeiter der Betriebsführerin des Antragsgegners, überzeugt.

Der Zeuge F... hat nachvollziehbar erklärt, dass die Ausführung des Teilobjekts zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht mehr vorgesehen war. Nach der Schilderung des Zeugen F... sind für das Teilobjekt 'Klärschlammtrocknung' am 25.02.2003 Fördermittel beantragt worden, weil in der öffentlichen Diskussion die Absicht des Gesetzgebers bekannt geworden war, die Verklappung von Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen zu unterbinden. Zu diesem Zweck sei beim Antragsgegner erwogen worden, das Volumen des zu entsorgenden Klärschlamms durch dessen Trocknung zu verringern. Nachdem dieses Regelungsvorhaben in der Folgezeit jedoch nicht - wie zunächst erwartet - umgesetzt worden sei, habe der Antragsgegner die in Aussicht genommene Investition zur Klärschlammtrocknung in den beiden Jahren nach Stellung des Fördermittelantrages nicht weiter verfolgt. Für die Klärschlammtrocknung bestehe derzeit weder eine Entwurfs- noch eine Genehmigungsplanung. Dieses Thema sei bei dem Antragsgegner vollkommen vom Tisch, auch wenn eine Klärschlammtrocknung bei großer Anstrengung noch bis zum Ablauf des Fördermittelbescheides zum 31.12.2007 verwirklicht werden könne. Der Zeuge hat damit plausibel die Behauptung des Antragsgegners bestätigt, die Errichtung einer Klärschlammtrocknung sei weder ausgeschrieben noch geplant. Nachvollziehbar ist insbesondere die Erläuterung des Zeugen, von einer Umsetzung sei Abstand genommen worden, weil eine Verringerung des Klärschlammvolumens wegen der weiteren Entsorgungsmöglichkeit in der Landwirtschaft nicht erforderlich geworden sei. Der Zeuge hat die Abstandnahme des Antragsgegners von der Klärschlammtrocknung auch aus eigener Wahrnehmung schildern können. Denn zu seinem Aufgabengebiet als Mitarbeiter der Betriebsführerin des Zweckverbandes zählen ersichtlich die Baumaßnahmen der Kläranlage Hagenow. Dem Vergabevermerk ist zu entnehmen, dass der Zeuge F... für den Antragsgegner an dem Bietergespräch mit der Beigeladenen zu 1) teilgenommen hat und dass die baufachliche Zustimmung des Staatlichen Amtes für Umwelt und Natur zu den beabsichtigen Zuschlägen vom 27.01.2006 zu seinen Händen versandt worden ist.

Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Bedenken. Dies gilt auch, soweit der Zeuge bei der einleitenden Erörterung im Verhandlungssaal anwesend war. Denn Gegenstand dieser Ausführungen war nicht der Planungsstand hinsichtlich der Klärschlammtrocknung, sondern der Zeitpunkt, in dem der Aufwand für das Teilobjekt 'Anaerobe Vorreinigung' gemäß Anlage 5 geschätzt wurde. Anhaltspunkte für eine nicht wahrheitsgemäße Aussage des Zeugen sind nicht ersichtlich.

Danach kann von einer Verwirklichung des Teilobjekts 'Klärschlammtrocknung' in absehbarer Zeit nicht ausgegangen werden, so dass ein Zusammenhang mit den beiden anderen Teilobjekten nicht vorliegt.

Dem steht nicht entgegen, dass die Errichtung einer Klärschlammtrocknung unter Ausnutzung der bewilligten Fördermittel theoretisch nach Angaben des Zeugen noch möglich ist. Denn - wie der Zeuge F... bekundet hat - wird das Thema Klärschlammtrocknung beim Antragsgegner nicht weiter verfolgt, so dass gegenwärtig keinerlei Planungen vorhanden sind. Angesichts dessen ist sicher anzunehmen, dass der Antragsgegner auch in absehbarer Zeit nicht die erforderlichen großen Anstrengungen unternehmen wird, die Klärschlammtrocknung doch noch kurzfristig umzusetzen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Beantragung und Bewilligung der Fördergelder. Denn allein daraus lässt sich nicht ableiten, dass die Verwirklichung eines enthaltenen Teilbereichs tatsächlich von dem Begünstigten konkret geplant ist.

