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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 19.02.2009
Aktenzeichen: 5 W 7/09
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, ArbGG, GVG


Vorschriften:

InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 130 Abs. 3
InsO § 143
InsO § 180
InsO § 185
ZPO § 116 Nr. 1
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3a
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3d
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 4a
ArbGG § 3
GVG § 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

5 W 7/09

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 25.11.2008 - 10 O 331/08 - am 19. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung der Rechtsanwältin ......... Prozesskostenhilfe bewilligt.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der "N. Limited" mit Sitz in R. In dieser Eigenschaft beabsichtigt er, im Wege der Insolvenzanfechtung nach §§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO den Antragsgegner, einen früheren Arbeitnehmer der Schuldnerin, auf Rückgewähr erhaltener Lohnzahlungen in Höhe von insgesamt 5.143,67 € zur Insolvenzmasse vor dem Landgericht Rostock in Anspruch zu nehmen. Hierzu hat er um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren nachgesucht.

Mit Beschluss vom 25.11.2008 - zugestellt am 27.11.2008 - hat der Einzelrichter der 10. Zivilkammer des Landgerichts Rostock dem Antragsteller Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt, der beabsichtigten Rechtsverfolgung fehle die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil für derartige Rückgewähranspruche des Insolvenzverwalters gegenüber Arbeitnehmern der Schuldnerin ausschließlich die Arbeitsgerichte zuständig seien. Für diese Auffassung hat er sich auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.2008 berufen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 15.12.2008 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der er die von ihm angenommene Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch weiterhin für gegeben hält.

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet, weil der beabsichtigten Rechtsverfolgung auch unter Berücksichtigung der Erwägungen des angefochtenen Beschlusses sowie der Nichtabhilfeentscheidung vom 06.01.2009 die erforderliche Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO) nicht abgesprochen werden kann.

1.

Prozesskostenhilfe kann im vorliegenden Fall insbesondere nicht mit der Begründung versagt werden, für auf Rückzahlung von Arbeitsentgelt gerichtete Klagen des Insolvenzverwalters gegen Arbeitnehmer des Schuldners seien stets die besonderen Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit sachlich zuständig, nicht aber die ordentlichen Gerichte. Das Gegenteil ist der Fall.

Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt sich weder aus § 2 Abs. 1 Nr. 3a bzw. 3 d ArbGG noch aus § 2 Abs. 1 Nr. 4a ArbGG. Denn der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch findet seine Grundlage nicht im Arbeitsverhältnis, sondern in der anfechtbaren Rechtshandlung. Diese ist keine mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehende unerlaubte Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG. Auch handelt es sich nicht um Nachwirkungen aus dem Arbeitsverhältnis oder überhaupt um Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG. Vielmehr wird durch den Anfechtungstatbestand ein originäres gesetzliches Schuldverhältnis bürgerlich-rechtlicher Art begründet, aufgrund dessen der Empfänger der anfechtbaren Leistung verpflichtet wird, die empfangene Leistung zurückzugeben. Dieser Rückgewähranspruch folgt unmittelbar aus dem Gesetz, nicht aber aus dem Arbeitsverhältnis. Mithin handelt es sich nach der Natur des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses um einen Rechtsstreit im Sinne von § 13 GVG, der die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründet. Dies gilt nach einhelliger Auffassung in der einschlägigen Kommentarliteratur und nach der bisherigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auch dann, wenn die angefochtene Zahlung auf eine arbeitsrechtliche Forderung des Arbeitnehmers geleistet wurde (vgl. Jaeger/Henckel, InsO [2008], Rdnr. 168/169 zu § 143; Kreft in: HK-InsO, 5.Aufl. [2008], Rdnr. 97 zu § 129; Dauernheim in: FK-InsO, 5. Aufl. [2009], Rdnr. 45 zu § 143; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. [2003], Rdnr. 63 zu § 143; MünchKomm/Kirchhof, InsO, 2. Aufl. [2008], Rdnr. 30 zu § 146; Jacoby in: Bork (Hrsg.), Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts [2006] S. 472; LAG Schleswig-Holstein, ZIP 1995, 1756; LAG Rheinland-Pfalz, NZI 2005, 644 ff = MDR 2005, 1247 ff).

