Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 03.08.2006
Aktenzeichen: 3 W 60/05
Rechtsgebiete: AufenthG FEVG, FGG, ZPO


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AufenthG § 106 Abs. 1
FEVG § 3
FEVG § 5 Abs. 1 Satz 1
FEVG § 5 Abs. 2
FEVG § 6
FEVG § 7
FGG § 14
FGG § 27
FGG § 29
ZPO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 60/05

In der Abschiebehaftsache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht E., die Richterin am Oberlandesgericht B. und den Richter am Oberlandesgericht B.

am 03.08.2006 beschlossen:

Tenor:

Die weitere sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Das Prozesskostenhilfegesuch vom 12.05.2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Betroffene ist russische Staatsbürgerin. Sie wurde am 08.04.2005 um ca. 20.30 Uhr nahe des Grenzzeichens 817 (Landkreis U.-R.) zusammen mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern angetroffen und grenzpolizeilich kontrolliert. Zum Aufenthalt in der BRD berechtigende Dokumente konnte sie nicht vorweisen. Sie verfügte nur über eine Identitätskarte für Flüchtlinge in Polen. Die Betroffene wurde festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Durch die erkennungsdienstliche Behandlung wurde festgestellt, dass die Betroffene am 25.12.2004 in L., Polen, einen Asylantrag gestellt hatte.

Die Betroffene stellte am 13.04.2005 einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 20.04.2005 abgelehnt wurde.

Mit Beschluss vom 09.04.2005 ordnete das Amtsgericht P. unter anderem für die Betroffene Sicherungshaft bis längstens zum 08.07.2005 an. Es sah den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als gegeben an, da die Betroffene aufgrund ihrer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei. Es sei zu erwarten, dass sie sich der Abschiebung entziehen und untertauchen werde. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen legte die Betroffene am 13.04.2005 sofortige Beschwerde ein, in der sie angab, das Gelände nicht unerlaubt verlassen zu wollen. Diese wies das Landgericht N. mit Beschluss vom 22.04.2005 zurück. Wegen dessen Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen vom 09.05.2005. Sie rügt die Verbindung des Verfahrens mit dem der Haftbeschwerde eines Herrn U. K. als verfahrensfehlerhaft. Sie werde hierdurch in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, da die theoretische Gefahr bestehe, dass der Betroffene K. Informationen an den russischen Geheimdienst weiter gebe. Weiterhin sei die Entscheidung verfahrensfehlerhaft, weil die Betroffene vor dem Landgericht nicht angehört worden sei. Auch materiellrechtlich sei der Beschluss rechtswidrig. Die Betroffene habe am 12.04.2005 einen Asylantrag gestellt. Daher sei die Haft nach vier Wochen zu beenden, wenn nicht zuvor das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als offensichtlich unbegründet oder unbeachtlich abgelehnt hat. Dies sei nicht der Fall. Außerdem verletze der Beschluss Art. 6 GG, da die Betroffene seit dem Tod ihres Vaters auf den Kontakt zur Mutter besonders angewiesen sei.

Die Betroffene wurde am 18.05.2005 nach Polen zurückgeschoben. Mit Schriftsatz vom 01.06.2005 stellte der Verfahrensbevollmächtigte nach Erklärung der Erledigung zur Hauptsache den Antrag dahin um, festzustellen dass die Abschiebungshaft gegen die Betroffene rechtswidrig gewesen sei und die Beteiligte zu 2. die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen zu tragen habe.

Weiterhin beantragte er für die Betroffene die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde.

II.

1. Die weitere sofortige Beschwerde ist gem. § 106 Abs. 1 AufenthG, §§ 3, 6, 7 FEVG, §§ 27, 29 FGG zulässig. Nachdem die Betroffene am 18.05.2005 nach Polen zurückgeschoben wurde, richtet sich ihr Rechtsmittel nach Erklärung der Erledigung zur Hauptsache auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung und beschränkt sich im Übrigen auf den Kostenpunkt. In Abschiebungshaft genommene Ausländer können ein von der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Rechtsschutzbedürfnis haben, auch nach Beendigung der Haft die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme gerichtlich vollständig überprüfen zu lassen. Bei Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person besteht regelmäßig auch nach Erledigung des Eingriffes ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an - auch nachträglicher - Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme (BVerfG, Beschluss vom 05.12.2001, NJW 2002, 2456 ff.; BVerfG, Beschluss vom 11.03.1996 - Az: 2 BvR 927/95 - InfAuslR 1996, 198)).