Gegen die Feststellung, die Errichtung einer Klärschlammtrocknung sei vom Antragsgegner nicht beabsichtigt, sprechen auch nicht die Mitteleinstellungen in dessen jährlichen Wirtschaftsplänen. Abgesehen davon, dass auch die insoweit unverbindlichen Wirtschaftspläne keinen hinreichenden Anhalt für eine konkrete Ausführungsabsicht bieten, sind darin Mittel für das Teilobjekt 'Klärschlammtrocknung' bis zum Jahr 2006 einschließlich nicht ausgewiesen. Das Teilobjekt 'Schlammbehandlung' ist als 6. Bauabschnitt zur Schlammentwässerung in den Wirtschaftsplänen der Jahre 2003 und 2004 enthalten. Während weiter das Teilobjekt 'Anaerobe Vorreinigung' als 7. Bauabschnitt in den Plänen für die Jahre 2004 bis 2006 berücksichtigt ist, finden sich eingestellte Mittel für eine Klärschlammtrocknung nicht.

Sind danach allenfalls die Teilobjekte 'Schlammbehandlung' und 'Anaerobe Vorreinigung' als ein Bauwerk anzusehen und deren Auftragswerte zu addieren, ist der Schwellenwert nicht überschritten. Selbst wenn die Werte für die Schlammbehandlung (€ 614.826,-) und für die Anaerobe Vorreinigung (€ 3.651.000,-) zusammen gerechnet werden, ergibt sich ein geschätzter Auftragswert von lediglich € 4.266.326,-.

3. Auf den Hilfsantrag der Antragstellerin waren dem Antragsgegner indes die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer aufzuerlegen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer zu tragen, auch wenn sie in der Hauptsache obsiegt hat. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 128 Abs. 3 GWB, § 155 Abs. 4 VwGO analog. Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil die Einleitung des konkreten Nachprüfungsverfahrens durch die fehlende Dokumentation des bei Ausschreibung zu Grunde gelegten Schwellenwertes im Vergabevermerk veranlasst worden ist.

Wegen der Bedeutung des Schwellenwerts ist es erforderlich, dass die Vergabestelle den ordnungsgemäß und auf den Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens ermittelten geschätzten Gesamtwert des zu vergebenden Auftrags im Vergabevermerk nach § 30 VOB/A festhält. Fehlt eine entsprechende Angabe des maßgeblichen Schwellenwerts im Vergabevermerk und stellt sich - wie hier - erst nach den Untersuchungen der Vergabekammer und des Vergabesenats dessen Unterschreitung heraus, hätte das Nachprüfungsverfahren durch die Festlegung von eindeutigen Berechnungsgrundlagen durch die Vergabestelle vermieden werden können (OLG Schleswig vom 23.03.2004, IBR 2004, 722).

Im Vergabevermerk des Antragsgegners findet sich kein Hinweis auf den geschätzten Auftragswert. Dass dem nicht lediglich eine mangelnde Dokumentation zu Grunde liegt, zeigt bereits die ursprüngliche pauschale Einlassung des Antragsgegners, der Schwellenwert sei erreicht. Darüber hinaus hat der Antragsgegner in der Ausschreibung die Vergabekammer als Nachprüfungsstelle benannt.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer war notwendig, §§ 128 Abs. 4 GWB, 80 VwVfG M-V.

Denn eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB kann von einem Bieter nicht erwartet werden. Ein Bieter bedarf daher für eine angemessene Reaktion in der ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens, von dessen Zulässigkeit die Antragstellerin hier - wie oben ausgeführt - zunächst ausgehen konnte, besonderen rechtlichen Beistandes.

4. Aus diesem Grund hat der Antragsgegner auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach§ 128 Abs. 3 GWB i.V.m. § 155 Abs. 4 VwGO analog zu tragen. Die mangelnde Dokumentation des geschätzten Auftragswertes hat sich auch in der Beschwerdeinstanz ausgewirkt.

Denn dessen Ermittlung war zunächst weiterhin unklar und war vom Senat weiter aufzuklären. Erst dabei hat sich - wie oben ausgeführt - nach entsprechendem Vorbringen des Antragsgegners herausgestellt, dass das Vorhaben 'Klärschlammtrocknung' bei Ausschreibung des hier betroffenen Auftrags bereits erledigt und daher nicht in die Berechnung des Schwellenwertes einzubeziehen war. Hätte der Antragsgegner diese Erwägungen wie geboten vor der Ausschreibung der hier gegenständlichen Leistungen angestellt und im Vergabevermerk niedergelegt, hätte auch das Beschwerdeverfahren vermieden werden können. Dass sich die Antragstellerin in einem solchen Fall auf eine De-facto-Vergabe berufen und gleichwohl ein Nachprüfungsverfahren angestrengt hätte, steht nicht fest. Jedenfalls hätte es aber der eingehenden Recherchen weder bei der Vergabekammer noch beim Vergabesenat bedurft.

5. Gemäß § 50 Abs. 2 GKG wird der Streitwert dieses Beschwerdeverfahrens auf € 98.597,39 festgesetzt (5 % von € 1.971.947,87).

Ende der Entscheidung

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