Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: 7 U 2/05
Rechtsgebiete: BauGB, GVG, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 124
BauGB § 123 Abs. 1
BauGB § 124 Abs. 1
BauGB § 127 Abs. 2
BauGB § 128 f.
BauGB § 127
GVG § 17 a Abs. 2
GVG § 17 a Abs. 5
GVG § 17 a
GVG § 13
VwGO § 40 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock

Beschluss

Geschäftsnummer 7 U 2/05

Verkündet am: 08.09.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. J., die Richterin am Oberlandesgericht E. und den Richter am Landgericht W.

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 17.12.2004 aufgehoben.

2. Der Zivilrechtsweg ist unzulässig.

3. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Verwaltungsgericht Greifswald verwiesen.

4. Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung restlicher Erschließungskosten in Anspruch. Die Beklagten hatten von der Gemeinde S. A. mit notariellem Kaufvertrag vom 15.06.2002 ein unerschlossenes Baugrundstück in einem neu ausgewiesenen Baugebiet gekauft. In Abschnitt I. - Vorbemerkung - war darauf hingewiesen worden, dass die Gemeinde gem. § 124 BauGB die Herstellung der Erschließung mit öffentlich-rechtlichem Erschließungsvertrag auf die Klägerin übertrage. Mitbeurkundet wurde entsprechend Abschnitt II. § 1 des notariellen Kaufvertrages eine Kostentragungsvereinbarung zwischen den Parteien. Unter Bezugnahme auf eine als Schlussrechnung bezeichnete Kostenaufstellung einzelner Erschließungsmaßnahmen sowie anderer Leistungen und unter Umlegung des auf das Grundstück der Beklagten entfallenden Kostenanteils fordert die Klägerin restliche Erschließungskosten i. H. v. 6.466,52 EUR, wobei bereits geleistete Abschlagszahlungen Berücksichtigung gefunden haben.

Das Landgericht Stralsund hat mit Urteil vom 17.12.2004 die Klage abgewiesen, weil die Klageforderung mangels Abnahme nicht fällig sei.

Hiergegen richtet sich die nach am 22.12.2004 erfolgter Zustellung am 04.01.2005 eingelegte und am 07.02.2005 begründete Berufung der Klägerin.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere wurde sie rechtzeitig eingelegt und begründet, §§ 517, 520 Abs. 2 ZPO.

Der von der Klägerin beschrittene Zivilrechtsweg ist - worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat - nicht eröffnet. Zur Entscheidung in dem Rechtsstreit berufen ist das örtlich zuständige Gericht des zulässigen Verwaltungsrechtsweges erster Instanz. Das landgerichtliche Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht Greifswald zu verweisen, § 17 a Abs. 2 GVG.

Gemäß § 17 a Abs. 5 GVG hat der Senat zwar grundsätzlich die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges im Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt indes voraus, dass die Frage der Zu1ässigkeit des Rechtsweges durch das Gericht erster Instanz auf Rüge hin oder von Amts wegen im Vorab-Verfahren gem. § 17 a GVG einer Entscheidung zugeführt wurde. Vorliegend haben weder die Beklagten die Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtsweges gerügt, noch hat sich das Landgericht soweit ersichtlich - überhaupt mit der Frage des zulässigen Rechtsweges befasst. Die Prüfung der Rechtswegzuständigkeit war daher durch den Senat nachzuholen und hierüber vorab durch Beschluss zu entscheiden. Dies führt zur Verweisung an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht erster Instanz, entgegen der in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Albers in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 63. Aufl., § 17 a Rn. 16 m. w. N.). Eine Verweisung an das für den zulässigen Rechtsweg zuständige Rechtsmittelgericht würde den Parteien eine Tatsacheninstanz des zulässigen Rechtsweges beschneiden.

Der Zivilrechtsweg ist nicht eröffnet, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, so dass eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, § 13 GVG, nicht gegeben ist.

Das Landgericht hat die notarielle Kostentragungsvereinbarung zwischen den Parteien als bürgerlich-rechtliche Vereinbarung gewertet ohne sich mit der Frage, ob es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln könnte, auf Rüge hin oder von Amts wegen auseinanderzusetzen. Ob eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vorliegt und deshalb nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist, obliegt daher der Prüfung durch den Senat. Diese Frage ist zu verneinen. Nach der rechtlichen Natur des Klageanspruches, wie er sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin darstellt, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, so dass nach § 40 Abs. 1 VWGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist.

