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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 29.12.2004
Aktenzeichen: 3 U 164/04
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1
InsO § 209
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 210
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 208
InsO § 210
InsO § 209 Abs. 2
InsO § 60
InsO § 55 Abs. 1
InsO § 38
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

3 U 164/04

verkündet am: 29.12.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann und die Richterein am Landgericht Feger

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 14.07.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Neubrandenburg (Az.: 2 O 185/03) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe stellt.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: 30.424,90 €

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Leistungsklage wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Insolvenzmasse auf Rückzahlung von 30.424,90 € in Anspruch.

Der Beklagte, seit dem 01.10.2002 Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. B. und T. GmbH, zeigte am 09.10.2002 Masseunzulänglichkeit an. Am 14.02.2003 überwies der Kläger einen Betrag von 30.424,90 €, der einem zu dieser Zeit bereits aufgelösten Bankkonto der Schuldnerin gutgeschrieben wurde. Einen Anspruch gegen den Kläger hatte die Schuldnerin nicht, vielmehr war der Betrag für die als Auffanggesellschaft gegründete B. I. und T. GmbH bestimmt. Den streitgegenständlichen Betrag legte der Beklagte auf einem besonderen Konto (Nr. ) bei der Commerzbank an. Den Rückzahlungsanspruch des Klägers erkannte er als Masseverbindlichkeit an. Am 08.12.2003 zeigte er die Unzulänglichkeit der neuen Masse an; hiervon betroffen ist nur die Rückzahlungsforderung des Klägers, die vorliegend im Streit ist.

Mit Urteil vom 14.07.2004 verurteilte das Landgericht Neubrandenburg den Beklagten, an den Kläger 30.424,90 € nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung führte es aus, bei der irrtümlichen Überweisung des Klägers handele es sich weder um eine Neumasse- noch um eine Altmasseverbindlichkeit, da keine Leistung an die Masse vorliege. Der Beklagte könne sich nicht auf die Masseunzulänglichkeit berufen. Sein Verhalten sei gemäß § 242 BGB arglistig. Er hätte umgehend den Irrtum des Klägers korrigieren müssen.

Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages trägt er vor, bereits vor der streitgegenständlichen Überweisung habe die Insolvenzmasse nicht ausgereicht, um alle fälligen Neumasseverbindlichkeiten zu decken; hierzu verweist er auf seine Zwischenberichte vom 06.06.2003 und vom 05.12.2003. Der bereicherungsrechtliche Anspruch des Klägers gehöre zu den Masseverbindlichkeiten des § 209 InsO. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien in jedem Fall unabhängig von dem Zeitpunkt ihres Entstehens zu den Altmasseverbindlichkeiten zu zählen, da Neumasseverbindlichkeiten nur aus einem selbstbestimmten Handeln des Insolvenzverwalters resultieren könnten. Jedenfalls führe die erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit auch für Neumasseverbindlichkeiten dazu, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr mit der Leistungsklage verfolgen könne. Die Anzeige des Verwalters binde das Prozessgericht.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Neubrandenburg die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens meint er, der irrtümlich überwiesene Betrag sei wegen der gesonderten Anlage nicht zur Masse gelangt. Weiterhin bestreitet er die Unzulänglichkeit der Neumasse und behauptet, der Beklagte habe diese nur angezeigt, um den Anspruch des Klägers als des einzigen Neumassegläubigers zu vereiteln.

II.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat ihn im Ergebnis zu Recht zur Rückzahlung des am 14.02.2003 auf das Konto der Schuldnerin überwiesenen Betrages verurteilt.

1.

Der Rückerstattungsanspruch des Klägers ist wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Masse gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zivilrechtlich begründet. Diesen Anspruch hat der Beklagte aus der Masse als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu erfüllen.

2.

Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die erste Unzulänglichkeitsanzeige nicht zur Folge, dass der danach entstandene Bereicherungsanspruch des Klägers als sonstige Masseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unter das Vollstreckungsverbot gem. § 210 InsO fällt und nicht mit der Leistungsklage verfolgt werden kann. Vielmehr hat der Beklagte den Bereicherungsanspruch des Klägers als Neumasseverbindlichkeit gem. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berichtigen.

Das auf die erste Anzeige gestützte Vollstreckungsverbot (§ 210 InsO) steht weder der Leistungsklage noch der Verurteilung zur Zahlung entgegen. §§ 208 bis 210 InsO sind Regeln zur Fortführung des Insolvenzverfahrens trotz unzulänglicher Masse. Insbesondere bezweckt § 209 InsO, dem Insolvenzverwalter die Erfüllung seiner Abwicklungs- und Befriedigungsaufgaben zu ermöglichen, ggf. bei Betriebsfortführung oder Fortführung einzelner Verträge eine von der Altmasse getrennte Neumasse zu sammeln und Neumassegläubiger zu privilegieren. In § 209 Abs. 2 InsO kommt dies deutlich zum Ausdruck. Demgemäß führt die das Prozessgericht bindende Anzeige der Masseunzulänglichkeit (BGH, Urteil v. 03.04.2003, BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914 = NJW 2003, 2454 = ZInsO 2003, 465) dazu, dass die Masseverbindlichkeiten in der durch § 209 InsO bestimmten Reihenfolge zu berichtigen sind, vor der Anzeige entstandene Masseverbindlichkeiten somit nachrangig nach den Kosten des Insolvenzverfahrens und den nach der Anzeige begründeten Neumasseverbindlichkeiten. Nach § 210 InsO ist die Vollstreckung wegen einer Altmasseverbindlichkeit, d. h. einer vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründeten Verbindlichkeit, unzulässig; der Altmassegläubiger kann seine Forderung nicht mehr mit der Leistungsklage verfolgen, sondern nur auf Feststellung seines Anspruchs klagen.