2. Die weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Gem. § 27 FGG ist der Senat auf die weitere sofortige Beschwerde dahingehend beschränkt, die Beschwerdeentscheidung des Landgerichtes darauf zu überprüfen, ob diese auf einer Verletzung des Rechts beruht. Eine solche liegt hier nicht vor.

a) Eine die Entscheidung des Beschwerdegerichts tragende Rechtsverletzung liegt nicht schon darin, dass in der Beschwerdeentscheidung eine Verbindung mit einem Beschwerdeverfahren des Herrn K. stattgefunden hat. Zwar ist dies eine ungewöhnliche Verfahrensweise, eine gesetzliche Ausschlussnorm hierfür besteht aber nicht. Die Entscheidung über beide Beschwerden in einem Beschluss war auch insoweit konsequent, als sich beide Beschwerden gegen den gleichen Beschluss des Amtsgerichts P. richteten, mit welchem dieses über die Haftanordnung von insgesamt vier Betroffenen entschieden hatte, die gemeinschaftlich am selben Ort und auch sonst unter gleichen Bedingungen in unmittelbarer Folge ihr illegalen Einreise aufgegriffen worden waren. Insoweit sich aus diesen Umständen ein Sachzusammenhang ergibt, ist eine Verfahrensverbindung grundsätzlich in Betracht zu ziehen.

Der Verfahrensverbindung kann die Betroffene ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht mit Erfolg entgegenhalten. Zum einen ist auch die Prüfung der angeordneten Abschiebehaft grundsätzlich ein öffentliches Verfahren, so dass im Falle einer Anhörung jedermann hätte an dieser teilnehmen können. Zum anderen bestand auch in tatsächlicher Hinsicht keine Gefahr, dass der weitere Verfahrensbeteiligte im Beschwerdeverfahren weitere Informationen hätte gegen den Willen der Betroffenen erlangen können, über die er nicht ohnehin schon verfügte.

b) Die Rüge der Betroffenen, das Beschwerdegericht habe eine Rechtsverletzung dadurch begangen, dass es sie nicht erneut angehört hat, rechtfertigt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung bzw. ihrer Bestätigung durch das Beschwerdegericht nicht.

Zwar gehört zu den Verfahrensgarantien, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG mit grundrechtlichem Schutz versieht, die in § 5 Abs. 1 Satz 1 FEVG statuierte richterliche Pflicht, den betroffenen Ausländer vor Anordnung oder Verlängerung der Abschiebehaft grundsätzlich mündlich anzuhören. Verstößt der Richter gegen das Gebot einer vorherigen ordnungsgemäßen Anhörung, liegt in der angeordneten Haft eine rechtswidrige Freiheitsentziehung (BVerfG, Beschluss vom 11.03.1996, Az: 2 BvR 927/95, InfAuslR 1996, 198). Auch das Beschwerdegericht ist grundsätzlich dazu verpflichtet, den betroffenen Ausländer vor Anordnung oder Verlängerung der Abschiebehaft mündlich anzuhören. Die Anhörung darf gem. § 5 Abs. 2 FEVG nur dann unterbleiben, wenn mit Sicherheit auszuschließen ist, dass für die Entscheidung bedeutsame Erkenntnisse von der erneuten Anhörung zu erwarten sind (Senatsbeschluss vom 27.03.2006 - 3 W 16/06 - OLGR 2006, 502; OLG Köln, Beschluss vom 23.05.2005, Az: 16 Wx 89/05, AuAS 2005, 147; OLG Köln, Beschluss vom 09.03.2001, Az: 16 Wx 33/01, NVwZ 2001, Beilage Nr. I 10, 120 m. umf. N.). Ein solcher Ausnahmefall kommt etwa dann in Betracht, wenn die erstinstanzliche Vernehmung zeitnahe erfolgt ist, sich aus dem hierüber gefertigten Protokoll ergibt, dass der Betroffene erschöpfend zu den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Fragen angehört worden ist und mit der Beschwerde keine neuen Probleme in tatsächlicher Hinsicht aufgeworfen werden (OLG Köln, Beschluss vom 09.03.2001, a.a.O.). Ob die Anhörung durch das Beschwerdegericht gem. § 5 Abs. 2 FEVG ausnahmsweise entbehrlich ist, ist damit nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen.

