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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 3 W 117/05
Rechtsgebiete: GVG, ZPO, ArbGG, HGB


Vorschriften:

GVG § 17 a
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 2
ZPO § 567
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d
HGB § 84 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 W 117/05

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann und den Richter am Oberlandesgericht Both

am 21.02.2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 30.06.2005, Az: 4 O 195/04, aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis 2.000,00 €.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Überführung von Fahrzeugen für Fahrzeughersteller und Fahrzeugvermieter befasst. Im März 2001 beauftragte ihn die B. D. GmbH mit dem Transfer eines LKW der Marke Daimler Chrysler Sprinter 313 CDI. Die Überführung des Fahrzeuges erfolgte am 19.03.2001 durch den Beklagten als Fahrer. Hierbei ereignete sich ein Verkehrsunfall ohne Fremdbeteiligung.

Die B. D. GmbH hat die Parteien dieses Rechtsstreits vor dem Landgericht Schwerin - Az: 4 O 433/02 - auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 21.151,11 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Verfahren endete mit einem Vergleich; die Beklagten verpflichteten sich zur Zahlung eines Betrages von 15.863,33 €, zahlbar in monatlichen Raten á 500,- €, beginnend ab 08.02.2004.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs den Schaden allein zu tragen. Er sei für ihn als Subunternehmer tätig gewesen. Der Beklagte habe den Verkehrsunfall verschuldet; ihn treffe kein Mitverschulden.

Der Beklagte hält die Klage für unzulässig. Funktionell zuständig sei das Arbeitsgericht Schwerin, denn er sei für den Kläger als Arbeitnehmer tätig gewesen. Er habe seit Sommer 2000 ausschließlich für den Kläger in dessen Unternehmen "c. M. K." gearbeitet. Zudem sei der geltend gemachte Anspruch unbegründet.

Das Landgericht Schwerin erhob Beweis über die Frage, ob der Beklagte als Arbeitnehmer für den Kläger tätig war. Mit Beschluss vom 30.06.2005 erklärte es im Vorabverfahren nach § 17 a GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Er macht geltend, der Beklagte habe das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nicht bewiesen. Jeder der Zeugen hätte nicht mehr als einen Sachverhalt bestätigt, und aus diesem dann auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geschlussfolgert. Unbeachtet gelassen habe das Landgericht, dass beide Parteien zunächst beabsichtigt hätten, später - wenn es gut laufe - eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu gründen. Daher sei jeder für sich angewiesen gewesen, genügend Aufträge zu besorgen. Dass der Beklagte vom 01.10.2000 bis 31.12.2001 ein Gewerbe angemeldet gehabt habe, sei ebenso unberücksichtigt geblieben, wie der Erhalt einer Förderung von 10.000,00 DM. Auch hieraus werde deutlich, dass der Beklagte selbst nicht die Absicht gehabt habe, Arbeitnehmer des Klägers zu sein.

Das Landgericht half der Beschwerde nicht ab.

II.

Die gem. §§ 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG, 567 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1.

Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig, wenn eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen, gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheidet sich das Arbeitsverhältnis vom Rechtsverhältnis eines freien "Dienstnehmers" durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist danach, wer weisungsgebunden vertraglich geschuldete Leistungen im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal, das über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus eine allgemeine gesetzgeberische Wertung erkennen lässt (BGH NJW 1999/648, 649). Danach ist derjenige selbständig, der im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist derjenige Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist, weil er hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht unterliegt oder weil der Freiraum für die Erbringung der geschuldeten Leistung durch die rechtliche Vertragsgestaltung oder die tatsächliche Vertragsdurchführung stark eingeschränkt ist (BGH a. a. O.; BAG NJW 1993, 2458 = NZA 1993, 789; NZA 1998, 364 = ZIP 1998, 612).