Soweit das Bundesarbeitsgericht in seinem vom Landgericht zitierten Beschluss vom 27.02.2008 (veröffentlicht u.a. in ZIP 2008, 667) eine abweichende Auffassung vertreten und in derartigen Fällen den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für eröffnet angesehen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Dabei kann dahinstehen, ob der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes Rechtsnachfolger des Arbeitgebers im Sinne von § 3 ArbGG ist. Auch wenn dieser Begriff nicht streng wörtlich, sondern in einem weiten Sinne verstanden werden muss, ist zweifelhaft, ob das auch für die Ausübung des Anfechtungsrechts nach der InsO gelten kann. Denn der Rückgewähranspruch aufgrund der gesetzlichen Anfechtungstatbestände der InsO entsteht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Erst zu diesem Zeitpunkt wird das gesetzliche Schuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Anfechtungsgegner begründet, welches bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens fortdauert. Bereits dies streitet gegen die Annahme einer Rechtsnachfolge. Darüber hinaus sollen das Anfechtungsrecht und der dadurch begründete Rückgewähranspruch dem Insolvenzverwalter ermöglichen, die Insolvenzmasse in diejenige Situation zurückzuversetzen, wie sie ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestanden hätte. Hieraus folgt, dass das Anfechtungsrecht ein eigens für den Insolvenzzweck geschaffenes Rechtsinstitut darstellt (vgl. Kreft, a.a.O., Rdnr. 79 zu § 129 m.w.N.), deshalb untrennbar mit dem Amt des Insolvenzverwalters verbunden ist und weder übertragen noch gepfändet werden kann (vgl. BGH ZIP 1995, 1204 f). Dementsprechend kann es - wovon auch das Bundesarbeitsgericht ausgeht - nicht von dem Schuldner (Arbeitgeber) selbst geltend gemacht werden. Zudem wird der Insolvenzverwalter bei Ausübung des Anfechtungsrechts nicht in der Funktion eines Arbeitgebers tätig. Zwar knüpft die Anfechtung letztlich an ein noch bestehendes oder früheres Arbeitsverhältnis und damit an die zielgerichtete Entlohnung für Arbeitstätigkeit an. Indes sind gerade diese Umstände bei Ausübung des Anfechtungsrechts rechtlich nicht zu würdigen, sondern allein die vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Anfechtung als solche. Diese wiederum ist normiert in der Insolvenzordnung, nicht aber Folge des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses (so zutreffend Humberg, ZinsO 2008, 487/490 in seiner kritischen Anmerkung zu dem Beschluss des BAG vom 27.02.2008).

Aus alledem folgt, dass der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch seine Grundlage gerade nicht in dem die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründenden Arbeitsverhältnis hat, sondern ausschließlich in der anfechtbaren Rechtshandlung und damit in dem Insolvenzverfahren. Dies gebietet, den Insolvenzverwalter selbst bei einer gebotenen weiten Gesetzesauslegung jedenfalls dann nicht als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers anzusehen, wenn er von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch macht und in diesem Rahmen gezahlten Lohn zurückfordert. Unberührt bleibt die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte demgegenüber dann, wenn der Insolvenzverwalter außerhalb der Insolvenzanfechtung Lohnüberzahlungen zurückverlangt oder anderweitig spezifische Rechte des Arbeitgebers geltend macht. Nur in solchen Fällen handelt es sich um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG oder um Ansprüche, die mit einem Arbeitsverhältnis in einem rechtlichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4a ArbGG). Bei einem insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch ist das demgegenüber nicht der Fall; dieser ist nicht die Umkehrung des Primäranspruchs (so Weitzmann EWiR 9/2008 - S. 259/260 m.w.N.).

