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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 14.10.2005
Aktenzeichen: 8 U 84/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 305 II
BGB §§ 305 ff.
BGB § 661 a
ZPO § 513 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 84/04

Verkündet am: 14.10.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Sabin, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Meyer und den Richter am Oberlandesgericht Lüdtke

auf die mündliche Verhandlung vom 09.09.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 05.03.2004 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichtes Stralsund, Az.: 6 O 96/03, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die in Italien ansässige Beklagte aus einer Gewinnzusage in Anspruch. Im September 2002 erhielt die Klägerin ein Schreiben von der Beklagten, das u.a. den Auszug eines Gewinner-Protokolls vom 06.09.2002 enthielt. Danach sollte die Klägerin Gewinnerin eines Gesamtbetrages in Höhe von 25.000 € sein. Zur Anforderung des Gewinns sollte die Klägerin eine als "eidesstattliche Versicherung" bezeichnete Erklärung - in der das Geburtsdatum anzugeben war - unterzeichnen. Der letzte Satz dieser Erklärung lautet wie folgt : "Durch meine Unterschrift erteile ich mein Einverständnis mit den Vergabebedingungen." Die Vergabebedingungen waren in kleiner Schrift und an unauffälliger Stelle auf einem mit mehreren Warenangeboten versehenen Bestellschein abgedruckt. In den Vergabebedingungen wird u.a. darauf hingewiesen, dass der Betrag von 25.000 € zu gleichen Teilen unter allen Einsendern von unterschriebenen und gültigen "eidesstattlichen Versicherungen" aufgeteilt werde und dass Beträge unter 1,50 € nicht ausgezahlt werden würden. Für die Beantwortung lag dem Schreiben der Beklagten an die Klägerin ein Rückumschlag mit folgender Adressenangabe bei :

"SVD

S. & G.

z. Hd. Cl...M...

Direktion

68... K....."

Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage - bis auf Zinsen für einen Tag - stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe § 661 a BGB fehlerhaft ausgelegt. Die Werbesendung müsse in ihrer Gesamtheit betrachtet und bewertet werden. Es sei daher insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin durch ihre Unterschrift ihr Einverständnis mit den Vergabebedingungen erteilt habe. Schon deswegen habe die Klägerin mit den sich daraus ergebenden Einschränkungen rechnen müssen, ohne dass es darauf ankomme, an welcher Stelle und in welcher Größe diese abgedruckt seien. Im Übrigen ist die Beklagte der Auffassung, dass die §§ 305 ff. BGB auf die von der Beklagten verwendeten Spielregeln nicht anwendbar seien. Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB lägen nur dann vor, wenn es sich um vorformulierte Bedingungen für gegenseitige Verträge handele. Die vom Unternehmer abgegebene Mitteilung i. S. d. § 661 a BGB sei hingegen einem einseitigen Rechtsgeschäft gleichzustellen, auf das die gesetzlichen Regeln über allgemeine Geschäftsbedingungen nicht anwendbar seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 05.03.2004, Az.: 6 O 96/03, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass § 661 a BGB vom Empfänger einer Gewinnmitteilung keine überdurchschnittlich gründliche Prüfung hinsichtlich des in Aussicht gestellten Preises verlange.

Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die deutschen Gerichte sind zur Entscheidung dieses Rechtsstreits international zuständig. Die Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO steht einer Prüfung dieser Frage in der Berufungsinstanz nicht entgegen, weil diese Regelung trotz ihres weit gefassten Wortlautes nicht die internationale Zuständigkeit betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002, NJW 2003, S. 426, 426f. m. w. N.). Im Übrigen käme die Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO bei einer abweichenden Auslegung insoweit nicht zur Anwendung, als sie im Widerspruch zu vorrangigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen (beispielsweise aus Art. 25 f der EG-VO Nr. 44/2001 (im Folgenden: EuGVVO) stehen würde.

Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich vorliegend nicht nach dem europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ), sondern nach der am 01.03.2002 in Kraft getretenen EuGVVO, weil die Klageschrift vom 10.03.2003 der Beklagten am 05.11.2003 - mithin nach Inkrafttreten der EuGVVO - zugestellt worden ist, Art. 66 Abs. 1 EuGVVO. Aus diesem Grund kommt es letztlich nicht darauf an, dass im Anwendungsbereich des EuGVÜ nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2005 (NJW 2005, S. 811 ff.) die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Falle einer grenzüberschreitenden Gewinnmitteilung an einen deutschen Verbraucher entgegen der vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28.11.2002 (NJW 2003, S. 426 ff.) vertretenen Auffassung nicht mehr ohne weiteres daraus hergeleitet werden kann, dass entweder eine Verbrauchersache oder ein Anspruch aus unerlaubter Handlung vorliege (eingehend dazu: Leible, Luxemburg locuta, Gewinnmitteilung finita?, NJW 2005, S. 796 ff.). Die vorgenannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes steht im vorliegenden Fall der Einordnung als Verbrauchersache i. S. v. Art. 15 Abs. 1 lit c) EuGVVO nicht entgegen, weil die nunmehr einschlägige Regelung des Art. 15 Abs. 1 lit c) EuGVVO sich von Art. 13 Nr. 3 EuGVÜ gerade dadurch unterscheidet, dass eine synallagmatische Verknüpfung von Leistungspflichten nicht mehr vorausgesetzt wird. Denn anders als nach Art. 13 Nr. 3 EuGVÜ kommt es gem. Art. 15 Abs. 1 lit c) EuGVVO nicht mehr auf die Erbringung einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen, sondern nur noch auf das Vorliegen eines Vertrages an. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Senat kann dies feststellen, ohne die Auslegungsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Denn der Senat weicht insoweit nicht von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ab, sondern befindet sich in Übereinstimmung mit der vom Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.01.2005 (NJW 2005, S. 811ff.) vorgenommenen Auslegung, in welchem der Europäische Gerichtshof ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich in einem derartigen Fall um einen Anspruch aus Vertrag (i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ) handele. Soweit der Europäische Gerichtshof diese Frage bezogen auf die EuGVVO noch nicht entschieden hat, kann eine Vorlage gleichwohl unterbleiben. Denn zum einen ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. zur Entbehrlichkeit der Vorlage in einem solchen Fall - im Grundsatz zutreffend - BGH, Urteil vom 28.11.2002, NJW 2003, 426, 428 m.w.N.). Zum anderen kann die Vorlage auch deshalb unterbleiben, weil die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus weiteren Vorschriften der EuGVVO abzuleiten ist.

Die deutschen Gerichte sind hier nämlich auch nach Art. 5 Nr. 5 EuGVVO international zuständig. Der Begriff der Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung i. S. v. Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ist vertragsautonom auszulegen, wobei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur inhaltsgleichen Vorschrift aus Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ zurückgegriffen werden kann. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem insoweit grundlegenden Urteil vom 09.12.1987 (NJW 1988, S. 625) diesen Begriff dahingehend definiert, dass "ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint ist, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist" (a. a. O., Rdz. 10 der Entscheidungsgründe).

Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, dass die Beklagte ausweislich des von der Klägerin als Anlage K 8 vorgelegten Orginial-Rückumschlages (Bl. 21 d. A.) unter einer deutschen Postanschrift wie folgt in Erscheinung getreten ist: SVD S. & G., z. Hd. C... M...t, Direktion, 68... K... Zwar war eine Zustellung der Klage unter dieser Anschrift aus Gründen, die dem Senat nicht bekannt sind, nicht möglich. Es bedarf allerdings keiner Entscheidung, aus welchen Gründen eine Zustellung der Klage unter dieser Anschrift nicht erfolgen konnte. Denn auch wenn die Beklagte keine Niederlassung an diesem Ort unterhalten haben sollte, hat sie durch die Verwendung des vorgenannten Rückumschlages einen entsprechenden Rechtschein zurechenbar hervorgerufen (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 09.12.1987, a. a. O., S. 625 Rdz. 15 der Entscheidungsgründe). Insbesondere aufgrund der verwendeten Zusatzes "Direktion" kann es nach Auffassung des Senates nicht zweifelhaft sein, dass der Empfänger vom Bestehen einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung i. S. v. Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ausgehen konnte (vgl. auch Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., 2004, Rdz. 305, 314 zu Art. 5 EuGVVO). Da der Europäische Gerichtshof die insoweit maßgeblichen Fragen bereits entschieden hat, bedarf es auch hierzu nicht der Vorlage einer Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht schon aus Art. 15 Abs. 1 lit c) bzw. aus Art. 5 Nr. 5 EuGVVO folgen würde, sie sich letztlich aus der - subsidiären - Vorschrift des Art. 24 EuGVVO ergäbe. Denn diese Vorschrift setzt lediglich voraus, dass der Beklagte sich auf das Verfahren einlässt, ohne die internationale Unzuständigkeit zu rügen und dass kein Fall einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit gem. Art. 22 EuGVVO vorliegt. Dabei kann die Rüge der internationalen Unzuständigkeit jedenfalls nicht mehr nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben werden, die nach innerstaatlichem Prozessrecht als erstes Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (vgl. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., 2004, Art. 24 Rdz. 7). Eine derartige Rüge hat die Beklagte - die sich durch ihre Klageerwiderung auf das Verfahren eingelassen hat -erstinstanzlich zu keinem Zeitpunkt erhoben; auch liegen die Voraussetzungen des Art. 22 EuGVVO nicht vor. Aus welchem Grunde die Beklagte eine entsprechende Rüge erstinstanzlich unterlassen hat, ist unerheblich, weil es allein auf den objektiven Tatbestand der Nichtrüge ankommt (Geimer/Schütze, a. a. O., Rdz. 4). Insbesondere bedarf es auch keines gerichtlichen Hinweises auf die Rügemöglichkeit (Geimer/Schütze, a.a.O., Rdz. 16f.). Da die Beklagte die Rüge der internationalen Unzuständigkeit erstinstanzlich nicht erhoben hat, ist sie zweitinstanzlich damit erst recht ausgeschlossen (Geimer/Schütze, a. a. O., Rdz. 49 ff.).

2.

In der Sache trifft die Entscheidung des Landgerichtes zu. Der Senat kann zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf seinen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO Bezug nehmen, zu dem die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 30.03.2005 Einwendungen nur hinsichtlich der Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte erhoben hat. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals die Frage der Anwendbarkeit der §§ 305ff. BGB - insbesondere des § 305 II BGB mangels Vorliegens eines Vertrages - problematisiert hat, kann dahingestellt bleiben, ob nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2005 - der in einem solchen Fall einen Vertrag i.S.v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ angenommen hat (a.a.O. NJW 2005, 811, 814 Rdz. 60f. der Entscheidungsgründe) - Veranlassung bestehen könnte, auch einen Vertrag i.s.v. § 305 II BGB zu bejahen. Denn diese - allein von den nationalen Gerichten zu entscheidende - Frage bedarf hier deswegen keiner Entscheidung, weil es auch bei Annahme eines nur einseitigen Rechtsgeschäfts oder einer geschäftsähnlichen Handlung (BGH, Urt. v. 28.11.2002, NJW 2003, 426, 427; OLG München, Urt. v. 05.02.2004, NJW 2004, 1671, 1672) nicht zweifelhaft sein kann, dass im Rahmen des Tatbestandsmerkmals "Eindruck erwecken" i.S.v. § 661 a BGB ein Hinweis auf einschränkende Vergabebedingungen am Maßstab des § 305 II BGB zu prüfen ist. Denn die vom Gesetzgeber beabsichtigte verbraucherschützende Funktion des § 661 a BGB macht die Anwendung der in den §§ 305ff. BGB enthaltenen Rechtsgedanken, die aus der auf § 242 BGB beruhenden Rechtsprechung zum "Kleingedruckten" hervorgegangen sind, auf die eine Gewinnzusage einschränkenden Vergabebedingungen erforderlich (so auch ausdrücklich OLG München, Urt. v. 05.02.2004, a.a.O. S. 1672). Die Beklagte erscheint demgegenüber insoweit - wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt - nicht schutzwürdig, weil sie das Risiko, aufgrund versandter Gewinnzusagen den Preis leisten zu müssen, selbst steuern kann (ebenso BGH, Urteil vom 16.10.2003, NJW 2003, S. 3620, 3621).

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

4.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die aufgeworfenen europarechtlichen Fragen rechtfertigen eine Revisionszulassung nicht, weil der Senat insoweit erforderlichenfalls selbst den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung hätte ersuchen können, Art. 234 EGV. Die zur Auslegung des § 661 a BGB aufgeworfenen Fragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt.

Ende der Entscheidung

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