Der Arbeitnehmer ist typischerweise, aber nicht immer vom Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist daher zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft weder erforderlich noch ausreichend (BAG, NZA 1994, 1132; NZA 1999, 374). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt auch von der Eigenart und der Organisation der zu leistenden Tätigkeit ab. Manche Tätigkeiten können sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, als auch im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses erbracht werden, andere regelmäßig nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Bei untergeordneten und einfacheren Arbeiten ist eher eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation anzunehmen als bei gehobenen Tätigkeiten. Ein Arbeitsverhältnis kann aber auch bei Diensten höherer Art gegeben sein, selbst wenn dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbstständigkeit verbleibt. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind demnach in erster Linie die Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht die Modalitäten der Zahlung oder die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung oder die Überbürdung von vertraglichen Risiken. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, so ist Letztere maßgebend. Insgesamt kommt es auf die Würdigung der Umstände des Einzelfalles an (BAG NZA 1999, 374).

2.

Unter Zugrundelegung dieser Abgrenzungsmerkmale, die auch im Bereich Transport und Verkehr anzuwenden sind (BAG NZA 1994, 1132; NZA 1999, 374), war der Beklagte kein Arbeitnehmer.

Er war nach eigener Darstellung zunächst regelmäßig, später nur noch vereinzelt, mit der Überführung von Fahrzeugen beauftragt. Ein Frachtführer unterliegt bereits von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten (§ 418 HGB). Dennoch hat der Gesetzgeber den Frachtführer als selbständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet. Er ist regelmäßig auch dann selbständiger Gewerbetreibender, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht und das Fahrzeug - wie in der Branche geläufig - die Farben und das Firmenzeichen eines anderen Unternehmers aufweist. Insoweit ist die gesetzgeberische Bewertung, wonach Frachtführer Gewerbetreibende und damit Selbständige sind (§ 407 HGB) zugrunde zu legen (BAG NZA 1998, 364 = NJW 1999, 3104; NZA 1999, 374).

Ein Arbeitsverhältnis kann allerdings dann zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert werden, die zur Folge haben, dass der betreffende Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weit weniger frei ist, als ein Frachtführer im Sinne des HGB, er also nicht mehr im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wirtschaftliche Zwänge allein können die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen. Entscheidend ist also, welche Gestaltungsspielräume dem Beschäftigten in dem System noch verbleiben und ob seine persönliche Abhängigkeit das für Arbeitsverhältnisse typische Maß erreicht (a. a. O.). Letzteres ist hier nicht der Fall.

a) Gegen die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers spricht bereits der Umstand, dass er seit dem 01.10.2000 ein eigenes Gewerbe - die Überführung von Kraftfahrzeugen aller Art (Neu- und Gebrauchtwagen), Flughafentransfer sowie Überführung von Booten - angemeldet hatte, wofür er auch Fördergelder in Anspruch genommen hat.

b) Nicht festzustellen ist, dass der Beklagte in der hier maßgeblichen Zeit bis März 2001 vertraglich verpflichtet war, ausschließlich dem Kläger als Frachtführer sowie zur Ausführung weiterer Tätigkeiten zur Verfügung zu stehen. Aus seinem Vortrag ergibt sich weder im Einzelnen, noch in der Gesamtschau der von ihm behaupteten Umstände, dass der Beklagte seine Tätigkeit im Rahmen einer vom Kläger bestimmten betrieblichen Arbeitsorganisation zu erbringen hatte. Dabei kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass der Beklagte - wie er behauptet - seit Sommer 2000 ausschließlich für den Kläger tätig war. Entscheidend für die Arbeitnehmereigenschaft ist, ob der Beschäftigte berechtigt ist, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten und seine Arbeitszeit zu bestimmen und ob er tatsächlich die Möglichkeit dazu hat. Darauf, ob er diese Möglichkeit auch wahrgenommen hat, kommt es hingegen nicht an. Vorliegend hatte der Beklagte die Möglichkeit, eigene Kunden auf eigene Rechnung zu bedienen. Ausweislich der vorliegenden Abrechnungen überführte er in den Monaten vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Verkehrsunfalls am 19.03.2001 nur an wenigen Tagen Fahrzeuge im Auftrag des Klägers; so z. B. im Januar und Februar 2001 jeweils an einem Tag (K 12, K 14) und im März 2001 an drei Tagen (K 15). Damit bestand für ihn ein Gestaltungsspielraum, der mit dem Status eines Arbeitnehmers nicht vereinbar ist und daher die Einordnung des Beschäftigungsvertrages als Arbeitsverhältnis entgegen steht.