Zwar sind an dem durch die Kostentragungsvereinbarung begründeten Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nur Privatrechtssubjekte beteiligt, so dass ihre Rechtsbeziehungen grundsätzlich dem Privatrecht unterliegen. Eine Zuordnung des Rechtsstreits zum öffentlichen Recht kommt dann auch grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Partei mit öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen durch Gesetz oder auf grund eines Gesetzes ausgestattet und entsprechend aufgetreten ist, wobei aber auf die Natur des der Klage zugrunde liegenden Anspruches abzustellen ist (vgl. BGH NJW 2000, 1042 m. w. N.). Zur Entscheidung der Frage, ob der auf einen Vertrag gestützte Klageanspruch dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, ist jedoch im Ausgangspunkt der Vertragsgegenstand maßgebend. Dabei kann nicht allein auf einzelne Vertragsbestimmungen abgestellt werden; es ist vielmehr die Regelung der Vertragsparteien in ihrer Gesamtheit zu würdigen (vgl. BGH MDR 1972,503). Demgemäß ist zu prüfen, ob sich ein Vertrag auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich geregelte Sachverhalte bezieht. Öffentlich-rechtlicher Charakter ist ihm insbesondere dann zuzusprechen, wenn der Vertrag von der gesetzlichen Ordnung abweichende Verschiebungen öffentlich-rechtlicher Lasten und Pflichten vorsieht (vgl. BGHZ 56, 365 ff. m. w. N.). So liegt es hier.

Nach § 123 Abs. 1 BauGB ist die Erschließung Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden und gehört insoweit dem öffentlichen Recht an; allerdings kann die Gemeinde die Erschließung durch Vertrag auf einen Dritten übertragen, § 124 Abs. 1 BauGB. Nach heute herrschender Meinung gehören Erschließungsverträge wie der zwischen der Gemeinde S. A. und der Klägerin geschlossene Vertrag gem. § 124 Abs. 1 BauGB dem öffentlichen Recht an (vgl. BGHZ 54, 287 ff. m. w. N.). Gemäß § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden Erschließungsbeiträge zur Deckung des Erschließungsaufwandes gem. §§ 127 Abs. 2, 128 f. BauGB. Der von den Beklagten mit der Gemeinde S. A. geschlossene notarielle Grundstückskaufvertrag vom 20.06.2002 enthält in § 9, letzter Abs., hierauf einen ausdrücklichen Bezug, wenn es heißt:

"Der Erwerber übernimmt die Erschließungskosten gem. § 127 BauGB und Kommunalabgabengesetz in voller Höhe."

Diese Vertragsklausel stellt klar, dass der Erwerber, die Beklagten, lediglich die Schuld der Gemeinde A. aus dem Erschließungsvertrag "übernimmt". Eine Schuldübernahme lässt die Rechtsnatur des zugrunde liegenden Anspruchs unberührt (vgl. u. a. MünchKomm BGB/Möschel, vor § 414 Rn. 6 m.w.N.). Ist die Schuld der Gemeinde A. aus dem Erschließungsvertrag öffentlich-rechtlicher Natur, muss es auch die Schuld der Beklagten sein.

Indem in dem notariellen Grundstückskaufvertrag in der Vorbemerkung sowie in § 9 Abs. 1 darauf hingewiesen wird, dass die Gemeinde mit der Klägerin einen öffentlich-rechtlichen Erschließungsvertrag abgeschlossen habe, hat sie sich nicht etwa ihrer Selbstverwaltungsaufgabe entledigt. Die Klägerin ist aufgrund der mitbeurkundeten Kostentragungsvereinbarung mit den Beklagten auch nicht etwa entsprechend eines Werkvertrages durch die Beklagten mit der Errichtung von Versorgungseinrichtungen dergestalt beauftragt worden, dass diese für das Beklagtengrundstück herzustellen und anschließend der hiermit verbundene Aufwand pauschal bzw. nach Einheitspreisen mit den Beklagten abzurechnen gewesen wäre. Vielmehr sieht die Kostentragungsvereinbarung eine Erhebung anteiliger Gesamtkosten für die Erschließung des gesamten Baugebietes entsprechend den Regelungen der § § 127 H. BauGB vor, also auch solcher Erschließungsanlagen, die für das Beklagtengrundstück selbst eigentlich nicht erforderlich sind, weil sie andere Straßenzüge bzw. Teile des Baugebietes betreffen und so für die Nutzung des Beklagtengrundstückes an sich keinen unmittelbaren Vorteil bieten. Dann aber nimmt die Klägerin die Beklagten auf Bezahlung von Erschließungsaufwand i. S. d. §§ 127 Abs. 2, 128 BauGB in Anspruch und fordert demnach die Zahlung von Erschließungsbeiträgen, so dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit handelt.

Insbesondere auch die Prüfung der Frage, ob es sich bei den von der Klägerin in die Kostenaufstellung eingestellten Beträgen um solche handelt, die einem nach den Bestimmungen der § § 127 f. BauGB abrechenbaren Erschließungsaufwand zuzurechnen sind, obliegt der hierfür zuständigen Fachgerichtsbarkeit.

Weder eine Kostenentscheidung noch eine Streitwertfestsetzung sind veranlasst, § 17 b Abs. 2 GVG (vgl. auch Gummer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 17 b Rn. 4 m. w. N.).



Ende der Entscheidung

Zurück