Einen solchen Ausnahmefall nimmt der Senat vorliegend an. Nach Lage der Akten waren von einer erneuten Anhörung der Betroffenen durch das Beschwerdegericht keine neuen Tatsachen, die zu einer abweichenden Beschwerdeentscheidung Anlass gegeben hätten, zu erwarten. Die Betroffene hat sich in ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht in der Sache nicht eingelassen. Auch im Rahmen der Vernehmung durch die Beteiligte zu 2. am 09.04.2005 hat sie selbst, wie sich aus dem Vernehmungsprotokoll ergibt, keine Angaben gemacht, sondern sich allein auf die Angaben ihrer Mutter bezogen. Auch die Beschwerdeschrift enthält Angaben, die weiteren tatsächlichen Aufschluss erwarten lassen nicht. Sie beschränkt sich zum einen darauf, dass sie einen Asylantrag gestellt und gehört habe, dass die Haft aufgehoben werden müsse, wenn über diesen nicht binnen vier Wochen entschieden wird. Zum einen ist über den Antrag bereits am 20.04.2005 entschieden worden, zum anderen war diese Frist auch bei Beschwerdeschrifteinreichung nicht abgelaufen. Obgleich auch die weitere sofortige Beschwerde diese Rechtsansicht aus der Beschwerdeschrift aufgreift, findet sich in ihr eine weitergehende Tatsachendarstellung hierzu nicht.

Auch die Frage der familiären Bindung, auf die sich die Beschwerde im Übrigen stützte, machte vorliegend eine Anhörung der Betroffenen durch das Beschwerdegericht nicht notwendig. Dass sich die Betroffene und ihre Mutter nach dem Tod des Vaters der Betroffenen besonders verbunden sahen, ist bereits durch das Vernehmungsprotokoll der Mutter aktenkundig. Zum anderen erschließt sich dies auch ohne weiteres aus dem Umstand, dass die Betroffene zusammen mit ihrer Mutter und ihren weiteren zwei Geschwistern unter erheblichen persönlichen Einsatz und Aufwand finanzieller Mittel von Tschetschenien aus über Moskau und Polen in das Bundesgebiet illegal eingereist ist. Ohne eine enge familiäre Bindung ist nicht zu erwarten, dass die Betroffene gemeinsam mit ihren Familienangehörigen diese Mühen auf sich genommen hätte, zumal sie nach den Angaben ihrer Mutter in Tschetschenien verheiratet gewesen sein soll und ihr Ehemann dort entführt worden sei.

c) Selbst eine weitere Aufklärung der familiären Bindung hätte, so die Betroffene hierzu weitere tatsächliche Angaben gemacht hätte, nicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Beschwerdeentscheidung geführt. Art. 6 GG nämlich begründet für sich kein Abschiebungshindernis und steht daher auch einer Haftanordnung nicht ohne weiteres entgegen. Familiäre Bindungen sind allein im Rahmen der Abwägung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigungsfähig.

d) Selbst unter Berücksichtigung der familiären Bindungen der Betroffenen zu ihrer Mutter war die Haftanordnung verhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung mit milderen Mitteln des öffentlichen Zwanges hätte gewährleistet werden können. Zum einen verfügte die Betroffene weder über eine Unterkunft noch über gültige Personaldokumente. Zum anderen hatte der von ihr gestellte Asylantrag in Polen die Betroffene nicht davon abgehalten unter erheblichem persönlichen und finanziellen Aufwand nach nur wenigen Monaten die ihr dort zugewiesene Unterkunft zu verlassen und bewusst illegal in das Bundesgebiet einzureisen. Diese gezielte Umsetzung ihres Willens, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, rechtfertigt die Annahme, dass sie ohne Haftanordnung weiterhin das ihr Mögliche daran gesetzt hätte, am Ziel ihrer Reise zu verbleiben.

Die Bindung zu ihrer Mutter legt nicht die Vermutung nahe, dass sie aufgrund derselben bei ihrer Zurückschiebung nach Polen mitgewirkt hätte, denn auch für die Mutter wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Pasewalk vom 09.04.2005 in gleicher Weise Haft angeordnet. Diese aber machte von dem Rechtsmittel der Beschwerde keinen Gebrauch.

III.

Das Prozesskostenhilfegesuch der Betroffenen für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde war gem. § 14 FGG, § 114 ZPO zurückzuweisen. Gem. § 14 FGG finden auf Prozesskostenhilfegesuche im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit die Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung. Gem. § 114 ZPO kann einer Partei Prozesskostenhilfe gewährt werden, wenn ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. An der entsprechenden Erfolgsaussicht fehlt es aus den dargestellten Gründen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 14, 15 FEVG.

Ende der Entscheidung

Zurück