c) Dass er zu der hier maßgeblichen Zeit bis März 2001 feste Bürozeiten beim Kläger hatte, konnte der Beklagte nicht beweisen. Die Zeugin S. sagte aus, dass es feste Bürozeiten von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr sowie eine Stunde Mittag für den Beklagten wohl ab Ende 2001 gegeben habe, wobei es sich um das letzte Drittel des Jahres 2001 gehandelt habe. Zuvor sei dies noch nicht so gewesen, weil der Beklagte vor diesem Zeitraum häufiger für den Kläger unterwegs gewesen sei. Da habe sich dies nicht mit dem Tagesablauf und den Fahrten vereinbaren lasssen. Nach ihrer Erinnerung habe der Kläger erst im September 2001 in P. ein festes Büro eingerichtet. Zuvor habe sich das Büro noch in der alten Wohnung des Klägers befunden. Dort sei der Beklagte manchmal nur ein- bis zweimal pro Woche gewesen. Auch der Zeuge G. bekundete lediglich, dass der Beklagte zu der Zeit, als der Kläger sein Büro in P. hatte, Bürozeiten von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr gehabt habe.

d) Der Einwand des Beklagten, bei der Durchführung der ihm vom Kläger erteilten Aufträge sei er als dessen Repräsentant, d. h. unter der Firma "c. M. K." aufgetreten, ist unbeachtlich. Selbst wenn er hierzu auf Grund einer entsprechenden Weisung des Klägers verpflichtet war, lässt dies nicht auf eine Stellung als Arbeitnehmer des Klägers schließen.

e) Seinen - vom Kläger bestrittenen - Vortrag, er habe in der Anfangszeit 4.000,- DM pro Monat vom Kläger erhalten, hat der Beklagte nicht unter Beweis gestellt. Diese Behauptung steht zudem im Widerspruch zu seiner weiteren Erklärung in der Anhörung vor dem Landgericht, wonach ihm die Bürotätigkeit insoweit vergütet worden sei, dass er dann teilweise auf den Rechnungen etwas aufgeschlagen habe. Letzteres steht im Einklang mit der vom Kläger zur Akte gereichten Rechnung des Beklagten vom 01.02.2001 (K 14), in der er für den Abrechnungszeitraum Januar 2001 diverse Serviceleistungen mit 250,- DM in Rechnung gestellt hat.

3.

Offen bleiben kann, ob der Beklagte - wie er weiter behauptet und durch die Vorlage von Abrechnungen für die Monate 2001 bis Januar 2002 (B 4) belegt - seit Sommer 2001 ein festes Monatseinkommen vom Kläger erhielt, und ob er mit der Einrichtung des Büros in P. in die Stellung eines Arbeitnehmers oder einer arbeitnehmerähnlichen Person einrücken konnte oder eingerückt ist. Wenn beide Seiten ab diesem Zeitpunkt von Rechten und Pflichten ausgingen, die eine stärkere persönliche Abhängigkeit des Beklagten vom Kläger ausmachten, änderte sich ggf. mit der vertraglichen Grundlage auch das Rechtsverhältnis. Hierauf kommt es jedoch für die Entscheidung, ob für den vorliegenden Rechtsstreit die Gerichte für Arbeitssachen oder die ordentlichen Gerichte zuständig sind, nicht an. Denn die geltenden Ansprüche sind zu einem Zeitpunkt entstanden, als der Beklagte noch selbständiger Unternehmer war. Damit war die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründet, eine später eingetretene (wirtschaftliche) Unselbständigkeit des Beklagten berührt die einmal entstandende Zuständigkeit nicht (BGH, NJW 1999, 648, 650).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Den Wert des Beschwerdeverfahrens bemisst der Senat nach dem Interesse des Beschwerdeführers, im Fall des Obsiegens nicht mit den Kosten für die Zuziehung seines Prozessbevollmächtigten nach § 12 a Abs. 1 ArbGG belastet zu sein (Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 17 a GVG Rn. 20 m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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