Vorliegend ist der Kläger Neumassegläubiger gem. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Senat verkennt nicht, dass diese Vorschrift ihrem Normzweck folgend die fortgesetzte rechtsgeschäftliche Betätigung der Insolvenzmasse betrifft. Eine Sonderregelung für Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung sieht § 209 InsO jedoch nicht vor. Im Gegensatz zur früheren Konkursordnung, die in § 60 Masseschulden aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung nachrangig einstufte, sind nach § 55 Abs. 1 InsO rechtsgeschäftlich oder durch eine Handlung des Insolvenzverwalters begründete Masseverbindlichkeiten und solche wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Masse gleichrangig. Mit dem Sinn der Zäsurwirkung der Unzulänglichkeitsanzeige, die § 38 InsO entspricht, wäre es nicht zu vereinbaren, eine nach der Anzeige entstandene Masseverbindlichkeit einer zuvor begründeten gleichzustellen. Auch vermag der Senat keinen einleuchtenden Grund zu erkennen, der es rechtfertigen könnte, den nach der ersten Unzulänglichkeitsanzeige entstandenen Anspruch nicht aus der Neumasse, die durch die irrtümliche Überweisung bereichert wurde, zu erfüllen.

3.

Den gegen die neue Masse gerichteten Bereicherungsanspruch kann der Kläger mit der Leistungsklage geltend machen, ohne dass der Beklagte die erneut angezeigte Masseunzulänglichkeit entgegensetzen kann.

In seinen Entscheidungen vom 03.04.2003 (BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914 = NJW 2003, 2454 = ZInsO 2003, 465) und vom 29.04.2004 (ZInsO 2004, 674) führt der BGH aus, trotz einer fehlenden gesetzlichen Regelung wie § 210 InsO sei es im Falle der erneuten Masseunzulänglichkeit geboten, auf den Einwand des Verwalters hin, die Neumasse reiche nicht zur Befriedigung aller fälligen Neumasseverbindlichkeiten aus, nur die Feststellungsklage der Gläubiger zuzulassen. Ob auch die erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Bindungswirkung des § 208 InsO hat, hat der BGH bislang offen gelassen.

Diese Frage kann weiterhin dahinstehen; jedenfalls die zweite Unzulänglichkeitsanzeige des Beklagten bindet das Prozessgericht nicht, weil sie in der Sache nicht berechtigt ist. Auch besteht kein Grund, unter Abweisung der Leistungsklage nur die Feststellung der Neumasseverbindlichkeit zuzulassen. Die wiederholte Anzeige der Masseunzulänglichkeit betrifft die Konstellation, dass der Insolvenzverwalter trotz der ersten Anzeige das Insolvenzverfahren fortführt, insbesondere die in § 209 Abs. 2 InsO erwähnten Verbindlichkeiten oder neue Vertragspflichten begründet, die von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasst werden, und sich später herausstellt, dass er diese nicht bedienen kann. Eine solche Konstellation liegt nicht vor. Die hinzugekommene Neumasseverbindlichkeit beruht nicht auf der Begründung oder Fortführung eines Vertrages oder einer sonstigen Handlung des Insolvenzverwalters; insoweit wurde die unzulängliche Masse nicht weiter belastet. Vorliegend wurde sie ungewollt durch einen "Glücksfall" bereichert, wobei die Bereicherung der Masse und die sie treffende Ausgleichspflicht zeitlich zusammentreffen; nicht einmal eine logische Sekunde liegt dazwischen. Nach der ersten Unzulänglichkeitsanzeige ist keine nicht durch einen entsprechenden liquiden Wertzufluss gedeckte Verbindlichkeit hinzugekommen. Rechnerisch blieb der Vermögensstatus der unzulänglichen Masse gleich. Auch ihre Liquidität blieb unverändert. Diese Konstellation unterscheidet sich grundlegend von einer Neumasseverbindlichkeit, die der Verwalter durch einen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit abgeschlossenen Kaufvertrag (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO), durch die nach Anzeige getroffene Entscheidung, einen vor Verfahrenseröffnung geschlossenen Vertrag zu erfüllen (§ 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO) oder durch die Fortführung eines Immobilienmietverhältnisses nach der Unzulänglichkeitsanzeige (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) begründet. In diesen Fällen fließt der Masse die Gegenleistung in Form des Eigentums an der Kaufsache oder des Mietgebrauchs zu, ohne dass sie liquide Mittel erlangt. Hingegen kann vorliegend der Beklagte die Forderung des Klägers als des einzigen nach der ersten Anzeige hinzugekommenen Neugläubigers aus der Masse erfüllen, denn sie erlangte nicht einen Sachwert, eine Dienstleistung oder eine Sachnutzung, sondern einen liquiden Vermögenswert. Das auf einem Sonderkonto bei einer Bank angelegte Geld ist vorhanden.

Da der Beklagte als Insolvenzverwalter nach der ersten Unzulänglichkeitsanzeige weitere Neumasseverbindlichkeiten nicht begründete, bestand für ihn kein berechtigter Anlass, erneut die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. Der Vorrang der Kosten des Insolvenzverfahrens nötigt nicht zu einer anderen Betrachtung, denn sie sind nicht nach der ersten Unzulänglichkeitsanzeige hinzugekommen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Der Senat lässt gem. § 543 ZPO die Revision zu, weil die insolvenzrechtlichen Folgen einer nach Unzulänglichkeitsanzeige eingetretenen ungerechtfertigten Bereicherung der Masse und die Bindungswirkung einer zweiten Anzeige höchstrichterlich nicht geklärt sind.



Ende der Entscheidung

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