Auch Gründe der Sachnähe gebieten letztlich keine Zuordnung zur Arbeitsgerichtsbarkeit. Das Bundesarbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, dass sich in derartigen Fällen der im Rechtsstreit erhobene Anspruch allein nach den spezifischen Regelungen der Insolvenzordnung bestimmt. Damit handelt es sich nach der Rechtsnatur der zu beurteilenden Verhältnisse um einen Rechtsstreit im Sinne von § 13 GVG, der den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Dass die Regelungen der Insolvenzordnung eine "Mehrzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthalten, deren Anwendung durch spezifisch arbeitsrechtliche Fragestellungen beeinflusst werden" können, vermag für sich allein nicht die Rechtswegzuweisung zu den Arbeitsgerichten zu begründen. Zum einen geht es nicht um die Rückabwicklung einer arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung insgesamt, sondern allein um die Rückabwicklung der - ohne die Anfechtung wirksamen - Erfüllungshandlung des Arbeitgebers, bei der spezifisch arbeitsrechtliche Problematiken schwerlich auftreten dürften, jedenfalls aber von dem insolvenzrechtlich zu beurteilenden Anfechtungsrecht überlagert werden. Zum anderen gehört es zu den vielfältigen Aufgaben der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sich im Bedarfsfall zur Entscheidung rechtlicher Vorfragen mit den einschlägigen Bestimmungen anderer Rechtsgebiete vertraut zu machen und diese sachgerecht anzuwenden. Dementsprechend ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bislang nicht in Frage gestellt worden, wenn die anfechtbare Rechtshandlung in einer Leistung auf einen Steuerbescheid, einen Verwaltungsakt oder einen sozialrechtlichen Abgabenbescheid besteht. In allen diesen Fällen ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte unumstritten. Nichts anderes kann für Lohnzahlungen aus einem Arbeitsverhältnis gelten.

Dass der Gesetzgeber bei Verabschiedung der Insolvenzordnung für derartige Fällen der Insolvenzanfechtung von der Zuständigkeit der Fachgerichte ausgegangen sein könnte, hält der Senat für ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat in § 185 InsO für die Feststellung streitiger Forderungen eine die allgemeine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 180 InsO modifizierende Regelung dahingehend getroffen, dass dann, wenn für die Feststellung einer Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben ist, diese Feststellung vor dem hierfür zuständigen Fachgericht zu betreiben ist. Die Bestimmungen für die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff InsO) enthalten eine solche Regelung nicht; insbesondere ist dort eine Verweisung auf § 185 InsO, die bei einem entsprechenden Willen des Gesetzgebers nahegelegen hätte, nicht erfolgt. Zudem hat die Bundesregierung eine kleine Anfrage der Fraktion 'Die Linke' vom 05.09.2007 (BT-Drucksache 16/6297) unter dem 21.09.2007 dahingehend beantwortet, dass mit der Insolvenzanfechtung von Leistungen des Arbeitgebers aus einem Arbeitsverhältnis "die haftungsrechtliche Zuordnung [erg. des Anfechtungsgegenstandes] zur Insolvenzmasse verwirklicht" werde und dadurch die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte [Zivilgerichte] begründet sei. Maßnahmen des Gesetzgebers zur Begründung einer Zuständigkeit der Arbeitsgerichte hat die Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten (BT-Drucksache 16/6488; dort S.5/6).

2.

Da der Antragsteller mit seinem Klageentwurf die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs.1 Nr. 1 und Abs. 3 InsO schlüssig dargetan und zudem die weiteren Voraussetzungen des § 116 Nr. 1 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht hat, war ihm in Änderung der angefochtenen Entscheidung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.

II.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Ziffer 1812 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG und § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Senat hat gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO) die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. Soweit ersichtlich, hat dieser bislang noch nicht zur Frage des Rechtsweges bei einer insolvenzrechtlichen Anfechtung von Lohn- oder Gehaltszahlungen sowie zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.2008 Stellung genommen.

Ende der Entscheidung

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